Kontraindikationen
Kontraindikationen sind klinische und/oder bildmorphologische Hirndruckzeichen, lokale
Entzündungen an der geplanten Punktionsstelle, ein Konustiefstand sowie Störungen
der Blutgerinnung. Liegt eine medikamentöse Antikoagulation vor, empfiehlt sich ein
Vorgehen gemäß der AWMF-Leitlinie 001/005 „Rückenmarksnahe Regionalanästhesien und
Thrombembolieprophylaxe/antithrombotische Medikation“. Im Notfall ist eine Korrektur
der Gerinnungshemmung (z. B. Fresh frozen Plasma, Protamin, Idaruzizumab oder einzelne
Gerinnungsfaktoren) erforderlich.
Eine LP kann bei Vorliegen folgender Gerinnungsparameter erfolgen: Quick > 50%, INR
< 1,4 und Thrombozyten > 50 G/l (< 50 G/l ist eine relative, < 20 G/l ist eine absolute
Kontraindikation). Bei klinischen Hinweisen auf erhöhten Hirndruck (Vigilanzstörung,
Papillenödem, Kopfschmerz mit Übelkeit oder Erbrechen oder andere Fokalneurologie)
muss eine zerebrale Bildgebung (CCT, cMRT) erfolgen. Diese ist bei Abwesenheit von
klinischen Hirndruckzeichen nicht zwingend erforderlich.
Durchführung
Schritt 1 Aufklärung
Der Arzt klärt den Patienten über die Indikation, den Nutzen und die Risiken einer
LP, die Alternativen sowie das Vorgehen bei dieser Prozedur auf. Der Patient stimmt
der Durchführung der Lumbalpunktion schriftlich zu. Bei nicht einwilligungsfähigen
Patienten klärt der Arzt den Bevollmächtigten, gesetzlichen Betreuer oder Erziehungsberechtigten
auf und holt das schriftliche Einverständnis ein. In Notfallsituationen (z. B. bei
klinischem Verdacht auf eine akute bakterielle Meningitis) kann die Lumbalpunktion
bei nicht einwilligungsfähigen Patienten auch ohne Einverständniserklärung erfolgen.
Dies wird schriftlich dokumentiert.
Merke
Die Aufklärung sollte eine ausreichende Bedenkzeit (24 Stunden oder eine Nacht) erlauben.
Bei der Aufklärung empfiehlt es sich, einen standardisierten Aufklärungsbogen ([Abb. 1]) zu verwenden. Der Arzt dokumentiert handschriftlich, dass auf die spezifische Indikation,
die speziellen Risiken der Lumbalpunktion sowie die Alternativen zur Lumbalpunktion
hingewiesen worden ist.
Abb. 1 Standard-Aufklärungsbogen. (Quelle: Auszug aus dem Aufklärungsbogen Lumbalpunktion,
Neu 1, von Thieme Compliance. Erschienen bei Thieme Compliance GmbH, Am Weichselgarten
30a, 91058 Erlangen, www.thieme-compliance.de.)
Auf folgende spezielle Risiken und Nebenwirkungen der Lumbalpunktion sollte insbesondere
hingewiesen werden:
-
Postpunktioneller Kopfschmerz ist die häufigste relevante Nebenwirkung. Die Häufigkeit
ist abhängig vom Nadeldurchmesser (je dünner, desto seltener), der Nadelform (traumatisch
>> atraumatisch) [2]. Der postpunktionelle Kopfschmerz ist nicht abhängig von der entnommenen Liquormenge
und kann nicht durch Liegen nach der LP oder Trinken größerer Mengen Flüssigkeit vermieden
werden.
-
lokale Schmerzen an der Punktionsstelle
-
Kurzzeitige elektrisierende Schmerzen im Bein während der Durchführung, wenn die Nadelspitze
eine Nervenwurzel berührt.
-
Prinzipiell mögliche, äußerst seltene Nebenwirkungen sind eine Blutung in den Intrathekalraum,
Infektionen einschließlich der Hirnhäute, Hirnnervenausfälle und Subduralhämatom.
Der Arzt weist auf die Möglichkeit einer Lokalanästhesie hin. Hierbei muss über die
Möglichkeit einer allergischen Reaktion bis hin zum allergischen Schock informiert
werden.
Schritt 2 Material
Folgendes Material wird für die Durchführung einer LP benötigt:
-
Atraumatische LP-Nadel (z. B. Typ Sprotte, empfohlene Stärke 22 G) mit Introducer.
In Sonderfällen (degenerative Wirbelsäulen, Adipositas) kann der Einsatz einer traumischen
LP-Nadel notwendig werden ([Abb. 2]).
-
Liquordruckmessinstrumente (ZVD-Messsäule oder Manometer, siehe [Abb. 2])
-
drei sterile Polypropylenröhrchen mit Schraubverschluss, ca. 10 ml, nummeriert
-
sterile Handschuhe
-
sterile Tupfer
-
sterile Verbandspflaster
-
steriles Lochtuch
-
Hautdesinfektionsmittel mit Remanenzwirkung (optimalerweise Wischdesinfektion statt
Spray)
-
ein 8-ml-Serumröhrchen
-
Anforderungsbogen mit Angabe folgender Daten: Alter und Geschlecht des Patienten,
klinische Fragestellung, Punktionszeitpunkt des Liquors und des Serums (Serum- und
Liquorentnahmen sollten nicht länger als 2 Stunden auseinander liegen), Punktionsort,
Punktatmenge, angeforderte Parameter)
Abb. 2 Gesamtes LP-Besteck inkl. Steigrohr für Liquordruckmessung. (Quelle: PD Dr. Sarah
Jesse.)
Schritt 3 Lagerung des Patienten
Eine Lumbalpunktion ist in zwei Körperhaltungen möglich: in sitzender Position und
in seitlich liegender Position. Die Vorteile der sitzenden Position bei wachen kooperativen
Patienten sind, dass Abweichungen der Punktionsrichtung von der Mittellinie besser
zu vermeiden und auch Rotationsbewegungen der Wirbelsäule bei Flexion leichter erkennbar
sind. Ferner wird die Untersuchungszeit verkürzt, da der Liquordruck im lumbalen Liquorraum
höher ist als in der liegenden Position, wodurch der Zeitbedarf für den Eingriff verringert
wird.
Abb. 3 Schematische Darstellung eines Patienten im Liegen und im Sitzen.(Quelle: Rickels
E. Liquorpunktion (LP). In: Leuwer M, Marx G, Trappe H et al., Hrsg. Checkliste Intensivmedizin.
5., überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2017. doi:10.1055/b-005-143668
)
Merke
Die liegende Position ist bei bewusstseinsgestörten und weniger kooperativen Patienten
vorzuziehen und stellt die obligate Lage für eine Liquordruckmessung dar.
Lagerung in sitzender Position Der Patient setzt sich mit dem Rücken zum Arzt auf die gegenüberliegende Kante des
Patientenbettes oder der Untersuchungsliege.
Lagerung in liegender Position Der Patient legt sich in Seitenlage auf eine flache Unterlage, sodass die untere
LWS vor dem Punktierenden zu liegen kommt. Der Kopf des Patienten wird mit einem Kissen
unterstützt, sodass die Halswirbelsäule in der Sagittalebene gerade zu liegen kommt.
Durch eine Hilfsperson werden die Beine in Hüfte und Knie maximal flektiert und hierbei
der Rücken gebeugt. Der Patient umfasst hierbei die Knie, um die Stellung zu stabilisieren.
Lokalanästhesie Die Lokalanästhesie ist optional und sollte mit etwa 2 ml einer 1 – 2% Lidocainlösung
erfolgen. Die Lokalanästhesie sollte oberflächennah und unter Aspiration durchgeführt
werden. Eine Punktion des Spinalkanals ist unbedingt zu vermeiden.
Schritt 4 Identifizierung der geeigneten Zwischenwirbelräume
Die gedachte Verbindung der palpablen Oberkanten der Zwischenwirbelräume bildet die
Tuffier-Linie. Diese identifiziert den auf dieser Linie liegenden, ebenfalls palpablen
Dornfortsatz als LWK 4 und die darüber bzw. darunter liegenden Zwischenräume als LWK
3/4 bzw. LWK 4/5 [1].
Adipositas kann zu einer Kranialverschiebung der palpablen Beckenkammoberkannten und
damit der Tuffier-Linie führen. Gleiches gilt bei osteoporotisch bedingter Höhenminderung
der Wirbelkörper. Insbesondere bei Frauen kann hierbei die Tuffier-Linie dann im Einzelfall
durch den Dornfortsatz LWK 3 laufen, der dann als LWK 4 fehlidentifizert wird [3]. Somit sollte bei adipösen und älteren Frauen eine LP auf Höhe LWK 4/5 angestrebt
werden.
Cave
Adipositas kann zu einer Kranialverschiebung der palpablen Beckenkammoberkanten und
damit der Tuffier-Linie führen.
Durch Palpation wird wie oben beschrieben die angestrebte Punktionsstelle ermittelt.
Der Zwischenraum der Dornfortsätze wird als federnder Widerstand des Lig. supraspinale
ertastet. Eine Markierung kann durch kreuzweisen Druck mit dem Daumennagel oder farbigem
Desinfektionsmittel erfolgen.
Schritt 5 Weiteres Vorgehen
Der Rücken des gelagerten Patienten wird mit dem Desinfektionsmittelschwamm großflächig
desinfiziert. Hierbei wird im Bereich der angestrebten Punktionsstelle begonnen und
spiralförmig nach außen vorgegangen.
Nach Antrocknen erfolgt die Abdeckung des Rückens mit einem sterilen Lochtuch. Auf
dem hierdurch entstehenden sterilen Arbeitsfeld werden bereitgelegt: sterile Tupfer,
der Introducer, LP-Nadel Typ Sprotte (22 G) und zwei sterile Desinfektionsschwämme.
Fakultativ zusätzlich eine 5-ml-Spritze, eine 18-G-Aufziehkanüle und 22-G-Kanüle für
die Lokalanästhesie.
Nach Anziehen steriler Handschuhe wird die noch freie Haut um die angestrebte Punktionsstelle
noch zweimalig mit einem Desinfektionsmittelschwämmchen beginnend an der Punktionsstelle
desinfiziert.
Nach Ablaufen der (Mindest-)Einwirkzeit des Hautantiseptikums und der optionalen Lokalanästhesie
wird der Introducer nach erneuter Überprüfung der angestrebten Punktionsstelle eingeführt.
Eine tiefere Punktion sollte insbesondere bei sehr schlanken Patienten nicht erfolgen
(Gefahr der Eröffnung des Liquorraumes).
Die Einführung der LP-Nadel erfolgt horizontal mit leichter Stichrichtung nach kranial.
Bei knöchernem Widerstand wird die Nadel wieder partiell zurückgezogen, der Winkel
geändert und erneut vorgeschoben. Das Durchstechen der Dura ist durch eine subtile
Änderung des Widerstandes zu spüren. Berichtet der Patient über elektrisierende Schmerzen
in einem Bein, wird die Nadel zurückgezogen und dann mit einem in der Axialebene etwas
zur Gegenseite verschobenen Winkel erneut vorgeschoben ([Abb. 4 a])
Abb. 4 a Patient im Liegen – Einführung der LP-Nadel. b Eingeführte Nadel und erster abfließender Liquortropfen. c Liquordruckmessung mit Steigrohr. (Quelle: PD Dr. Sarah Jesse)
Bei vermutlicher Lage der Nadelspitze im Liquorraum wird der Mandrin der Nadel herausgezogen.
Tritt Liquor aus, wird der Mandrin im Falle einer geplanten Druckmessung wieder eingeführt,
ansonsten erfolgt die Liquorgewinnung ([Abb. 4 b]).
Schritt 6 Liquorgewinnung
Optionale Liquordruckmessung Die Punktion zur Liquordruckmessung ist im Liegen vor Liquorentnahme unter sterilen
Bedingungen vorzunehmen. Die Normwerte für den Liquordruck betragen 100 – 250 mmH2O oder 5 – 15 mmHg. Adipositas steigert den Liquoreröffnungsdruck [4].
Zur Liquorgewinnung hält eine Hilfsperson das geöffnete Liquorröhrchen Nr. 1 unter
das Ende der LP-Nadel, sodass der Liquor in das Röhrchen tropft ([Abb. 5 a]).
Abb. 5 a Aufsammeln des Liquors. b Aufgesammelter Liquor verteilt auf drei Polypropylenröhrchen und zeitgleich entnommene
Blutprobe. (Quelle: a Prof. Hayrettin Tumani; b PD Dr. Sarah Jesse)
Das angestrebte Volumen ist in der Regel 10 ml Liquor verteilt auf 3 Röhrchen ([Abb. 5 b]).
Merke
Größere Mengen (max. 20 ml, 10 ml für ein Röhrchen) werden für Spezialuntersuchungen
(Tuberkulosediagnostik, Durchflusszytometrie) benötigt.
Im Falle einer Blutkontamination erfolgt die 3-Gläser-Probe zur Differenzierung zwischen
einer artifiziellen Blutbeimengung und subarachnoidaler Blutung.
Abb. 6 Artifizielle Blutbeimengung in der 3-Gläser-Probe.(Quelle: PD Dr. Sarah Jesse)
Schritt 7 Abweichungen vom Standardprotokoll
Verwendung einer traumatischen Nadel (Typ Quincke) für eine diagnostische Punktion:
Ist eine diagnostische Lumbalpunktion mit einer atraumatischen Nadel nicht erfolgreich,
kann der Einsatz einer traumatischen Nadel erwogen werden. Hierbei wird auf den Introducer
verzichtet.
Es wird darauf geachtet, dass die Schlifffläche streng nach lateral weist, sodass
möglichst wenige Durafasern, die hauptsächlich in kraniokaudaler Richtung verlaufen,
durch die geschliffene Nadelspitze durchtrennt werden. Sollte eine Entlastungspunktion
bei Liquorabflussstörung erwünscht sein, empfiehlt sich andererseits der primäre Einsatz
einer traumatischen Nadel, die dann um 90° gedreht eingesetzt wird, um möglichst viele
Durafasern zu durchtrennen. Dies führt zu einem in diesem Fall erwünschten Liquorleck
und Liquordruckminderung.
Schritt 8 Abschlussarbeiten
Nach erfolgter Liquorentnahme wird der Mandrin wieder in die Nadel eingeführt und
diese mitsamt des Introducers entfernt.
Die Punktionsstelle wird mit einem sterilen Pflaster abgedeckt.
Abb. 7 Patient im Liegen – Verband über der Punktionsstelle. (Quelle: PD Dr. Sarah Jesse.)
Sollte der Patient Zeichen einer vegetativen Dysregulation zeigen, empfiehlt sich
eine liegende Position für einige Minuten nach Punktion mit erhöhten Beinen.
Schritt 9 Behandlung des Liquors nach Lumbalpunktion
Die Liquorentnahme erfolgt bei Raumtemperatur, und der Transport des Liquors in ein
qualifiziertes Labor sollte unmittelbar nach der Punktion erfolgen.
Zur sicheren Bestimmung einer Zellzahl, Anfertigung einer Differenzialzytologie sowie
einer FACS-Analyse sollte der Liquor innerhalb von einer Stunde im entsprechenden
Labor eintreffen.
Für bakteriologische Untersuchungen (Anzucht) darf der Liquor nicht gekühlt und das
Röhrchen bis zum Animpfen der Kultur nicht geöffnet werden.
Für PCR-Diagnostik muss ebenfalls ein Röhrchen verwendet werden, das nach Liquorgewinnung
nicht für andere Zwecke geöffnet wurde. Dieses sollte bei längerer Lagerung gekühlt
werden.
Die individuellen Untersuchungsbedingungen müssen lokale Gegebenheiten berücksichtigen
und sollten mit den lokalen mikrobiologischen Instituten abgesprochen werden.