Einleitung
Bei schmerzhaften Eingriffen am distalen Vorderbein wird eine multimodale Schmerztherapie empfohlen. Wird der Schmerz nicht genügend unterdrückt, geht man zusätzlich zum akuten
Schmerz das Risiko von chronischen Schmerzen durch eine zentrale Sensibilisierung
ein.
Werden Lokalanästhetika präoperativ verabreicht, können sie
-
die notwendige Dosierung postoperativer Analgetika reduzieren [1],
-
die postoperative Schmerzhaftigkeit vermindern und
-
die Hospitalisierungsdauer reduzieren [2].
Merke
Ein perineuraler Block mit einem Lokalanästhetikum ist die einzige Möglichkeit, die
Schmerzen komplett zu unterdrücken [1].
Die meisten Tierärzte verfügen in der Praxis über ein Lokalanästhetikum wie Lidocain,
aber nur wenige wenden es für die Anästhesie der distalen Gliedmaßen an. Ein RUMM-Block (Blockade des N. radialis, N. ulnaris, N. medianus und des N. musculocutaneus), der
entweder blind, mit Nervenstimulator oder unter Ultraschallkontrolle durchgeführt
wird, ist heute eine Standardmethode in der Veterinärmedizin. Jedoch sind die erforderlichen
Geräte (Ultraschall oder Nervenstimulator, je nach ausgewählter Methode) und die Techniken
in der Praxis nicht weit verbreitet. Glücklicherweise sind die Geräte nicht zwingend
nötig, weil die „blinde“ Technik mit anatomischer Orientierung auch zuverlässige Resultate bietet. In diesem Artikel
soll primär die Durchführung mithilfe anatomischer Orientierungspunkte beschrieben
werden und kurz auf den Gebrauch des Nervenstimulators eingegangen werden.
Indikation
Die distale Vordergliedmaße wird durch folgende Nerven innerviert:
-
N. radialis
-
N. ulnaris
-
N. medianus
-
N. musculocutaneus
Ihre Anästhesie wird deshalb bei operativen Eingriffen der Vordergliedmaße empfohlen,
die distal des Ellbogens lokalisiert sind, z. B. Zehenamputation, Karpalarthrodese,
Wunden distal des Ellbogens und distale Radius-Ulna-Frakturen ([Abb. 1] und [2]) [3], [4].
Abb. 1 Anatomisches Präparat der Vordergliedmaße eines Hundes, mediale Ansicht: 1 N. musculocutaneus,
2 N. medianus, 3 N. ulnaris, 4 N. radialis, der sich nach lateral verbreitert, 5 Injektionsstelle
bei medialem Zugang zum N. ulnaris, N. medianus und N. musculocutaneus.(© Departement
für klinische Veterinärmedizin, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern)
Abb. 2 Anatomisches Präparat der Vordergliedmaße eines Hundes, laterale Ansicht: 1 N. radialis,
2 Injektionsstelle des N. radialis bei lateralem Zugang.(© Departement für klinische
Veterinärmedizin, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern)
Material
„Blinde“ Technik ([Abb. 3]):
Abb. 3 Für den RUMM-Block benötigtes Material: 1 Nervenstimulator, 2 Anode und Krokodilzange,
die am Tier fixiert wird, 3 Kathode für die isolierte Nadel, 4 spinale Nadel (22 G,
75 mm) für eine „blinde“ oder ultraschallgeführte Technik, 5 Nadel für eine „blinde“
oder ultraschallgeführte Technik, 6 Lokalanästhetikum (Ropivacain), 7 5 ml-Spritze,
8 isolierte Nadel mit Schlauch für das Lokalanästhetikum für die Technik mittels peripherem
Nervenstimulator.(© Departement für klinische Veterinärmedizin, Vetsuisse-Fakultät,
Universität Bern)
Merke
Die normale hypoderme Nadel ist schneidend, sodass ein größeres Risiko einer Nervenverletzung
besteht. Spinalnadeln sind stumpfer, das Risiko ist daher geringer.
Technik mithilfe des peripheren Nervenstimulators ([Abb. 3]):
-
peripherer Nervenstimulator
-
Schermaschine
-
Desinfektionsmaterial
-
isolierte Nadel: 22 Gauge, 50 – 100 mm (je nach Größe des Tieres)
-
sterile Handschuhe (empfohlen)
-
sterile Spritze
-
Lokalanästhetikum
Bei der isolierten Nadel ist nur die Spitze nicht isoliert ([Abb. 4]). Dies ermöglicht, dass der elektrische Impuls gezielt ans Ende der Spitze geleitet
wird und die umliegenden Weichteile nicht gleichzeitig erregt werden.
Abb. 4 Spitze einer isolierten Nadel. Nur die Spitze ist nicht isoliert, was erlaubt, dass
der elektrische Impuls gezielt ans Ende dieser Spitze geleitet wird und die umliegenden
Weichteile nicht gleichzeitig erregt werden.(© Departement für klinische Veterinärmedizin,
Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern)
Lokalanästhetikum
Lokalanästhetika wirken auf die Poren der spannungsgesteuerten Na+-Kanäle der Nervenzellen bzw. aller erregbaren Zellen. Sie verhindern somit die Verbreitung
des elektrischen Impulses, sodass die afferenten sensorischen Informationen sowie
die efferente motorische Aktivität der Nerven blockiert werden [2].
Die am häufigsten verwendeten Lokalanästhetika sind nachfolgend beschrieben:
-
Lidocain ist das meist genutzte Lokalanästhetikum in der Veterinärmedizin. Es ist mittelgradig
potent und hat eine mittlere Wirkungsdauer (~ 1 Stunde). Die Wirkungsdauer kann um
bis zu 3 Stunden verlängert werden, wenn man das Lokalanästhetikum mit Adrenalin kombiniert.
-
maximal empfohlene Dosis: 6 – 10 mg/kg für Hunde und 3 – 5 mg/kg für Katzen
-
toxische Dosis: 22 mg/kg i. v. für Hunde und 11 ± 4,6 mg/kg i. v. für Katzen
-
Bupicavain ist ungefähr 4-mal potenter als Lidocain [2]. Die Wirkung setzt erst 20 – 30 Minuten nach der Injektion ein und hält 3 – 10 Stunden
an. Der Wirkstoff ist beliebt für längerdauernde Eingriffe ist, da er die postoperative
Analgesie optimieren kann.
-
Ropivacain ist mittelgradig potent, hat einen verzögerten Wirkungseintritt (20 Minuten) und
wirkt lang (zwischen 3 und 8 Stunden). In der Humanmedizin hat es weniger Nebenwirkungen
als das ähnlich lang wirkende Bupicavain.
-
Procain ist wenig potent und wirkt nur kurz (30 – 60 Minuten). Um den Effekt zu verlängern,
wird es oft mit Adrenalin kombiniert.
Die für einen RUMM-Block empfohlene Dosierung des Lokalanästhetikums beträgt 0,1 ml/kg auf der lateralen Seite und 0,15 ml/kg auf
der medialen Seite. Dies entspricht bei einer 0,5%igen Bupivacain- oder Ropivacain-Lösung
0,5 mg/kg. Die Dosierung liegt somit innerhalb des Bereichs der maximal empfohlenen
Dosierung.
Perineuraler Block mithilfe eines Nervenstimulators
Als Alternative zur reinen anatomischen Orientierung kann die Injektion mithilfe eines
peripheren elektrischen Nervenstimulators und einer isolierten Nadel (22 G, 50 – 100 mm)
erfolgen. Die Lokalisierung der Nerven kann somit verbessert werden. Der elektrische Stimulus, der von dem Stimulator generiert
wird, wird von naheliegenden motorischen Nervenfasern weitergeleitet und induziert
deren Depolarisation. Damit wird eine muskuläre Zuckung, auch „twitch“ genannt, erwartet
[5].
Durchführung:
-
Die Anode wird am Tier befestigt, um den elektrischen Stromfluss der Nadel zu gewährleisten.
-
Beginne mit einem Strom von 1,0 – 1,5 mA und mit einer Frequenz von 1 – 2 Hz.
-
Die Nadel muss sorgfältig bis zur erwarteten Lage des Nervs vorgeschoben werden, sodass
eine Zuckung der peripheren Muskulatur entsteht.
-
Wenn die Nadel nicht am richtigen Ort platziert ist, muss sie sorgfältig zurückgezogen
und erneut vorgeschoben werden.
-
Sobald sich die Nadelspitze in der Umgebung des Nervs befindet, wird eine „Muskelzuckung“
ausgelöst. Die elektrische Stimulation des N. ulnaris induziert eine Extension des
Karpus und die Stimulation des N. medianus eine Flexion und Pronation des Karpus.
Bei einer Stimulation des N. radialis entsteht eine Extension des Karpus. Die Stimulation
des N. musculocutaneus löst eine Kontraktion des M. brachialis und M. biceps brachii
mit einer Flexion des Ellbogens aus.
-
Die Stromstärke muss nun schrittweise bis auf 0,5 mA reduziert werden. Damit soll
noch immer eine Muskelzuckung sichtbar sein, um die Nähe der Nadelspitze zum Nerv
zu verifizieren. Wenn man den Strom auf 0,3 mA reduziert, sollte keine Muskelzuckung
mehr sichtbar sein, da man sich sonst im Nerv (Epineurium) befindet und dort auf keinen
Fall Lokalanästhetikum injizieren darf.
-
Vor Injektion des Lokalanästhetikums muss aspiriert werden, um sicherzustellen, dass
man kein Gefäß getroffen hat. Anschließend kann das Lokalanästhetikum langsam injiziert
werden.
Nebenwirkungen
Systemische Nebenwirkungen
Systemische Nebenwirkungen sind zu erwarten, wenn die Resorptionsdosis die toxische
Dosis des Lokalanästhetikums erreicht oder der Patient sehr sensitiv auf Lokalanästhetika
reagiert. Bei einer hohen Plasmakonzentration können zentralnervöse und kardiologische Nebenwirkungen auftreten.
Die fettlöslicheren Lokalanästhetika wie Bupivacain haben eher eine Tendenz zu systemischen Nebenwirkungen, z. B. anaphylaktischer
Schock oder Blutungen, als wasserlösliche Lokalanästhetika wie Lidocain. Dabei spielen
vor allem eine intravenöse Verabreichung und die Injektionsgeschwindigkeit eine Rolle.
Schnell verabreichte Lokalanästhetika induzieren schneller höhere Plasmaspiegel [2], [4], [6].
Die zentralnervösen Nebenwirkungen sind dosis- und medikamentenabhängig und können
Symptome wie Zittern und Aufregung bis hin zu Anfällen induzieren. Die ersten Zeichen,
die auf eine Nebenwirkung hinweisen, können bei Bupivacain z. B. eine kurzzeitige
Exzitationsphase gefolgt von Bradykardie, Zyanose und Bewusstlosigkeit sein [2], [4], [6].
Jedes Lokalanästhetikum hat bei einer geringen Plasmakonzentration eine antiarrhythmische
Wirkung. Bei höheren Konzentrationen können dieselben Medikamente kardiotoxisch sein.
Die Blockierung der Na+-Kanäle des Herzens, die zu einer Reduktion der Nullphase des Aktionspotenzials führt,
induziert klinische Symptome, die von einer Arrhythmie und ventrikulären Tachykardie
bis zu Kammerflimmern reichen [2], [4], [6].
Lokale Nebenwirkungen
Bei jedem peripheren Nervenblock besteht unter anderem das Risiko einer Nervenverletzung. Dies kann der Fall sein, wenn man die Nerven am Knochen „anpinnt“ oder in den Nerv
injiziert. Eine Nervenverletzung kann zu Parästhesien und im Extremfall zur Nervenschädigung
führen. Diese Komplikationen sind jedoch selten. Eine direkte Neurotoxizität ist eine weitere mögliche Nebenwirkung, die aber sehr selten auftritt. Bei extrem
hohen Konzentrationen des Lokalanästhetikums kann es zu einer Muskeltoxizität kommen.
Dies ist aber bei den üblichen Lokalanästhetika, die bei einem peripheren Nervenblock
Verwendung finden, nicht der Fall.
Fazit
Der RUMM-Block ist eine einfache und sichere perioperative Analgesiemethode für Eingriffe
am distalen Vorderbein. Somit kann die Dosierung postoperativer Schmerzmittel reduziert,
die postoperative Schmerzhaftigkeit vermindert und das Tier schneller entlassen werden.
Die „blinde“ Technik ist einfach durchzuführen und erfordert keine komplizierten Geräte,
sondern nur anatomische Kenntnisse. Ein RUMM-Block soll im Rahmen der multimodalen
Schmerztherapie bei Eingriffen wie einer Karpalarthrodese, einer Zehenamputation oder
Wunden distal des Ellbogens eingesetzt werden.
Tipp
Sehen Sie sich auch das Video der perineuralen Blockade des N. radialis mithilfe eines Nervenstimulators an: