Schlüsselwörter
Subjektiver Gesundheitszustand - Erwerbslosigkeit - EU-SILC-Survey - chronische Gesundheitseinschränkungen - gesundheitliche Ungleichheit
Key words
Subjective health status - unemployment - health inequalities - EU-SILC survey - chronic illness
Einleitung
Wird Deutschland gesünder oder kränker? Und wie verteilen sich die Gesundheitschancen zwischen Erwerbsstatusgruppen im Zeitlauf? Für die Beantwortung dieser zentralen Fragestellungen stehen in Deutschland nur relativ wenige Datenquellen zur Verfügung [1]
[2]. Als geeignete Maßzahl wird international die selbsteingeschätzte allgemeine Gesundheit in der Bevölkerungsperspektive angesehen [3]
[4]. Dafür braucht es regelmäßige Repräsentativerhebungen mit identischen Messinstrumenten zur Gesundheit und sozio-ökonomischen Merkmalen in großen Stichproben. Elaborierte Panelanalysen zum subjektiven Gesundheitszustand ermöglicht das Sozio-ökonomische Panel (SOEP). Eine Gegenüberstellung der Befragungsergebnisse der SOEP Wellen 2002 und 2012 ergibt geringfügige Steigerungen der allgemeinen Gesundheit und auch der Gesundheitszufriedenheit in Deutschland [5]. Die SOEP-Antwortskala für die subjektive Gesundheit erschwert aber leider sprachlich den Vergleich z. B. mit den nationalen Gesundheitssurveys, die ebenfalls den allgemeinen Gesundheitszustand eruieren [6]. Von der Erhebungsmethode her wäre auch der Mikrozensus gut geeignet. In seinem freiwilligen Gesundheitszusatzprogramm wird aber der subjektive Gesundheitszustand nicht erhoben [7]
[8]. Einen umfassenden Überblick über den Stand und Ergebnisse in Deutschland hat aktuell das Robert-Koch-Institut herausgegeben [2]. Die Analyse der Gesundheit von Erwerbslosen ist besonders diffizil. Wenn Erwerbslose in Gesundheitssurveys überhaupt erfasst werden, sind die Fallzahlen häufig klein, so dass multivariate Auswertungen mit statistischen Unsicherheiten einhergehen. Bisherige empirische Erhebungen zeigen übereinstimmend große Gesundheitsunterschiede zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen auf [7]
[9]
[10]. Für die ungünstige Gesundheit von Erwerbslosen werden sowohl Gesundheitsbelastungen durch die Arbeitslosigkeit aufgrund von materieller und psychischer Deprivation als auch Selektionseffekte an den Arbeitsmarktübergängen verantwortlich gemacht [11]
[12]. Das zugrunde liegende Wirkungsgefüge ist aber noch nicht vollständig geklärt und über die Gesundheitsentwicklungen im Zeitverlauf besteht ein Informationsdefizit.
Der Gesundheitszustand wird nach der WHO mit hohen Effektstärken vom sozio-ökonomischen Status und sozialen Determinanten beeinflusst [13]. Sozialbedingte ungleiche Gesundheitschancen sind nicht nur in Deutschland [2], sondern in fast allen europäischen Ländern zu beobachten [14]
[15]
[16]. Eine hohe Einkommensungleichheit ist mit durchschnittlich schlechterer Gesundheit assoziiert [5]
[6]
[17]. Wohlfahrtsstaaten mit umfassender Sozialpolitik weisen tendenziell ein geringeres Niveau an Gesundheitseinschränkungen und dabei weniger soziale Disparitäten auf [18]
[19]. Vielschichtige Wechselwirkungen zwischen Gesundheit und Erwerbslosigkeit sind evident [12]
[20].
Eine bislang in Deutschland wenig beachtete Datenquelle ist der EU-SILC-Survey [21]. Der EU-SILC-Survey ermöglicht als jährliche Wiederholungsbefragung die Betrachtung der Zeitverläufe und Gegenüberstellungen zwischen den EU-Ländern und kann jährliche Vergleichswerte zum subjektiven Gesundheitszustand ermitteln. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, den selbst eingeschätzten Gesundheitszustand und chronische Gesundheitseinschränkungen in der Bevölkerung anhand des EU-SILC-Survey im Zeitverlauf zu analysieren und Disparitäten zwischen Erwerbsstatusgruppen nach demografischen Charakteristika und sozio-ökonomischen Merkmalen zu explorieren.
Methoden
In Deutschland wird die Haushaltsbefragung LEBEN IN EUROPA (EU-SILC) seit 2005 vom Statistischen Bundesamt [21] schriftlich durchgeführt. Grundlage ist die EU-Verordnung 1177/2003 [22]. In den EU-SILC-Survey 2014 gehen für Deutschland die Antworten von 22 695 erfassten Personen ab 16 Jahren ein [21]. Hauptzweck der Erhebung ist es, harmonisierte und vergleichbare Mikrodaten und Indikatoren zur Messung von Lebensbedingungen, Haushaltseinkommen, Armut, Arbeitsmarktintegration und sozialer Ausgrenzung in der EU zu generieren. Die Erhebungsgesamtheit umfasst die Bevölkerung in allen Privathaushalten am Hauptwohnsitz. Seit dem Erhebungsjahr 2008 wird die deutsche EU-SILC-Erhebung vollständig als Zufallsstichprobe erhoben. Vorher wurde die Stichprobe im Rahmen einer Ausnahmeregelung über eine Kombination aus Quoten- und Zufallsstichprobe privater Haushalte ausgewählt [23]. Ein Haushalt wird höchstens in 4 aufeinander folgenden Jahren befragt. Die Auskunftserteilung ist freiwillig. Die Befragungsdaten werden von Eurostat als Mikrodatensätze für die Forschung zur Verfügung gestellt. Vom Statistischen Bundesamt wird eine umfassende Qualitätssicherung der Daten, insbesondere bei den Sozialindikatoren, und Plausibilitätsprüfungen vorgenommen. Der von der EU vorgegebene Mindeststichprobenumfang wird in Deutschland weit übertroffen. Das Statistische Bundesamt gibt den relativen Standardfehler beim Hauptindikator Armutsgefährdungsquote mit 0,1% und für die meisten anderen EU-Hauptindikatoren mit nicht höher als 1–2% an [23].
Die selbst wahrgenommene Gesundheit wird im EU-SILC-Survey 2014 über die Frage „Wie ist Ihr Gesundheitszustand im Allgemeinen?“ und Antwortoptionen auf einer 5er-Skala im Likert-Format operationalisiert („sehr gut; gut; mittelmäßig; schlecht; sehr schlecht“).
Zwei weitere Gesundheitsitems fragen das Vorliegen einer chronischen Erkrankung und ihre Konsequenzen für die Verrichtung alltäglicher Arbeiten ab. Der EU-SILC-Survey erfasst eine chronische Erkrankung über die Frage „Haben Sie eine oder mehrere lang andauernde, chronische Krankheiten?“ („ja; nein; ich weiß nicht“). Sie bedürfen im Sinne des EU-SILC-Surveys „ständiger Behandlung und Kontrolle, z. B. Diabetes oder Herzerkrankungen“ (Ausfüllhinweis). Es folgt eine Frage zum Beeinträchtigungsgrad der Arbeitsfähigkeit. Für die Analysen werden diese beiden Variablen zu chronischen Gesundheitseinschränkungen zusammengefasst und dichotomisiert.
Auf Personenebene werden weitere demografische Variablen wie Geschlecht, Alter, Geburtsort und Sozialvariablen wie Bildungsstand, Haushaltseinkommen und überwiegender Erwerbsstatus mit dem Vorjahr als Referenzjahr erfasst [24]. Der EU-SILC-Survey misst die Erwerbstätigkeit nach dem Labour Force Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) [25]. Eine Person gilt danach als erwerbstätig, wenn sie mindestens eine Stunde pro Woche gegen Bezahlung gearbeitet hat. Erwerbslos ist, wer Arbeit aktiv sucht und dem Arbeitsmarkt in den nächsten 14 Tagen zur Verfügung steht.
Bei der Berechnung des (Netto-)Äquivalenzeinkommens werden die Zusammensetzung der Privathaushalte nach Haushaltsgröße und das Alter der Haushaltsmitglieder berücksichtigt. Eine Äquivalenzgewichtung nimmt Eurostat nach einer OECD-Gewichtungsskala vor. Die Armutsgefährdungsgrenze bezieht sich auf unter 60% des Bundesmedians des Nettoäquivalenzeinkommens.
Der höchste Bildungsabschluss wird nach der Klassifikation ISCED-2011 (International Standard Classification of Education) kategorisiert und nach niedrigem, mittlerem und hohem Niveau aggregiert dargestellt.
Die binäre logistische Regression berechnet die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines Ereignisses in Abhängigkeit von den Werten der Kovariaten und 95%-Konfidenzintervalle. Die Zugehörigkeit zu der mit „1“ codierten Gruppe wird geschätzt, wobei die Ausprägungen der abhängigen Variable „0“ und „1“ betragen. Das Odds Ratio ist ein Maß dafür, um wieviel größer die Chance eines Ereignisses (z. B. positiver Gesundheitszustand) in der Gruppe mit bestimmten Merkmalen im Vergleich zur Gruppe ohne diese Merkmale ist. Zu den Odds Ratios werden 95%-Konfidenzintervalle angegeben.
Die nachfolgenden Auswertungen des EU-SILC konzentrieren sich auf eine Deskription von Prävalenzraten nach Bevölkerung und Erwerbsstatusgruppen im Zeitverlauf und eine Analyse des (letztverfügbaren) Querschnittsdatensatzes 2014. Die Daten wurden von April bis November 2014 erhoben. Für die Hochrechnung wurde der Gewichtungsfaktor des EU-SILC Survey 2014 von Eurostat für die EU-SILC-Population verwandt. Die Analysen wurden mit IBM SPSS-Statistics 23 durchgeführt.
Ergebnisse
Subjektive Gesundheit im Zeitverlauf 2005–2014
In der [Tab. 1] wird das Sample nach sozio-demografischen Merkmalen und Gesundheitsvariablen im EU-SILC-Survey näher beschrieben. Sie weist die erfassten Interviews und die Hochrechnungen für Deutschland aus.
Tab. 1 Erfasste und hochgerechnete Personenzahl nach soziodemografischen Merkmalen und Gesundheitsvariablen im EU-SILC-Survey 2014.
Merkmale
|
|
Anzahl
|
Anzahl (Tsd.)
|
Anteil (%)
|
Missings
|
(erfasst)
|
(hochgerechnet)
|
Insgesamt
|
ab 16 Jahren
|
22 695
|
68 250
|
100,0%
|
0,0%
|
Erwerbsstatus (überwiegend)
|
Erwerbstätige
|
11 390
|
36 351
|
53,5%
|
0,5%
|
|
Erwerbslose
|
860
|
3 115
|
4,6%
|
|
|
Rentner
|
7 019
|
17 087
|
25,2%
|
|
|
Andere Inaktive
|
3 322
|
11 358
|
16,7%
|
|
Geschlecht
|
Männer
|
10 868
|
33 281
|
48,8%
|
0,0%
|
|
Frauen
|
11 827
|
34 969
|
51,2%
|
|
Altersgruppen
|
16 bis einschließlich 29
|
2 841
|
11 522
|
16,9%
|
0,0%
|
|
30 bis einschließlich 39
|
2 320
|
9 737
|
14,3%
|
|
|
40 bis einschließlich 49
|
3 743
|
11 860
|
17,4%
|
|
|
50 bis einschließlich 64
|
6 803
|
17 870
|
26,2%
|
|
|
65 und älter
|
6 988
|
17 260
|
25,3%
|
|
Migrationshintergrund
|
Dt. Staatsangeh. und Geburtsort
|
20 440
|
57 491
|
84,2%
|
0,0%
|
|
Ausl. Staatsang. oder Geburtsort
|
2 255
|
10 759
|
15,8%
|
|
Höchster Bildungsabschluss
|
Niedrig (ISCED bis 2)
|
2 948
|
13 859
|
20,3%
|
0,0%
|
|
Mittel (ISCED 3–4)
|
12 388
|
38 990
|
57,1%
|
|
|
Hoch (ISCED 5–8)
|
7 359
|
15 401
|
22,6%
|
|
Subjektive Gesundheit
|
sehr gut
|
3 428
|
11 732
|
17,2%
|
0,1%
|
|
gut
|
11 079
|
32 711
|
48,0 %
|
|
|
mittelmäßig
|
6 350
|
18 270
|
26,8%
|
|
|
schlecht
|
1 510
|
4 536
|
6,7%
|
|
sehr schlecht
|
302
|
922
|
1,4%
|
|
Chronische Erkrankungen
|
Nein
|
12 845
|
39 999
|
58,7%
|
0,2%
|
|
Ja
|
8 955
|
25 277
|
37,1%
|
|
|
Ich weiß es nicht
|
854
|
2 827
|
4,2%
|
|
Gesundheitseinschränkungen
|
Nicht eingeschränkt
|
13 568
|
41 549
|
61,5%
|
1,0%
|
|
Erheblich eingeschränkt
|
2 357
|
6 981
|
10,3%
|
|
|
Eingeschränkt, nicht erheblich
|
5 869
|
16 560
|
24,5%
|
|
|
Ich weiß es nicht
|
701
|
2 488
|
3,7%
|
|
Chronische Gesundheitseinschränkungen
|
Nein
|
14 829
|
45 168
|
71,7%
|
7,7%
|
|
Ja
|
6 302
|
17 824
|
28,3%
|
|
Die [Abb. 1] zeigt die Personen ab 16 Jahren, die ihren allgemeinen Gesundheitszustand zum Befragungszeitpunkt als sehr gut oder gut in Deutschland einschätzten. Sie verdeutlicht, dass in der Bevölkerung der Anteil mit positiver Gesundheit von 2005 bis 2009 leicht zunahm und im weiteren Zeitverlauf relativ konstant blieb. Er stieg in Deutschland hochgerechnet von insgesamt 60,1% in 2005 auf 65,2% in 2014 an. Das ist umso bemerkenswerter, da die Bevölkerung in Deutschland durch den demografischen Wandel alterte. Das Durchschnittsalter der Befragten ab 16 nahm in der EU-SILC-Welle 2005 von 49 Jahren auf 50 Jahre in 2014 zu (jeweils SE=0,002). Obwohl sich die subjektive Gesundheit seit 2005 trotz Alterung der Bevölkerung im Durchschnitt verbesserte, gilt das aber nicht für alle Erwerbsstatusgruppen wie die [Abb. 1] demonstriert.
Abb. 1 Anteil der Personen mit „sehr gutem oder gutem“ Gesundheitszustand im EU-SILC-Survey 2005–2014 (Selbsteinschätzung)
Das Ausgangsjahr 2005 war von tiefgreifenden Wirtschaftsproblemen mit einer hohen Arbeitslosenquote von 11,7% bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen [26] geprägt. Die Erwerbslosigkeit ging seitdem in Deutschland massiv zurück und die Zahl der Erwerbstätigen expandierte. Innerhalb der Erwerbsbevölkerung entwickelten sich die Gesundheitschancen nach [Abb. 1] aber divergent. Im Jahr 2005 gaben 73,2% der Erwerbstätigen einen sehr guten oder guten Gesundheitszustand an. Von den Erwerbslosen berichteten nur 53,8% eine positive Gesundheit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erwerbstätigen im Durchschnitt signifikant jünger als Erwerbslose waren (43 vs. 45 Jahre). Die Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen vergrößerten sich im weiteren Zeitverlauf außerordentlich. Im Jahr 2014 bewerteten mit 77,1% mehr Erwerbstätige ihren Gesundheitszustand mit gut oder sehr gut als im Jahr 2005, während der korrespondierende Anteil bei den Erwerbslosen auf 37,2% abfiel. Parallel stieg im Erwerbslosenbestand der Anteil von Personen mit negativer Gesundheit an. Wie [Tab. 2] darlegt, stuften 21,3% der Erwerbslosen im Jahr 2014 ihre Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht ein, während bei den Erwerbstätigen dieser Anteil mit 3,1% sehr niedrig lag.
Tab. 2 Subjektiver Gesundheitszustand und chronische Gesundheitseinschränkungen im EU-SILC-Survey 2014
|
|
|
Subjektiver Gesundheitszustand
|
Vorhandensein chronischer Gesundheitseinschränkungen
|
Merkmale
|
|
Personen ab 16 Jahren (Tsd.)
|
Sehr gut oder gut
|
Mittelmäßig
|
Schlecht oder sehr schlecht
|
Personen ab 16 Jahren (Tsd.)
|
(in %)
|
Erwerbsstatus (überwiegend)
|
Erwerbstätige
|
36 329
|
77,1%
|
19,8%
|
3,1%
|
5 457
|
16,1%
|
Erwerbslose
|
3 109
|
37,2%
|
41,5%
|
21,3%
|
1 380
|
51,5%
|
Rentner
|
17 048
|
40,6%
|
46,1%
|
13,3%
|
8 299
|
52,3%
|
Andere Inaktive
|
11 346
|
71,6%
|
16,3%
|
12,1%
|
2 620
|
25,4%
|
Geschlecht
|
Männer
|
33 244
|
66,9%
|
25,3%
|
7,8%
|
8 283
|
26,9%
|
Frauen
|
34 927
|
63,6%
|
28,2%
|
8,2%
|
9 541
|
29,6%
|
Altersgruppen
|
16 bis einschließlich 35
|
17 765
|
88,0%
|
10,2%
|
1,8%
|
1 475
|
9,0%
|
36 bis einschließlich 50
|
16 667
|
74,7%
|
19,5%
|
5,8%
|
2 967
|
19,4%
|
51 bis einschließlich 64
|
16 511
|
56,1%
|
32,3%
|
11,6%
|
5 182
|
33,8%
|
65 und älter
|
17 228
|
41,2%
|
45,7%
|
13,1%
|
8 201
|
51,1%
|
Migrationshintergrund
|
Deutsche Staatsangehörigkeit und Geburtsort
|
57 433
|
65,9%
|
26,2%
|
7,9%
|
14 965
|
28,0%
|
Ausländische Staatsangehörigkeit oder Geburtsort
|
10 739
|
61,4%
|
30,2%
|
8,4%
|
2 859
|
30,1%
|
Höchster Bildungsabschluss
|
Niedrig (ISCED bis 2)
|
13 827
|
56,9%
|
30,7%
|
12,4%
|
4 320
|
35,0%
|
Mittel (ISCED 3–4)
|
38 960
|
64,9%
|
27,4%
|
7,8%
|
10 309
|
28,5%
|
Hoch (ISCED 5–8)
|
15 385
|
73,5%
|
21,9%
|
4,7%
|
3 195
|
22,0%
|
Nettoäquivalenzeinkommen
|
1. Quintil (niedrigstes)
|
15 520
|
51,7%
|
33,4%
|
14,9%
|
5 470
|
39,6%
|
2. Quintil
|
14 052
|
60,5%
|
31,1%
|
8,4%
|
4 209
|
32,9%
|
3. Quintil
|
13 449
|
65,7%
|
27,8%
|
6,5%
|
3 502
|
27,9%
|
4. Quintil
|
13 120
|
73,2%
|
21,8%
|
5,1%
|
2 738
|
22,0%
|
5. Quintil (höchstes)
|
12 030
|
78,8%
|
17,7%
|
3,5%
|
1 905
|
16,7%
|
Anmerkungen: 1. Ergebnisse sind gewichtet und hochgerechnet. 2. Ein Quintil stellt ein Fünftel der Population bei aufsteigend sortierter Folge der Einkommen dar.
Subjektive Gesundheit im EU-SILC 2014
Wie die [Tab. 2] illustriert, unterscheiden sich die Ergebnisse zur selbst wahrgenommenen Gesundheit zwischen Männern und Frauen und nach Migrationshintergrund im EU-SILC 2014 relativ wenig. Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich dagegen der Gesundheitszustand (erwartungsgemäß) deutlich. Bemerkenswert sind die sozialen Einflussfaktoren. Je höher der Bildungsstand und das Einkommen der Interviewpersonen, desto besser wird der Gesundheitszustand beurteilt. Im niedrigsten Quintil beim Nettoäquivalenzeinkommen berichtete mit 51,7% rund die Hälfte der Befragten einen positiven Gesundheitszustand, während beim höchsten Quintil mit 78,8% über drei Viertel ihre Gesundheit als sehr gut oder gut bezeichneten.
Die [Abb. 2] informiert über die subjektive Gesundheit von Angehörigen armutsgefährdeter Haushalte, die in allen untersuchten Altersgruppen signifikant weniger positiv als von nicht armutsgefährdeten Personen eingeschätzt wird. Besonders ausgeprägt ist der soziale Gradient im mittleren Lebensalter.
Abb. 2 Anteil der Personen mit „sehr gutem oder gutem“ Gesundheitszustand (Selbsteinschätzung) nach Armutsgefährdung und Alter im EU-SILC-Survey 2014.
Die [Abb. 3] präsentiert die Anteile mit sehr guten oder guten Gesundheitszustand nach Altersgruppen und Erwerbsstatus. Die Erwerbstätigen schätzten ihren Gesundheitszustand wesentlich häufiger positiv als die Erwerbslosen ein. Die Unterschiede sind in allen Altersgruppen signifikant.
Abb. 3 Anteil der Personen mit „sehr gutem oder gutem“ Gesundheitszustand (Selbsteinschätzung) nach Erwerbsstatus und Alter im EU-SILC-Survey 2014.
Auf einen sehr guten oder guten Gesundheitszustand zielen binäre logistische Regressionsanalysen im EU-SILC 2014 ([Tab. 3]), um gesundheitsgefährdete Gruppen anhand der Odds Ratios zu identifizieren. Sie betrachten im ersten Modell Erwerbslose in Relation zu Erwerbstätigen und beziehen im zweiten Modell als Kovariaten die sozio-demografischen Merkmale Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund, höchster Bildungsabschluss und Nettoäquivalenzeinkommen ein. Die Wahrscheinlichkeit von Erwerbslosen für eine positive Gesundheit ist im Verhältnis zu Erwerbstätigen signifikant um den Faktor 0,17 erniedrigt. Die Gesundheitsprognose von Erwerbslosen verbessert sich in der Querschnittsbetrachtung leicht auf eine Odds Ratio von 0,26 unter Adjustierung der sozio-demografischen Kovariaten. Erwartungsgemäß ist Lebensalter eine sehr wichtige Vorhersagevariable für den Gesundheitszustand. Im Vergleich zur Gruppe mit niedrigem Bildungsabschluss haben die Interviewten mit mittlerem Bildungsabschluss eine 1,35-fach und mit hohem Bildungsabschluss eine 1,78-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit auf einen positiven Gesundheitszustand. Statistisch bemerkenswert ist, dass eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsprognose mit jedem Quintil des Nettoäquivalenzeinkommens einhergeht. In Referenz zum niedrigsten Quintil beim Nettoäquivalenzeinkommen erhöht sich die Odds Ratio auf 1,54 im mittleren Quintil und steigert sich im höchsten Quintil auf eine Odds Ratio von 2,53.
Tab. 3 Subjektiver Gesundheitszustand und chronische Gesundheitseinschränkungen im EU-SILC-Survey 2014
|
|
Sehr guter oder guter Gesundheitszustand
|
Chronische Gesundheitseinschränkungen
|
Merkmale
|
|
OR (95%-KI)
|
OR (95%-KI)
|
OR (95%-KI)
|
OR (95%-KI)
|
Erwerbsstatus (überwiegend)
|
Erwerbstätige
|
Ref.
|
Ref.
|
Ref.
|
Ref.
|
Erwerbslose
|
0,17 (0,1715–0,1724)***
|
0,26 (0,2558–0,2572)***
|
5,44 (5,4268–5,4557)***
|
3,99 (3,9804–4,0036)***
|
Rentner
|
|
0,51 (0,5128–0,5157)***
|
|
2,86 (2,8519–2,8691)***
|
Andere Inaktive
|
|
0,59 (0,5840–0,5862)***
|
|
2,44 (2,4377–2,4474)***
|
Geschlecht
|
Männer
|
|
Ref.
|
|
Ref.
|
Frauen
|
|
1,03 (1,0299–1,0323)***
|
|
0,97 (0,9713–0,9737)***
|
Altersgruppen
|
16 bis einschließlich 35
|
|
Ref.
|
|
Ref.
|
36 bis einschließlich 50
|
|
0,29 (0,2856–0,2868)***
|
|
3,71 (3,7013–3,7188)***
|
51 bis einschließlich 64
|
|
0,13 (0,1317–0,1322)***
|
|
6,98 (6,9674–6,9986)***
|
65 und älter
|
|
0,12 (0,1177–0,1184)***
|
|
6,84 (6,8124–6,8594)***
|
Migrationshintergrund
|
Deutsche Staatsangehörigkeit und Geburtsort
|
|
Ref.
|
|
Ref.
|
Ausländische Staatsangehörigkeit oder Geburtsort
|
|
0,96 (0,9532–0,9561)***
|
|
0,94 (0,9383–0,9415)***
|
Höchster Bildungsabschluss
|
Niedrig (ISCED bis 2)
|
|
Ref.
|
|
Ref.
|
Mittel (ISCED 3 – 4)
|
|
1,35 (1,3470–1,3510)***
|
|
0,81 (0,8044–0,8070)***
|
Hoch (ISCED 5 – 8)
|
|
1,78 (1,7738–1,7805)***
|
|
0,67 (0,6703–0,6731)***
|
Nettoäquivalenzeinkommen
|
1. Quintil (niedrigstes)
|
|
Ref.
|
|
Ref.
|
2. Quintil
|
|
1,34 (1,3337–1,3382)***
|
|
0,82 (0,8163–0,8193)***
|
3. Quintil
|
|
1,54 (1,5377–1,5430)***
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0,71 (0,7083–0,7110)***
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4. Quintil
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1,96 (1,9553–1,9624)***
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0,59 (0,5928–0,5951)***
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5. Quintil (höchstes)
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2,53 (2,5239–2,5339)***
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0,45 (0,4488–0,4508)***
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Pseudo-R2 (Nagelkerkes)
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0,150
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0,239
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0,124
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0,249
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(N)
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(12 244)
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(22 565)
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(11 424)
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(21 033)
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*** p<0,001; *p<0,05; Anmerkung: 1. Ein Quintil stellt ein Fünftel der Population bei aufsteigend sortierter Folge der Einkommen dar. 2. OR=Odds Ratio. 3. KI=Konfidenzintervall. 4. Ergebnisse altersadjustiert. 5. Alle Ergebnisse sind gewichtet.
Der selbstbewertete Gesundheitszustand korreliert mit chronischen Erkrankungen und Gesundheitseinschränkungen. 92,8% der Interviewten mit schlechtem oder sehr schlechtem Gesundheitszustand beklagten auch chronische Gesundheitseinschränkungen.
Chronische Erkrankungen und Gesundheitseinschränkungen im EU-SILC 2014
Die Häufigkeitsauszählungen der chronischen Gesundheitseinschränkungen im EU-SILC-Survey 2014 legen erhebliche Disparitäten zwischen sozialen Gruppen offen ([Tab. 2]). 16, 1% der Erwerbstätigen schätzten sich in Deutschland selbst als chronisch krank mit Einschränkungen im Alltag ein. Bei den Erwerbslosen ist dieser Anteil dagegen mit 51,5% mehr als dreimal so hoch.
Die gesundheitliche Ungleichheit lässt sich auch zwischen den Bildungs- und Einkommensgruppen nachweisen. Je höher der Bildungsabschluss, umso seltener sind chronische Gesundheitseinschränkungen vorhanden. Im niedrigsten Quintil beim Nettoäquivalenzeinkommen bekundeten die Befragten mit einem Anteil von 39,6% wesentlich häufiger chronische Gesundheitseinschränkungen als die besser gestellten Einkommensgruppen. Im höchsten Einkommens-Quintil gaben lediglich 16,6% der Befragten chronische Gesundheitseinschränkungen an.
Während die Unterschiede in der Prävalenz von chronischen Gesundheitseinschränkungen zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Deutschen und Migranten relativ gering sind, steigen sie (erwartungsgemäß) mit dem Alter stark an. Mit 51,1% berichtete rund die Hälfte der Befragten im Rentenalter das Vorhandensein von chronischen Gesundheitseinschränkungen.
Auf die Auftrittswahrscheinlichkeit von chronischen Gesundheitseinschränkungen richten sich die binären logistischen Regressionsanalysen in [Tab. 3], die ebenfalls den Einfluss der sozio-demografischen Merkmale Erwerbsstatus, Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund, höchster Bildungsabschluss und Nettoäquivalenzeinkommen im EU-SILC-Survey 2014 untersuchen. Als sehr bedeutsame Prädiktorvariable wird Erwerbslosigkeit in der Querschnittsbetrachtung identifiziert. Für Erwerbslose ist in Relation zu Erwerbstätigen eine 5,44-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine chronische Gesundheitseinschränkung im Modell 3 zu konstatieren. Diese stark erhöhte Odds Ratio von Erwerbslosen für eine chronische Gesundheitseinschränkung senkt sich auf 3,99 ab, wenn die sozio-demografischen Kovariaten in Modell 4 einbezogen werden. Das Lebensalter übt dabei die größte Effektstärke auf die Prävalenz von chronischen Gesundheitseinschränkungen aus. Höhere Bildung und größeres Nettoäquivalenzeinkommen sind mit signifikant abnehmenden Risiken für eine chronische Gesundheitseinschränkung in der multivariaten Betrachtung assoziiert. Die Zugehörigkeit zum höchsten Einkommens-Quintil ist mit einer stark reduzierten Odds Ratio von 0,45 verbunden.
Diskussion und Fazit
Als Limitation ist darauf hinzuweisen, dass repräsentative Stichprobenerhebungen mit Zufallsfehlern behaftet sind. Nach dem Qualitätsbericht des Statistischen Bundesamts [23] wird die Größenordnung des Stichprobenfehlers für den EU-SILC-Survey 2014 aber als klein eingeschätzt. Zudem sind nicht-stichprobenbedingte systematische Fehler und Antwortausfälle durch die Freiwilligkeit der Teilnahme zu berücksichtigen, denen aber mit umfangreichen qualitätssichernden Maßnahmen begegnet wurde [23]. Die Fallzahlen begrenzen die Analysemöglichkeiten. Zugunsten einer detaillierten Darstellung nach sozialen Merkmalen wurden nicht alle Ergebnisse stratifiziert nach Geschlecht ausgewiesen.
Der allgemeine Gesundheitszustand in der Bevölkerung verbesserte sich zwischen den EU-SILC-Wellen 2005 und 2014 trotz fortschreitender Alterung der Bevölkerung leicht. Gleichzeitig wuchs die gesundheitliche Ungleichheit zwischen den Erwerbsgruppen. Der subjektive Gesundheitszustand verschlechterte sich in der Gruppe der (überwiegend) Erwerbslosen im Durchschnitt stark, während sich die Gesundheit von Erwerbstätigen etwas verbesserte. Der Anteil an Erwerbslosen mit beeinträchtigter Gesundheit ist im europäischen Vergleich auffallend hoch. Zu den Ursachen besteht in Deutschland weiterer Forschungsbedarf. Der Anteil an Langzeitarbeitslosen am Arbeitslosenbestand ist in Deutschland besonders groß. Möglicherweise wirken Reformen am Arbeitsmarkt („Hartz I-IV“) noch gesundheitsbelastend nach. Zu den Ergebnissen dürften auch Selektionseffekte bei der Arbeitsmarktintegration in Deutschland beitragen, da bei Arbeitslosen mit schlechtem subjektivem Gesundheitszustand signifikant geringere Wiedereingliederungschancen festgestellt wurden [10]. Gut die Hälfte der Erwerbslosen berichtet im EU-SILC-Survey 2014 chronische Gesundheitseinschränkungen. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Großteil der chronischen Gesundheitseinschränkungen auf berufliche Tätigkeiten sowie auf die Arbeitsvermittlung und Arbeitsuche im Sinne der Selektionsthese auswirken.
Die logistischen Regressionsanalysen ermitteln für den EU-SILC-Survey 2014, dass nach dem Alter die sozialen Einflussfaktoren Erwerbsstatus, Einkommen und Bildung die stärksten Assoziationen beim subjektiven Gesundheitszustand und chronischen Gesundheitseinschränkungen in der Querschnittsbetrachtung aufweisen. In allen untersuchten Altersgruppen berichteten Angehörige armutsgefährdeter Haushalte im Durchschnitt einen signifikant ungünstigeren Gesundheitszustand. Armutsgefährdung erklärt für die Erwerbslosen aber nur einen Teil der Gesundheitsunterschiede zu den Erwerbstätigen. Über die materielle Deprivation hinaus müsste im EU-SILC-Survey die psychische Deprivation in Erwerbslosigkeit stärkere Berücksichtigung finden. Bei der Übertragung der Ergebnisse ist außerdem zu beachten, dass sich das EU-SILC-Erhebungskonzept von überwiegender Erwerbslosigkeit nach dem Labour Force Konzept von der deutschen Arbeitslosendefinition nach dem Sozialgesetzbuch III sehr unterscheidet.
Die Eingangsfrage war, ob Deutschland kränker oder gesünder wird und wie die Gesundheitschancen sozial verteilt sind? Die Analysen der EU-SILC Wellen 2005–2014 zeigen im Bevölkerungsdurchschnitt leichte Gesundheitsverbesserungen bei steigendem Alter. Das ist für Deutschland eine erfreuliche Entwicklung, die hauptsächlich auf die Prosperität und verbesserten Lebensbedingungen zurückzuführen sein dürfte. Gleichzeitig gibt es marginalisierte soziale Gruppen, die offenbar wenig davon profitieren konnten. Sie sind charakterisiert durch Erwerbslosigkeit, geringe formale Qualifikation und Einkommensarmut. Bereits 1981 nahm die WHO [27] solche Zielgruppen mit einer globalen Strategie für „Health for All“ in den Fokus. Für die Identifikation von vulnerablen Gruppen und ihren Gesundheitsbelastungen braucht es Erhebungsinstrumente wie den EU-SILC-Survey . Sie können den Bedarf z. B. für die Gesundheitsförderung bei Erwerbslosen ermitteln [28]. Der EU-SILC-Survey ist als jährliche Wiederholungsbefragung gut geeignet, auch den Erreichungsgrad von gesundheitspolitischen Zielen zur Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit z. B. im Rahmen der aktuellen EUROPA 2020-Strategie der EU-Kommission [29] oder des Rahmenkonzeptes HEALTH 2020 der WHO [30] zu messen. Diese „Health for All“-Ziele sind noch nicht erreicht!