Hintergrund
Mütterliches Verhalten und Umwelteinflüsse während der frühen kindlichen Entwicklung
prägen lebenslang die individuelle Gesundheit und Krankheitsrisiken. Die vorgeburtliche
Phase ist dabei von besonderem Interesse. Mütterlicher Stress sowie Alkohol- und Tabakkonsum
während der Schwangerschaft wirken sich ungünstig auf die Geburt sowie die Entwicklung
von Neugeborenen und Kindern aus. Man geht sogar davon aus, dass diese pränatalen
Entwicklungsfaktoren die Gesundheit permanent beeinflussen. Zur erfolgreichen Etablierung
neuer Präventionsstrategien ist ein besseres Verständnis der relevanten modifizierbaren
mütterlichen Faktoren notwendig.
Stress, Alkohol und Tabak während der Schwangerschaft
Sechs von 10 schwangeren Frauen, und damit ein beträchtlicher Anteil, beklagen relevanten
Stress. Stress während der Schwangerschaft beeinträchtigt gleichsam die schwangere
Frau wie auch das ungeborene Kind [1 ], [2 ]. Schwangere Frauen, die subjektiven Stress berichten, objektiven Stressoren ausgesetzt
sind oder höhere Kortisolwerte aufweisen, entbinden häufiger Frühgeborene [3 ] und Kinder mit einem niedrigeren Geburtsgewicht [4 ]. Kinder von Schwangeren mit hohem Stresslevel zeigen außerdem häufiger emotionale
Auffälligkeiten und kognitive Beeinträchtigungen [5 ], [6 ], [7 ], [8 ], [9 ]. Achtsamkeitstraining reduziert Stress; es ist daher stimmig, dass achtsamkeitsorientiertes
Meditationstraining bei Frauen während der Schwangerschaft mehrere postpartale Verhaltensmerkmale
der Säuglinge positiv beeinflusst [10 ]. Interessant ist auch, dass ein höheres Achtsamkeitsniveau bei Frauen in der Schwangerschaft
mit besserer Selbstregulationsfähigkeit bei den Kindern zusammenhängt [11 ].
Ein nicht unerheblicher Teil der schwangeren Frauen konsumiert Alkohol und raucht
Tabak mit negativen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Der für Deutschland
repräsentative Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (2003 – 2006, 17 641 Kinder und
Jugendliche) zeigt, dass zwischen 10 und 20% der schwangeren Frauen gelegentlich rauchen
und/oder Alkohol trinken. Häufiger und hoher Alkoholkonsum ergab sich sogar bei 9,2%
der Schwangeren [12 ]. Aktuelle epidemiologische Untersuchungen stützen diese hohen Konsumzahlen [13 ]. Pränataler Alkoholkonsum führt neben dem Vollbild des fetalen Alkoholsyndroms auch
zu weniger augenscheinlichen, aber trotzdem sehr relevanten Problemen wie beispielsweise
Irritierbarkeit, reduzierte Anpassungsfähigkeit, Enthemmung, Aufmerksamkeitsproblemen
und Hyperaktivität im Säuglings-, Kleinkind- und Kindesalter sowie zu psychischen
Auffälligkeiten und Störungen im Jugendalter [14 ], [15 ], [16 ], [17 ], [18 ]. Eine Beeinträchtigung des fetalen Wachstums durch mütterliches Tabakrauchen während
der Schwangerschaft ist unbestritten [17 ], [19 ]. Intrauterine Nikotinexposition erhöht das Risiko für Fehl- und Totgeburt, Frühgeburtlichkeit,
geringes Geburtsgewicht, beeinträchtigte kindliche Lungenfunktion und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssymptome
[20 ], [21 ], [22 ], [23 ].
Langzeitstudien und pränatale Testosteronexposition
Aufgrund der langen Nachbeobachtungszeiten gibt es bisher nur begrenzt direkte Evidenz
dafür, welche kindlichen Folgen durch mütterlichen Stress, Alkoholkonsum und Tabakrauchen
während der Schwangerschaft bis ins mittlere Erwachsenenalter und darüber hinaus persistieren.
Allerdings existieren indirekte Hinweise dafür, dass vorgeburtliche Testosteronexposition
an der lebenslang anhaltenden Gesundheitsbeeinträchtigung durch mütterlichen Stress
sowie Alkohol- und Tabakkonsum während der Schwangerschaft beteiligt ist. Für die
Untersuchung vorgeburtlicher Testosteronlast nutzt man Biomarker wie beispielsweise
das Zeige-/Ringfingerlängenverhältnis (2D : 4D-Verhältnis). Es wird davon ausgegangen,
dass das 2D : 4D-Verhältnis intrauterin ausgebildet wird und sich im weiteren Lebensverlauf
nur noch wenig verändert. Ein kleineres 2D : 4D-Verhältnis steht dabei für höhere
vorgeburtliche Testosteronlast und ein höheres 2D : 4D-Verhältnis für eine geringere
vorgeburtliche Testosteronlast [24 ], [25 ], [26 ].
Eigene Studien wie auch Berichte von unabhängigen Forschergruppen deuten an, dass
mütterlicher Stress sowie Alkohol- und Tabakkonsum während der Schwangerschaft zu
erhöhter intrauteriner Testosteronlast des Kindes führen [27 ], [28 ], [29 ], [30 ]. Parallel ist bekannt, dass erhöhte vorgeburtliche Testosteronexposition mit Erkrankungen
über die Lebensspanne assoziiert ist. Im Tiermodell verursacht vorgeburtliche Testosteronexposition
bis ins Erwachsenenalter anhaltende Gehirnveränderungen und erhöht den Alkoholkonsum
[31 ], [32 ]. Es verwundert daher nicht, dass eine hohe vorgeburtliche Testosteronlast (beim
Menschen u. a. erfasst mit Biomarkern wie dem 2D : 4D-Verhältnis) mit einer ganzen
Reihe von Beeinträchtigungen über die Lebensspanne assoziiert ist. Dazu zählen beispielsweise
ein schlechterer allgemeiner Gesundheitszustand [33 ], Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter [34 ], aggressionsbedingte Verletzungen [35 ], [36 ], die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung [37 ], Videospielsucht [38 ], süchtige Nutzung sozialer Netzwerke [39 ], Suizide [40 ], [41 ], [42 ], Autismus [43 ], [44 ], Prostatakarzinome [45 ], primäre Hirntumoren [46 ] sowie Binge-Drinking und Alkoholabhängigkeit [29 ], [47 ], [48 ], [49 ]. Abschließend gibt es erste Hinweise darauf, dass ein kleineres 2D : 4D-Verhältnis
als Surrogatmarker für eine höhere vorgeburtliche Testosteronexposition auch mit einer
kürzeren Lebenserwartung assoziiert ist [41 ], [49 ].
Modell zum Einfluss mütterlichen Verhaltens während der Schwangerschaft auf die lebenslange
Gesundheit der Kinder
Die in den Vorabschnitten beschriebenen Zusammenhänge lassen vermuten, dass mütterlicher
Stress sowie Alkohol- und Tabakkonsum während der Schwangerschaft die kindliche Testosteronexposition
erhöht und damit lebenslang die Gesundheit der Kinder beeinflusst ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Forschungsmodell zum Einfluss mütterlichen Verhaltens während der Schwangerschaft
auf die lebenslange Gesundheit der Kinder. 2D : 4D-Verhältnis: Zeige-/Ringfingerlängenverhältnis.
Für dieses Modell gibt es zwar die oben eingeführten indirekten Hinweise. Unklar bleibt
bisher jedoch, ob es sich dabei um kausale Zusammenhänge handelt, die sich tatsächlich
für die Etablierung präventiver Ansätze eignen. Außerdem können mögliche Effektstärken
entsprechender Interventionen auf die spätere Gesundheit bisher nur vermutet werden.
Vor diesem Hintergrund ist die Durchführung der prospektiven und kontrollierten App-basierten
MINDFUL/PMI (Maternal Health and Infant Development in the Follow-up after Pregnancy
and a Mindfulness Intervention) Studie zur achtsamkeitsorientierten Stressreduktion
und Verminderung von Alkohol- und Tabakkonsum in der Schwangerschaft mit dem Ziel
der Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern geplant.
Achtsamkeit in der Schwangerschaft
Achtsamkeit ist eine wirksame Methode zur Stressreduktion und zur Verminderung von
Alkohol- und Tabakkonsum. Entsprechende Trainingsmethoden fördern eine achtsame Grundhaltung,
d. h., beispielsweise absichtsvoll und nicht wertend im gegenwärtigen Moment zu sein.
In einigen Studien wurde bereits gezeigt, dass sich Achtsamkeitstraining und verwandte
Methoden eignen, das Stress- und Angstniveau in der Schwangerschaft mit darüber hinaus
anhaltenden Effekten zu vermindern [50 ], [51 ], [52 ], [53 ] und die neonatale Gesundheit zu verbessern [10 ], [54 ]. Hohe Achtsamkeit korreliert zudem mit weniger Alkohol- und Tabakkonsum [55 ] und achtsamkeitsbasierte Methoden reduzieren schweren Konsum [56 ]. Es gibt Evidenz für eine hohe Adhärenz zu Achtsamkeitsmethoden bei schwangeren
Frauen [53 ]. Zur Steigerung der Verfügbarkeit des Achtsamkeitsprogramms und zur Unterstützung
des häuslichen Trainings und der Übernahme ins alltägliche Leben soll die Achtsamkeitsintervention
in Form einer App etabliert und der Effekt validiert werden.
Mütterliche Gesundheit und „Fetal Programming“
Unter „Fetal Programming“ versteht man die Prägung des Feten im Mutterleib und in
der Perinatalperiode durch verschiedene Einflüsse, sodass im Jugend- und Erwachsenenalter
Erkrankungen, wie beispielsweise Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen, vermehrt
auftreten. Es gibt einige Belege dafür, dass epigenetische Mechanismen dabei eine
wesentliche Rolle spielen könnten [57 ]. Kinder von Müttern mit Präeklampsie weisen beispielsweise vermehrt Ernährungsprobleme,
endokrine Erkrankungen und metabolische Störungen auf [58 ]. Ebenso kann eine Hyperemesis gravidarum neurologische Entwicklungsverzögerungen
bei den Kindern verursachen [59 ]. Daneben beeinträchtigen Erkrankungen in der Schwangerschaft auch den Verlauf von
Geburt und Wochenbett. Depressive Symptome der Mutter während der Schwangerschaft
sind beispielsweise mit einer erhöhten Kaiserschnittrate und einem geringeren Geburtsgewicht
assoziiert [60 ]. Die Entwicklung einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung hat nicht nur akut
in der Schwangerschaft Folgen für Mutter und Kind. Nach einer Präeklampsie haben Mütter
ein erhöhtes Langzeitrisiko für arterielle Hypertonie, Diabetes und zerebrovaskuläre
Erkrankungen [61 ].
Daher sollen in der MINDFUL/PMI-Studie neben der zu erwartenden Wirkung von Achtsamkeit
auf Stress, Alkohol- und Tabakkonsum sowie depressive Symptome bei den schwangeren
Frauen auch Effekte auf die Schwangerschaft, die Entbindung und auf epigenetische
Muster untersucht werden. Die Anwendung von Achtsamkeit in der Schwangerschaft könnte
einen präventiven Ansatz zur Verminderung der perinatalen und langfristigen Morbidität
bieten.
Fragestellung und Studienziel
Im Rahmen des MINDFUL/PMI-Forschungsprojekts soll ein achtsamkeitsorientiertes App-basiertes
Programm zur Reduktion von Stress sowie zur Verminderung von Alkohol- und Tabakkonsum
bei schwangeren Frauen etabliert und der Effekt dieses Programms auf die kindliche
pränatale Testosteronlast validiert werden. Die pränatale Testosteronexposition soll
mit dem 2D : 4D-Verhältnis und weiteren Biomarkern bei den 1-jährigen Kindern erhoben
werden. Außerdem soll untersucht werden, wie sich das Programm auf die Selbstregulation,
den Entwicklungstand und die psychische Gesundheit der Kinder mit einem Jahr auswirkt.
Unterschiedliche Aspekte des Schwangerschafts- und Geburtsverlaufs stellen weitere
explorative Studienziele dar.
Bei dieser Studie handelt es sich um Teilprojekt 3 des vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) geförderten „IMAC-Mind“-Konsortiums („IMAC-Mind: Verbesserung
der psychischen Gesundheit und Verringerung von Suchtgefahr im Kindes- und Jugendalter
durch Achtsamkeit: Mechanismen, Prävention und Behandlung, TP3: Reduktion von Stress,
Alkohol- und Tabakkonsum schwangerer Frauen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit
bei den Kindern“; BMBF-Förderkennzeichen des Teilprojekts 01GL1745C). Übereinstimmend
mit den förderpolitischen Zielen der BMBF-Initiative „Gesund – ein Leben lang“ wird
in dieser Studie ein neuartiges Konzept zur Anwendung während der pränatalen Entwicklungsphase
mit der Absicht der anhaltenden Gesundheitsförderung und Prävention im weiteren Leben
entwickelt. So können bereits im Mutterleib das spätere Erkrankungsrisiko gesenkt
und die Weichen für ein gesundes Leben gestellt werden. Es handelt sich um ein interdisziplinäres
und mehrere Lebensphasen übergreifendes Projekt.
MINDFUL/PMI-Studie: Zusammenfassung der Studiendurchführung
Studiendesign
Bei der MINDFUL/PMI-Studie handelt es sich um ein monozentrisches, prospektives, kontrolliertes
und untersucherverblindetes Forschungsprojekt ([Abb. 2 ]) am Universitätsklinikum Erlangen. Es ist geplant, dass 312 schwangere Frauen teilnehmen.
Diese werden in die achtsamkeitsorientierte Experimental- oder die schwangerschaftsedukative
Kontrollgruppe randomisiert. Damit sind für jede Gruppe 156 Schwangere vorgesehen.
Abb. 2 Studiendesign. Die Stress- und Achtsamkeitsniveaus zur Stratifikation werden mit
den deutschen Versionen der Perceived Stress Scale (PSS-10) [62 ] und der Mindful Attention and Awareness Scale (MAAS) [63 ] erfasst. 2D : 4D-Verhältnis: Zeige-/Ringfingerlängenverhältnis, TEOAEs: transient
evozierte otoakustische Emissionen.
Studienziel
Das primäre Studienziel ist der Vergleich des kindlichen 2D : 4D-Verhältnisses (als
Marker für intrauterine Testosteronexposition) zwischen den beiden Randomisationsarmen.
Bei den Frauen der achtsamkeitsorientierten Experimentalgruppe wird als gemessener
Endpunkt ein größeres 2D : 4D-Verhältnis des Kindes im Alter von 11 – 12 Monaten erwartet
als in der schwangerschaftsedukativen Kontrollgruppe. [Tab. 1 ] zeigt einen Auszug der sekundären und explorativen Studienziele.
Tab. 1 Sekundäre und explorative Studienziele (Auszug).
TEOAEs: transient evozierte otoakustische Emissionen
sekundäre Studienziele
In der achtsamkeitsorientierten Experimentalgruppe ist/sind im Vergleich zur schwangerschaftsedukativen
Kontrollgruppe …
die Fähigkeit zur Selbstregulation, der Entwicklungsstand und die psychische Gesundheit
des 11 – 12 Monate alten Säuglings positiv beeinflusst.
die kindliche anogenitale Distanz verkürzt und die Stärke der kindlichen TEOAEs erhöht.
selbstberichteter mütterlicher Stress, depressive Symptome, Schwangerschaftsängste
und Alkohol- sowie Tabakkonsum reduziert.
Kortisol, Kotinin- und Ethylglucuronidspiegel im mütterlichen Haar reduziert.
die selbstberichtete Achtsamkeit der Mütter erhöht.
ein positiver Einfluss auf Schwangerschafts- und Geburtsverlauf nachweisbar.
explorative Studienziele
Es soll gezeigt werden, dass die Teilnahme an der achtsamkeitsorientierten Experimentalgruppe
im Vergleich zur schwangerschaftsedukativen Kontrollgruppe …
eine Veränderung des Body-Mass-Index in der Schwangerschaft und im 1. Jahr nach Entbindung
bewirkt.
das Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, ein zu niedriges Geburtsgewicht,
Frühgeburtlichkeit und Gestationsdiabetes senkt.
den Verlauf von Biomarkern und Hormonen in Schwangerschaft und Wochenbett verändert.
den Immunstatus in der Schwangerschaft verändert.
sich auf Immunzellen der Mutter und epigenetische Muster in den kindlichen Zellen
auswirkt.
Randomisation
Die Schwangeren werden bei Studieneinschluss nach Stratifikation (Nullipara vs. ≥
Primapara, hohes Stressniveau vs. niedriges Stressniveau (deutsche Version der Perceived
Stress Scale [PSS-10] [62 ]), hohe Achtsamkeit vs. niedrige Achtsamkeit (deutsche Version der Mindful Attention
and Awareness Scale [MAAS] [63 ]) 1 : 1 in die folgenden Gruppen randomisiert und nehmen an einem Programm bestehend
aus App-Inhalten (siehe exemplarische Screenshots der App in [Abb. 3 ]) und Direktkontakten teil. [Tab. 2 ] zeigt die Ein- und Ausschlusskriterien.
Tab. 2 Ein- und Ausschlusskriterien.
2D : 4D-Verhältnis: Zeige-/Ringfingerlängenverhältnis
Einschlusskriterien
schwangere Frauen,
die zwischen der 8 + 0 bis 14 + 0 Schwangerschaftswoche sind,
die mindestens 18 Jahre und maximal 50 Jahre alt sind,
die die Einverständniserklärung unterschrieben haben,
die bereit sind, an den Untersuchungen (Blut-/Urinuntersuchungen, Messung des 2D : 4D-Verhältnisses
und der Herzratenvariabilität, Fragebögen, Untersuchung des Kindes, usw.) teilzunehmen,
die mit der App-Nutzung einverstanden sind,
bei denen zum Einschlusszeitpunkt eine unauffällige Schwangerschaft vorliegt.
Ausschlusskriterien
Mehrlingsschwangerschaft
manifeste Verständnisprobleme beim Aufklärungsgespräch
schwerwiegende psychiatrische Vorerkrankung
anamnestisch negative oder fehlende Effekte von Achtsamkeitsübungen
Abb. 3 Exemplarische Screenshots der App. a Login-Seite der App, b Information zum Thema Datenschutz, c Beispiel zur Erfassung von Stress über Auswahlkategorien mit der Perceived Stress
Scale (PSS-10) [62 ], d Beispiel einer Abfrage mit kontinuierlicher Skala, e Übersicht über die Interventionen und Audiofiles zum Anklicken und Öffnen.
Achtsamkeitsorientierte Experimentalgruppe: Die Teilnehmerinnen erhalten Zugang zu
einer selbstentwickelten und an die Anliegen schwangerer Frauen angepassten App mit
Achtsamkeitsübungen auf Basis des von Jon Kabat-Zinn in den 1980/90er-Jahren in Worcester
(USA) entwickelten Mindfulness-Based-Stress-Reduction-(MBSR-)Programms [64 ], [65 ], [66 ]. In 3 Direktkontakten werden die Studienprobandinnen in das Thema Achtsamkeit eingeführt
und bekommen zusätzliches Coaching. Über die App nehmen sie ca. 2 × pro Woche an einer
App-basierten Visite teil, bei der über durchschnittlich 10-minütige Audioaufnahmen
Achtsamkeitsübungen vermittelt werden und Psychoedukation zu Achtsamkeit und Stress
stattfindet. Diese Audioaufnahmen können wiederholt abgespielt und angehört werden.
Es sind verschiedene achtsame Bewegungsmeditationen, achtsame Sitzmeditationen und
2 unterschiedlich lange Körperscans enthalten. In der Psychoedukation geht es um die
achtsame Haltung im Alltag, die Unterscheidung zwischen körperlichen Empfindungen,
Emotionen und Gedanken, die Tendenz des Geistes, sich in Gedanken zu verlieren, und
die Nutzung des Atems zur Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment.
Die Teilnehmerinnen sollen sich 2 – 7 × pro Woche für 5 – 10 Minuten mit dem Thema
Achtsamkeit beschäftigen.
Schwangerschaftsedukative Kontrollgruppe: Die Teilnehmerinnen der schwangerschaftsedukativen
Kontrollgruppe erhalten ebenfalls Zugang zu einer selbstentwickelten App. Diese bietet
mit gleicher Frequenz und Dauer und gleichem Layout wie in der achtsamkeitsorientierten
Experimentalgruppe (ca. 2 × pro Woche durchschnittlich 10-minütige Audioaufnahmen)
Audiofiles mit Informationen zu Schwangerschaft, Entbindung, Wochenbett und Stillen
an. Auch in der Kontrollgruppe erfolgen 3 Direktkontakte. Es werden sowohl allgemeine
Informationen zur Entwicklung des Embryo und Feten zu bestimmten Zeitpunkten der Schwangerschaft
als auch zum Mutterpass, den regulären Untersuchungen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge,
zu Schwangerschaftserkrankungen und den zusätzlich möglichen Untersuchungen (z. B.
Ersttrimesterscreening, cfDNA, Organscreening, oraler Glukosetoleranztest, Screening
auf Streptokokken der Gruppe B) gegeben. Zusätzlich werden die Themen Ernährung, Sport
und Verhaltensweisen bei Reisen angesprochen und die Felder Entbindungsmodus und Schmerztherapie
während der Geburt erklärt. Den Abschluss bilden Informationen zum Stillen und Wochenbett.
Gesamtstudiendauer
Die Gesamtdauer der Studie setzt sich zusammen aus der Vorbereitungsphase mit Beginn
im 1. Quartal 2016, der aktiven Studienphase mit Einschluss von Schwangeren voraussichtlich
ab dem 4. Quartal 2018 bis zum 2. Quartal 2020, der aktiven Studienphase mit der Untersuchung
der Kinder vom 1. Quartal 2020 bis zum 4. Quartal 2021 und der Datenanalyse, Auswertung
und Nachbereitung im 4. Quartal 2021 und 1. Quartal 2022.
Individueller Studienablauf und Messverfahren
Die Studie besteht aus einem 15-wöchigen Programmteil mit 3 Direktvisiten in der Schwangerschaft
und 2 postpartalen Direktvisiten zur Erhebung der Studienendpunkte. Diese sind mit
den Visiten V1, V15, V29, V30 und V31 benannt ([Tab. 3 ]). Zudem werden den Teilnehmerinnen der achtsamkeitsorientierten Experimentalgruppe
im Rahmen der App ca. 2 × pro Woche Achtsamkeitsübungen angeboten. Diese sollen von
den Teilnehmerinnen 2 – 7 × pro Woche durchgeführt werden. Die Teilnehmerinnen der
schwangerschaftsedukativen Kontrollgruppe erhalten in gleicher Weise ca. 2 × pro Woche
Informationen über die Schwangerschaft und Entbindung per App. Die per App zur Verfügung
gestellten Visiten A2 bis A14 und A16 bis A28 erfolgen zwischen V1 und V15 sowie zwischen
V15 und V29. Die Teilnehmerinnen der achtsamkeitsorientierten Experimentalgruppe werden
jede Woche per App befragt, wie lange sie in der Vorwoche Achtsamkeit geübt haben.
Zudem wird bei einem Teil der Schwangeren jede Woche die Herzratenvariabilität mit
einer Smartphone-Kamera-App gemessen [67 ].
Tab. 3 Studienmaßnahmen (Auszug).
Visiten
Screening
V1
V15
V29
V30
V31
Zeitpunkt
Tag 1 (8. – 14. SSW)
Tag 53 ± 7 Tage
Tag 105 ± 7 Tage
Geburt bis + 14 Tage
11 – 12 Monate postpartal
Die Tabelle zeigt die Direktvisiten V1, V15, V29, V30 und V31 mit einem Auszug der
Studienmaßnahmen und den vorgesehenen Erhebungsinstrumenten.
Mutter: Stress: deutsche Version der Perceived Stress Scale (PSS-10) [62 ]; Alkoholkonsum: adaptierte Version des Alcohol Use Disorder Identification Tests
(AUDIT-C) [68 ] und Nikotinkonsum: adaptierte Version eines Rauchfragebogens des Robert Koch-Instituts
Berlin [69 ], zudem eine für die Schwangerschaft modifizierte Timeline-Followback-Erhebung [70 ]; Achtsamkeit: deutsche Version der Mindful Attention and Awareness Scale (MAAS)
[63 ]; Depression: deutsche Version der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) [71 ], [72 ]; Schwangerschaftsängste: Pregnancy-Related Anxiety Questionnaire (PRAQ-R2) [73 ].
Kind: Selbstregulationsfähigkeit: Infant Behavior Questionnaire Revised (IBQ-R) [74 ], [75 ]; Entwicklungsstand: Bayley Scales of Infant and Toddler Development – Third Edition
[76 ]; Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten: Child-Behavior Checklist (CBCL 1.5 – 5.0)
[77 ].
SSW: Schwangerschaftswoche
Ein-/Ausschlusskriterien
X
X
Schriftliche Einwilligung nach Aufklärung
X
Randomisierung
X
Erfassung von
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
direkte Intervention
X
X
X
Messung von Ethylglucuronid in Haaren und Mekonium
X
X
Blutentnahme Mutter
X
X
X
X
X
Messung von Kotinin/Kortisol in den mütterlichen Haaren
X
X
Entnahme von Plazentagewebe und Nabelschnurblut
X
Mundschleimhautabstrich beim Kind
X
X
Biomarker für pränatale Testosteronexposition
X
X
maternales Mikrobiom (Stuhlprobe)
X
Selbstregulationsfähigkeit, Entwicklungsstand und Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten
des Kindes
X
Statistische Überlegungen und Fallzahlkalkulation
Der primäre Endpunkt, das 2D : 4D-Verhältnis, wird mittels eines multiplen linearen
Regressionsmodells mit den Prädiktoren Studienarm, kindliches Geschlecht (weiblich,
männlich) und weiteren Prädiktoren ausgewertet. Das kindliche Geschlecht wird berücksichtigt,
da Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu erwarten sind. Studienteilnehmerinnen
mit fehlenden Zielvariablenwerten werden ausgeschlossen. Fehlende Prädiktorwerte werden
basierend auf den vorhandenen Werten der übrigen Studienteilnehmerinnen imputiert.
Die Analyse der sekundären Studienziele erfolgt analog. Es sind keine Zwischenauswertungen
geplant.
Die Fallzahlschätzung ergab bei der Annahme eines standardisierten Gruppenunterschieds
von Cohenʼs d = 0,35 für den primären Endpunkt 260 Studienteilnehmerinnen (Signifikanzniveau
0,05, Power 0,80). Bei einer angenommenen Ausfallrate von 15% ergibt sich eine finale
Fallzahl von 312 Teilnehmerinnen. Es wird erwartet, dass die achtsamkeitsorientierte
Experimentalgruppe im Vergleich zur schwangerschaftsedukativen Kontrollgruppe ein
Cohenʼs d = 0,40 für die kindliche Selbstregulation (sekundäres Studienziel) erreicht.
In diesem Fall liegt die statistische Power für das sekundäre Studienziel bei 89%.
Ethische Aspekte und Studienregistrierung
Für das Studienprojekt liegt eine zustimmende Bewertung der Ethik-Kommission der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU) vor (Antrag Nummer: 58_18 B). Die Durchführung erfolgt unter
Beachtung der Grundsätze der Deklaration von Helsinki (2013 in Fortaleza, Brasilien,
revidierte Fassung) und der ICH-GCP-Leitlinien (Deutsches Register Klinischer Studien;
www.drks.de ; DRKS00014920).