CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(09): 846-852
DOI: 10.1055/a-0674-6275
GebFra Science
Review/Übersicht
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mutterkuchen – mal versuchen? Humane maternale Plazentophagie: möglicher Nutzen und potenzielle Risiken

Article in several languages: English | deutsch
Sophia K. Johnson
1   Plazenta-Labor, Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Jana Pastuschek
1   Plazenta-Labor, Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Jürgen Rödel
2   Institut für klinische Mikrobiologie, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Udo R. Markert
1   Plazenta-Labor, Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Tanja Groten
1   Plazenta-Labor, Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
› Author Affiliations
Further Information

Correspondence/Korrespondenzadresse

PD Dr. med. habil. Tanja Groten
Geschäftsführende Oberärztin
Klinik für Geburtsmedizin, Haus E
Am Klinikum 1
07747 Jena
Germany   

Publication History

received 24 April 2018
revised 07 August 2018

accepted 09 August 2018

Publication Date:
14 September 2018 (online)

 

Zusammenfassung

Die Einnahme der eigenen Plazenta durch die Mutter als individuelles Heilmittel im Wochenbett ist zurückzuführen auf historische, traditionelle Anwendungen in abendländischer und asiatischer komplementärer Medizin. In dieser Übersichtsarbeit wurden mittels Literaturrecherche sowohl die möglichen Risiken (Spurenelemente, Mikroorganismen) als auch möglicher Nutzen (Hormone im Plazentagewebe) erfasst, um die Einnahme der verarbeiteten Plazenta als Heilmittel im Wochenbett zu bewerten.


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Einleitung

Ausgehend von den USA kann man unter Müttern industrialisierter Länder den Trend beobachten, die eigene, verarbeitete Plazenta als Heilmittel im Wochenbett einzunehmen. Der damit verbundene Nutzen oder mögliche Risiken sind jedoch kaum systematisch erforscht. Geburtsmediziner und Pädiater stehen einer zunehmenden Patientennachfrage gegenüber, allgemeine Empfehlungen zu Plazentophagie, die aus wissenschaftlichen Daten herzuleiten sind, stehen bisher nicht zur Verfügung.


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Definition

Maternale humane Plazentophagie beschreibt das Einnehmen der eigenen Plazenta post partum [1]. Dies wird auf unterschiedliche Weisen praktiziert: Entweder wird ein Stück rohe Plazenta direkt nach der Entbindung eingenommen oder das Gewebe erhitzt, getrocknet und anschließend pulverisiert. Als „Placenta encapsulation“ im angloamerikanischen Raum verbreitet ist die Verarbeitung der Plazenta zu Kapseln. Dabei wird getrocknetes, pulverisiertes Plazentagewebe für den alltäglichen Konsum in Gelatinekapseln abgefüllt [2] ([Abb. 1]).

Abzugrenzen davon ist das in Apotheken nach der Vorschrift des homöopathischen Arzneimittelbuchs durchgeführte Herstellen von Plazenta-Autonosoden.

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Abb. 1 Möglichkeiten der Plazentaverarbeitung und -einnahme sowie mögliche Risiken und potenzieller Nutzen von Plazentophagie.

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Methode

Eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed und Web of Science Core Collection wurde unter der Verwendung der Schlagwörter „Placentophagy“, „Placentophagia“, „human Placentophagy“, „maternal Placentophagy“ und „Placenta encapsulation“ durchgeführt. Englischsprachige Studien mit dem Fokus auf humaner Plazentophagie im Erscheinungszeitraum zwischen 1918 und 2018 und für die klinische Beurteilung relevante Tierstudien wurden eingeschlossen ([Tab. 1]). Zusätzlich wurde eine selektive Literaturrecherche in gynäkologischer, anthropologischer und juristischer Fachliteratur durchgeführt.

Tab. 1 Übersicht zu ausgewählten Plazentophagie-Publikationen und deren Ergebnissen.

Auswahl von Veröffentlichungen zu maternaler humaner Plazentophagie

Ergebnisse

Hammett 1917 [46]: The effect of the ingestion of desiccated placenta on the variations in the composition of human milk during the first eleven days after parturition.

Der prozentuale Protein- und Laktosegehalt der Muttermilch ist nach Einnahme von getrockneter Plazenta gestiegen.

Hammett 1918 [15]: The effect of the maternal ingestion of desiccated placenta upon the rate of growth of breast-fed infants.

Die ausschließlich gestillten Säuglinge von Müttern, die getrocknete Plazenta eingenommen haben, zeigten eine schnellere Gewichtszunahme als die Vergleichsgruppe ohne Plazentaeinnahme.

Soykova-Pachnerova 1954 [20]: Placenta as a Lactagogon.

Die in getrockneter Plazenta enthaltenen Hormone führten zu vermehrter Milchbildung bei 86,2% der Frauen (n = 181), Plazentophagie als Therapieoption bei Hypogalaktie.

Selander 2013 [2]: Human maternal placentophagy: a survey of self-reported motivations and experiences associated with placenta consumption.

Frauen (n = 189) beschreiben folgende Benefits nach Plazentophagie: verbesserte Gemütslage im Wochenbett, mehr Energie, vermehrte Milchbildung, verminderte Blutung und schnellere Rückbildung.

Gryder 2017 [19]: Effects of Human Maternal Placentophagy on Maternal Postpartum Iron Status: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Pilot Study.

Plazentophagie beeinflusst den postpartalen maternalen Eisenstatus weder positiv noch negativ. Plazentakapseln sind keine ausreichende Therapie bei postpartaler Anämie.

Young 2017 [17]: Effects of placentophagy on maternal salivary hormones: A pilot trial, part 1.

Die Einnahme von gedämpfter, getrockneter Plazenta führt zu geringen, aber signifikanten Veränderungen im Hormonprofil der Frauen.

Young 2017 [18]: Placentophagyʼs effects on mood, bonding, and fatigue: A pilot trial, part 2.

Die Einnahme von gedämpfter, getrockneter Plazenta führt zu keiner deutlichen Veränderung der mütterlichen Gemütslage, Bonding und Fatigue.

Benyshek 2018 [21]: Placentophagy among women planning community births in the United States: Frequency, rationale, and associated neonatal outcomes.

Fast ein Drittel von Müttern außerklinischer Geburt nehmen ihre Plazenta post partum ein, bei 73% ist der Grund das Vermeiden einer PPD. Ein erhöhtes Risiko für das Neugeborene durch maternale Plazentophagie wurde nicht nachgewiesen.

Die Entwicklung der Plazenta

Nach der Befruchtung bildet sich die Blastozyste, bestehend aus Embryoblast (Zellmasse, aus der sich der Embryo entwickelt) und Trophoblast (aus diesem entstehen Eihäute und kindliche Anteile der Plazenta). Der embryonale Pol der Blastozyste verbindet sich während der Implantation mit dem Endometrium des Uterus und dringt vollständig in das stark durchblutete mütterliche Bindegewebe ein. Die Entwicklung der Plazenta beginnt, wenn das Endometrium mit metabolischer und sekretorischer Aktivität auf die Anwesenheit der Blastozyste reagiert. Aus der äußeren Schicht der Blastozyste entwickelt sich der Synzytiotrophoblast, aus welchem sich die Plazenta bildet. Eine enge Verbindung zwischen maternalem und embryonalem Blutkreislauf ermöglicht durch Diffusion einen Austausch von Gasen und Metaboliten. Dabei wird jedoch kein direkter Kontakt zwischen maternalem und fetalem Blut hergestellt – es ergibt sich daraus eine Schutzfunktion der Plazenta („Plazentaschranke“), welche den Übertritt von Substanzen reguliert.

Die physiologische Funktion der Plazenta während der Schwangerschaft ist überaus komplex: Stoffwechsel, Ausscheidung, Atmung, immunologische Vorgänge sowie Hormonsynthese sichern und regulieren das Überleben und Wachstum des Feten und die Adaptation des maternalen Organismus auf Schwangerschaft und Geburt. Dabei werden im Verlauf der Schwangerschaft teilweise in exponentiellem Ausmaß Hormone wie Oxytocin, humanes Plazentalaktogen, Progesteron, Östrogene und Neurohormone wie thyreoideastimulierendes Hormon (TSH), adrenokortikotropes Hormon (ACTH) und Corticotropin-releasing Hormone (CRH) von der Plazenta produziert [3]. Die hormonelle Aktivität der fetoplazentaren Einheit am Ende der Schwangerschaft kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Produktion von fetalem Kortisol ist Stimulans für eine plazentare CRH-Sekretion. Die erhöhte CRH-Konzentration im mütterlichen Blut stimuliert die weitere CRH-, ACTH- und Kortisolsekretion.

Progesteron, welches um den Geburtstermin täglich mit einer Produktionsrate von ca. 300 mg plazentar synthetisiert wird [4], nutzt der Fetus als Vorstufe für die Bildung von Gluko- und Mineralokortikoiden. Die Progesteron-Konzentration erreicht kurz vor Geburt ein Plateau. Fetales DHEA und DHEA-S wird in der Plazenta zu Östrogenen konvertiert, somit verschiebt sich der Östrogen-Progesteron-Gradient zum Ende der Schwangerschaft und es entsteht eine Östrogendominanz [5]. Mit der Geburt der Plazenta sinkt die Konzentration plazentarer Hormone in kürzester Zeit ab. Ein massiver Entzug von Hormonen resultiert.


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Das evolutionsbiologische Verhalten der Plazentophagie

Unter Säugetieren ist die Einnahme der Nachgeburt bestehend aus Plazenta, Amnion und Fruchtwasser direkt nach der Geburt ubiquitär zu beobachten [6]. Dies gilt sowohl für Pflanzenfresser, Fleischfresser, Nestflüchter als auch für Nesthocker.

Über 4000 Säugetierarten verzehren ihre Plazenta, lediglich von Menschen und Kamelen ist dokumentiert, dass diese nicht regulär ihre Nachgeburt einnehmen [7].

Zwei Hypothesen versuchen das Verhalten der Plazentophagie zu erklären: die Annahme der Nestsauberkeit und die der Feindvermeidung. Diese Hypothesen sind jedoch angreifbar [8]. So verzehren auch auf Bäumen gebärende Saugetiere wie das Baumhörnchen ihre Plazenta, anstatt sie aus Gründen der Sauberkeit aus dem Nest zu werfen. Bei verschiedenen Paarhufern der Pferdefamilie verursacht Plazentophagie keine signifikante Veränderung der Sterblichkeitsrate der Jungtiere. Daraus wird abgeleitet, dass die Plazentophagie die Feindvermeidung nicht beeinflusst [8].

Ob es für den Menschen eine evolutionsbiologische Begründung für die Plazentophagie gibt, wird ambivalent diskutiert [7], [8]. Unter Affen und nicht menschlichen Primaten ist die Plazentophagie weit verbreitet. Dies lässt vermuten, dass die menschliche Plazentophagie ein angestammtes Verhalten ist, welches während der Evolution verloren ging [7]. Es gibt diverse Beschreibungen, nach welchen Menschen traditioneller Kulturen und unterschiedlicher Ethnien die Plazenta roh, gekocht oder getrocknet und pulverisiert verzehrt haben [9]. Seit den 1970er-Jahren kann man, ausgehend von den USA, den Trend beobachten, die eigene Plazenta zu verarbeiten und einzunehmen [10]. Das Bedürfnis nach einem natürlichen Lebensstil und einer individuellen, selbstbestimmten Geburtspraxis, welches mit dem Interesse an Plazenta-Heilmitteln einhergeht, wird beschrieben [11]. Da die Einnahme der eigenen Plazenta als gesellschaftliches Tabu gilt, wird Plazentophagie häufig inoffiziell praktiziert und selten kommuniziert.

Hat die Plazentaeinnahme in der Tierwelt sicher einen nutritiven Nutzen, kann man davon ausgehen, dass Wöchnerinnen der industrialisierten Länder Zugang zu abwechslungsreicher, gesunder Kost haben. Daher kann die Einnahme von getrockneter Plazenta aufgrund ihrer Zusammensetzung als Nahrungsergänzung betrachtet werden.


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Effekte von Plazentophagie im Tierreich

Bei Mäusen führt die Einnahme von Plazenta zu einem erhöhten Serum-Prolaktin- und einem verringerten Serum-Progesteron-Spiegel im Vergleich zur Nichteinnahmegruppe [12].

Ebenfalls wurde das Auslösen der Laktation bei als Ammen fungierenden Säugetieren durch die Plazentaeinnahme beschrieben [13].

Das Vorhandensein eines Faktors, welcher die Schmerzverarbeitung nach Plazentaeinnahme beeinflusst, wurde an Ratten untersucht [14]. Die opioidvermittelte Analgesie wurde durch einen „Placental opioid enhancing factor“ (POEF) verstärkt. Außerdem zeigten die Tiere aus der Plazentophagiegruppe ein beschleunigtes Einsetzen sogenannten mütterlichen Verhaltens den Neugeborenen gegenüber [14].


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Effekte von Plazentophagie beim Menschen

Eine historische Studie von 1918 beschreibt den Einfluss der Einnahme von Plazentapulver auf die Laktation: Ein erhöhter Gehalt an Protein und Laktose in der Muttermilch wurde dabei gemessen [46]. Die ausschließlich gestillten Säuglinge der Mütter aus der Plazentaeinnahmegruppe zeigten zusätzlich eine raschere Gewichtszunahme [15].

Weitere beschriebene Benefits nach der Einnahme von Plazentakapseln sind eine stabile Gemütslage post partum, schnellere Rekonvaleszenz nach der Geburt, vermehrte Milchbildung und ein subjektives Gefühl von „mehr Energie“ im Wochenbett [2]. Einige aktuelle Reviews [1], [10], [11], [16], placebokontrollierte, doppelt verblindete Studien [17], [18], [19] und historische Veröffentlichungen [15], [20], die sich vor allem auf den Gehalt von Spurenelementen und Hormonen in Plazentapräparaten beziehen, liefern Hinweise zur klinischen Beurteilung.

In den USA nimmt fast ein Drittel aller Mütter außerklinischer Geburten die Plazenta in roher oder getrockneter Form ein: In über 70% der Fälle wird als Grund dafür die Prävention postpartaler Depression angegeben [21].


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Zusammensetzung der Plazenta

Eine Plazenta von 450 g enthält durchschnittlich 234 Kalorien, 4 g Fett, 899 mg Cholesterol, 513 g Natrium, 48 g Protein, zusätzlich die Spurenelemente Eisen und Selen in signifikanten Mengen [22] wie auch Kalzium, Kupfer, Magnesium, Phosphor, Kalium und Zink [23]. Außerdem sind die essenziellen und nicht essenziellen Aminosäuren Alanin, Asparaginsäure, Arginin, Histidin, Leucin, Lysin, Phenylalanin, Prolin, Tyrosin, Tryptophan und Valin enthalten, zusätzlich die Vitamine B1, B2, B5, B6, B7, B9, B12. Ebenfalls sind Zytokine und Wachstumsfaktoren (z. B. G-CSF, GM-CSF) in der Plazenta enthalten, welche intrazellulär endokrine und parakrine Signale übermitteln, um damit Wachstum, Proliferation, Migration und Differenzierung von Zellen zu regulieren [24].


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Die Plazenta als Therapeutikum

In der traditionellen chinesischen Medizin wird getrocknetes Plazentapulver sowohl zum Anregen der Laktation als auch bei Infertilitätsstörungen angewendet [25]. In Argentinien nutzen native Ethnien Pulver der getrockneten Nabelschnur, um kranke Kinder zu behandeln; die Ethnie der Kol in Zentralindien nutzt Plazenta als Heilmittel für die Verbesserung der reproduktiven Funktion [9].

Neben der oralen Einnahme können auch Plazentaextrakte injiziert werden, so beispielsweise antiinflammatorisch wirksam bei Polyarthritis [26] oder regenerierend und wachstumsfördernd bei Nervenläsionen [27].

Anwendung von Plazenta- oder Amnionpräparaten in der Augenheilkunde, bei Verbrennungen und Wundheilungsstörungen sind ebenfalls beschrieben [24].


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Spurenelemente

Getrocknetes Plazentapulver enthält die essenziellen Spurenelemente Eisen (Mittelwert 565,0 mg/kg) und Selen (Mittelwert 850,0 µg/kg) [28]. Um eine postpartale Anämie suffizient zu behandeln, ist die Einnahme von Plazentakapseln jedoch nicht ausreichend und führt auch in einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden klinischen Studie zu keiner signifikanten Änderung des maternalen Eisenstatus [19]. Potenziell toxische Elemente wie Arsen, Blei, Kadmium und Quecksilber wurden in sehr geringen Konzentrationen und unterhalb der Toxizitätsgrenze gemessen [23], [28].


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Hormone

Plazentagewebe enthält verschiedene Hormone, darunter Oxytocin, Östrogene, Progesteron, humanes Plazentalaktogen, ACTH und CRH. Diese Hormone wurden sowohl in roher Plazenta als auch im getrockneten Pulver nachgewiesen [28], [29].

Durch die Verarbeitung und das Erhitzen werden die enthaltenen Hormonkonzentrationen jedoch drastisch reduziert [28].

Eindeutige Effekte auf mütterliche Bindung, Fatigue und die Gemütslage post partum konnten in einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden klinischen Pilotstudie (n = 27) nach der Einnahme von verarbeitetem und erhitztem Plazentagewebe nicht nachgewiesen werden [18]. Die Einnahme der Plazentakapseln führte in dieser Studie zu geringen, jedoch signifikanten Änderungen des maternalen Hormonstatus [17].


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Mikroorganismen

Ging man lange Zeit von der Sterilität der Plazenta im Mutterleib aus, zeigen aktuelle Studien die Ähnlichkeit zwischen der mikrobiologischen Zusammensetzung der Mundhöhle und der Plazenta. Letztere beherbergt ein eigenes Mikrobiom aus nicht pathogenen symbiontischen Mikrobiota wie Firmicutes, Tenericutes, Proteobacteria, Bacteroidetes und Fusobacteria phyla [30]. Die diaplazentare Übertragung von Keimen des mütterlichen Magen-Darm-Traktes auf den Feten während der Schwangerschaft wird angenommen [31].

Eine Einzelfall-Publikation des amerikanischen Center for Disease Control beschreibt eine Late-Onset-Infektion eines Neugeborenen mit Streptokokken der Gruppe B (GBS) [32]. Die Mutter konsumierte post partum ihre eigene Plazenta in Form von Kapseln. Streptokokken der Gruppe B wurden sowohl im getrockneten Plazentagewebe als auch im Blut des Neugeborenen nachgewiesen, nicht aber in der Muttermilch. Bei maternaler oraler Einnahme geht man jedoch von einem natürlichen Barriereschutz des Magens gegenüber Keimen einschließlich Streptokokken aus. Somit ergibt sich eine fragliche Infektionsroute durch die mütterliche Plazentaeinnahme. Wahrscheinlich ist in diesem Fall eher eine pränatale Transmission der Keime, die GBS-Besiedelung des maternalen Magen-Darm-Traktes und eine Übertragung durch engen postpartalen Kontakt zwischen Mutter und Kind anzunehmen.

Da Plazentagewebe nicht steril ist, kann eine Kontamination mit potenziell pathogenen Mikroorganismen jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Trocknung des Gewebes bei über 54 °C führt zu einer deutlich reduzierten Anzahl an mikrobiologischen Spezies und eliminiert unter anderem Candida albicans [28].


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Rechtliches: Wem gehört die Plazenta?

Makroskopisch ist die Trennung von maternalem und fetalem Gewebe der Plazenta nicht möglich, aus juristischer Sicht schon: Der maternale Teil der Plazenta gehört der Mutter und muss daher bei Wunsch von der Geburtsklinik an die Mutter herausgegeben werden. Nach der in Deutschland herrschenden juristischen Ansicht entsteht an abgetrennten Körperteilen Eigentum bei dem Menschen, von dessen Körper die Abtrennung erfolgt. Der fetale Anteil der Plazenta gehört nach diesen Grundsätzen dem Neugeborenen (wie auch die Nabelschnur), weil sie dessen Körper zuzuordnen ist. Mutter und Vater können darüber im Interesse des Kindes verfügen und daher auch die Herausgabe von der Klinik verlangen [33].


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Herstellung von Plazentakapseln

Das Verarbeiten der Plazenta zu Pulver ist in traditionellen europäischen und asiatischen Pharmazie-Lexika beschrieben [25], [34]. Organisationen, die sich auf das Verarbeiten der Plazenta zu Kapseln („placenta encapsulation“) spezialisiert haben, nutzen standardisierte Protokolle, die Hygienemaßnahmen und Verarbeitungsschritte vorgeben [35]. Die Verarbeitung erfolgt meist in einer sauberen Küche unter semisterilen Bedingungen.

Die Plazenta wird innerhalb weniger Stunden nach Geburt verarbeitet. Zuerst wird sie unter kaltem, fließendem Wasser gereinigt und Blut bzw. Blutgerinnsel werden entfernt. Dann wird das Organ mit der Schere in 0,5 cm dicke Streifen geschnitten, häufig werden bei diesem Vorgang Eihäute und Nabelschnur entfernt. In einem Dehydrator werden diese Streifen dann für 8 Stunden bei 54 °C getrocknet [28]. Anschließend werden die getrockneten Streifen mit einem Küchengerät zerkleinert, danach wird das Pulver in Gelatinekapseln (Füllvolumen ca. 500 mg) gefüllt. Beschrieben ist in den ersten 14 Tagen post partum die Einnahme von 3 × 2 Kapseln [18], dies entspricht ca. 3000 mg Plazentapulver.


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Diskussion

Der Gehalt verschiedener Hormone im Plazentagewebe ist vor und nach der Verarbeitung zu Pulver nachgewiesen [28], [29]. Nach bisherigen Kenntnissen muss von einer Proteolyse im Gastrointestinaltrakt ausgegangen werden, die Einfluss auf die Struktur der Proteinhormone und damit ihre Verfügbarkeit hat [36]. Bei Resorption über orale Schleimhäute kann eine Hormonwirkung nicht ausgeschlossen werden, da der First-Pass-Effekt der Leber umgangen wird [37]. Dies gilt vor allem für Oxytocin, welches als relativ kleines Proteinhormon (Länge von 9 Aminosäuren) in der Geburtsmedizin über die Mukosa appliziert werden kann und eine schnelle, zentrale Wirkung zeigt (beispielsweise als Nasalia „Syncotin“ bei Laktationsstörungen) [38]. Humanes Plazentalaktogen als ein die Milchbildung anregendes, anxiolytisch und schlaffördernd wirkendes Hormon könnte zu einem verbesserten Befinden im Wochenbett beitragen und bei insuffizienter Laktation wirksam sein [39]. Diese Hypothesen zur hormonellen Wirkung von Plazentapräparaten sind jedoch noch nicht ausreichend durch klinische Studien erforscht.

Es treten deutliche Schwankungen in den gemessenen Hormonkonzentrationen der einzelnen Plazenten auf. Somit kann keine Aussage zur individuellen Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und dem Gehalt aktiver Substanzen gemacht werden [28]. Faktoren, welche möglicherweise die individuellen Hormonkonzentrationen beeinflussen können, sind Schwangerschaftsdauer und die damit verbundene endokrine Aktivität der Plazenta, Geburtsmodus, Stress und Interventionen und die Anwendung von Medikamenten.

Welche potenziellen Risiken birgt Plazentophagie?

Eine virale oder bakterielle Infektion der Mutter und/oder des Neugeborenen ist eine Kontraindikation für die Einnahme der Plazenta [28]. Ebenso sollte nach einer Allgemeinnarkose auf die Einnahme verzichtet werden, da ein Übertritt von Opioiden und anderen Anästhetika auf die Plazenta stattgefunden haben kann.

Rauchen in der Schwangerschaft erhöht die Kadmiumkonzentration im Plazentagewebe [40] und stellt somit ebenfalls ein Risiko für die Einnahme dar.

Die Einnahme von Plazentapräparaten bei Mastitis und/oder Milchstau wäre aufgrund der anregenden Wirkung auf die Milchbildung ebenfalls kontraindiziert [25].

Eine Auswertung medizinischer Daten von Frauen der außerklinischen Geburt in den USA (n = 23 242) zeigte, dass Plazentophagie nicht mit adversen Effekten für das Neugeborene assoziiert war; berücksichtigt wurden dabei sowohl Einweisungen in das Krankenhaus oder auf die Neugeborenen-Intensivstation als auch Todesfälle [21].

Das mit der Einnahme der eigenen Plazenta verbundene Risiko nach einer spontanen, interventionslosen Geburt ohne dauerhafte medikamentöse Therapie während der Schwangerschaft ist relativ gering [28].


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Welchen möglichen Nutzen gibt es durch Plazentophagie?

Depressive Störungen sind die häufigsten postpartalen psychiatrischen Manifestationen, dabei ist der „Baby-Blues“ von einer postpartalen Depression (PPD) abzugrenzen [41]. Letztere ist nicht nur ein peripartales Gesundheitsrisiko für die Mutter, sondern führt auch zu einem reduzierten Gesundheitszustand des Kindes [42]. Der akute Hormonentzug der um die Geburt deutlich erhöhten, zirkulierenden (Neuro-)Hormone mit plötzlichem Wegfall der Hormonsynthese durch die Plazenta wird als Ursache der emotionalen Dysbalance diskutiert [43]. Um die Schwankungen der reproduktiven Hormone abzufangen, wird als Therapieansatz der postpartalen Depression Allopregnanolon, ein Progesteron-Metabolit, substituiert [44].

Da sowohl in roher als auch getrockneter Plazenta Progesteron in geringen Mengen nachweisbar ist, könnte die Einnahme ebenfalls einen Effekt auf die psychische Gesundheit der Mutter haben. Davon kann die Indikation für die Anwendung der eigenen Plazenta als Hormonsubstitution im Wochenbett bei vorangegangener postpartaler Depression oder ausgeprägtem prämenstruellem Syndrom mit ausgeprägten Stimmungsschwankungen abgeleitet werden.

Fraglich ist jedoch, ob die Hormone nach Einnahme biologisch verfügbar sind, da Steroidhormone schlecht oral resorbiert werden. Die gemessenen Konzentrationen an Progesteron-aktiven Substanzen in getrockneter Plazenta sind 18,76 µg/g [28]. Die von Wochenbettbetreuerinnen (Doulas, Hebammen) empfohlene tägliche Dosis [19] von 3 × 1 g Plazentapulver würden mit Mittel 56,3 µg Progesteron-aktive Substanz enthalten.

In deutlich höherer Konzentration ist humanes Plazentalaktogen (hPL) in roher Plazenta enthalten: Mittelwert 17,58 mg/g [28]. Beschrieben ist ein anregender Effekt auf die Milchbildung und ein frühes Einsetzen des primären Milcheinschusses (Tag 1 post partum) [45].

Auch wenn die beschriebenen Wirkungen von Plazentaeinnahme [2] auf einen Placeboeffekt zurückzuführen wären, könnten in bestimmten Fällen Mutter und Kind bei geringem individuellen Risiko von mehr Wohlbefinden und einem verbesserten Gesundheitszustand profitieren [10].


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Zusammenfassung

Plazentagewebe ist eine Quelle natürlicher Hormone, Spurenelemente und essenzieller Aminosäuren – die Einnahme roher oder dehydrierter Plazenta könnte die postpartale Genesung, Laktation, Gemütslage und Rückbildung beeinflussen.

Das Risiko für eine Intoxikation bei individueller Einnahme scheint im Hinblick auf die mikrobiologische Kontamination und den Gehalt von potenziell toxischen Spurenelementen gering. Jedoch sollte die Mutter darüber aufgeklärt werden, dass sie die Verantwortung für die Verarbeitung und Nutzung der Plazenta trägt und eine Übertragung von Infektionen nicht ausgeschlossen werden kann.

Weitere Studien zur biologischen Verfügbarkeit der Hormone nach oraler Einnahme und deren potenziellem physiologischen Effekt sind notwendig, um die Anwendung von Plazentapräparaten besser beurteilen zu können. Patienten mit dem Wunsch nach Plazentophagie sollten über mögliche Risiken und Wirkungen aufgeklärt werden.


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Erratum

Placenta – Worth Trying? Human Maternal Placentophagy: Possible Benefit and Potential Risks
Sophia K. Johnson, Jana Pastuschek, Jürgen Rödel et al.
Geburtsh Frauenheilk 2018; 78: 846–852
DOI 10.1055/a-0674-6275

Der korrekte englische Titel des Beitrags lautet: Placenta – Worth Trying? Human Maternal Placentophagy: Possible Benefit and Potential Risks


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Correspondence/Korrespondenzadresse

PD Dr. med. habil. Tanja Groten
Geschäftsführende Oberärztin
Klinik für Geburtsmedizin, Haus E
Am Klinikum 1
07747 Jena
Germany   

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Fig. 1 Options for placenta processing and ingestion and potential risk and possible benefits of placentophagy.
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Abb. 1 Möglichkeiten der Plazentaverarbeitung und -einnahme sowie mögliche Risiken und potenzieller Nutzen von Plazentophagie.