Die Autoren der vorliegenden Arbeit haben sich eines Themas angenommen, das seit einiger
Zeit kontrovers diskutiert wird: Hat die Fraktur des Processus styloideus ulnae (PSU)
als Begleitverletzung der distalen Radiusfraktur einen Einfluss auf das Ergebnis?
Ist sie in der basisnahen Variante gar ein Indikator für Instabilität des distalen
Radioulnargelenkes (DRUG)? Die Aussagen dazu sind in der Literatur nicht einheitlich:
Auf der einen Seite stehen die Verfechter einer operativen Stabilisierung mit der
Intention, eine Instabilität des DRUG zu vermeiden, die bekanntlich zu schlechten
funktionellen Ergebnissen führt. Dem gegenüber steht die Auffassung anderer, die grundsätzlich
keine Osteosynthese des PSU vornehmen, gestützt von Daten aus der AOCID Prospective
ORIF Distal Radius-Studiengruppe. Um nun herauszufinden, wessen Weg am ehesten der
richtige ist, wurde hier ein systematisches Review durchgeführt. Für dieses Thema
sicher nicht der schlechteste Ansatz, denn Veröffentlichungen dazu sind zahlreich
vorhanden – 369 konnten die Autoren in einer aufwendigen Suche finden. Jedoch mussten
anhand der von ihnen selbst gewählten Qualitätskriterien 351 Artikel wieder ausgeschlossen
werden. Das zeigt eines: Die Güte der Veröffentlichungen über dieses Thema ist eher
mäßig, will sagen: die Aussagekraft niedrig. Genau dies wollten die Autoren mit ihrem
Review der verbliebenen 6 Publikationen und 796 Patienten verbessern, indem sie ihre
Gütekriterien zum Einschluss streng ansetzten.
Bei näherem Hinsehen ist der Anspruch nicht ganz erfüllt worden. Es findet sich nur
eine einzige randomisierte kontrollierte Studie darunter. Auch sind die Ergebnisse
der sechs Patientenkollektive nicht vergleichbar, da keine einheitlichen Messmethoden
zur Beurteilung von Funktion und subjektiver Einschätzung verwendet wurden. Insgesamt
ist die Qualität der Arbeiten nicht befriedigend. Es wurden nur Publikationen in englischer
Sprache verwendet. In zwei Studien wurden die Ausschlusskriterien nicht benannt, lediglich
in zwei anderen wurde eine ausreichende Kollektivgröße statistisch gesichert. Es wurde
in keiner Arbeit zwischen Niedrigenergietraumata bei älteren und Hochenergietraumata
bei jüngeren unterschieden, obwohl bekannt ist, dass letztere mit einer höheren Rate
an Begleitverletzungen gerade des ulnaren Kompartiments und schlechterer Funktion
korreliert sind. Teils wurde die Altersgrenze der Patienten zum Studienausschluss
bei unter 18 Jahre, teils bei unter 40 Jahren angesetzt. Es wurden nur Studien eingeschlossen,
in denen keine Stabilisierung des PSU vorgenommen wurde. Das könnte zu einer Verzerrung
der Ergebnisse führen, wenn man voraussetzt, dass die PSU-Frakturen mit Instabilität
des DRUG in höherem Maße operativ versorgt werden.
Wichtige Aspekte der Versorgung der distalen Radiusfrakturen, die bekanntlich erheblichen
Einfluss auf die gemessenen Parameter wie Griffkraft, DASH, Bewegungsumfang haben,
sind nicht berücksichtigt worden:
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Es wurde nicht nach Behandlungsmethoden differenziert. Zur Auswertung kamen winkelstabile
Plattenosteosynthesen, Fixateur externe, Kirschnerdraht-Fixation, geschlossene Reposition
und Ruhigstellung im Gips.
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Die Qualität der Reposition – ein wesentlicher Faktor für die Stabilität des DRUG – wurde
nicht berücksichtigt.
Man liest also einen Review, dessen Aussage – das Vorliegen einer Fraktur des PSU
habe keinen Einfluss auf den Outcome einer (wie auch immer behandelten) Radiusfraktur
– auf wackligen Beinen steht. Mulders und Mitarbeiter haben in einer in diesem Jahr
aufgelegten Metaanalyse mit 12 Publikationen dieselbe Aussage getroffen, aufgrund
der vergleichbaren Methodik ebenfalls nicht sehr belastbar. Die Frage, wie und ob
der PSU als Begleitverletzung der distalen Radiusfraktur relevant ist, bleibt letztendlich
unbeantwortet.
Autorinnen/Autoren
Dr. Peter Laier, Leitender Oberarzt, Facharzt für Chirurgie, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie,
Facharzt für spezielle Unfallchirurgie, Facharzt für Handchirurgie, Unfall-, Hand-
und Orthopädische Chirurgie, Städtisches Klinikum Karlsruhe