Die Kodierung der Beatmungsstunden einer NIV bei intensivmedizinisch versorgten Patienten ist aktuell Gegenstand intensiver Diskussionen und juristischer Verfahren. Im Jahre 2013 hatten der VPK und die DGP ein Positionspapier zu dieser Thematik erstellt, das bereits alle wesentlichen Inhalte enthält, die aktuell infrage gestellt werden [1].
Hintergrund ist die Entscheidung des ersten Senates des Bundessozialgerichtes vom 19.12.2017 sowie die Anfang März veröffentliche Begründung (http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=14883).
Das Bundessozialgericht hat bestimmt, dass beatmungsfreie Intervalle nur als Bestandteil zur Beatmungszeit hinzuzurechnen seien, wenn sie Teil einer gezielten methodischen Entwöhnungsbehandlung sind. Es müsse eine Prüfung erfolgen, ob eine Entwöhnung bezweckt und durchgeführt wurde. Die Entwöhnung von der Beatmung sei eine spezielle Methode, die eine Gewöhnung an die Beatmung voraussetze. Dies sei in dem vorliegenden Fall einer akut erforderlichen Beatmung auf einer Intensivstation von ca. 7 Tagen nicht der Fall gewesen. Die dort durchgeführte NIV habe die 95-Stunden-Grenze nicht erreicht, weswegen nur die tatsächlichen Beatmungszeiten zusammenzurechnen und entsprechend zu kodieren seien.
Die Fachgesellschaften halten dazu folgende Punkte für wesentlich:
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Die NIV bei akuter hyperkapnischer respiratorischer Insuffizienz auf der Intensivstation (bspw. Exazerbation COPD) verhindert bei einem von 8 Patienten den Tod, wenn sie anstatt der invasiven Beatmung über einen Tubus erfolgt [2]
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Der Aufwand der NIV ist in der Regel höher als bei der invasiven Beatmung. Hintergrund ist der fehlende oder deutlich geringere Bedarf an Sedation im Vergleich zur Intubation sowie die Anpassung der Maske und permanente Überwachung in Verbindung mit den Beatmungseinstellungen, damit Druckstellen vermieden werden. Zudem ist der Betreuungsaufwand in den beatmungsfreien Intervallen höher, z. B. bez. des Managements der Sekretretention und den Beschwerden, die der Patient infolge der hier möglichen Kommunikation äußert. Der Wechsel zwischen mechanischer Beatmung und Behandlungspausen ist entscheidend für den Therapieerfolg der NIV. Zwar weist die NIV im Vergleich zur invasiven Beatmung ein deutlich geringeres Mortalitätsrisiko auf [2]
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[7], aber ein Versagen der NIV ist mit einer höheren Mortalität als die invasive Beatmung verbunden [8]. Um die Entwicklung eines NIV-Versagens frühzeitig zu erkennen, müssen daher Patienten mit NIV engmaschig überwacht werden. Dies beinhaltet gerade in der Phase der respiratorischen Instabilität einen entsprechenden personellen Aufwand.
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Da im DRG-System die Erlösberechnung nach dem Ressourcenverbrauch erfolgt und der Aufwand einer intermittierend angewendeten NIV und einer durchgehenden invasiven Beatmung mindestens vergleichbar sind, sollten daher die gleichen Erlöse anfallen. Aufgrund des Betreuungsaufwandes in den beatmungsfreien Intervallen der NIV sind diese zu den Beatmungsstunden hinzuzählen. Dies ist im Sinne einer Periode der Beatmung abzubilden, wie es die DKR 1001 für das Weaning vorsieht.
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Der Begriff „Entwöhnung“ ist international als „Weaning“ etabliert, beschreibt jedoch die Befreiung von der Beatmung nur unzureichend. Üblicherweise geht man bei der „Entwöhnung“ von einer Zustandsänderung aus, die sich biologisch ergibt (wie bei der Entwöhnung von der Muttermilch) oder aufgrund eines Abusus, wie bei Drogenabhängigkeit. Bei der mechanischen Beatmung ist das aber nicht der Fall. Hier findet keine Gewöhnung statt, vielmehr besteht eine akute Gasaustauschstörung und/oder Schwächung bzw. Überlastung der Atemmuskulatur, die einer Unterstützung bedarf. Es handelt sich somit um einen artifiziellen Zustand, der das Überleben in einer respiratorischen Krise sichert. Es ist immer anzustreben, den artifiziellen Zustand der Beatmung möglichst rasch zu beenden. Somit kann auch eine Gewöhnung nicht über eine bestimmte Zeitspanne einer Beatmung definiert werden, da es keine Gewöhnung an eine Beatmung gibt.
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Es wird vorgeschlagen, den Text der bisherigen Kodierrichtlinien zum Thema der „Entwöhnung“ so zu belassen, da er sich insgesamt bewährt hat. Aufgrund der Ausführungen in 4. sollte jedoch explizit darauf hingewiesen werden, dass der Begriff „Entwöhnung“ keine vorausgegangene Gewöhnung im Sinne eines Substanzmissbrauchs impliziert.
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Für die Akutbehandlung einer akuten sowie einer akut verschlechterten chronischen respiratorischen Insuffizienz auf der Intensivstation sollten die Kodierrichtlinien dahingehend ergänzt werden, dass die Beatmungszeiten nicht nur der invasiven, sondern auch der nicht-invasiven Beatmung auf 24 Stunden/Tag aufgerundet werden, damit die Erlössituation, dem Aufwand entsprechend, identisch ist. Bei Erreichen einer respiratorischen Stabilität als Folge der nicht-invasiven Beatmung mit Beendigung derselben oder nachfolgender Überleitung in eine elektive nicht-invasive Beatmung gelten die Beatmungsstunden als beendet.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde gemäß Erratum vom 30. 8. 2018 geändert.