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DOI: 10.1055/a-0589-8858
Gründliche historische Aufarbeitung
Publication History
Publication Date:
29 May 2018 (online)
Die Psychiatrie im Kontext totalitärer Regime hat alles andere als einen guten Ruf, da sie mehr als andere Fächer entweder für Missbrauch anfällig war oder einfach einfacher zu benutzen war. Euthanasie im dritten Reich, Zwangsbehandlung von Regimegegnern, fragwürdige Medikamentenstudien an schutzlosen Patienten sind emotional besetzte Schlagworte, die das Fach in diesem Kontext belasten. Während die Medizin in der NS-Zeit bereits seit Jahrzehnten aufgearbeitet wird, geschieht dies mit dem Thema DDR in der erforderlichen Breite und Differenziertheit erst seit einigen Jahren.
PD Dr. med. E. Kumbier aus Rostock ist Leiter des Referats Geschichte der Psychiatrischen Fachgesellschaft (DGPPN) und Prof. Dr. rer. medic. H. Steinberg ist Medizinhistoriker aus Leipzig. Sie legen aus der von K. Hübner, V. Hess und T. Beddies herausgegebenen Schriftenreihe zur Medizingeschichte des be.bra Verlags aus Berlin den Band 24 mit dem Titel „Beiträge zur Geschichte der Psychiatrie in der DDR vor. Wie den meisten Psychiatern heute sicher nicht mehr vertraut ist, gab es in der DDR neben dem unvermeidlichen Stasi-Thema auch erhebliche Bemühungen der Sozialpsychiatrie und eigene Entwicklungen in der Psychotherapie.
Die Zielgruppe des Bandes sind versierte Psychiater, die ein großes Interesse an der Psychiatrieschichte haben als auch Historiker incl. Medizinhistoriker.
In der Grundgliederung des Buchs beginnen die immerhin 25 Coautoren mit der Kontinuität und Diskontinuität nach 1945, dann kommt der gesellschaftlich-politische Kontext, die therapeutischen Ansätze und Entwicklungen und ein Einblick in den psychiatrischen Alltag.
Besonders spannend ist das Kapitel von Marina Lienert über Johannes Suckow, den Gründer der Nervenklinik an der Carl Gustav-Carus-Universität in Dresden und seine Ausbildung unter Bonhoeffer und seine Tätigkeiten in der NS-Zeit, die die Autorin als „minimale Anpassung“ an das NS-Regime beschreibt. Ein weiteres Highlight des Buchs ist das Kapitel von Volker Hess zur erstaunlich raschen Einführung der ersten aus Frankreich stammenden Psychopharmaka in die DDR und die späteren Probleme, mit der Weiterentwicklung Schritt zu halten.
Das Buch ist umfangreich, hochwertig, aber sehr textlastig, didaktische Elemente und Abbildungen sind spärlich eingesetzt, so dass es vermutlich weniger einer breiten Leserschaft, sondern nur für den wirklich historisch oder wissenschaftlich interessierten Leser wirklich geeignet ist.
Dennoch, das Verhältnis zwischen Preis Umfang stimmt, damit ist das Buch insgesamt als gelungen zu betrachten. Psychiater, die in der DDR gearbeitet haben oder solche, die sich für die Medizingeschichte aus dem „anderen Deutschland“ interessieren, werden ihr Vergnügen daran haben.
Prof. Dr. Markus Weih, Nürnberg