Einleitung
Wundinfektionen sind ernstzunehmende Komplikationen, die zu höherer Morbidität und Mortalität, längerem Krankenhausaufenthalt und erheblichen finanziellen Belastungen des Gesundheitssystems führen. 25 – 40% aller nosokomialen Infektionen sind Wundinfektionen, die damit eine der häufigsten im Krankenhaus erworbenen Infektionen darstellen [1]. Diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko, auf einer Intensivstation behandelt zu werden und nach der Entlassung aus dem Krankenhaus eine ungeplante Wiederaufnahme zu erleben. Der Aufwand an stationärer und ambulanter Pflege ist bei Patienten mit Wundinfektionen erhöht. Spätere Komplikationen operativer Eingriffe wie die Hernienbildung sind mit vorangegangenen Wundinfektionen assoziiert, und nach onkologischen Eingriffen berichten Studien über schlechtere Überlebensraten von Patienten mit Infektionen im Operationsgebiet. Nach Schätzungen entstehen zum Beispiel im Gesundheitssystem der USA jährlich aufgrund von 500 000 – 700 000 Patienten mit Wundinfektionen Mehrkosten in Höhe von etwa 2 Milliarden US-Dollar [1].
Definition Wundinfektion
Unter einer Wundinfektion versteht man das Eindringen von Mikroorganismen in eine Wunde mit den charakteristischen Zeichen einer lokalen Entzündung. Im deutschen Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) werden Infektionen, die innerhalb von 30 bzw. 90 Tagen nach einer Operation auftreten und die Wunde, das Organ oder eine eröffnete Körperhöhle betreffen und durch einen Arzt diagnostiziert werden, als Wundinfektionen bezeichnet [2]. Abhängig von der Tiefe der Infektion unterscheidet die Definition zudem zwischen oberflächlichen und tiefen Wundinfektionen sowie Wundinfektionen mit Einbeziehung von Organen oder Körperhöhlen.
Oberflächliche Wundinfektionen beziehen nur Haut und Subkutis mit ein und erfüllen eines der folgenden Kriterien:
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eitrige Sekretion aus der Inzision
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Erregernachweis in aseptisch entnommenem Material
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Schmerz/Berührungsempfindlichkeit oder lokalisierte Schwellung oder Rötung/Überwärmung.
Tiefe Wundinfektionen erfassen auch Faszie oder Muskulatur und erfüllen eines der folgenden Kriterien:
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eitrige Sekretion aus der Tiefe der Inzision
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alle folgenden Symptome
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Temperatur > 38 °C oder lokaler Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit und
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spontane Dehiszenz/bewusste Eröffnung tieferer Gewebeschichten durch einen Arzt und
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Erregernachweis durch aseptisch entnommene Proben
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Abszess/andere Infektionszeichen in tieferen Schichten in Bildgebung oder während OP
Infektionen von Organen oder Körperhöhlen erfassen solche Organe oder Körperhöhlen, die während der Operation eröffnet oder manipuliert wurden, und erfüllen eines der folgenden Kriterien:
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eitrige Sekretion aus einer Drainage in Körperhöhle oder Organ
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Erregernachweis in aseptisch entnommenem Material
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Abszess/andere Infektionszeichen in tieferen Schichten in Bildgebung oder während OP
Abb. 1 SOP Wundinfektion/Wundreinigung.
Erläuterungen
Bereits die Definition der Wundinfektion unterstreicht die besondere Bedeutung der Diagnosestellung durch den Arzt. Daher ist die regelmäßige körperliche Untersuchung des postoperativen Patienten zur frühzeitigen Diagnosestellung einer Wundinspektion unverzichtbar. Die Wundinspektion durch einen erfahrenen Arzt stellt daher den Ausgangspunkt des diagnostischen und therapeutischen Algorithmus dar. Blutbild oder Laborparameter sind zur Diagnosestellung einer Wundinfektion nicht erforderlich!
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Die erste Wundinspektion sollte bei nicht kontaminierten Wunden und unauffälligem Verband erst 48 Stunden nach dem Eingriff erfolgen. Bei unauffälligem Befund kann die Wunde nach dieser Inspektion entweder steril abgedeckt oder offen belassen werden. Prinzipiell müssen reizlose und sekretfreie Wunden ab dem 2. postoperativen Tag nicht mehr abgedeckt werden. Patienten empfinden einen Verband aber oft als angenehm. Wenn ein Verband verwendet wird, sollte die Wunde auch bei fehlender Sekretion und ausbleibenden Beschwerden nach 48 Stunden erneut inspiziert werden.
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Beim Austritt von Wundsekret müssen Menge und Qualität des Sekrets beurteilt werden. Die Sekretion von blutig tingiertem oder serösem Sekret tritt auch bei regelrechter Wundheilung auf. Klares Wundsekret bei ansonsten unauffälliger Wunde ist kein sicheres Zeichen einer Wundinfektion. Größere Mengen klaren Sekrets nach abdominellen Eingriffen müssen aber an eine postoperative Fasziendehiszenz denken lassen. Unter diesen Umständen muss eventuell eine aseptische Wundrevision mit Sondierung der Faszienverhältnisse erfolgen.
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Trübe oder putride Sekretion, Rötung, Schwellung und lokaler Schmerz machen eine Wundinfektion hochwahrscheinlich. Die zielgerichtete Behandlung einer vermeintlichen Wundinfektion darf keinesfalls bis zum Eintreffen des mikrobiologischen Untersuchungsergebnisses verzögert werden. Die Behandlung erfolgt bei Verdacht auf Wundinfektion unverzüglich. Daher ist die Beurteilung der Wunde durch einen erfahrenen Chirurgen im Verdachtsfall umgehend erforderlich.
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Wenn die klinische Diagnose einer Wundinfektion gestellt worden ist, muss weitergehend entschieden werden, ob eine oberflächliche oder eine tiefere Wundinfektion vorliegt. Meist wird die begrenzte Ausdehnung der oberflächlichen Wundinfektion durch die Wundrevision bestätigt werden, wobei auf adäquate Analgesie und Einhaltung der Asepsis zu achten ist. Eine partielle oder vollständige Wunderöffnung und Spülung führt meist zur Ausheilung oberflächlicher Wundinfektionen.
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Die Differenzialdiagnose zwischen oberflächlicher Phlegmone oder Abszess kann gelegentlich schwierig sein. Bei einer Phlegmone muss die Wunde nicht eröffnet werden. Kühlung und Ruhigstellung können bei früh erkannter Phlegmone bereits die adäquate Therapie darstellen. Ob eine zusätzliche Antibiotikatherapie erforderlich ist, hängt von der Ausdehnung des phlegmonösen Prozesses und patientenspezifischen Risikofaktoren (z. B. Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Störungen des Immunsystems) ab.
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Bei Verdacht auf eine tiefe Wundinfektion oder Beteiligung von Organen oder Körperhöhlen sollte möglichst vor der Wundrevision entschieden werden, ob eine weitere Bildgebung erforderlich ist, um die Ausdehnung der Infektion zu erfassen. Allerdings geschieht es im klinischen Alltag nicht selten, dass die tiefere Wundinfektion erst im Rahmen der Wundrevision diagnostiziert wird. Ob die Wundrevision dann auf die tieferen Strukturen ausgedehnt wird oder zunächst eine Bildgebung erfolgt, muss der Operateur entscheiden. Mögliche bildgebende Verfahren sind Sonografie und CT. Die fehlende Strahlenbelastung und der geringere logistische Aufwand sprechen für die Sonografie. Die Computertomografie erlaubt dagegen auch bei tieferen Prozessen im Bauchraum die sofortige Therapie durch Drainageeinlage. Zudem kann die spätere interdisziplinäre Diskussion der CT-Bilder zur Therapiesteuerung hilfreich sein.
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Wundinfektionen mit Verschmutzungen, Belägen oder Nekrosen stellen eine Indikation zum chirurgischen Wunddébridement dar. Dabei muss zunächst entschieden werden, ob eine chirurgische Wundreinigung indiziert ist oder ob alternative Verfahren wie der Vakuumverband oder enzymatische, autologe oder biologische Débridements angewendet werden. Bei den regelmäßigen Verbandswechseln muss dann immer wieder geprüft werden, ob diese Verbandstechniken eine ausreichende Wundreinigung erreichen oder ob ein chirurgisches Wunddébridement angezeigt ist.
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Im Rahmen der chirurgischen Wundrevision sollten Nekrosen abgetragen und gut durchblutetes Gewebe freigelegt werden. Wenn dies nicht in einem Eingriff möglich ist, können wiederholte Wundrevisionen erfolgen. Bewährt ist natürlich auch die Kombination von chirurgischer Wundrevision und Vakuumverband.
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Wenn eine vollständige Wundreinigung erfolgt ist, kann die Wunde sekundär verschlossen oder eine offene Wundbehandlung erfolgen. Einfache Regeln, nach denen diese Entscheidung gefällt werden sollte, können in einem Algorithmus nicht dargestellt werden. Für die sekundäre Naht einer vollständig gereinigten Wunde spricht die Beschleunigung der weiteren Heilung, dagegen spricht das Risiko einer erneuten Infektion.