Schlüsselwörter
Schwangerschaft - Lebensstil - Präkonzeption - Ernährung - Bewegung
Einleitung
Die ersten 1000 Tage ab der Konzeption gelten als ein sensitives Zeitfenster, in dem die Gesundheit des Kindes geprägt und das Risiko für spätere, nicht übertragbare Krankheiten modifiziert werden kann [1]. Die Bedeutung eines gesunden Lebensstils mit ausgewogener Ernährung und Bewegung in dieser Lebensphase ist ein wichtiger Baustein zur Prävention dieser Krankheiten und wird u. a. durch das Nationale Gesundheitsziel „Rund um die Geburt“ von 2017 [2] unterstrichen.
In Deutschland ist etwa ein Drittel der Frauen im gebärfähigen Alter von Übergewicht oder Adipositas betroffen [5]. Adipositas reduziert die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption [6] und ist u. a. mit einem höheren Risiko für Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, kindliche Fehlbildungen, Früh- und Fehlgeburten, ein hohes kindliches Geburtsgewicht und für späteres Übergewicht des Kindes assoziiert [6], [7]. Bei 13% der schwangeren Frauen wurde 2014/15 im Rahmen des Screenings ein Gestationsdiabetes diagnostiziert [8]. Etwa 11% der Mütter von 0- bis 6-jährigen Kindern gaben in der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) an, während der Schwangerschaft geraucht zu haben [11]. Es wird geschätzt, dass etwa 0,2 – 8 von 1000 Neugeborenen in Deutschland jährlich mit einem fetalen Alkoholsyndrom auf die Welt kommen. Von einer fetalen Alkoholspektrumstörung sind weitaus mehr Kinder betroffen [12].
Ein gesunder Lebensstil beugt Risiken für Schwangerschaftskomplikationen vor und trägt dazu bei, die Gesundheit von Mutter und Kind zu erhalten. Besonders in dieser Lebensphase sind werdende Eltern[
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] oft hochmotiviert, ihren Lebensstil zu optimieren und zugänglich für entsprechende Empfehlungen. Weniger bewusst ist Frauen und Paaren mit Kinderwunsch, dass ihr Lebensstil die Fertilität, den Schwangerschaftsverlauf und auch die spätere Gesundheit des Kindes beeinflusst.
Die Empfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben sollen zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil beitragen und damit die Gesundheit von Müttern und Kindern fördern und langfristig Übergewicht und den damit verbundenen Krankheiten vorbeugen. 2012 sind die bundesweiten Handlungsempfehlungen zur Ernährung in der Schwangerschaft vom Netzwerk Gesund ins Leben [13] erstmals erschienen. Die hier vorliegende aktualisierte Fassung wurde um Empfehlungen für die Zeit vor der Schwangerschaft und rund um die Konzeption erweitert.
Sie soll Gynäkologinnen und Gynäkologen, Hebammen und Entbindungspflegern, Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten sowie Angehörigen anderer Gesundheitsberufe als Grundlage für die Beratung zu einem gesunden Lebensstil dienen.
Gesund ins Leben ist ein Netzwerk von Institutionen, Fachgesellschaften und Verbänden, die sich mit jungen Familien befassen. Das Ziel ist, Eltern einheitliche Botschaften zur Ernährung und Bewegung zu vermitteln, damit sie und ihre Kinder gesund leben und aufwachsen.
Das Netzwerk Gesund ins Leben ist Teil der Initiative IN FORM und angesiedelt im Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), eine Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
Methoden
Für die Aktualisierung der Empfehlungen zur Ernährung in der Schwangerschaft [13] und die Erweiterung um Empfehlungen für Frauen mit Kinderwunsch wurden 2017 die Empfehlungen von nationalen und internationalen Fachorganisationen und -institutionen mit Blick auf Aussagen zu Ernährung, Bewegung, Lebensstil und Gesundheit von Frauen mit Kinderwunsch und schwangeren Frauen recherchiert und auf ihre Aktualität geprüft.
Ergänzend wurden in PubMed, Cochrane Library und Google Scholar Literaturrecherchen durchgeführt[
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] und zwischen 2012 und Mitte 2017 publizierte Metaanalysen, systematische Reviews, Leitlinien und einschlägige Publikationen durch die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats (vgl. Autorenliste) bewertet. Die Aspekte Lebensstil vor der Konzeption, körperliche Aktivität vor und in der Schwangerschaft und Gewichtsempfehlungen für die Schwangerschaft wurden zudem mit weiteren ausgewiesenen Expertinnen und Experten sowie Praktikern (siehe Seite 1275) aus den entsprechenden Fachdisziplinen in Arbeitsgruppen diskutiert. Auf dieser Grundlage wurden die vorliegenden Empfehlungen vom wissenschaftlichen Beirat im Konsens formuliert. Eine darüber hinausgehende systematische Literaturrecherche und Evidenzbewertung wurde aufgrund dafür nicht ausreichender finanzieller Ressourcen nicht durchgeführt. Die formulierten Kernaussagen entsprechen dem Evidenzniveau einer Expertenempfehlung unter besonderer Berücksichtigung aggregierter Evidenzquellen. Ihre Formulierungsweise ist angelehnt an die von Leitlinien. Dabei weist „soll“ auf eine starke, „sollte“ auf eine mäßig starke und „kann“ auf eine offene Empfehlung hin. Der jeweilige Abschnitt „Grundlagen der Empfehlungen“ macht ihre Herleitung transparent.
Diese Handlungsempfehlungen wurden von den Gremien der Verbände Berufsverband der Frauenärzte (BVF), dem Deutschen Hebammenverband (DHV), dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sowie von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) und Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) geprüft und von diesen Organisationen unterstützt.
Allgemeine Empfehlung
Empfehlung
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Berufsgruppen, die Frauen im gebärfähigen Alter, insbesondere Frauen mit konkretem Kinderwunsch, sowie schwangere Frauen betreuen, sollen sie zu ausgewogener Ernährung, körperlicher Aktivität und zu einem gesunden Lebensstil ermutigen und beraten.
Frauen/Paaren mit Kinderwunsch und werdenden Eltern ist häufig nicht bewusst, dass sie durch ihre Ernährung und ihren Lebensstil nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern auch die ihrer Kinder langfristig beeinflussen können [3], [4], [14]. Der Lebensstil einer werdenden Familie wird durch beide Partner beeinflusst. Fachkräfte sollen Frauen im gebärfähigen Alter und ihre Partner, Frauen/Paare mit Kinderwunsch und werdende Eltern über die langfristige Bedeutung eines gesunden Lebensstils aufklären und wissen, dass etwa ein Drittel der Schwangerschaften ungeplant oder nicht zu dem Zeitpunkt gewollt sind [15].
Körpergewicht vor der Konzeption und Gewichtsentwicklung in der Schwangerschaft
Körpergewicht vor der Konzeption und Gewichtsentwicklung in der Schwangerschaft
Empfehlungen
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Schon vor der Schwangerschaft ist eine bestmögliche Annäherung des Körpergewichts an ein Normalgewicht wünschenswert.
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Eine angemessene Gewichtszunahme in der Schwangerschaft liegt für normalgewichtige Frauen etwa zwischen 10 und 16 kg.
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Bei Übergewicht und Adipositas ist eine geringere Gewichtszunahme in der Schwangerschaft wünschenswert.
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Bei untergewichtigen Frauen sollte auf eine ausreichende Gewichtszunahme in der Schwangerschaft geachtet werden.
Grundlagen der Empfehlungen
Metaanalysen und systematische Reviews unterstreichen, dass sowohl Übergewicht als auch Untergewicht der Frau vor der Konzeption mit einem höheren Gesundheitsrisiko assoziiert sind als Normalgewicht [16], [17], [18], [19], [20]. Die Empfehlung, das Körpergewicht vor der Schwangerschaft in Richtung Normalgewicht zu verändern, steht im Einklang mit internationalen [4] wie nationalen Empfehlungen [21], [22]
Eine Gewichtszunahme zwischen 10 und 16 kg ist bei normalgewichtigen Frauen mit einem geringen Risiko für fetale und mütterliche Komplikationen assoziiert [25], [26], [27]. Das Risiko steigt bei einer höheren Gewichtszunahme [28], besonders wenn die Frau mit Übergewicht oder Adipositas in die Schwangerschaft geht [29]. Deshalb wird für übergewichtige und adipöse Frauen eine Gewichtszunahme bis etwa 10 kg als ausreichend angesehen. Eine generelle Empfehlung zur Mindestgewichtszunahme bei untergewichtigen Frauen kann nicht gegeben werden. Insgesamt ist die Evidenz zu inkonsistent, um exakte Ober- und Untergrenzen für die empfehlenswerte Gewichtszunahme in der Schwangerschaft abhängig vom präkonzeptionellem Body-Mass-Index (BMI) zu definieren. International besteht kein Konsens zu Empfehlungen zur Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, vor allem nicht für übergewichtige und adipöse Frauen [30], [31].
Hintergrundinformationen
In Deutschland sind 30% der 18 – 29-jährigen Frauen übergewichtig oder adipös, 38% der 30 – 39-jährigen und 46% der 40 – 49-jährigen (DEGS1) [5]. Untergewichtig sind nur bis zu 4,5% der Frauen dieser Altersgruppen [5]. Übergewicht/Adipositas vor der Schwangerschaft und auch eine hohe Gewichtszunahme in der Schwangerschaft (häufig definiert als Gewichtszunahme über der Empfehlung des Institute of Medicine [IOM], siehe unten) waren in Beobachtungsstudien mit erhöhtem Auftreten von Schwangerschaftsdiabetes, Bluthochdruck und Geburtskomplikationen [16], [18], [19], fetaler Makrosomie [20], hohem Geburtsgewicht für das Gestationsalter (large for gestational age; LGA) und späterem Übergewicht des Kindes und damit einhergehenden Komplikationen assoziiert [19], [32], [33], [34]. Mütterliches Übergewicht und Adipositas zu Beginn der Schwangerschaft sind mit kürzerer Lebenserwartung des Kindes assoziiert [35]. Untergewicht in der Schwangerschaft war mit häufigeren Frühgeburten, Fehlgeburten und niedrigem Geburtsgewicht assoziiert [17], [36], [37], [38]. Es ist deshalb wünschenswert, dass sowohl über- als auch untergewichtige Frauen vor der Schwangerschaft eine Annäherung an das Normalgewicht erreichen. Die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ist durch eine hohe Variabilität gekennzeichnet [23], [24] und hat eine geringere prädiktive Bedeutung als der BMI zu Beginn der Schwangerschaft.
Für Frauen mit Adipositas kann sich bereits eine Gewichtsabnahme um 5 bis 10% des Ausgangsgewichts vor einer Schwangerschaft signifikant positiv auf die Gesundheit auswirken und zudem die Chance erhöhen, schwanger zu werden [22]. Welche therapeutischen Maßnahmen (ggf. auch bariatrische Chirurgie) bei stark adipösen Frauen zur Gewichtsreduktion als Vorbereitung auf eine Schwangerschaft infrage kommen, muss im Rahmen einer ärztlichen Beratung auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und Leitlinien individuell entschieden werden [39], [40], [41].
Normalerweise tritt erst ab dem 2. Schwangerschaftsdrittel eine deutliche Gewichtszunahme ein. Werdende Mütter sollten über die Ursachen der Gewichtszunahme und die Risiken von Adipositas oder einer übermäßigen Gewichtszunahme aufgeklärt werden. Reduktionsdiäten in der Schwangerschaft werden wegen Sicherheitsbedenken nicht empfohlen.
Das amerikanische Institute of Medicine (IOM) [27] empfiehlt eine unterschiedliche Gewichtszunahme für schwangere Frauen je nach BMI zu Schwangerschaftsbeginn [27]. Diese Empfehlungen beruhen auf epidemiologischen Assoziationsstudien bei amerikanischen und dänischen Frauen. Die Empfehlungen wurden von einigen Ländern, wie z. B. Italien, Dänemark oder Schweiz, – teilweise mit geringen Abweichungen – übernommen. Da sich die vom IOM empfohlenen Gewichtsbereiche in anderen internationalen [42] und nationalen epidemiologischen Studien [24], [43] nicht bestätigen ließen und durch die Ergebnisse von einigen wenigen Interventionsstudien zur Veränderung des Lebensstils bei normal- und übergewichtigen/adipösen Frauen [44], [45], [46], [47] nicht gestützt werden, wird ihre Anwendung im klinischen Alltag hier und von anderen Expertengruppen nicht empfohlen [13], [22] (vgl. auch Suppl. Tab. S1).
Auch die Erhöhung des Risikos für späteres Übergewicht beim Kind durch eine hohe mütterliche Gewichtszunahme in der Schwangerschaft wird diskutiert, doch hat weniger die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft als vor allem das Ausgangsgewicht der Mutter einen Einfluss auf das Übergewichtsrisiko und die Gesundheit des Kindes [48], [49], [50].
Energie- und Nährstoffbedarf in der Schwangerschaft
Energie- und Nährstoffbedarf in der Schwangerschaft
Empfehlungen
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Schwangere Frauen sollten besonders auf die Qualität ihrer Ernährung achten. Im Verhältnis zum Energiebedarf steigt der Bedarf an einzelnen Vitaminen und Mineralstoffen/Spurenelementen in der Schwangerschaft deutlich stärker.
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Der Energiebedarf steigt im Verlauf der Schwangerschaft nur leicht an. Schwangere sollten erst in den letzten Monaten der Schwangerschaft ihre Energiezufuhr nur geringfügig (bis zu ca. 10%) steigern.
Grundlage der Empfehlungen
Die Empfehlungen berücksichtigen den rechnerisch ermittelten Energiemehrbedarf, der Grundlage für internationale und nationale Referenzwerte ist [4], [25], [51], [52], sowie die vor allem im 3. Trimester meist deutlich zurückgehende körperliche Aktivität [53].
Hintergrundinformationen
Eine hochkalorische Ernährung kann sich ungünstig auf den Schwangerschaftsverlauf und auf die kindliche Gesundheit auswirken [54], [55], [56], [57]. Häufig überschätzen Schwangere ihren tatsächlichen Energiemehrbedarf. Der Energieverbrauch steigt vor allem durch den Energiebedarf für die Gewebebildung und das fetale Wachstum. Rein rechnerisch ergibt sich für eine normalgewichtige Frau und eine Gewichtszunahme in der Schwangerschaft von 12 kg ein zusätzlicher Energiebedarf von 76 530 kcal [58]. Daraus leitet sich der Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für eine zusätzliche Energiezufuhr von 250 kcal/d im 2. Trimester und 500 kcal/d im 3. Trimester bei unverminderter körperlicher Aktivität ab [52]. Die körperliche Aktivität geht jedoch meist erheblich zurück [59], [60], sodass bei vielen Frauen keine erhöhte Energiezufuhr benötigt wird.
Der Bedarf an einer Reihe von Vitaminen und Mineralstoffen steigt in der Schwangerschaft stärker als der Energiebedarf, zumeist ab dem 4. Monat [61]. Bei den Nährstoffen Folat und Jod wird eine deutlich erhöhte Zufuhr bereits ab Beginn bzw. vor der Schwangerschaft empfohlen [52]. Angaben zur empfohlenen Zulage für verschiedene Nährstoffe in der Schwangerschaft zeigt [Abb. 1]. Der Mehrbedarf an Vitaminen und Mineralstoffen kann meist – mit Ausnahme von Folat und Jod [52] (siehe Kapitel Supplemente) – durch eine geeignete Lebensmittelauswahl gedeckt werden. Die Einnahme von Supplementen kann eine ausgewogene Ernährungsweise nicht ersetzen. In der Beratung ist es sinnvoll, den Aspekt „für zwei denken, aber nicht für zwei (nicht das Doppelte) essen“ hervorzuheben und dies durch Lebensmittelbeispiele mit einer hohen Nährstoffdichte (Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Milchprodukte etc.) zu veranschaulichen.
Abb. 1 Nährstoffreferenzwerte – empfohlene Zulage nach DGE in der Schwangerschaft in % des Referenzwertes [52].
Ernährungsweise
Empfehlungen
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Die Ernährung vor und in der Schwangerschaft soll ausgewogen und abwechslungsreich sein. Sie sollte sich an den allgemeinen Empfehlungen für gesunde Erwachsene orientieren.
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In einer ausgewogenen Ernährung sollten die Lebensmittelgruppen unterschiedlich gewichtet werden:
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Reichlich sollten sowohl kalorienfreie Getränke als auch pflanzliche Lebensmittel (Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte) verzehrt werden.
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Mäßig sollten tierische Lebensmittel (Milch und Milchprodukte, fettarmes Fleisch und fettarme Wurstwaren, fettreiche Meeresfische und Eier) gegessen werden.
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Sparsam sollten Süßigkeiten, zuckerhaltige Getränke und Snackprodukte sowie Fette mit hohem Anteil gesättigter Fettsäuren (vor allem tierische Fette) und Öle verzehrt werden. Pflanzenöle (z. B. Raps- und Olivenöl) sollten als Fettquellen bevorzugt werden.
Grundlagen der Empfehlungen
Internationale [4], [19] und nationale [52], [62] Fachgesellschaften und -institutionen geben Empfehlungen zu einer ausgewogenen abwechslungsreichen Ernährung vor und während der Schwangerschaft, die sich an den allgemeinen Empfehlungen für Erwachsene orientieren [52], [63]. Die Datenlage ist unzureichend, um spezielle Ernährungsempfehlungen, z. B. zur Verbesserung der Fertilität, zu formulieren [64]. Für besondere Ernährungsweisen oder die Betonung bestimmter Makronährstoffe (Proteine, Kohlenhydrate, Fette) zur Gewichtsreduzierung bzw. Vermeidung einer exzessiven Gewichtszunahme in der Schwangerschaft liegt keine belastbare Evidenz vor [57], [65].
Hintergrundinformationen
Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Bewegung vor und während der Schwangerschaft wirken sich nicht nur kurzfristig positiv auf den Schwangerschaftsverlauf und die Entwicklung des Ungeborenen aus, sondern haben auch langfristig positive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Mutter und Kind [1], [4], [66]. Eine systematische Übersicht zeigte, dass durch Ernährungs- und Lebensstilinterventionen in der Schwangerschaft (bei normal-, übergewichtigen und adipösen Frauen) die Gewichtszunahme und das Risiko für Präeklampsie verringert werden kann, zudem wurde ein nicht signifikanter Trend zur Verringerung von Gestationsdiabetes, Bluthochdruck, Frühgeburten und intrauterinem Tod beobachtet [67]. In einer Interventionsstudie mit übergewichtigen Schwangeren, die ein erhöhtes Risiko für Gestationsdiabetes hatten, konnte durch wiederholte Ernährungs- und Bewegungshinweise eine angemessene Gewichtszunahme und geringere Abnahme der körperlichen Aktivität in der frühen Schwangerschaft erzielt werden [68]. In anderen Lebensstilinterventionen bei adipösen Schwangeren konnte keine Reduktion des Gestationsdiabetes erzielt werden [65]. Auch wenn die Datenlage nicht konsistent ist, empfiehlt es sich in der Beratung von Schwangeren, Ernährung und Bewegung wiederholt anzusprechen.
In einer Metaanalyse von 11 randomisierten Interventionsstudien (1985 schwangere Frauen, mittlerer BMI 21,5 – 32,4 kg/m2) war eine Ernährung mit niedrigem glykämischen Index mit niedrigeren Blutglukosekonzentrationen der Frauen (nüchtern und 2 Stunden postprandial) und einem niedrigeren Risiko für hohes Geburtsgewicht im Verhältnis zum Gestationsalter (LGA) assoziiert als bei einer Ernährung mit höherem glykämischen Index [69]. Ein systematischer Review von Beobachtungsstudien zeigte ein geringeres Risiko für Schwangerschaftsdiabetes bei einer Ernährung mit hoher Zufuhr an Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Nüssen, Hülsenfrüchten und Fisch; dagegen war eine Ernährung mit reichlich Fett, viel rotem Fleisch und Eiern mit einem höheren Risiko assoziiert [9].
Bedingt durch die physiologischen Veränderungen und das Wachstum der Gebärmutter (Magen und Darm werden zusammengedrängt) können über den Tag verteilte kleinere Mahlzeiten das Wohlbefinden der werdenden Mutter fördern.
Bei einer ausgewogenen Ernährung sind die Lebensmittelgruppen entsprechend den empfohlenen Verzehrhäufigkeiten und -mengen in „reichlich“, „mäßig“ und „sparsam“ gewichtet. Um trotz des nur gering erhöhten Energiebedarfs ausreichende Mengen an Vitaminen und Mineralstoffen aufzunehmen, sind Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte notwendig (hoher Gehalt an essenziellen Nährstoffen im Verhältnis zum Energiegehalt). Bei den Nährstoffen Folat und Jod könnte der erhöhte Bedarf theoretisch durch eine sehr gezielte Lebensmittelauswahl gedeckt werden [70], was in der Praxis jedoch kaum erreicht wird (siehe Kapitel „Supplemente“).
Für die Allgemeinbevölkerung und auch während der Schwangerschaft gilt ein Richtwert für die tägliche Trinkmenge von etwa 1,5 Litern [52]. Bei hohen Umgebungstemperaturen oder stärkerer körperlicher Betätigung ist eine größere Trinkmenge notwendig.
Der Verzehr von täglich mindestens 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst ist wünschenswert [63]. Getreideprodukte, besonders aus Vollkorngetreide, und Kartoffeln sind reich an Vitaminen, Mineralstoffen sowie Ballaststoffen. Auch Milch und Milchprodukte, die Eiweiß, Kalzium und Jod liefern, sind wichtige Bestandteile einer ausgewogenen Ernährung. Fleisch ist ein bedeutender Lieferant von Vitamin B12, Zink und Eisen. Eine Bevorzugung bestimmter Fleischarten ist für eine adäquate Eisenzufuhr nicht erforderlich, es sollten aber vor allem fettarme Fleisch- und Wurstwaren gewählt werden.
Durch wöchentlichen Verzehr von Fisch, insbesondere einer Portion fettreichem Meeresfisch (z. B. Makrele, Hering, Sardine), kann die in der Schwangerschaft zusätzlich empfohlene Menge der langkettigen Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) von mindestens 200 mg/d erreicht werden. (Fisch/DHA im Rahmen der Allergieprävention siehe Kapitel „Ernährung zur Allergieprävention beim Kind“). Ein hoher Verzehr an Raubfischarten (z. B. Thunfisch, Schwertfisch), die am Ende der maritimen Nahrungskette stehen und erhöhte Schadstoffgehalte aufweisen können, sollte aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes in der Schwangerschaft vermieden werden [52], [71]. Der regelmäßige Verzehr von Meeresfisch trägt ebenso wie Jodsalz zur Versorgung mit Jod bei. Salz sollte jedoch sparsam verwendet werden.
Vegetarische und vegane Ernährung in der Schwangerschaft
Vegetarische und vegane Ernährung in der Schwangerschaft
Empfehlungen
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Eine ausgewogene vegetarische Ernährung mit Verzehr von Milch(-produkten) und Eiern (ovolaktovegetarisch) kann grundsätzlich auch in der Schwangerschaft den Bedarf an den meisten Nährstoffen decken. Zur Absicherung ist eine gezielte Beratung zu empfehlen.
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Bei einer rein pflanzlichen (veganen) Ernährung soll die Versorgung mit kritischen Nährstoffen ärztlich überprüft werden und eine individuelle Ernährungsberatung erfolgen. Nicht nur Jod und Folsäure, sondern auch zusätzliche Mikronährstoffsupplemente (insbesondere Vitamin B12) sollen eingenommen werden, um einem Nährstoffmangel und daraus folgenden Schädigungen der kindlichen Entwicklung vorzubeugen.
Grundlagen der Empfehlungen
Die Studienlage zur vegetarischen und veganen Ernährung in der Schwangerschaft ist dürftig und teilweise widersprüchlich [72]. Die Empfehlungen lehnen sich daher an die allgemeinen Empfehlungen für eine ovolaktovegetarische Ernährung unter Beachtung der „kritischen“ Nährstoffe in der Schwangerschaft an [62], [73]. Eine nach mehrjähriger veganer Ernährung ohne Supplementierung aufgetretene Vitamin-B12-Unterversorgung kann neben hämatologischen und neurologischen Problemen der Mutter während der Schwangerschaft zu schwerer und dauerhafter Schädigung des kindlichen Nervensystems führen [74], [75], [76]
Hintergrundinformationen
Mit einer ausgewogenen und bewusst zusammengestellten ovolaktovegetarischen Ernährung ist eine ausreichende Nährstoffversorgung in der Schwangerschaft möglich, mit Ausnahme der generell in der Schwangerschaft zu supplementierenden Nährstoffe Folsäure und Jod und ggf. DHA.
Milch und Milchprodukte, Eier, Hülsenfrüchte und Getreideprodukte gewährleisten in der Regel eine ausreichende Eiweißzufuhr. Das Risiko für eine unzureichende Versorgung mit Eisen ist für Ovolaktovegetarierinnen erhöht [77], [78]. Hülsenfrüchte, (Vollkorn-)Getreideprodukte und einige Gemüsearten enthalten größere Mengen an Eisen, das allerdings weniger gut verfügbar ist als Eisen aus Fleisch und Fisch. Ein gleichzeitiger Verzehr von Vitamin-C-reichen Lebensmitteln (z. B. Zitrusfrüchte, Paprikaschoten) kann die Eisenaufnahme verbessern. Je nach ärztlich festgestelltem Eisenstatus ist ggf. Eisen zu supplementieren (siehe Kapitel „Supplemente“). Zu den kritischen Nährstoffen für schwangere Frauen, die sich bereits vor der Schwangerschaft über lange Zeit vegetarisch ernährt haben, gehören Vitamin B12, DHA und eventuell Zink [74], [77], [79], [80].
Bei einer rein pflanzlichen (veganen) Ernährung ist die Versorgung mit Vitamin B12, DHA, Zink, Eiweiß, Eisen, Kalzium und Jod kritisch. Vor allem die ausreichende Zufuhr von Vitamin B12 ist bei einer rein pflanzlichen Ernährung ohne Nährstoffpräparate und angereicherte Lebensmittel nicht möglich. Veganerinnen, die ihre Ernährungsweise in der Schwangerschaft beibehalten möchten, sollten schon bei Kinderwunsch eine qualifizierte Ernährungsberatung in Anspruch nehmen, um eventuelle Nährstoffmängel noch vor der Konzeption zu beheben. Auch in der Schwangerschaft sollten Veganerinnen regelmäßig die Versorgung mit kritischen Nährstoffen ärztlich überprüfen lassen, damit sie gezielt Supplemente einnehmen und ggf. angereicherte Lebensmittel verzehren, um ihren Nährstoffbedarf zu decken [73].
Supplemente
Supplement Folsäure
Empfehlungen
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Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollen zusätzlich zu einer ausgewogenen Ernährung 400 µg Folsäure pro Tag oder äquivalente Dosen anderer Folate in Form eines Supplements einnehmen.
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Die Einnahme soll mindestens 4 Wochen vor der Konzeption beginnen und bis zum Ende des 1. Schwangerschaftsdrittels fortgesetzt werden.
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Frauen, die die Folsäuresupplementierung weniger als 4 Wochen vor der Konzeption beginnen, sollten höherdosierte Präparate verwenden.
Grundlagen der Empfehlungen
In zahlreichen epidemiologischen Studien und darauf aufbauenden Metaanalysen hat sich gezeigt, dass durch eine perikonzeptionelle Folsäuresupplementierung von 400 µg/d (allein oder in Kombination mit anderen Mikronährstoffen) das Risiko für kindliche Fehlbildungen des Nervensystems (Neuralrohrdefekte; NRD) reduziert werden kann (z. B. [81], [82], [83], [84], [85], [86]). In Deutschland und vielen anderen Ländern wird daher seit etwa Mitte der 1990er-Jahre empfohlen, dass Frauen, die schwanger werden wollen oder könnten, zusätzlich zu einer folatreichen Ernährung 400 µg Folsäure pro Tag oder äquivalente Dosen anderer Folate (Calcium L-Methylfolat oder 5-Methyltetrahydrofolsäure-Glucosamin) in Form von Supplementen einnehmen und die Supplementierung auch im 1. Schwangerschaftsdrittel fortführen [87], [88], [89], [90]. In einigen Ländern liegt die Dosisempfehlung etwas höher, wie z. B. in Australien mit 500 µg pro Tag [91]. Wenn die Einnahme erst kurz vor oder sogar erst nach der Konzeption beginnt, sollten Supplemente mit 800 µg Folsäure verwendet werden [92], [93], um schneller die von der WHO empfohlenen Erythrozytenfolatkonzentrationen zu erreichen [94].
Hintergrundinformationen
Folat ist unter anderem wichtig für Zellteilung und Wachstumsprozesse. Der Verzehr folatreicher pflanzlicher Lebensmittel, wie grünes Blattgemüse, Kohlsorten, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Tomaten oder Orangen, kann zur Folatversorgung beitragen. Laut Nationaler Verzehrsstudie (NVS II) liegt die Zufuhr von Folatäquivalenten bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter im Median zwischen 153 und 185 µg/d [95] und somit deutlich unter den für Erwachsene (300 µg/d) und für Schwangere (550 µg/d) abgeleiteten D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr [52]. In der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) wurden erstmals repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung Folatkonzentrationen im Serum und in den Erythrozyten gemessen. Die Ergebnisse dieser Studie lassen darauf schließen, dass 85% der Bevölkerung die Zielwerte für Folat für Nichtschwangere erreichen [96]. Allerdings erreichen weniger als 5% der Frauen im reproduktionsfähigen Alter die von der WHO zur wirksamen Risikoreduktion von Neuralrohrdefekten empfohlenen Erythrozytenfolatkonzentrationen von 400 ng/ml (906 nmol/l) [94], [96].
Da der Verschluss des Neuralrohrs normalerweise bereits 3 bis 4 Wochen nach der Konzeption erfolgt, ist für eine größtmögliche Risikoreduktion für Neuralrohrdefekte der Beginn der Folsäuresupplementierung bereits vor der Konzeption erforderlich. Die Zeitspanne bis zum Erreichen der empfohlenen Folatkonzentration ist von der Ausgangskonzentration und von der supplementierten Dosis abhängig: So sind bei einer täglichen Einnahme von 400 µg Folsäure 6 bis 8 Wochen notwendig, um eine Folatkonzentration von 906 nmol/l in den Erythrozyten zu erreichen; bei Einnahme von 800 µg/d dagegen nur etwa 4 Wochen [92], [93], [97]. Eine tägliche Zufuhr von 1000 µg Folsäure/d wird als unbedenklich eingeschätzt (Tolerable Upper Intake Level) [98], [99].
Derzeit führt nur ein kleiner Teil der Frauen in Deutschland eine präventiv wirksame Folsäuresupplementierung durch. Zwar supplementieren nahezu 90% der Frauen in der Schwangerschaft Folsäure [100], aber nur etwa 10 bis 34% beginnen zum empfohlenen Zeitpunkt und verwenden eine Dosis von mindestens 400 µg/d [101], [102], [103]. In Deutschland stehen Darreichungsformen in unterschiedlicher Dosierung zur Verfügung. Wenn Frauen zur NRD-Prävention ein Multivitaminpräparat einnehmen, sollte darauf geachtet werden, dass es mindestens 400 µg Folsäure enthält.
Supplement Jod
Grundlagen der Empfehlung
Entsprechend den Kriterien der WHO [104] ist Deutschland ein Gebiet mit mildem bis moderatem Jodmangel. Die mediane Jodzufuhr bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter (berechnet aus der Jodausscheidung im 24-Stunden-Urin) lag der DEGS-Studie zufolge bei etwa 125 µg/d [105]. Somit wurde im Median weder der für erwachsene Frauen geltende Zufuhrreferenzwert von 200 µg/d [52] noch die höhere Zufuhrempfehlung der DGE für Schwangere von 230 µg/d [52] erreicht. Ein Supplement mit einer Dosis von 100 bis 150 µg pro Tag erscheint ausreichend, um die für die Schwangerschaft empfohlene Zufuhr zu erreichen. Die Dosis entspricht dem unteren bis mittleren Bereich der in den Mutterschafts-Richtlinien genannten und als sicher angesehenen Spanne (100 bis 200 µg/d) für eine Jodsupplementierung in der Schwangerschaft [106]. Sie ist mit den Empfehlungen internationaler Gremien vergleichbar [107], [108], [109].
Hintergrundinformationen
Schon vor der Schwangerschaft sollen Frauen mit Kinderwunsch zur Bedeutung von Jod beraten werden. Auf eine ausreichende Jodzufuhr ist zu achten. Empfehlenswert sind die Verwendung von jodiertem Speisesalz und der regelmäßige Verzehr von Milch, Milchprodukten und Meeresfisch (siehe auch Kapitel „Ernährungsweise“). Bei Lebensmitteln (z. B. Brot) sollten bevorzugt Produkte mit jodiertem Speisesalz ausgewählt werden. Frauen mit Schilddrüsenerkrankungen sollen ärztlich beraten werden und ebenfalls einen Jodmangel vermeiden. Bei Frauen mit Hashimoto-Thyreoiditis ist eine Jodaufnahme (durch Jodsalz, Lebensmittel mit Jodsalz als Zutat, Fisch etc.) in Höhe des Bedarfs in aller Regel unproblematisch.
In der Schwangerschaft steigt der Jodbedarf aufgrund der vermehrten mütterlichen Produktion von Schilddrüsenhormonen und einer erhöhten renalen Ausscheidung, aber auch aufgrund des Bedarfs für die Entwicklung des Ungeborenen (Plazentatransfer). Insgesamt wird ein Mehrbedarf an Jod von ca. 30 bis 50 µg/d angenommen [52], [110]. Entsprechend steigt der von den D-A-CH-Gesellschaften abgeleitete Referenzwert für die Jodzufuhr von 200 µg auf 230 µg/d [52]. Die EFSA empfiehlt – ausgehend von einem adäquaten Zufuhrwert von 150 µg/d für nicht schwangere Frauen – eine Zufuhr von 200 µg/d in der Schwangerschaft [110]. Werden bereits Präparate mit 100 – 150 µg Jod eingenommen, sollten keine zusätzlichen Jodsupplemente eingenommen werden.
Eine Reihe von epidemiologischen Studien deutet darauf hin, dass sich selbst eine moderate Jodunterversorgung, insbesondere in der frühen Schwangerschaft, bzw. ein Mangel an Schilddrüsenhormonen (Hypothyroxinämie) in dieser Zeit ungünstig auf die kognitive und psychomotorische Entwicklung des Kindes auswirken kann [111], [112], [113], [114], [115], [116], [117]. Die wenigen Studien, in denen die Effekte der Jodsupplementierung in der Schwangerschaft bei moderatem Jodmangel untersucht wurden [114], [116], [118], [119], [120], deuten darauf hin, dass auch die Mutter von der Jodsupplementierung profitiert und ein geringeres Risiko hat, nach der Geburt eine Schilddrüsenüberfunktion zu entwickeln.
In Meeresalgen, insbesondere in getrockneten Algen- und Tangprodukten, können die Jodgehalte erheblich schwanken und zum Teil sehr hoch sein. Daher kann es selbst bei geringen Verzehrmengen von Algen/-produkten wie auch bei der Einnahme von mehreren jodhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln ggf. zu einer überhöhten Jodaufnahme kommen [121], [122]. Zudem können Algen reich an Arsen und anderen Kontaminanten sein [122]. Daher wird vom Verzehr von Algen und Algenprodukten abgeraten.
Weitere Supplemente
Empfehlungen
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Eine gezielte Eisensupplementierung zusätzlich zu einer ausgewogenen Ernährung sollte nur nach einer ärztlich diagnostizierten Unterversorgung erfolgen.
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Schwangeren ohne regelmäßigen Verzehr von fettreichem Meeresfisch wird empfohlen, DHA zu supplementieren.
Grundlagen der Empfehlungen
Eine Eisensupplementierung in der Schwangerschaft verbessert zwar den mütterlichen Status und schützt vor Anämie; mit Blick auf den Nutzen einer generellen Supplementierung aller Schwangeren für das Kind ist die Datenlage jedoch nicht eindeutig [123], [124], [125]. Zudem gibt es Hinweise, dass zusätzliche Eisenaufnahmen bei gut versorgten Schwangeren das Risiko für Frühgeburten und niedriges Geburtsgewicht erhöhen können [126], [127]. Vor diesem Hintergrund wird in Deutschland keine generelle prophylaktische Eisensupplementierung für Schwangere empfohlen. Dies steht im Einklang mit Empfehlungen anderer europäischer Länder (z. B. UK [128], Frankreich [129] und Irland [130]. International wird dagegen von der WHO eine routinemäßige Supplementierung von Eisen in Kombination mit Folsäure in der Schwangerschaft empfohlen, da in Entwicklungsländern zum Teil ein erheblicher Anteil von Schwangeren eine Eisenmangelanämie aufweist [4], [19], [131].
Die Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) kommt vor allem in fettreichen Meeresfischen vor. Schwangere, die auf diese Lebensmittel verzichten, sollten Supplemente mit DHA einnehmen, um die in den D-A-CH-Referenzwerten empfohlene Zufuhrmenge von durchschnittlich täglich mindestens 200 mg DHA [52] bzw. die von der EFSA empfohlene zusätzliche Aufnahme in der Schwangerschaft von 100 bis 200 mg DHA, zusätzlich zur für Nichtschwangere empfohlenen Zufuhr von täglich 250 mg DHA plus Eicosapentaensäure (EPA), [132] zu erreichen [133].
Hintergrundinformationen
Eisenmangel in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für eine Frühgeburt und ein geringes Geburtsgewicht [126], [134], [135]. Der Eisenbedarf steigt in der Schwangerschaft, weil mehr Eisen für Fetus, Plazenta und die um 20% vermehrten Erythrozyten bei der werdenden Mutter benötigt wird. Schwangere sollten daher auf eine ausreichende Zufuhr von eisenreichen Lebensmitteln achten.
Der Referenzwert für die Eisenzufuhr in der Schwangerschaft ist für Deutschland mit 30 mg/d um 100% höher als der für Nichtschwangere [52]. Laut NVS II nahmen Frauen im gebärfähigen Alter (18 – 49 Jahre) im Median 11 – 12 mg Eisen pro Tag auf [95]. Diese Daten deuten darauf hin, dass die empfohlene Zufuhrmenge in der Regel über die übliche Ernährung nicht erreicht wird. Allerdings entfällt der menstruelle Blutverlust [52], und die intestinale Eisenresorption steigt in der Schwangerschaft. Deshalb geht z. B. die EFSA [136] von einem etwa gleich hohen alimentären Eisenbedarf für Schwangere wie für Nichtschwangere aus. Um Hinweise auf insuffiziente oder entleerte Eisenspeicher zu bekommen, ist neben den Hb-Bestimmungen im Rahmen der Mutterschafts-Vorsorge [106] eine zusätzliche Bestimmung des Serumferritinwerts sinnvoll [137].
Vegetarierinnen nehmen wenig DHA auf und haben einen niedrigeren DHA-Status als Frauen, die auch Fisch, Fleisch und Eier verzehren [138]. Die in einigen Pflanzenölen (z. B. Raps-, Walnuss-, Leinöl), Nüssen und Samen (z. B. Walnüsse) enthaltene Alpha-Linolensäure (ALA) kann einen Beitrag zur Omega-3-Fettsäuren-Versorgung leisten; die Eigensynthese von DHA aus ALA ist jedoch gering [138], [139], [140], [141], [142], [143], [144]. Frauen, die nicht (regelmäßig) fettreichen Meeresfisch verzehren, sollten daher in der Schwangerschaft DHA als Supplement einnehmen.
Die Supplementierung von Fischöl oder langkettigen Omega-3-Fettsäuren wie DHA führte in randomisiert kontrollierten Studien zu einer signifikanten Verminderung des Risikos für frühe Frühgeburten bis 34 Schwangerschaftswochen [145], [146], [147]. DHA ist für die Entwicklung von Sehfunktion und Gehirn des Fetus wichtig [148]. In einigen Beobachtungsstudien waren Fischverzehr und die Versorgung mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren in der Schwangerschaft mit einer günstigeren kindlichen Entwicklung kognitiver und anderer Fähigkeiten assoziiert [149], [150], [151], [152], [153]. Andere Studien bestätigen dies nicht [154], [155]. Die Datenlage zum Nutzen von DHA-Supplementen in der Schwangerschaft für die kognitive Entwicklung des Kindes ist inkonsistent.
Die Vitamin-D-Versorgung der werdenden Mutter wirkt sich auf die fetale Vitamin-D-Versorgung und die kindliche Knochenmineralisation aus [156], [157], [158]. Vitamin D wird vor allem durch Sonnenbestrahlung in der Haut gebildet. So kann durch regelmäßigen Aufenthalt im Freien die Vitamin-D-Versorgung sichergestellt werden. Bei einem hellen Hauttyp ist es dazu in unseren Breiten in den Sommermonaten ausreichend, wenn Gesicht und Arme ohne Lichtschutz etwa 5 – 10 Minuten täglich in der Mittagszeit der Sonne ausgesetzt werden. Sonnenbrand sollte in jedem Fall vermieden werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Schwangere (wie für alle anderen Personengruppen ab dem Kleinkindalter) bei fehlender Vitamin-D-Eigensynthese, d. h. in der sonnenarmen Zeit und überwiegendem Aufenthalt im Haus, eine Vitamin-D-Aufnahme von 20 µg (800 IU) täglich [52]. Die mittlere Aufnahmemenge von Vitamin D über die Nahrung liegt nur bei 2 – 4 µg täglich [95]. Dies reicht nicht aus, um bei begrenzter Sonnenexposition und geringer Eigensynthese von Vitamin D ganzjährig eine ausreichende Versorgung zu erreichen. Schwangere, die sich selten bei Sonne draußen aufhalten oder bei Sonnenexposition ihre Haut weitgehend bedecken bzw. Sonnencreme anwenden, und Frauen mit dunklem Hauttyp sollten daher ein Supplement mit Vitamin D verwenden [52].
Schutz vor Infektionen durch Lebensmittel in der Schwangerschaft
Schutz vor Infektionen durch Lebensmittel in der Schwangerschaft
Empfehlungen
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Schwangere sollen keine rohen tierischen Lebensmittel essen. Darüber hinaus sollten sie bei der Auswahl, Lagerung und Zubereitung von Lebensmitteln die Empfehlungen zur Vermeidung von Listeriose und Toxoplasmose beachten.
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Schwangere Frauen sollen Eier nur verzehren, wenn Eigelb und Eiweiß durch Erhitzung fest sind.
Grundlagen der Empfehlungen
Empfehlungen zur Auswahl, Zubereitung und Lagerung von Lebensmitteln sind im 2017 erschienenen Informationsblatt „Listeriose und Toxoplasmose. Sicher essen in der Schwangerschaft“ vom Bundeszentrum für Ernährung zusammengefasst [161] (Bestell-Nr. 0346, www.ble-medienservice.de). Sie basieren auf Daten aus dem Zoonosen-Monitoring und anderen Mitteilungen der Länder über das Vorkommen von Zoonosen-Erregern in untersuchten Lebensmitteln und Untersuchungsergebnissen von lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüchen, Literaturauswertungen und Expertenmeinungen, wie von Mitgliedern der Kommission für Biologische Gefahren und Hygiene am Bundesinstitut für Risikobewertung. Da eine Salmonellose Mutter und Kind schaden kann, sollten Eier nur durchgegart verzehrt werden.
Hintergrundinformationen
Die Erreger von Listeriose und Toxoplasmose können während der Schwangerschaft auf die Plazenta und das ungeborene Kind übergehen, zu schweren Erkrankungen und auch zu Früh- und Totgeburten führen [159], [160]. Dem Robert Koch-Institut werden pro Jahr ca. 20 bis 40 Fälle von Neugeborenen-Listeriose und ca. 5 bis 40 Fälle von konnataler Toxoplasmose bei Neugeborenen [162], [163] gemeldet (www.rki.de), das Meldesystem erfasst jedoch nur laborbestätigte Fälle. Eine bundesweite Seroprävalenzstudie schätzt jährlich 345 Fälle von konnataler Toxoplasmose in Deutschland [164].
Hinsichtlich der Toxoplasmose ist vor allem der Verzehr von rohem sowie von nicht durchgegartem Fleisch (auch in Form von Rohwurst wie Salami oder rohem Schinken) vom Schwein, Lamm bzw. Schaf und Wild problematisch [160], [165], [166].
Rohe Fleischprodukte, Räucherfisch und Weichkäse (auch aus wärmebehandelter Milch wie z. B. Gorgonzola) bergen ein erhöhtes Risiko, pathogene Listerien zu enthalten; auch Rohmilch und Erzeugnisse daraus sowie Gemüse und Salate können betroffen sein [159], [167], [168], [169], [170]. Listerien können auch auf erhitzte Lebensmittel gelangen. Sie vermehren sich auch bei Kühlschranktemperaturen sowie in Produkten, die unter Vakuum oder Schutzatmosphäre verpackt wurden.
Schwangere sollten ihre Speisen möglichst kurz vor dem Verzehr zubereiten und rasch verbrauchen. In Restaurants und Kantinen sollten sie möglichst Speisen verzehren, die direkt vor dem Verzehr erhitzt wurden. Neben der Auswahl der Lebensmittel spielt Hygiene bei der Lagerung und Zubereitung eine wichtige Rolle, um sich vor lebensmittelbedingten Infektionen zu schützen.
Bewegung vor und in der Schwangerschaft
Bewegung vor und in der Schwangerschaft
Empfehlungen
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Frauen mit Kinderwunsch und schwangere Frauen sollen sich an den allgemeinen Bewegungsempfehlungen für Erwachsene orientieren.
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Frauen sollen auch in der Schwangerschaft im Alltag körperlich aktiv sein und sitzende Tätigkeiten begrenzen oder regelmäßig unterbrechen.
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Schwangere sollten an mindestens 5 Tagen pro Woche, am besten täglich, mindestens 30 Minuten moderat körperlich aktiv sein. Moderat bedeutet, dass eine Unterhaltung während des Sporttreibens noch möglich ist (Talk-Test).
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Sportlich aktive Frauen können in der Schwangerschaft auch intensiver körperlich aktiv sein.
Grundlagen der Empfehlungen
Die Empfehlungen orientieren sich an Empfehlungen anderer Fachgesellschaften und Expertengruppen sowie den Nationalen Empfehlungen zur Bewegung und Bewegungsförderung [53], [171], [172], [173], [174], [175].
Metaanalysen und systematische Reviews von randomisiert kontrollierten Interventionsstudien sowie Beobachtungsstudien weisen darauf hin, dass körperliche Aktivität mit moderater Intensität in der Schwangerschaft für die Schwangere und das Kind nicht nur sicher ist [176], [177], sondern es kommt zu einer Vielzahl positiver Effekte. So ist Bewegung/Sport während der Schwangerschaft mit einem verringerten Risiko für LGA [178], [179], Frühgeburt [177], [180], [181], Kaiserschnitt [44], [176], [182], [183], Schwangerschaftsdiabetes [10], [47], [176], [177], [178], [184], schwangerschaftsbedingten Bluthochdruck [176], [183], übermäßige Gewichtszunahme [44], [178], [185], [186], Inkontinenz [187], [188], Rückenschmerzen [189], [190] und verbessertem psychosozialen Wohlbefinden [53] assoziiert. Fokussiert ausschließlich auf übergewichtige und adipöse Schwangere ist die Datenlage nicht ganz so umfangreich. Zusammengefasst hat sich diesbezüglich eine Risikoreduktion von Frühgeburt, Schwangerschaftsdiabetes und übermäßiger Gewichtszunahme durch körperliche Aktivität im Rahmen einer Lebensstilintervention in der Schwangerschaft gezeigt [44], [177].
Hintergrundinformationen
Die Empfehlungen zum Bewegungsausmaß von 30 Minuten körperlicher Aktivität an mindestens 5 Tagen in der Woche sind mit der Verbesserung der kardiorespiratorischen und muskulären Fitness und zur Vorbeugung von nicht übertragbaren Krankheiten belegt [191]. Im Hinblick auf schwangerschaftsspezifische Aspekte ist die Evidenz für bestimmte Bewegungsumfänge und -intensitäten begrenzt; generell ist bei einer komplikationslosen Schwangerschaft der positive Einfluss von Bewegung auf den Schwangerschaftsverlauf und die Gesundheit von Mutter und Kind jedoch unbestritten [192].
Für schwangere Frauen werden vor allem aerobe Ausdauerbelastungen empfohlen, die in moderater Intensität [193] und in Belastungseinheiten von mindestens 10 Minuten ausgeführt werden sollten. Moderate Intensität bedeutet: die Bewegung wird als etwas anstrengend empfunden, eine Unterhaltung ist möglich (Talk-Test). Auch körperliche Aktivität im Alltag ist erwünscht, wie z. B. zügig zu Fuß gehen oder Treppen steigen. Das Ziel von 10 000 Schritten pro Tag kann als Orientierung für die Umfänge von Alltagsaktivitäten dienen [194], [195], die durch sportliche Aktivitäten ergänzt werden sollten. Besonders und auch für Sporteinsteigerinnen geeignet sind Sportarten, bei denen große Muskelgruppen beansprucht werden, wie Walking, Nordic Walking, Radfahren in moderatem Tempo, Schwimmen/Aquafitness, Skilanglauf, Low-Impact-Aerobic oder Schwangerschaftsyoga. Neue Sportarten mit ungewohnten Bewegungsabläufen sollten Frauen in der Schwangerschaft nicht beginnen. Als ungeeignet gelten Sportarten mit hohem Sturz- und Verletzungsrisiko, z. B. Mannschafts-, Kontakt- und Kampfsportarten oder Gerätetauchen [53]. Gesunde Schwangere können bis in Höhen von 2000 bis 2500 Metern körperlich aktiv sein, vor allem, wenn sie an diese Höhen gewöhnt sind [196], [197]. Sportlich aktive Frauen können ihre bisherige sportliche Tätigkeit bei einer komplikationslosen Schwangerschaft in der Regel fortführen und etwas intensiver trainieren als Einsteigerinnen [171], [193], [198], [199].
Mögliche Warnsignale stellen vaginale Blutungen, Wehentätigkeit, Verlust von Fruchtwasser, Dyspnoe, Schwindel, Kopfschmerzen, Brustschmerzen, muskuläre Dysbalancen, Unterschenkelschmerzen und Schwellungen dar [53]. Kontraindiziert ist körperliche Aktivität bei hämodynamisch relevanten Herzkrankheiten, restriktiver Lungenkrankheit, Zervixinsuffizienz, vorzeitigen Wehen, persistierenden Blutungen im 2. und 3. Trimester, Placenta praevia nach 26 Schwangerschaftswochen, einer rupturierten Fruchtblase, Präeklampsie, schwangerschaftsinduzierter Hypertonie oder schwerer Anämie [53].
In der Realität geht im Rahmen der Schwangerschaft das Ausmaß an Bewegung häufig zurück [53], [60]. Als Barrieren werden u. a. Zeitmangel, fehlende Motivation, vor allem aber Ängste und Sicherheitsaspekte angegeben [200]. Fachkräfte sollten schwangere Frauen ermutigen, den Alltag und die Freizeit bewegt zu gestalten und sitzende Aktivitäten einzuschränken oder regelmäßig zu unterbrechen. Sie sollten die Bedenken und Ängste von Schwangeren/werdenden Eltern ernst nehmen und sie darüber informieren, dass Bewegung bei einer normalen, gesunden Schwangerschaft wünschenswert und sicher für Mutter und Kind ist.
Alkohol
Grundlagen der Empfehlung
Eine für den Fetus sichere, risikolose Alkoholmenge oder ein Zeitfenster in der Schwangerschaft, in dem Alkoholkonsum keine Risiken birgt, kann aufgrund der verfügbaren Evidenz nicht definiert werden [204]. Nationale wie internationale Fachgesellschaften [4], [52], [205] sowie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfehlen daher, in der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken. Es wird zudem empfohlen, auf Alkohol bereits in der Zeit der Schwangerschaftsplanung zu verzichten [3], [4], [206], [207].
Hintergrundinformationen
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft kann zu Fehlbildungen, Wachstumshemmung, Schädigung von Gewebe- und Nervenzellen sowie zu nicht reversibler Intelligenzminderung des Kindes führen und sich auf sein Verhalten (Hyperaktivität, Impulsivität, Ablenkbarkeit, riskantes Verhalten, Infantilität und soziale Reifungsstörung) auswirken [201], [202], [203]. Das fetale Alkoholsyndrom (FAS) ist die häufigste vermeidbare Behinderung bei Neugeborenen, mit einer geschätzten Inzidenz von 0,2 – 8 auf 1000 Neugeborene [12]. Deutlich mehr Kinder sind von einer fetalen Alkoholspektrumstörung betroffen [12], [203]. Die Höhe des individuellen Gesundheitsrisikos für das Kind ist schwer vorhersagbar und wird durch maternale und fetale Charakteristika beeinflusst. Auch wenn große systematische Studien keinen negativen langfristigen Effekt eines geringen bis moderaten Alkoholkonsums nachweisen konnten [208], ist es am sichersten, jeglichen Alkoholkonsum zu meiden [209]. Die Empfehlung, „Alkohol in der Schwangerschaft zu meiden“, könnte Frauen, die in der Frühschwangerschaft – bevor sie von der Schwangerschaft wussten – Alkohol getrunken haben, verunsichern oder Schuldgefühle fördern. Deshalb sollten Fachkräfte dazu differenziert und sensibel beraten.
Rauchen
Empfehlungen
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Frauen/Paare, die eine Schwangerschaft planen, sollten nicht rauchen.
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Schwangere sollen nicht rauchen und sich nicht in Räumen aufhalten, in denen geraucht wird oder wurde.
Grundlagen der Empfehlungen
Die Empfehlung, das Rauchverhalten schon in der Phase des Kinderwunsches zu verändern und in der Schwangerschaft nicht zu rauchen, entspricht den Empfehlungen der Fédération Internationale de Gynécologie et dʼObstétrique (FIGO) [4], anderen nationalen Fachorganisationen [62], [128] und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [218].
Hintergrundinformationen
Rauchen beeinflusst die Fertilität negativ [64] und kann in der Schwangerschaft das Risiko für Früh- und Fehlgeburten, Fehlbildungen, vorzeitige Plazentaablösung, geringeres Geburtsgewicht, aber auch das Risiko für späteres Übergewicht sowie für Allergien beim Kind erhöhen [210], [211], [212], [213], [214], [215], [216], [217]. In Deutschland rauchen 26% der 18- bis 25-jährigen Frauen und 34% der gleichaltrigen Männer [11], bei den Älteren liegt der Anteil etwas höher (30% der Frauen, 35% der Männer) [219]. Von den in der KiGGS-Studie befragten Müttern von 0- bis 6-jährigen Kindern hatten 11% in der Schwangerschaft geraucht. Schwangere Frauen, die zum Zeitpunkt der Geburt ihres Kindes jünger als 25 Jahre waren oder einer niedrigen sozioökonomischen Gruppe angehörten, hatten während der Schwangerschaft mehr als doppelt so häufig geraucht wie ältere oder Frauen mit hohem sozioökonomischen Status [220].
Alle Berufsgruppen, die Frauen/Paare mit Kinderwunsch, schwangere Frauen und werdende Eltern beraten, sollten Rauchen thematisieren und die zu beratenden Personen gegebenenfalls explizit und wiederholt auf ihren Zigarettenkonsum bzw. auf ihr Rauchverhalten ansprechen. Sie sollten sie zu Entwöhnungsmaßnahmen motivieren und darauf hinweisen, dass der Kinderwunsch bzw. eine Schwangerschaft gute Gelegenheiten sind, mit dem Rauchen aufzuhören. Zur Unterstützung des Rauchausstiegs stehen Materialien auch speziell für Schwangere und für Multiplikatoren sowie Beratungstelefone zur Verfügung (www.rauchfrei-info.de).
In E-Zigaretten ist vielfach Nikotin enthalten. Auch für E-Zigaretten ohne Nikotin werden gesundheitliche Bedenken diskutiert [221]. Deshalb wird Schwangeren das Meiden von E-Zigaretten empfohlen.
Koffeinhaltige Getränke in der Schwangerschaft
Koffeinhaltige Getränke in der Schwangerschaft
Grundlagen der Empfehlung
Die Datenlage zur Beurteilung möglicher nachteiliger Auswirkungen von Koffein für Mutter und Kind und zur Konkretisierung von Koffeinmengen, die kein Risiko bergen, ist unzureichend. In Studien wurde eine dosisabhängige Assoziation zwischen der Koffeinaufnahme in der Schwangerschaft und dem Risiko für fetale Wachstumsverzögerung und negative Effekte auf das Geburtsgewicht beobachtet [222], [223]. Die EFSA gibt für die Zeit der Schwangerschaft eine sichere Koffeindosis von 200 mg/d an [224].
Hintergrundinformationen
Koffein passiert die Plazenta schnell, kann aber weder vom Fetus noch in der Plazenta verstoffwechselt werden [224]. In Studien wurde u. a. der Zusammenhang von mütterlicher Koffeinzufuhr und Schwangerschaftsdauer, Geburtsgewicht, fetaler Wachstumsverzögerung sowie niedrigem Geburtsgewicht für das Gestationsalter (small for gestational age; SGA) untersucht. Nach einer aktuellen Metaanalyse von Fallkontroll- und Beobachtungsstudien besteht ein signifikant erhöhtes Risiko für einen Spontanabort ab 300 mg Koffein pro Tag [225]. Eine weitere Metaanalyse zeigt eine lineare Assoziation zwischen Koffeinzufuhr und Fehlgeburtsrate, wobei andere mögliche Einflussfaktoren jedoch nicht berücksichtigt wurden [226]. Eine Cochrane-Metaanalyse konnte aufgrund begrenzter Daten keine Schlussfolgerungen zur Effektivität eines Koffeinverzichts auf das Geburtsgewicht oder andere relevante Endpunkte ziehen [227].
Angaben zum durchschnittlichen Koffeingehalt von Getränken zeigt [Tab. 1]. Energydrinks dürfen höchstens 320 mg Koffein/Liter enthalten [228] und müssen ab 150 mg Koffein pro Liter den Hinweis „Erhöhter Koffeingehalt. Für Kinder und schwangere und stillende Frauen nicht empfohlen“ erhalten [229]. Weitere typische Inhaltsstoffe von Energydrinks sind Glucuronolacton, Taurin oder Inosit, deren Wechselwirkungen nicht vollständig geklärt sind, sowie reichlich Zucker. Schwangere sollten daher auf Energydrinks verzichten.
Tab. 1 Durchschnittliche Koffeingehalte von Getränken (nach EFSA 2015 [224] und BfR 2015 [230]).
200 ml Filterkaffee:
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ca. 90 mg
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60 ml Espresso:
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ca. 80 mg
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200 ml schwarzer Tee (1 Tasse):
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ca. 45 mg
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200 ml grüner Tee (1 Tasse):
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ca. 30 mg
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250 ml Cola-Getränke:
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25 mg/330 ml (Dose ca. 35 mg)
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250 ml Energydrink (1 Dose):
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ca. 80 mg
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200 ml Kakao-Getränk:
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8 bis 35 mg
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Arzneimittel in der Schwangerschaft
Arzneimittel in der Schwangerschaft
Grundlage der Empfehlung
Arzneimittel – egal ob verschreibungspflichtig oder nicht – können sich auf das Kind auswirken. Die überwiegende Zahl der Arzneimittel ist mit Blick auf die Risiken in der Schwangerschaft unzureichend untersucht. Bei der Einnahme und Verschreibung von Arzneimitteln muss das individuelle Risiko der Mutter im Falle einer Nichtbehandlung gegenüber dem Risiko für das ungeborene Kind abgewogen werden.
Hintergrundinformationen
Im Rahmen einer ärztlichen Beratung können substanzspezifische Empfehlungen gegeben werden. Gegebenenfalls ist bereits vor der Konzeption eine Dosisanpassung oder eine Arzneimittelumstellung erforderlich. Eine notwendige Therapie darf nicht aufgrund falscher Annahmen in Bezug auf die Schädigung des Ungeborenen abgesetzt werden.
Im Rahmen des sogenannten Pharmakovigilanz-Netzwerkes des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird der Verlauf von Schwangerschaften, bei denen das Netzwerk zu Arzneimittelgebrauch beraten hat, dokumentiert und diese Daten werden gemeinsam mit ähnlichen Zentren in anderen europäischen Ländern ausgewertet (ENTIS European Network of Teratology Information Services [https://www.entis-org.eu]). Über die Internetseite www.embryotox.de stehen Hinweise zur Sicherheit von Arzneimitteln in der Schwangerschaft und Stillzeit zur Verfügung.
Frauen mit chronischen Erkrankungen, die eine Schwangerschaft planen, benötigen eine spezielle medizinische Beratung.
Vorbereitung auf das Stillen
Vorbereitung auf das Stillen
Grundlagen der Empfehlung
Eine Cochrane-Übersichtsarbeit kommt zu dem Ergebnis, dass alle Formen der zusätzlichen Unterstützung einen positiven Effekt auf die Erhöhung der Stilldauer und die Dauer des ausschließlichen Stillens haben [231]. Die Empfehlung steht im Einklang mit Empfehlungen zur Stillförderung in Deutschland [239] und in anderen Ländern [240].
Hintergrundinformationen
Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens wirken sich positiv auf den Stillbeginn und die Stilldauer aus [231]. Da die Stillabsicht der Mutter, frühes Anlegen und zeitiger Stillbeginn für erfolgreiches Stillen von großer Bedeutung sind und Unsicherheiten häufig dazu führen, dass das Stillen zu früh abgebrochen wird [232], [233], [234], [235], [236], sollten sich Frauen und ihre Partner bereits in der Schwangerschaft zum Stillen beraten lassen. Eine positive Haltung des Partners wirkt sich zusätzlich positiv auf den Stillbeginn und die -dauer aus [237], [238]. Sowohl Fachkräfte als auch geschulte Laien, eine persönliche (vs. telefonische) Unterstützung, eine Anzahl von 4 – 8 Kontakten sowie Settings mit hohen initialen Stillraten können das ausschließliche Stillen fördern [241].
Obwohl unterschiedliche Formen der Unterstützung in der Schwangerschaft und im Wochenbett positive Effekte auf das Stillverhalten zeigen, ist eine Präzisierung, z. B. im Hinblick auf Maßnahmen oder Zeitpunkte, nicht möglich [231], [240], [241], [242], [243], [244]. Beratung und Unterstützung sind effektiver, wenn sie nicht nur kurzzeitig, sondern möglichst über die gesamte Zeit von der Schwangerschaft bis nach der Geburt des Kindes [245] und in der ambulanten wie stationären Versorgung angeboten werden [246].
Ernährung in der Schwangerschaft zur Allergieprävention beim Kind
Ernährung in der Schwangerschaft zur Allergieprävention beim Kind
Empfehlungen
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Schwangere sollen zur Allergieprävention beim Kind keine Lebensmittel aus ihrer Ernährung ausschließen. Das Meiden bestimmter Lebensmittel in der Schwangerschaft hat keinen Nutzen für eine Allergieprävention beim Kind.
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Schwangeren wird regelmäßiger Verzehr von fettreichem Fisch auch unter dem Gesichtspunkt der Allergieprävention empfohlen.
Grundlage der Empfehlungen
Die Empfehlungen basieren auf der aktuellen Datenlage und der deutschen Leitlinie zur Allergieprävention aus dem Jahr 2014 [247].
Hintergrundinformationen
Eine allergenarme Kost der Mutter in der Schwangerschaft führt nicht zu einer Verminderung des Allergierisikos beim Kind [248], [249]. Diätetische Einschränkungen sind daher nicht sinnvoll und bergen zudem das Risiko einer unzureichenden Nährstoffzufuhr. Lebensmittel, auf die eine Frau selbst allergisch reagiert, soll sie jedoch auch in der Schwangerschaft meiden.
Es gibt Hinweise dafür, dass die Zufuhr von Meeresfisch und die darin enthaltenen langkettigen Omega-3-Fettsäuren in der Schwangerschaft und/oder Stillzeit einen protektiven Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen beim Kind haben [250], [251]. Randomisiert kontrollierte Studien konnten ein halbiertes Asthmarisiko bei Kindern aufzeigen, deren Mütter in der Schwangerschaft langkettige Omega-3-Fettsäuren in Dosierungen > 2 g/d als Supplement eingenommen hatten [252], [253].
Eine Zufuhr von Prä- und Probiotika in der Schwangerschaft bietet keine hinreichend bewiesenen Vorteile für die Allergieprävention beim Kind.
Auch im Hinblick auf die Allergievorbeugung beim Kind sollten Schwangere nicht rauchen und sich nicht in Räumen aufhalten, in denen geraucht wird oder wurde. In Familien, in denen bereits Allergien bestehen, sollten keine Katzen neu aufgenommen werden. Schwangere sollten ferner im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes erhöhte Belastungen durch Luftschadstoffe und Schimmelbildung meiden.
Mund- und Zahngesundheit
Grundlagen der Empfehlung
Eine unbehandelte mütterliche Parodontitis war in Studien mit einem erhöhten Risiko von Frühgeburt und niedrigem Geburtsgewicht assoziiert [255], [256], [257], [258]. Mütter mit unbehandelter Karies geben kariesassoziierte Bakterien an ihr Kind weiter [259], wodurch sich das Kariesrisiko des Kindes erhöht [256], [260]. Eine adäquate Mundhygiene und zahngesunde Ernährung reduzieren die kariesassoziierte Mikroflora. Vom Zahnarzt unterstützte Kariesprävention der Mutter in der Schwangerschaft hat das Potenzial, das spätere Kariesausmaß der Kinder zu verringern [261], [262].
Hintergrundinformationen
Eine regelmäßige adäquate Mundhygiene gehört zu den Maßnahmen der allgemeinen Gesundheitsvorsorge und wird für alle Erwachsenen empfohlen [254]. Veränderte Abwehrreaktionen in der Gingiva und hormonelle Umstellungen in der Schwangerschaft (erhöhte Östrogen- und Progesteronspiegel) begünstigen die Entstehung von Zahnfleischentzündungen (Gingivitiden), die durch erhöhte Empfindlichkeit und Blutungsneigung gekennzeichnet sind [263]. Eine bereits bestehende Parodontitis kann sich verschlechtern [263]. Ob eine Behandlung der Parodontitis das Risiko für Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht senkt, kann aufgrund der widersprüchlichen Studienlage nicht gesichert beantwortet werden [257], [258], [264].
Zur empfohlenen Zahn- und Mundhygiene gehört es, mindestens 2-mal täglich die Zähne mit fluoridhaltiger Zahnpasta zu putzen, die Zahnzwischenräume mittels Zahnseide oder Interdentalbürsten einmal täglich sorgfältig zu reinigen [254], [265] und die Zähne in individuell festgelegten Intervallen professionell beim Zahnarzt reinigen zu lassen. Die Häufigkeit ist u. a. vom individuellen Karies- und Parodontitisrisiko abhängig [266]. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie empfiehlt, die Mundhygiene durch eine professionelle Zahnreinigung mit Mundhygieneunterweisung zu Beginn und zum Ende der Schwangerschaft zu unterstützen [263].
Bei Erkrankungen an Zähnen und Zahnfleisch sollte der Zahnarzt möglichst schon vor der Schwangerschaft konsultiert werden. Neben präventiven und diagnostischen Maßnahmen können in der Regel auch zahnerhaltende Behandlungen während der Schwangerschaft durchgeführt werden, wie z. B. das Legen von Füllungen, die Versorgung mit Einzelkronen oder eine Parodontitisbehandlung [255], [267]. In der Schwangerschaft dürfen in der Regel keine Amalgamfüllungen gelegt werden [268]. Bei gegebener Indikation können Amalgamfüllungen entfernt und durch anderes Füllungsmaterial ersetzt werden.
Impfen
Grundlage der Empfehlung
Impfpräventable Infektionen während der Schwangerschaft erhöhen das Risiko für die Gesundheit der Frau, können zu schweren Fehlbildungen des Kindes führen und für Neugeborene lebensbedrohlich sein. Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) gibt Empfehlungen für Frauen im gebärfähigen Alter mit Kinderwunsch, für Frauen in der Schwangerschaft sowie weitere Kontaktpersonen im Umfeld des Säuglings heraus [269].
Hintergrundinformationen
Ein lückenloser Schutz gegen Masern, Röteln, Varizellen (Windpocken) und Pertussis (Keuchhusten) ist in der Phase der Familienplanung von besonderer Bedeutung. Die STIKO empfiehlt Frauen mit Kinderwunsch die entsprechenden Impfungen. Während Totimpfstoffe (inaktivierte Impfstoffe: abgetötete Krankheitserreger oder Bestandteile davon) grundsätzlich auch in der Schwangerschaft verabreicht werden können, sind Lebendimpfstoffe (wie gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) für Schwangere kontraindiziert. Nach jeder Impfung mit Lebendimpfstoff ist für die Dauer von einem Monat eine sichere Kontrazeption zu empfehlen. Allerdings sind bei Unterschreitung dieses Zeitraums und selbst bei versehentlicher Impfung in der Frühschwangerschaft bisher keine fetalen Schädigungen durch diese Impfungen bekannt geworden [270].
Die Impfungen schützen nicht nur die schwangere Frau, die aufgrund hormoneller Anpassungen infektionsanfälliger ist als außerhalb der Schwangerschaft, sondern auch das Ungeborene bzw. das Neugeborene. Praktisch alle Virusinfektionen in der Schwangerschaft sind mit einem erhöhten Risiko für Aborte, Fehlbildungen, Frühgeburten und Schwangerschaftskomplikationen verbunden. Daneben haben Schwangere selbst ein erhöhtes Risiko, z. B. im Falle einer Masernerkrankung eine gravierende Lungenentzündung zu entwickeln.
Ein besonders hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe besteht bei Influenzainfektionen in der Schwangerschaft. Die STIKO empfiehlt seit 2010 allen Schwangeren die Impfung gegen die saisonale Influenza [271], die durch die mütterlichen impfinduzierten Antikörper, den sogenannten Nestschutz, auch das Neugeborene in den ersten Lebenswochen vor schweren Krankheitsverläufen schützt [272].
Schlussfolgerung
Einer ausgewogenen Ernährung, regelmäßiger Bewegung und einem gesunden Lebensstil kommt vor und während der Schwangerschaft eine besondere Bedeutung zu. Die Zeit vor der Konzeption und die ersten 1000 Tage des Kindes bieten Gelegenheit, die Weichen für die kindliche Gesundheit, die Gesundheit der werdenden Mutter und die Familiengesundheit günstig zu stellen. Dieses Potenzial für die Prävention sollte auf breiter Ebene anerkannt und genutzt werden. Mit den vorliegenden aktualisierten Empfehlungen stehen einheitliche praxisorientierte, auf aktuellem Wissen basierende Empfehlungen für die Schwangerschaft und auch für Frauen/Paare mit Kinderwunsch – zur Vorbereitung einer Schwangerschaft – zur Verfügung.