Einleitung
Die Behandlung des nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) hat sich in den letzten
Jahren fast vollständig gewandelt – insbesondere im metastasierten Stadium. Lange
galt eine zytotoxische Chemotherapie als Standardtherapie im metastasierten Stadium,
die in einzelnen Fällen über mehrere Linien durchgeführt wurde. In den letzten Jahren
ist das biologische Verständnis von NSCLC (non small cell lung cancer) Tumoren erheblich
gestiegen, was zur Entwicklung weiterer Therapieansätze führte, die in verschiedenen
Behandlungssituationen bereits heute eine Chemotherapie verdrängt haben. Die Identifikation
molekularer Zielstrukturen wie EGFR, ALK, ROS-1 und BRAF, neue Generationen von Tyrosinkinaseinhibitoren
und die Entwicklung neuer Therapieansätze wie immunmodulatorische Antikörper haben
zu einer deutlichen Ausweitung an therapeutischen Möglichkeiten geführt, die auch
in den nächsten Jahren zu weiteren Veränderungen der Standardtherapie führen werden.
Dabei werden die Herausforderungen an alle behandelnden Ärzte erheblich größer. Die
Bedeutung der einzelnen Entwicklungen ist häufig erst auf den zweiten Blick abschätzbar.
Die Therapie des NSCLC hat sich dabei in wenigen Jahren von einer äußerst aggressiven
Erkrankung mit wenig Therapiemöglichkeiten zu einer sehr komplexen und heterogenen
Tumorentität mit vielen Optionen und neuen Hoffnungen gewandelt, sodass auf verschiedenen
Ebenen von einem „Klimawandel“ gesprochen werden kann. Wir möchten im Folgenden kurz
beleuchten, wie sich einzelne Veränderungen darstellen.
1. Verbesserte Therapiemöglichkeiten und Prognose
1. Verbesserte Therapiemöglichkeiten und Prognose
Zunächst auffällig ist die deutliche Verbesserung der therapeutischen Optionen und
der Prognose: Nicht kleinzellige Lungenkarzinome stellen eine sehr heterogene Gruppe
unterschiedlicher Tumoren dar. Diese Tumoren weisen häufig eine hohe Anzahl genomischer
Veränderungen („mutational load“) auf, wobei dies im besonderen Maße für Patienten
mit Raucheranamnese gilt. Der Nachweis von Treibermutationen (gehäuft bei Adenokarzinomen
und/oder Nierauchern) bietet wiederum die Möglichkeit einer zielgerichteten Therapie,
die sich spezifisch gegen die molekulare Alteration richtet. Dies führt zu einer deutlichen
Ausweitung der diagnostischen Anforderungen, einer Entwicklung, die sich in den nächsten
Jahren durch Identifikation weiterer, therapeutisch bedeutsamer genetischer Veränderungen
und die Etablierung neuer, hochsensitiver diagnostischer Verfahren in der Routinediagnostik
(wie zum Beispiel Next Generation Sequencing, NGS) fortsetzen wird [1]
[2]. Klinisch von herausragender Bedeutung sind zurzeit mindestens 3 Gen-Alterationen,
für die zugelassene Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Verschiedene Studien zeigen
eine mediane Überlebenszeit für Patienten mit Treibermutationen von 4 Jahren [3]
[4]. Bei Patienten ohne Treibermutationen werden in klinischen Studien mediane Überlebenszeiten
(unabhängig vom PD-L1 Status) von 15 Monaten beschrieben. Im letzten Jahr wurde eine
5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten mit Stadium-IV-NSCLC und Therapie
mit Checkpoint-Inhibitoren errechnet, die bei 16 % lag [1]. Dies bedeutet einen erheblichen Fortschritt im Vergleich zu Daten aus dem Jahr
2002, bei der eine mediane Überlebenszeit unabhängig vom Chemotherapieregime um 8
Monate beschrieben wurde [2]. Aber kommt dieser Fortschritt auch in der Realität an? Die Datenlage ist hierzu
eher dürftig, und ein Selektionseffekt kann nicht ausgeschlossen werden. Aber wahrscheinlich
kann diese Frage dennoch mit „ja“ beantwortet werden. Im weltweiten Datenregister
der IASLC (International Association for the Study of Lung Cancer), aus dem die Tumorstadieneinteilung
abgeleitet wird, betrug die 5-Jahres-Überlebensrate im Jahr 2007 bei Patienten mit
metastasiertem NSCLC 2 %, während diese im Jahr 2015 bereits bei 6 % lag [5]
[6]. Dies ist in erster Linie auf Verbesserungen für Patienten mit molekularen Alterationen
zurückzuführen, da die Patientenregister aus einem jahrelangen Zeitraum zusammengetragen
werden und immuntherapeutische Optionen in den USA erst ab 2015 zugelassen wurden.
Zudem deuten Auswertungen von Registerdaten das Potenzial moderner Therapiesequenzen
für Patienten mit Treibermutationen an, für die bereits im Jahr 2015 eine mediane
Überlebenszeit von 49,4 Monate errechnet wurde [7]. Hierbei sind die jüngsten Entwicklungen neuer Tyrosinkinaseinhibitoren mit noch
längerer Krankheitskontrolle noch gar nicht berücksichtigt.
2. Diagnostik 2.0 – Therapie bestimmt die Diagnostik
2. Diagnostik 2.0 – Therapie bestimmt die Diagnostik
Neben der histologischen Diagnose gewinnen zunehmend weitere Parameter an Bedeutung.
Die Identifikation therapierbarer, klinisch relevanter molekularer Alterationen erfordert
immer breitere Plattformen, sodass heute zumeist eine Paneltestung verschiedener Gene
empfohlen wird. Hierbei sind nicht nur Mutationen, sondern auch Amplifikationen und
Translokationen sowie Varianten auf RNA-Ebene von Bedeutung. Die Entwicklung neuer
diagnostischer Plattformen erfordert auch ein Umdenken und eine breitere Zusammenarbeit
von pathologischen Instituten. Wird die nächstgelegene Pathologie in Zukunft flächendeckend
alle diagnostischen Möglichkeiten anbieten können?
Auch hier scheint gerade mit Blick auf eine kosten- und v. a. zeiteffiziente Testung
eine Fokussierung bzw. Netzwerkgenerierung sinnvoll. Zudem werden immer rascher neue
Marker (z. B. DLL3) implementiert werden müssen. Für die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren
ist aktuell die Bestimmung der PD-L1-Expression von Tumorzellen klinisch relevant.
In Zukunft ist eine erhebliche Ausweitung der Parameter zu erwarten wie bspw. die
Bestimmung der Tumormutationslast [6]. Bei der Vielzahl neuer Targets für Immunmodulatoren wird auch eine große diagnostische
Flexibilität notwendig sein, da weitere prädiktive Marker identifiziert werden. Schließlich
wird die Testung bestimmter Marker nicht nur in der Primärdiagnostik, sondern auch
während der Therapie oder bei Krankheitsprogression zunehmend sinnvoll und notwendig,
was auch eine klinische Herausforderung darstellen kann. Jüngst wurde hierzu eine
Stellungnahme der DGP („Rebiopsie“) erstellt [8]. Die Entwicklung von diagnostischen Assays aus im peripheren Blut zirkulierender
Tumor-DNA (sog. liquid biopsy) stellt eine weitere Verbreiterung unserer diagnostischen
Möglichkeiten dar. Die Anforderungen an den klinisch tätigen Diagnostiker sind gestiegen,
da bei der Fragestellung der Diagnostik auch eine zielgerichtete Probenentnahme berücksichtigt
werden muss. Welche Tumorläsion soll wie, wann und womit biopsiert werden, und welcher
Marker soll in welcher Reihenfolge mit welcher Methode analysiert werden? Dieser Prozess
muss zudem schnell, kosteneffizient und in hoher Qualität und Validität durchgeführt
werden.
3. Wandel des Therapieziels
3. Wandel des Therapieziels
Die Mehrzahl der Patienten mit Lungenkarzinomen wird weiterhin im fortgeschrittenen
oder metastasierten Stadium diagnostiziert, wo zumeist eine palliative systemische
Therapie im Vordergrund steht. Da es sich um eine nicht kurative Therapiesituation
handelt, standen bisher der Erhalt und die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten
berechtigterweise im Vordergrund. Durch die Fortschritte sehen wir nun zunehmend Patienten
mit sehr langem Therapieverlauf trotz eines metastasierten Stadiums. Dies bestimmt
zunehmend auch die Therapiewahl, sodass bspw. durch Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren
eine Erhöhung der Patienten mit langer Krankheitskontrolle angestrebt wird. So führte
die Addition des PD-1-Antikörpers Pembrolizumab zu einer Chemotherapie mit Platin
und Pemetrexed zu einer signifikanten Verbesserung des Gesamtüberlebens (hazard ratio
0,49; P < 0,001) [9]. In einer anderen Studie zeigte die Erstlinientherapie mit Ipilimumab und Nivolumab
bei NSCLC-Patienten mit hoher Tumormutationslast nach Ansprechen eine Krankheitskontrolle
von 68 % über ein Jahr [10]. Im Vergleich dazu hatten bei einer platinhaltigen Chemotherapie nur 25 % der Patienten
mit Therapieansprechen keine Tumorprogression innerhalb der ersten 12 Monate. Auch
die Hinzunahme von Antiangiogenese-Inhibitoren zur platinbasierten Chemotherapie und
Checkpoint-Inhibitoren verbessert um mehr als 20 % das initiale Ansprechen [11].
Chronifizierung und Bedeutung der Komorbiditäten
Durch die Verbesserung des Gesamtüberlebens kann in einigen Therapiesituationen die
Lungenkrebserkrankung hinter den Komorbiditäten bez. des Einfluss auf Lebensqualität
und Symptomen treten. V. a. ist hier die COPD zu nennen, die bei älteren Patienten
mit langer Raucheranamnese meist schwergradig ist. Eine effektive medikamentöse und
nicht medikamentöse Therapie der COPD kann mortalitätsbestimmend sein. Der enge Zusammenschluss
der fachlichen Disziplinen (Atemwege und Onkologie) garantiert eine bestmögliche Patientenversorgung.
4. Zunehmende Therapiestratifizierung
4. Zunehmende Therapiestratifizierung
In Anbetracht der zahlreichen klinischen Studien, die nicht nur neue Targets klinisch
zu nutzen versuchen, sondern auch die Kombination verschiedener Therapiemodalitäten
(wie Chemotherapie in Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren oder die Kombination
von Checkpoint-Inhibitoren miteinander) testen, ist eine erheblich zunehmende Therapiestratifizierung
zu erwarten. Der eine Therapiestandard wird durch eine abzuwägende Anzahl verschiedener
Therapiestrategien abgelöst werden, die abhängig vom aktuellen Therapieziel des Patienten
diskutiert werden müssen. Neben der interdisziplinären Diskussion ist auch eine Einbindung
von zertifizierten Lungentumorzentren wünschenswert, was derzeit kostenmäßig nur unzureichend
abgedeckt ist. Versuche, die Kosten und den erhöhten personellen Aufwand, der für
eine gewisse Versorgungsqualität und damit auch für erfolgreiche Zertifizierung bereit
gestellt werden muss, bei den Krankenkassen geltend zu machen, sind bisher erfolglos
geblieben.
5. Systembehandlung mehr ambulant
5. Systembehandlung mehr ambulant
Es ändert sich zunehmend die organisatorische Behandlung des Lungenkarzinoms: Waren
früher Behandlungen zumeist stationär, kann und wird heute eine Vielzahl von diagnostischen
und therapeutischen Schritten unter ambulanten Bedingungen durchgeführt. Hierbei sind
neben Pneumologen v. a. auch niedergelassene Onkologen eingebunden. Dies impliziert
auch zunehmend die Frage, welche Fachgesellschaft sich mit welcher Aufmerksamkeit
dem Thema NSCLC widmet. Aktuell gibt es Therapieempfehlungen der DGHO, DGP, Atemwegsliga
sowie weiterer regionaler Gesellschaften. Die jüngst publizierte S3-Leitlinie wurde
federführend von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V.
und der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. und in Zusammenarbeit zahlreicher weiterer
Gesellschaften erstellt [12].
6. Kostenentwicklung
Es werden zunehmend Diskussionen über Kostenentwicklung geführt, wobei ein gewisser
Druck auch durch Entscheidungen der Krankenkassen ausgeübt wird. Wie neue Daten bewertet
werden, ist auch eine Frage der jeweiligen Perspektive geworden. Mit der Verabschiedung
des neuen Arzneimittelgesetzes wurde die Veröffentlichung und Darstellung der Entscheidungen
des gemeinsamen Bundesausschusses (gBA) beim Verschreiben neuer Medikamente verpflichtend.
Damit verschiebt sich aber die Wertung von Daten, da sich im gBA verschiedene Interessensvertreter
zusammenfinden. Zudem unterliegt die Interpretation wissenschaftlicher Daten beim
IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) den vom gBA
klar vorgegebenen Richtlinien, die nicht deckungsgleich mit einer rein wissenschaftlichen
Sicht sind. Auch hier ist die Frage, wer in Zukunft die Diskussion um die Kosten-Nutzen-Effektivität
(mit-) gestalten will und wird. Auch hier sehen die Autoren eine Herausforderung der
Fachgesellschaften.
7. Weiterbildung
Aufgrund der raschen Entwicklung wird eine permanente Weiterbildung und Information
notwendig. Diese umfassend zu gewährleisten und neue Daten in den allgemeinen Therapierahmen
einzuordnen, ist eine Aufgabe, vor der sich die verschiedenen Fachgesellschaften zunehmend
sehen werden. Neue Daten werden mittlerweile während des ganzen Jahres und nicht nur
zu den „großen“ Kongressen publiziert. Da aus zeitlichen und finanziellen Gründen
ein Besuch der meisten Kongresse für viele kaum möglich sein wird, muss eine Weiterbildung
über Print- oder Internetmedien ermöglicht werden. Doch diese Artikel müssen verfasst
werden. Sowohl Arbeitgeber als auch Gesellschaften sind herausgefordert, hierfür Zeit
und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
8. Position der Fachgesellschaft
8. Position der Fachgesellschaft
Wir erleben zudem auch Diskussionen innerhalb der Fachgesellschaft über die inhaltliche
Platzierung des Themas NSCLC. Es liegt daher an den jeweiligen Fachgesellschaften,
zu entscheiden, inwieweit und in welchem Ausmaß sie für dieses Thema eine Plattform
darstellen möchten. Selbstverständlich ist eine Vernetzung untereinander unabdingbar,
und die Kommunikation untereinander ist nach unseren Erfahrungen zumeist sehr konstruktiv.
Dennoch wird jeder behandelnde Arzt sich die Frage stellen, an welche Gesellschaft
er sich zuerst wenden sollte. Dies betrifft gerade auch die jüngeren Kollegen, die
besonders gefördert und eingebunden werden sollen. Verschiedene Aktivitäten sind hier
von den Fachgesellschaften einschließlich der DGP bereits initiiert worden. Allerdings
ist neben der „theoretischen“ Plattform auch die Frage zu stellen, wie denn die inhaltliche
Platzierung in der Praxis gelebt wird. Hierbei ist auch die Orientierung der verschiedenen
Kongresse bedeutsam: Der Jahreskongress der DGP bietet immer eine Vielzahl onkologischer
Themen, die eine gute Übersicht über aktuelle Entwicklungen bieten. International
sind es stattdessen in der Regel onkologische Kongresse wie die Jahreskongresse der
ASCO und der ESMO, auf denen die wichtigsten neuen Daten präsentiert werden. Die Autoren
unterstreichen, dass die DGP auch weiterhin die wichtige Fachgesellschaft bleiben
sollte, die nicht nur die Diagnostik, sondern auch die Therapie des NSCLC breit vertreten
kann.
Wir erleben erfreulicherweise eine gewaltige, positive Veränderung der Therapiemöglichkeiten
unserer onkologischen Patienten, der bisherige Strukturen herausfordert. Durch den
oben dargestellten Wandel am Beispiel des Lungenkarzinoms müssen nicht nur medizinische,
sondern auch zahlreiche politische und organisatorische Aspekte auf lokalen und verschiedenen
übergeordneten Ebenen berücksichtigt werden. Auch der Austausch mit Kollegen anderer
Fachdisziplinen wird immer wichtiger, da nicht nur Nebenwirkungen vielfältig sind,
sondern die neuen Entwicklungen auch in anderen Tumorentitäten bedeutsam sind und
gestaltet werden. Die Fachgesellschaften sind daher gefragt, inwieweit sie diesen
Wandel aktiv begleiten und mitgestalten können. Die DGP hat einige begrüßenswerte
Aktivitäten bei der Mitgestaltung dieses Wandels gezeigt. Die Fortsetzung und idealerweise
Intensivierung dieser Aktivitäten bleibt eine Herausforderung.