Einleitung
Mycoplasma pneumoniae (MP) ist ein häufiger Erreger der atypischen Pneumonie bei Kindern und jungen Erwachsenen [1]
[2]
[3].
Im Rahmen der Erkrankung treten Hauterscheinungen bei bis zu 25 % der Patienten auf und werden meist dem Erythema multiforme (EM), dem Steven-Johnson-Syndrom (SJS) oder der toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) zugeordnet [1]
[4].
Dabei werden nicht selten inkomplette klinische Verläufe mit vordergründiger Mukositis beschrieben, welche als inkomplettes Stevens-Johnson-Syndrom, Fuchs-Syndrom oder MP-assoziierte Mukositis bezeichnet werden [5]
[6]. Diese Entität definierten Canavan et al. als ein neues Krankheitsbild: Mycoplasma-induced rash and mucositis [6].
Kasuistik
Fall 1
Anamnese
Ein 21-jähriger Patient wurde bei Verdacht auf ein Steven-Johnson-Syndrom in unsere Klinik verlegt. 10 Tage zuvor bemerkte der Patient erstmals Fieber sowie eine Allgemeinzustandsverschlechterung, welche er mit einem Medikament gegen Erkältungssymptome (bestehend aus Ascorbinsäure, Chlorphenaminmaleat, Koffein und Paracetamol) behandelte. Vier Tage nach Erkrankungsbeginn traten Bläschen im Bereich der Mundschleimhaut und später auch im Genitalbereich auf. Initial wurde bei Verdacht auf eine generalisierte Herpes-Infektion eine Therapie mit Aciclovir eingeleitet. Zusätzlich wurde aufgrund der Allgemeinzustandsverschlechterung mittels Röntgen-Thorax-Aufnahme eine Pneumonie diagnostiziert und eine antibiotische Therapie mit Cefuroxim begonnen.
Aufnahmebefund
Bei der körperlichen Untersuchung fanden sich im Bereich des gesamten Integuments disseminierte, bis zu 2 cm durchmessende, erythematöse, randbetonte, mild infiltrierte Makulae ([Abb. 1 a]). Im Bereich der Lippen, des Naseneingangs sowie der Mundschleimhaut fanden sich ausgeprägte Erosionen und hämorrhagische Krusten auf einem Enanthem, die Augenlider und Konjunktiven beidseits waren gerötet im Sinne einer Blepharokonjunktivitis ([Abb. 1 b, c]). Die Skrotalhaut zeigte sich stark erythematös mit großflächigen, nässenden, teils schmierig belegten Erosionen ([Abb. 1 d]).
Abb. 1 Patient 1. a Blepharokonjunktivitis, b Erosionen der Mundschleimhaut, c diskrete atypische Kokarden, d großflächige Erosionen scrotal.
Diagnostik
Bei der Erstvorstellung fanden sich laborchemisch eine Leukozytose (14,8 Gpt/l, Ref.: 3,8 – 9,8) sowie eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins (CRP, 241,5 mg/l, Ref.: < 5). Serologisch war Mycoplasma pneumoniae-IgG (19,4 VE) sowie MP-IgM (15,9 VE) positiv (MP-IgA negativ), passend zu einer akuten Infektion. Im Röntgen-Thorax fand sich eine fleckige, konfluierende Transparenzminderung im rechten Unterfeld passend zu einer Pneumonie.
Zusätzlich erfolgte die Entnahme einer Probebiopsie einer repräsentativen Läsion vom rechten Oberarm. Histologisch fanden sich eine vakuoläre Degeneration des Stratum basale sowie eine subepidermale Spaltbildung mit nekrotischer Epidermis und geringe perivaskuläre und subepidermale lymphohistiozytäre Entzündungszellinfiltrate mit leichtem Epidermotropismus im Bereich des oberen Koriums.
Therapie
Bei Verdacht auf ein Steven-Johnson-Syndrom wurde im Verlauf eine Therapie mit 200 mg Prednisolon täglich intravenös begonnen und schrittweise reduziert. Die Mycoplasma pneumoniae-Pneumonie wurde für insgesamt 2 Wochen mit Cefuroxim 1,5 g dreimal täglich intravenös behandelt.
Lokaltherapeutisch erhielt der Patient im Bereich der Augen Gentamicin- und Dexamethason-haltige Augentropfen sowie Tränenersatzmittel. Zusätzlich wurden für die Erosionen der Mundschleimhaut Kortikosteroid- und Lidocain-haltige Mundspüllösungen sowie Distelöl zur Pflege angeordnet. Für die Nasenschleimhaut wurde lediglich eine Dexpanthenol-haltige Pflege verwendet. Am Körper erfolgte eine Lokaltherapie mit Klasse-III-Steroiden (Mometason) in Kombination mit Octenidin in ausschleichender Dosierung.
Verlauf
Unter der Therapie heilten Pneumonie und Hautveränderungen nach 6 Wochen im Anschluss an den 14-tägigen stationären Aufenthalt ab.
Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs der klinischen Symptome mit der Einnahme des Medikamentes gegen Erkältungssymptome wurde differenzialdiagnostisch an eine Medikamentenunverträglichkeit als Ursache der Hautveränderungen gedacht. Es erfolgte 4 Monate später eine allergologische Diagnostik gegen die enthaltenen Inhaltsstoffe sowie gegen weitere Analgetika, Cefuroxim und Aciclovir. Hierbei fanden sich weder Typ-I- noch Typ-IV-Sensibilisierungen und auch in den anschließend erfolgten Provokationstestungen wurden Aciclovir, Cefuroxim sowie Metamizol als Ausweichanalgetikum gut vertragen.
Fall 2
Anamnese
Ein 16-jähriger Patient berichtete über einen grippalen Infekt mit Halsschmerzen, Fließschnupfen und Reizhusten seit 1 Woche. Ambulant erfolgte die Therapie mit Penicillin V, Metamizol und Chlorhexidin-Mundspüllösung. Wenige Tage später traten Aphten im Mundraum sowie Schluckbeschwerden auf. Zusätzlich bildeten sich am Stamm disseminiert multiple kleine Bläschen, umgeben von einem Erythem, sowie eine Konjunktivitis. Bei Verdacht auf ein Erythema exsudativum multiforme mit Beteiligung der Konjunktiven und der Mundschleimhaut erfolgte die stationäre Aufnahme in unsere Klinik.
Aufnahmebefund
Bei der körperlichen Untersuchung fanden sich am Stamm sowie vereinzelt auch im Bereich der Extremitäten zahlreiche bis zu 3 × 2 cm messende, kokardenartige, erythematöse, infiltrierte Plaques und Erosionen ([Abb. 2 b]). Im Bereich der Lippen und Mundschleimhaut zeigten sich multiple, fibrinbelegte Erosionen und hämorrhagische Krusten ([Abb. 2 c, d]). Auch waren Schleimhautblutungen im Bereich der Rachenmandel und Mundhöhle sowie Erosionen im Bereich der Lippen, des Zungengrundes, des Hypopharynx und der Epiglottis zu finden. Auch die Lidränder waren leicht gerötet, die Veränderungen im Bereich der Konjunktiven waren bereits rückläufig ([Abb. 2 a]). Die Genitalhaut war unauffällig.
Abb. 2 Patient 2. a diskrete Konjunktivitis, b atypische Kokarde pectoral, c und d großflächige Erosionen der Mundschleimhaut.
Diagnostik
Laborchemisch fanden sich eine ausgeprägte Leukozytose (17,64 Gpt/l, Ref.: 3,8 – 9,8) sowie ein leicht erhöhtes CRP (45,9 mg/l, Ref.: < 5). Serologisch waren sowohl IgG und IgA von Chlamydia pneumoniae als auch Mycoplasma pneumoniae-IgG (13,9 VE) und -IgM (25,2 VE) positiv. IgA war sowohl bei Chlamydia pneumoniae als auch bei MP negativ. Diese Befunde sind mit einer akuten oder kürzlich zurückliegenden Infektion mit Chlamydia pneumoniae sowie mit einer akuten Infektion mit Mycoplasma pneumoniae vereinbar.
Radiologisch fanden sich keine Hinweise auf pneumonische Infiltrate.
Therapie
Therapeutisch erfolgte initial eine orale Therapie mit 150 mg Prednisolon täglich, welche schrittweise über 5 Wochen reduziert wurde. Aufgrund der Infektion mit MP erfolgte eine Therapie mit Doxycyclin 100 mg zweimal täglich oral für 14 Tage.
Lokaltherapeutisch erhielt der Patient eine Prednisolon-haltige Creme im Bereich von Lippen und Konjunktiven sowie zusätzlich eine symptomatische Therapie mit antiseptischen und analgetischen Mundspüllösungen sowie Dexamethason-Augentropfen. Die Körperläsionen wurden mit Klasse-III-Kortikosteroiden behandelt.
Verlauf
Nach einem 5-tägigen stationären Aufenthalt wurde der Patient in deutlich gebessertem Haut- und Allgemeinzustand in die ambulante Weiterbehandlung entlassen.
Diskussion
Hautveränderungen im Rahmen einer Infektion mit Mycoplasma pneumoniae treten häufig bei Kindern und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 5 und 35 Jahren auf und werden meist als EM, SJS oder TEN beschrieben [1]
[2]
[4]. Während das Stevens-Johnson-Syndrom zumeist Medikamenten-assoziiert beschrieben wird, tritt das Erythema multiforme eher im Rahmen einer Infektionserkrankung auf [7].
Das SJS wird bei 1 – 5 % der Mycoplasma pneumoniae-Erkrankungen beobachtet [1]. Definiert wird das klinische Bild SJS als großflächige, erythematöse Makulae oder flache, atypische Kokarden, welches bei Befall einer Körperoberfläche über 30 % als toxische epidermale Nekrolyse bezeichnet wird [8]. Beim Vollbild des SJS sind neben der Mundschleimhaut bei ¾ der Patienten das Genitale und bei ⅔ der Patienten die Augen betroffen [1]. Der Übergang zur toxischen epidermalen Nekrolyse mit großflächigen Ablösungen der Epidermis ist aufgrund der signifikant erhöhten Morbidität und Mortalität gefürchtet [7].
Im Gegensatz dazu werden beim Erythema multiforme häufig deutlich mildere Verläufe beschrieben [7]. Das EM ist meistens mit einer Herpes-Simplex-Infektion assoziiert und tritt durch klassische Kokarden im Bereich der Extremitäten in Erscheinung.
Die Hautveränderungen bei einer Infektion mit MP werden meist als atypische Kokarden oder vesikulo-bullöse Makulae beschrieben und unterscheiden sich von den klassischen Befunden bei EM und SJS. Von Canvan et al. wurde dieses Krankheitsbild als Mycoplasma-induced rash and mucositis (MIRM) beschrieben [6]. Es tritt v. a. bei jungen männlichen Patienten mit prominenter Beteiligung der Mundschleimhaut auf. Am Integument findet sich ein diskreter Befund, der zwischen milden vesikulo-bullösen Plaques, Makulae und atypischen Kokarden variiert und mit einer sehr guten Prognose einher geht [6].
Hierbei fanden sie in 94 % der Fälle eine Beteiligung der Mundschleimhaut sowie bei über 80 % eine Augenbeteiligung in Form von purulenten Konjunktivitiden sowie Lidödemen. Der Urogenitaltrakt war in 62 % der Fälle betroffen [6].
Die Hautveränderungen bei unseren beiden Patienten im Zusammenhang mit der MP-Infektion sowie Alter, Geschlecht und Krankheitsverlauf passen zu dem beschriebenen Krankheitsbild des Mycoplasma-induced rash and mucositis. Insgesamt handelte es sich um milde bis moderate Verläufe, welche jedoch vergleichsweise rasch auf die Therapie angesprochen haben.
Die atypische Pneumonie durch Mycoplasma pneumoniae geht mit Atembeschwerden, Abgeschlagenheit, Fieber und Allgemeinzustandsverschlechterung einher [3]. Die Mycoplasma pneumoniae-Infektionen werden i. d. R. mit Tetracycline- und Makrolid-Antibiotika behandelt. Bei Kindern werden Erythromycin und Azithromycin empfohlen [1]. Aufgrund der zusätzlich bestehenden Hautveränderungen erhalten die meisten Patienten eine immunsuppressive Therapie mit intravenösen oder oralen Kortikosteroiden (bis zu 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht) [2]. Weiterhin wurden in einigen Fällen intravenöse Immunglobuline (IVIG) angewendet, in Einzelfällen sogar Plasmapherese. Eine eindeutige Evidenz für die Therapie liegt jedoch leider nicht vor [4]
[6].
Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs des Auftretens der Hautveränderungen mit der Einnahme verschiedener Medikamente muss differenzialdiagnostisch auch an Medikamenten-vermittele Hautveränderungen gedacht werden. So konnte auch bei Krankheitsbildern wie dem SJS eine zellvermittelte Spät-Typ-Immunreaktion gegen bestimmte Medikamente als Auslöser nachgewiesen werden [9]. Und auch bei einer Infektion mit Mycoplasma pneumoniae konnte gezeigt werden, dass die Funktion regulatorischer T-Zellen gehemmt wird, sodass die Entstehung unerwünschter Medikamentennebenwirkungen begünstigt wäre [9].
Dennoch erschien beim typischen klinischen Bild des Mycoplasma-induced rash and mucositis in beiden beschriebenen Fällen die Medikamentenunverträglichkeit als unwahrscheinliche Ursache und ließ sich auch durch Haut- und Provokationstests nicht bestätigen.
Zur Genese der Hautveränderungen bei einer Infektion mit Mycoplasma pneumoniae werden Immunkomplex-vermittelte Gefäßschädigungen, zellulär vermittelte Immunantworten, aber auch zytotoxische Epithelschäden diskutiert [1]. Neben dem Erythema multiforme werden bei MP-Infektionen auch das Auftreten einer leukozytoklastischen Vaskulitis, die Purpura Schönlein-Henoch und die Urtikaria-Vaskulitis beobachtet, sodass Immunkomplex-vermittelte Erkrankungen denkbar sind [1].
Auch der Mechanismus der autoimmunen molekularen Mimikrys könnte der Pathogenese der Hautveränderungen zugrunde liegen: Bei dem Mycoplasma pneumoniae-assoziierten Guillain-Barré-Syndrom konnten Autoantikörper gegen eine Komponente des zerebralen Myelins, die Galactocerebroside, nachgewiesen werden [1]. Antikörper gegen Mycoplasmenadhäsin, die im Serum betroffener Patienten nachgewiesen wurden, zeigten Kreuzreaktivität mit eukaroten intrazellulären Antigenen, was die Ausbildung erosiver Hautveränderungen unterstützen könnte [10].
Aufgrund des klinischen Bildes, welches sich von dem des klassischen SJS oder EM unterscheidet, und des vergleichsweise milden Verlaufes kann die Definition eines bei Mycoplasma pneumoniae-Infektionen typischen dermatologischen Krankheitsbildes im klinischen Alltag sehr hilfreich sein. Auch unsere beiden Patientenfälle lassen sich nicht eindeutig dem Stevens-Johnson-Syndrom oder Erythema multiforme zuordnen. Retrospektiv zeigen der Therapieerfolg und die gute Prognose in beiden Fällen typische Verläufe eines Mycoplasma-induced rash and mucositis (MIRM).