Neurologie up2date 2018; 1(01): 67-79
DOI: 10.1055/a-0657-8254
Neurologische Notfall- und Intensivmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stufenadaptierte Therapie des Status epilepticus

Adam Strzelczyk
,
Felix Rosenow
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Adam Strzelczyk
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main
Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie
Goethe-Universität Frankfurt
Schleusenweg 2 – 16, Haus 95
60528 Frankfurt am Main

Publication History

Publication Date:
04 October 2018 (online)

 

Der Status epilepticus ist ein wichtiger neurologischer Notfall, der einer sofortigen medizinischen Behandlung bedarf. Eine Vielzahl von Benzodiazepinen, Antikonvulsiva und Anästhetika wird zur akuten prä- und intrahospitalen Behandlung des Status epilepticus eingesetzt. Da eine lange Statusdauer mit dem Outcome negativ korreliert, ist eine schnelle, ausreichend dosierte und an die Statusschwere angepasste Behandlung essenziell, um das funktionelle Outcome zu optimieren und die Mortalität zu reduzieren.


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Abkürzungen

AED: Anti-epileptic Drug
AV-Block: atrioventrikulärer Block
DGN: Deutsche Gesellschaft für Neurologie
GABA: Gammaaminobuttersäure
GTKSE: Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle
ILAE: International League against Epilepsy
INR: International Normalized Ratio
NMDA: N-Methyl-D-Asparaginsäure bzw. N-Methyl-D-Aspartat
PQ-Intervall: Beginn der P-Welle bis zum Anfang des QRS-Komplexes
SE: Status epilepticus
STESS: Status Epilepticus Severity Score
 

Epidemiologie

Der Status epilepticus (SE) ist einer der häufigsten Notfälle in der Neurologie, der mit einer erheblichen Mortalität und Morbidität assoziiert ist. Die Jahresinzidenz liegt in Deutschland bei ca. 20/100 000, und es ist mindestens von 16 000 – 20 000 Fällen pro Jahr in Deutschland auszugehen [1], [2].

Die Krankenhausmortalität des SE liegt durchschnittlich bei 10 – 20% und hängt maßgeblich von der Grunderkrankung, dem Alter und der Refraktärität des SE ab. Beim nonrefraktären Verlauf liegt die Mortalität bei 10%, bei refraktärem Verlauf bei 15% und steigt beim superrefraktären Verlauf auf 40% an [1], [2], [3].

Der SE ist mit durchschnittlichen stationären Behandlungskosten von ca. 15 000 Euro und einer mittleren Krankenhausverweildauer von 19 Tagen assoziiert [4].


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Prognose

Zur Prognose bei Aufnahme kann der Status Epilepticus Severity Score (STESS) herangezogen werden (s. [Übersicht]).

Übersicht

Parameter des Status Epilepticus Severity Score (STESS)

  • Bewusstseinsstatus → 0 Punkte bei wachen oder somnolenten Patienten
    → 1 Punkt bei Stupor oder Koma

  • schlimmste Art des Anfalls → 0 Punkte bei einfach-fokalen, komplex-fokalen, Absencen- oder myoklonischen SE
    → 1 Punkt bei generalisiert-konvulsiven SE
    → 2 Punkte bei nonkonvulsiven SE mit Koma

  • Alter → 0 Punkte bei Alter < 65 Jahre
    → 2 Punkte bei Alter ≥ 65 Jahre

  • Anamnese früherer epileptischer Anfälle → 0 Punkte bei Anfällen in der Vorgeschichte
    → 1 Punkt ohne Anfälle in der Vorgeschichte

minimale Punktzahl: 0 Punkte

maximale Punktzahl: 6 Punkte

Als prognostisch ungünstig im Status Epilepticus Severity Score (STESS) gelten:

  • Stupor bzw. Koma bei Aufnahme,

  • generalisiert konvulsiver bzw. nonkonvulsiver SE mit Koma,

  • Alter über 65 Jahren und

  • keine Vorgeschichte epileptischer Anfälle.

Prognostisch günstig sind hingegen:

  • ein wacher Patient bei Aufnahme oder

  • ein einfach- oder komplex-fokaler SE bzw. ein Absencenstatus oder myoklonischer SE bei genetisch generalisierter Epilepsie [5].


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Definition

Definition

Status epilepticus

Als SE werden epileptische Anfälle angesehen, die eine Dauer von 5 Minuten überschreiten bzw. eine Reihe von einzelnen epileptischen Anfällen, zwischen denen keine vollständige Restitution zum vorbestehenden neurologischen Befund eintritt.

Alle semiologischen Formen epileptischer Anfälle können auch als Status epilepticus auftreten.

Bereits im Jahr 1999 wurde die Zeitgrenze von 5 Minuten als operationale Definition eines SE von Lowenstein eingeführt, um die schnellstmögliche Behandlung zu gewährleisten [6]. Bezüglich der Zeitgrenze von 5 Minuten unterscheidet die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nicht zwischen verschiedenen Anfallsformen [7], während die Definition der International League against Epilepsy (ILAE) aus dem Jahr 2015 zwei Zeitgrenzen (t1, t2) aufführt, die den Übergang eines Anfalls in Abhängigkeit von der Semiologie in einen SE (t1) definieren und den Beginn (t2) einer neuronalen Schädigung für wahrscheinlich erachten.

Merke

Laut Definition der ILAE im Hinblick auf den Beginn einer Behandlung des SE (t1) wird die Zeitgrenze für einen SE generalisierter tonisch-klonischer Anfälle (GTKSE) bei 5 Minuten, für einen SE komplex-fokaler Anfälle bei 10 Minuten und für einen Absencenstatus bei 10 – 15 Minuten gesetzt.

Eine durch den SE verursachte neuronale Schädigung wird ab einer Dauer (t2) von 30 Minuten für den GTKSE und ab 60 Minuten für den SE komplex-fokaler Anfälle angenommen, während es für den Absencenstatus unklar ist, ob und ab wann dieser zu einer Hirnschädigung führt [8].

Die Phasen eines Status epilepticus

Klinisch werden vier Phasen eines SE unterschieden [10], die eng mit den in der Folge beschriebenen Behandlungsstufen assoziiert sind. Die genannten zeitlichen Vorgaben gelten für einen GTKSE.

Initialphase

Ein 5 – 10 Minuten andauernder Anfall oder kontinuierliche Anfallsaktivität. Es besteht noch eine relevante Wahrscheinlichkeit des spontanen Sistierens. Die Initialtherapie erfolgt mit einem ausreichend hoch dosierten Benzodiazepin.


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Etablierter Status epilepticus

Für mindestens 10 – 30 (maximal 60) Minuten andauernder Anfall/epileptische Aktivität im EEG bzw. Serie von Anfällen, zwischen denen der Patient das Bewusstsein nicht wiedererlangt ([Abb. 1]). Zusätzlich zur Initialtherapie mit einem Benzodiazepin folgt die intravenöse Gabe eines Antikonvulsivums.

Merke

Beim Status epilepticus besteht ein erhöhtes Risiko, dass die Anfallsaktivität nicht spontan sistiert.

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Abb. 1 EEG eines non-konvulsiven generalisierten Status epilepticus.

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Refraktärer Status epilepticus

Ein refraktärer Status epilepticus ist ein nach Versagen der ersten und zweiten Therapiestufe fortbestehender SE, meist 30 – 60 Minuten nach Anfallsbeginn, bei dem eine Eskalation der Therapie wichtig ist. Beim GTKSE sollte zu diesem Zeitpunkt eine Intubationsnarkose erfolgen. Bei einem fokalen SE besteht nicht der gleiche, hohe zeitliche Druck wie beim GTKSE, eine aggressive antikonvulsive Therapie zu initiieren, sodass weitere Therapieoptionen der Stufe 2 eingesetzt werden sollten.

Merke

Die Dringlichkeit der Therapie ist bei generalisiert konvulsivem Status epilepticus am höchsten.


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Superrefraktärer Status epilepticus

Ein superrefraktärer SE wird bei Versagen der Intubationsnarkose angenommen. Definitionsgemäß sollte die Behandlung mit Anästhetika für 24 Stunden erfolgt sein [10].


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Grundlagen des Managements eines Status epilepticus

Zur Therapie des SE steht eine Vielzahl von antikonvulsiven Substanzen zur Verfügung, die in sehr unterschiedlicher Therapieabfolge und in verschiedenen Darreichungsformen eingesetzt werden [9]. Die Behandlung eines SE ist nach Möglichkeit auf einer neurologischen Intensivstation durchzuführen, jedoch sollte eine Verbringung des Patienten auf eine solche nicht die initiale Therapie verzögern.

Cave

Insbesondere beim nonkonvulsiven SE oder einem fokalen SE, die sich mit nur geringen neurologischen Auffälligkeiten präsentieren können, erfolgt die Diagnosestellung häufig erst durch ein EEG.

Wie prähospital können in einem entsprechenden Setting die Überwachungsmöglichkeiten eingeschränkt sein, und entsprechend ist die initiale Therapie anzupassen.


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Stufenadaptierte Behandlungsprinzipien

Stufe 1: Initialphase der Behandlung

Sowohl klinische [6], [11] wie tierexperimentelle Daten [12] zeigen, dass eine möglichst frühzeitige Behandlung entscheidend ist, da ein zunehmender Rückgang der GABAergen Inhibition im SE das Ansprechen auf die meisten Antikonvulsiva im Verlauf erschwert [13].

Merke

Deshalb sollte so rasch wie möglich, am besten schon vor Erreichen der Klinik, mit einer antikonvulsiven Therapie begonnen werden [11].

Tipp

Benzodiazepine sind Mittel der 1. Wahl in der der Initialphase des SE und sollten schon prähospital durch Rettungsdienst oder Laien verabreicht werden [14], [15].

Lorazepam

Klinisch ist insbesondere Lorazepam aufgrund der längeren intrazerebralen Halbwertszeit und des damit geringeren Risikos des Auftretens erneuter Anfälle geeignet und auch evidenzbasierte Initialtherapie.


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Clonazepam

Alternativ wird häufig Clonazepam gegeben, das mit einer lang anhaltenden Wirksamkeit ähnliche pharmakokinetische Eigenschaften wie Lorazepam aufweist und langsam als Bolus intravenös appliziert werden sollte.


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Diazepam und Midazolam

Bei Einsatz dieser beiden Substanzen sollte wegen der kürzeren intrazerebralen Halbwertszeit und der Möglichkeit eines Anfallsrezidivs parallel bereits eine Schnellaufsättigung mit einem Antikonvulsivum (Stufe 2) erfolgen.

Die Details einzelner Benzodiazepine s. [Tab. 1].

Tab. 1 Übersicht über Benzodiazepine zur Akuttherapie prolongierter Anfälle und Status epilepticus, adaptiert nach [16].

Midazolam

Lorazepam

Clonazepam

Diazepam

KG = Körpergewicht

* Wegen der schnellen Umverteilung liegt eine kurze Wirkdauer im Zentralnervensystem vor.

** Um eine Unterdosierung zu vermeiden, ist insbesondere die erneute Gabe von Lorazepam und Diazepam über die typische Initialdosis (entspricht 1 – 2 Ampullen) hinaus vorzunehmen (Cave: Atemdepression).

typische Initialdosis beim Erwachsenen**

5 – 10 mg,

fraktioniert in Schritten von 2 – 3 mg

2 – 4 mg**

1 mg

10 mg**

empfohlene intravenöse Dosierung

0,1 mg/kgKG

0,05 – 0,1 mg/kgKG

0,015 mg/kgKG

0,15 mg/kgKG

Maximaldosis

20 mg

8 mg

3 mg

30 mg

Applikationsarten

intravenös

intranasal

bukkal

intramuskulär

intravenös

intravenös

intravenös

rektal

Halbwertszeit

3 – 4 Stunden

12 – 16 Stunden

30 – 40 Stunden

20 – 100 Stunden*

Interaktionen

wenige

wenige

viele

viele

Gewebetoxizität

gering

gering

gering

gering

In der RAMPART-Studie wurde im Rettungsdienst die intramuskuläre Gabe von Midazolam (10 mg Gesamtdosis mittels Applikator, 5 mg bei Körpergewicht ab 13 kg bis 40 kg) gegenüber intravenösem Lorazepam (4 mg Gesamtdosis, 2 mg bei Körpergewicht ab 13 kg bis 40 kg) verglichen [17]. Intramuskuläres Midazolam war gegenüber intravenösem Lorazepam bezüglich der Rate der bei Aufnahme in Krankenhaus kontrollierten GTKSE überlegen. Hierfür war die kürzere Dauer bis zur initialen Applikation ausschlaggebend: Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit einer zügigen Gabe von Benzodiazepinen im SE. Die Dauer von der Applikation bis zur Durchbrechung des SE war im intravenösen Arm kürzer, wirkte sich jedoch in Anbetracht der längeren Zeitdauer bis zur Etablierung eines intravenösen Zuganges nicht begünstigend auf die Statistik aus [17].

Tipp

Zur Initialtherapie, vor allem durch Pflegende und Angehörige, stehen weitere Applikationsformen mit schneller Resorption wie die bukkale oder intranasale Gabe von Midazolam und die rektale Gabe von Diazepam zur Verfügung [18].

Auf die sublinguale Gabe von Lorazepam-Schmelztabletten und die orale Gabe von anderen Benzodiazepin-Tropfen sollte im SE verzichtet werden, da eine lange Resorptionshalbwertszeit von ca. 20 Minuten vorliegen kann [14].


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Stufe 2: Intravenöse antikonvulsive Behandlung

Bei Fortbestehen des SE bzw. nach Durchbrechen mit Benzodiazepinen zur Prophylaxe von erneut auftretenden Anfällen sollte eine Schnellaufsättigung mit Antikonvulsiva erfolgen. Intravenöse Darreichungsformen stehen für Phenobarbital, Phenytoin, Valproat, Levetiracetam, Lacosamid und Brivaracetam zur Verfügung ([Tab. 2]). Die Leitlinie der DGN zur Behandlung des SE im Erwachsenenalter empfiehlt die Verwendung von Phenytoin. Als Alternativen bzw. bei Kontraindikationen werden Valproat, Levetiracetam und Phenobarbital in Betracht gezogen [7].

Tab. 2 Überblick über intravenös verfügbare Antikonvulsiva, adaptiert nach [16].

Phenobarbital

Phenytoin

Valproat

Levetiracetam

Lacosamid

Brivaracetam

* Die akute hochdosierte intravenöse Phenytoin-Gabe oder Phenobarbital-Gabe sollte immer unter Intensivüberwachung mit Monitoring von Blutdruck und EKG erfolgen. Bei Lacosamid ist insbesondere bei hohen Dosen und in Kombination mit Natriumkanalblockern eine EKG-Überwachung aufgrund der PQ-verlängernden Wirkung empfehlenswert.

** Bei Treiman et al. wurde Phenobarbital mit 15 mg/kgKG und Phenytoin mit 18 mg/kgKG verabreicht [19].

§ Ein Körpergewicht von 70 kg wurde zugrunde gelegt.

typische Initialdosis

beim Erwachsenen§

500 – 700 mg

1200 – 1500 mg

2100 mg

2000 – 4000 mg

400 mg

200 mg

intravenöse Dosierung

10 mg/kgKG**

15 – 20 mg/kgKG**

30 mg/kgKG

30 – 60 mg/kgKG

5 mg/kgKG

200 – 600 mg

100 – 400 mg

Infusionsgeschwindigkeit

100 mg/min

maximal 50 mg/min,

maximal 30 mg/kgKG

maximal 10 mg/kgKG/min

maximal 500 mg/min

15 min

Bolusinjektion

Ziel-Serumkonzentration

30 – 50 µg/ml

20 – 25 µg/ml

100 – 120 µg/ml

nicht bekannt

nicht bekannt

nicht bekannt

Halbwertszeit

60 – 150 Stunden

20 – 60 Stunden

12 – 16 Stunden

6 – 8 Stunden

13 Stunden

8 – 9 Stunden

Bestimmung von Serumkonzentration

empfohlen (toxisch ab 50 µg/ml)

empfohlen (toxisch ab 25 µg/ml)

nein (Nebenwirkungen ab 100 µg/ml)

nein

nein

nein

Interaktionen

sehr viele

sehr viele

sehr viele

keine

keine

minimal

Atemdepression

ja

nein

nein

nein

nein

nein

Kreislaufdepression

Monitoring erforderlich*

Monitoring erforderlich*

nein

nein

nein*

nein

Vigilanz

Sedierung

Sedierung

Somnolenz

Somnolenz

Somnolenz

Somnolenz

Gewebetoxizität

hoch

sehr hoch

strenge i. v. Gabe

sehr gering

sehr gering

sehr gering

Phenytoin

Phenytoin sollte mit einer Dosierung von 20 mg/kgKG und einer maximalen Infusionsgeschwindigkeit von 50 mg/min durch einen sicher intravenös liegenden großlumigen Zugang, besser einen zentralvenösen Katheter verabreicht werden. Im Verlauf ist eine Phenytoin-Serumkonzentration von 20 µg/ml (bis maximal 25 µg/ml) anzustreben.

Nachteilig bei Phenytoin ist die relativ langsame Infusionsgeschwindigkeit, die aufgrund des proarrhythmogenen Effektes nicht überschritten werden sollte. Zudem ist Phenytoin – wie auch Thiopental – gewebetoxisch. Intoxikationen können zu irreversiblen Kleinhirnschäden führen. Aus den oben genannten Limitationen ergeben sich Einschränkungen für die Initialtherapie ohne Vorliegen eines zentralvenösen Katheters sowie ohne kontinuierliche Überwachung der Vitalfunktionen, sodass in vielen Zentren Phenytoin mittlerweile oft als Mittel der 4. Wahl nach Levetiracetam, Valproat und Lacosamid eingesetzt wird [4], [20], [21].


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Valproat

Valproat sollte mit einer Dosis von 20 – 30 mg/kgKG und einer maximalen Infusionsgeschwindigkeit vom 10 mg/kgKG/min gegeben werden. Dies ist bei Bedarf nach 10 Minuten zu wiederholen, dann ist mit maximal 10 mg/kgKG zu infundieren. Für die Weiterbehandlung sollte eine Valproat-Serumkonzentration von 100 – 120 µg/ml angestrebt werden [21].

Eine wichtige Kontraindikation ist eine bekannte Mitochondriopathie. Da Valproat zu einer Thrombozytopathie und einem Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom führen kann, ist ein Einsatz bei Patienten mit Blutungsneigung und Operationsnotwendigkeit problematisch. Eine Leberschädigung, Pankreatitis, sowie eine Therapie mit Marcumar (Blutungsneigung und Entgleisung der INR) sind weitere Kontraindikationen. Zudem kann bei Komedikation mit Carbapenemen oft keine ausreichende Serumkonzentration erreicht werden.

Valproat ist neben den Benzodiazepinen Mittel der Wahl für Patienten im Absencenstatus.


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Levetiracetam

Levetiracetam ist mit einer Dosis von 30 mg/kgKG unter maximaler Infusionsgeschwindigkeit von 500 mg/min zu verabreichen, dies ist bei Bedarf nach 10 Minuten zu wiederholen. Die Gesamtdosis liegt bei maximal 60 mg/kgKG [21], [22], [23]. Bezüglich der Weiterbehandlung ist derzeit unklar, welche Serumkonzentration anzustreben ist. Bei Niereninsuffizienz sollte bezüglich der weiteren Therapie eine Dosisanpassung erfolgen. Levetiracetam ist insbesondere gut geeignet für kardial vorerkrankte, instabile Patienten.


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Phenobarbital

Phenobarbital kann in einer Dosierung von bis zu 20 mg/kgKG unter maximaler Infusionsgeschwindigkeit von 100 mg/min verabreicht werden. Die Gabe entsprechend hoher Gesamtdosen ist nur unter Intensivmonitoring und unter Intubations- und Beatmungsbereitschaft möglich, sodass sich wie bei Phenytoin ein Einsatz ohne adäquate Überwachungsmöglichkeiten verbietet. Zudem sind Interaktionsrisiken und mögliche Intoxikation bei zusätzlicher Verwendung von Valproat als Enzyminhibitor zu bedenken. Bei Leberinsuffizienz sollte Phenobarbital nicht verwendet werden. Für die Weiterbehandlung sollte eine Serumkonzentration von 30 – 50 µg/ml angestrebt werden.


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Lacosamid

Lacosamid steht seit 2008 als intravenös applizierbares Antikonvulsivum zur Verfügung, welches nach einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit in mehr als 500 Fällen eines SE eingesetzt wurde. Die Wirksamkeit lag bei 57%, und es zeigte sich eine gute Verträglichkeit [24], [25]. Am häufigsten werden Dosierungen von 5 mg/kgKG mit Applikation über ≥ 15 Minuten verwendet, die Initialdosis beträgt 200 – 600 mg.

Wegen der beschriebenen Verlängerung des PQ-Intervalls sollte der Einsatz bei Patienten mit AV-Block II. oder III. Grades nicht erfolgen und bei herzkranken Patienten zurückhaltend eingesetzt werden. Eine Dosisanpassung ist bei Nieren- und Leberinsuffizienz notwendig.


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Brivaracetam

Das neueste, seit 2016 zugelassene intravenös applizierbare Antikonvulsivum ist Brivaracetam; die Daten zum Einsatz im SE sind auf wenige Fälle limitiert [26], [27], [28]. Am häufigsten werden initiale Dosierungen von 200 – 400 mg verwendet. Im Gegensatz zu anderen intravenös verabreichbaren Antikonvulsiva ist die Bolusinjektion einer unverdünnten Lösung möglich, was die Zeitspanne bis zur Applikation im SE weiter verkürzt. Da Brivaracetam im Vergleich zu Levetiracetam die Blut-Hirn-Schranke deutlich schneller passiert und seine Maximalkonzentration im Gehirn innerhalb von Minuten nach intravenöser Applikation erreicht [29], wird zukünftig zu klären sein, ob eine zügige Schnellaufsättigung als Bolusinjektion in der Notfallsituation Vorteile bringt.

Brivaracetam ist wie auch Levetiracetam und Lacosamid nicht zur Therapie des SE zugelassen.


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Stufe 3: Intubationsnarkose

Für die Durchführung einer therapeutischen Intubationsnarkose sind Midazolam und/oder Propofol Mittel der 1. Wahl. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils von Thiopental sollte dieses erst nachrangig eingesetzt werden.

Midazolam

Midazolam wird in der Regel mit einem Bolus von 0,2 mg/kgKG initiiert, die weitere kontinuierliche Gabe erfolgt mit einer Infusionsgeschwindigkeit von ca. 0,1 – 0,5 mg/kgKG/h für 24 Stunden, wobei die Dosierung an das durchgeführte EEG bis zum Erreichen eines Burst-Suppression-Musters angepasst werden sollte.


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Propofol

Propofol wird ebenfalls zunächst als Bolus von 2 mg/kgKG gegeben. Die Erhaltungsdosis wird dann nach EEG titriert, wobei, wie oben bereits erwähnt, ein Burst-Suppression-Muster angestrebt wird. Bei kontinuierlicher und mehr als 48 Stunden überdauernder Gabe von Propofol kann das sogenannte Propofol-Infusionssyndrom auftreten. Dieses ist durch Herzinsuffizienz, Azidose, Rhabdomyolyse und Nierenversagen gekennzeichnet. Klinisch auffällig ist eine grünliche oder rotbraune Verfärbung des Urins.

Tipp

Im Falle einer mehrtägigen Behandlung mit Propofol sollte ein Substanzwechsel oder die Kombination mit Midazolam zur Verringerung der Propofol-Dosis erwogen werden.


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Thiopental

Thiopental wird mit 5 mg/kgKG initial als Bolus verabreicht. Die Erhaltungsdosis bemisst sich ebenfalls nach dem EEG mit dem Ziel eines Burst-Suppression-Musters und beläuft sich in der Regel auf ca. 3 – 5 mg/kgKG/h. Thiopental muss lichtgeschützt appliziert werden. Aufgrund der hypotensiven Wirkung kann die zusätzliche Gabe von Katecholaminen notwendig werden.

[Tab. 3] gibt einen Überblick über die verwendeten Mittel zur therapeutischen Intubationsnarkose.

Tab. 3 Übersicht über Mittel zur therapeutischen Intubationsnarkose.

Propofol

Midazolam

Thiopental

GABA = Gammaaminobuttersäure

NMDA = N-Methyl-D-Asparaginsäure bzw. N-Methyl-D-aspartat

Wirkmechanismus

GABAA-Agonist

NMDA-Antagonist

GABAA-Agonist

GABAA-Agonist

NMDA-Antagonist

Halbwertszeit bei prolongierter Verabreichung

1 Stunde

6 – 50 Stunden

Akkumulation im Fettgewebe

14 – 36 Stunden

Akkumulation im Fettgewebe

initialer Bolus

2 mg/kgKG

0,1 – 0,3 mg/kgKG

2 – 7 mg/kgKG

Erhaltungsdosis

2 – 5 mg/kgKG/h

0,1 – 2,0 mg/kgKG/h

3 – 5 mg/kgKG/h

Besonderheiten

Gabe für wenige Tage

Kombination mit Midazolam

Cave: Propofol-Infusionssyndrom

zunehmend erhöhte Dosen notwendig (Tachyphylaxie)

Kombination mit Propofol oder Ketamin

lichtgeschützte Applikation

lange Abflutung

Ileus

Immunsuppression (Pneumonien)

Merke

Grundsätzlich sollte die therapeutische Intubationsnarkose unter EEG-Kontrolle erfolgen.

Prinzipiell kann mit einer therapeutischen Intubationsnarkose eine Anfallssuppression, ein Burst-Suppression-Muster sowie eine vollständige EEG-Suppression erzielt werden. Eine vollständige Anfallssuppression sollte erreicht werden. Ob ein Burst-Suppression-Muster notwendig ist, bleibt fraglich, sicherlich sollte keine vollständige EEG-Suppression angestrebt werden.

Tipp

Die Intubationsnarkose sollte für 24 (bis 48) Stunden durchgeführt werden, danach ist eine schrittweise Reduktion der Narkose empfehlenswert.

Mehrere Studien weisen darauf hin, dass die Intubationsnarkose zu einer zusätzlichen Morbidität und Mortalität im SE beitragen könnte [30], [31], [32], [33].


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Stufe 4: Optionen im superrefraktären Status epilepticus

Persistiert oder tritt ein SE nach der Durchführung einer ≥ 24-stündigen Intubationsnarkose auf, so ist von einem superrefraktären SE auszugehen [10]. Für diese Situation ergeben sich eine Reihe von Therapieoptionen, die jedoch alle nicht evidenzbasiert sind. Fallserien und Fallberichte liegen unter anderem zu Inhalationsnarkotika, Ketamin, ketogener Diät, Magnesium, Perampanel, Stiripentol, Topiramat, Steroiden, Immunglobulinen und Hypothermie vor [34], [35], [36], [37], [38]. Auch ein epilepsiechirurgischer Eingriff kann in der Situation erwogen werden.

[Tab. 4] gibt einen Überblick über verschiedene Therapieoptionen mit oral verfügbaren Antikonvulsiva.

Tab. 4 Übersicht oral verfügbarer Antikonvulsiva in der Statustherapie.

Antikonvulsivum

Bolusdosis bei Erstgabe

Route

Erhaltungsdosis

Cave

Topiramat

400 – 600 mg

Magensonde

300 – 0 – 300 mg

Hyperammonämie in Kombination mit Valproat

Azidose

Perampanel

8 – 12 mg, auch 16 – 32 mg als Erstgabe berichtet

Magensonde

0 – 0 – 12 mg (8 – 0 – 8)

Anstieg der Serumkonzentration von Oxcarbazepin

Zonisamid

300 – 400 mg

Magensonde

300 – 0 – 300 mg

Stiripentol

2000 – 3000 mg

Magensonde

2000 – 0 – 2000 mg;
ca. 50 mg/kgKG

hohe Therapiekosten

Oxcarbazepin

600 mg

Magensonde

600 – 600 – 600 mg

Hyponatriämie

Piracetam

1200 – 2400 mg

Magensonde

5 × 1200 mg

nur bei Myoklonien

Fallbeispiel

Ein 67 Jahre alter Mann wird hilflos und verwirrt am Gepäckband des Frankfurter Flughafens angetroffen. Die Vigilanz ist fluktuierend, und ein fokal-neurologisches Defizit kann in der neurologischen Untersuchung bis auf eine Desorientierung zur Zeit und zum Ort nicht festgestellt werden. Aufforderungen werden teilweise befolgt, Angaben zur Vorgeschichte liegen nicht vor.


In der akut durchgeführten cCT zeigen sich keine Auffälligkeiten. Ein im Anschluss veranlasstes EEG zeigt einen Absencenstatus ([Abb. 2]).


Die Therapie erfolgt intravenös mit 2 mg Lorazepam und 500 mg Levetiracetam. Sofort zeigt sich eine Besserung der Vigilanz: Der Patient berichtet über eine bekannte idiopathisch generalisierte Epilepsie unter Valproat-Therapie. Der Patient wird auf eigenen Wunsch direkt entlassen, um seine Reise fortzusetzen.

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Abb. 2 Die EEG zeigt einen Absencenstatus bei 2,5 – 3-Hz-Spike-Wave-Komplexen.

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Schlussfolgerung

Zusammenfassend ist neben den nicht beeinflussbaren Größen wie Ätiologie, Komorbiditäten und Alter des Patienten das schnelle Einleiten einer ausreichend hoch dosierten Behandlung mit Benzodiazepinen und weiteren Antikonvulsiva für den Therapieerfolg entscheidend. Um die Schnelligkeit der initialen Behandlung zu sichern, ist daher die Etablierung eines Behandlungspfades vor Ort wichtig [39], um die entsprechende Behandlungsempfehlungen schnell umsetzen zu können.


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Kernaussagen
  • Der Status epilepticus (SE), einer der häufigsten neurologischen Notfälle, ist mit einer erheblichen Mortalität und Morbidität assoziiert.

  • Zur Prognose bei Aufnahme kann der Status Epilepticus Severity Score (STESS) verwendet werden.

  • Als Status epilepticus sind definiert

    • epileptische Anfälle, die eine Dauer von 5 Minuten überschreiten
      bzw.

    • eine Reihe von einzelnen epileptischen Anfällen, zwischen denen keine vollständige Restitution zum vorbestehenden neurologischen Befund eintritt.

  • Klinisch werden vier Phasen eines SE unterschieden, an denen sich die stufenadaptierte Therapie orientiert.

  • Stufe 1 (Initialphase): Das schnelle Einleiten einer ausreichend hoch dosierten Behandlung mit Benzodiazepinen ist für den Therapieerfolg beim SE entscheidend.

  • Stufe 2 (etablierter Status epilepticus): Schnellaufsättigung mit Antikonvulsiva bei Fortbestehen des SE bzw. nach Durchbrechen mit Benzodiazepinen zur Prophylaxe von erneut auftretenden Anfällen.

  • In Stufe 3 (refraktärer Status epilepticus) erfolgt eine therapeutische Intubationsnarkose, Mittel der Wahl sind Midazolam und/oder Propofol.

  • Stufe 4 (superrefraktärer Status epilepticus): Es stehen mehrere Therapieoptionen zur Verfügung, von denen jedoch keine evidenzbasiert ist.

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. med. Adam Strzelczyk, Frankfurt am Main.


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Autorinnen/Autoren

Adam Strzelczyk

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Prof. Dr. med. MHBA. 1999 – 2006 Studium der Humanmedizin in Heidelberg, New York, Zürich sowie an der St. Georgeʼs Hospital Medical School in London. Ab 2006 Facharztausbildung zum Neurologen, Intensivmediziner und Geriater an der Klinik für Neurologie der Philipps-Universität Marburg, dort seit 2012 Tätigkeit als Oberarzt. Seit 2015 leitender Oberarzt des Epilepsiezentrums Frankfurt Rhein-Main am Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt. Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Therapie und Versorgung von Menschen mit Epilepsie und Status epilepticus, Neurophysiologie, Epilepsiechirurgie sowie kardiovaskuläre Veränderung bei Epilepsie und mögliche Implikationen für den SUDEP.

Felix Rosenow

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Prof. Dr. med. MHBA. 1982 – 1988 Studium der Humanmedizin an der Freien Universität Berlin. 1988 – 1994 Facharztausbildung an der Universität Köln und Promotionsstipendiat des Max-Planck-Instituts für Neurologische Forschung Köln. 1994 – 1995 Wissenschaftlicher Assistent (C1) an der Klinik für Neurologie der Universität Köln. 1995 – 1997 Clinical Fellow, Department of Neurology, Section of Epilepsy and Sleep Disorders, The Cleveland Clinic Foundation, Cleveland, Ohio, USA. 1997 – 2015 Leiter des Epilepsiezentrums und Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Philipps-Universität Marburg; dort 2001 – 2004 Ulran-Professor für Neurologie (C3). Seit 2015 Leiter des Epilepsiezentrums Frankfurt Rhein-Main am Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt.

Interessenkonflikt

A. Strzelczyk erhielt Beratungs-, Referentenhonorare und/oder Unterstützung für Forschungsvorhaben von Desitin Arzneimittel, Eisai, LivaNova, Sage Therapeutics, UCB Pharma und Zogenix.
F. Rosenow erhielt Beratungshonorare von Desitin Arzneimittel, Eisai, GW Pharma, UCB Pharma, Shire, Sandoz und Pfizer. Er erhielt Referentenhonorare von UCB Pharma, Eisai, Hexal, Medtronic und Zuwendungen für Weiterbildungsveranstaltungen von Nihon-Kohden, UCB Pharma, Medtronic, Cyberonics, GW-Pharma und Cerbomed.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Adam Strzelczyk
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main
Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie
Goethe-Universität Frankfurt
Schleusenweg 2 – 16, Haus 95
60528 Frankfurt am Main


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Abb. 1 EEG eines non-konvulsiven generalisierten Status epilepticus.
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Abb. 2 Die EEG zeigt einen Absencenstatus bei 2,5 – 3-Hz-Spike-Wave-Komplexen.