Einleitung und Epidemiologie
Im Jahr 2016 zählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 6,3 Millionen neue Tuberkulosefälle – eine Erhöhung um über 200 000 Fälle im Vergleich zu 2015 [1]. Die aktuellsten Zahlen für Deutschland stammen ebenfalls aus dem Jahr 2016, hier wurden nach Information des Robert Koch-Instituts (RKI) 5915 Neuerkrankungen registriert [2]. Besonders hoch ist die Inzidenz in Deutschland bei ausländischen Staatsbürgern: sie beträgt hier 42,6/100 000 Einwohner und ist damit 19-mal so hoch wie in der deutschen Bevölkerung. Im Vergleich zu 2015 hat dieser Unterschied um mehr als das 16-Fache zugenommen [2]. Betroffen sind bei ausländischen Staatsbürgern vor allem junge Erwachsene, deren Altersmedian lag bei 28 Jahren (58 Jahre bei Patienten deutscher Herkunft) [2].
Für die weltweite Prävalenz einer aktiven Tuberkulose bei schwangeren Frauen liegen nur Schätzungen vor, auch die WHO nennt hier keine konkreten Zahlen. Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2014 litten 2011 weltweit etwa 216 500 Schwangere an einer Tuberkulose, fast die Hälfte davon stammt aus Afrika [3]. In den USA nahm die Inzidenz der Tuberkulose bei Schwangeren zwischen 2003 und 2011 kontinuierlich zu; sie wird insgesamt mit 26,6/100 000 Geburten angegeben [4]. Analog zur allgemeinen Bevölkerung ist eine Tuberkulose in Hochprävalenzgebieten wie Südafrika deutlich häufiger unter HIV-infizierten schwangeren Frauen als unter HIV-negativen [5]. Für Deutschland existieren keine Zahlen zu Inzidenz oder Prävalenz unter schwangeren Frauen.
Aufgrund der Migrationsbewegung der letzten Jahre und der Zunahme junger Patienten mit einer Tuberkulose ist von einer künftig steigenden Relevanz der Tuberkulose in der Schwangerschaft auch in Deutschland auszugehen.
Gegenstand dieses Übersichtsartikels sind die Besonderheiten des Immunsystems in der Schwangerschaft sowie Diagnostik und Therapie von schwangeren Tuberkulosepatienten. Die Ausführungen und Empfehlungen erfolgen auf Grundlage der aktuellen Literatur, der nationalen und internationalen Leitlinien sowie der klinischen Erfahrungen der Autoren vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Erkrankung.
Review
Immunologische Besonderheiten in der Schwangerschaft
Schwangerschaft ist mit einer Reihe von weitreichenden Veränderungen des mütterlichen Immunsystems assoziiert, die zur Erhaltung der maternofetalen Immuntoleranz von entscheidender Bedeutung sind. Getriggert werden diese Veränderungen vor allem von Hormonen wie Östrogenen und Progesteron [6], [7]. Auch wenn diese Veränderungen komplex und noch nicht gänzlich verstanden sind, ist davon auszugehen, dass der zelluläre Arm des Immunsystems supprimiert wird, während es zu einer Induktion der humoralen Komponente kommt (sog. TH1-/TH2-Phänotyp-Shift). Diese Effekte nehmen im Verlauf der Schwangerschaft zu [6], [8], [9], [10]. Einen Überblick über die immunologischen Veränderungen gibt [Abb. 1].
Abb. 1 Immunologische Veränderungen im Schwangerschaftsverlauf. CD: Cluster of Differentiation, TH1: T-Helferzellen Typ 1, TH2: T-Helferzellen Typ 2.
Aus klinischer Sicht wird eine während der Schwangerschaft verminderte zelluläre Immunität vor allem durch 2 Feststellungen gestützt: Zum einen nimmt die Schwere von Virus- und Pilzerkrankungen des Respirationstraktes insbesondere in der 2. Schwangerschaftshälfte zu [11], [12], [13]. In diesem Kontext scheint sich auch das Risiko für die Reaktivierung einer latenten Tuberkulose zu erhöhen [14]. Zum anderen zeigen einige Autoimmunerkrankungen, die vor allem mit Störungen der zellulären Immunität in Verbindung gebracht werden (z. B. rheumatoide Arthritis oder multiple Sklerose) häufig eine – zum Teil deutliche – Besserungstendenz während der Schwangerschaft [8], [15]. Autoimmunerkrankungen jedoch, die vornehmlich von der humoralen Immunität abhängig sind (z. B. systemischer Lupus erythematodes), gehen nicht selten mit Schüben und einer erhöhten Krankheitsaktivität, vor allem zum Ende der Schwangerschaft hin, einher [15].
Für die Auseinandersetzung des Immunsystems mit Mycobacterium tuberculosis (Mtb) sind die genannten Veränderungen in der Schwangerschaft deshalb relevant, weil gerade eine zelluläre Immunantwort (T-Zellen) entscheidend ist. Mtb wird nach Aufnahme über den Respirationstrakt von Makrophagen internalisiert, die ihrerseits die entsprechend prozessierten Antigene den T-Helferzellen präsentieren. Das führt zu einer Freisetzung verschiedener Zytokine (u. a. Tumornekrosefaktor [TNF] und Interferon-[IFN-]γ) und letztlich zur Granulombildung. Die typischen Granulome limitieren zwar einerseits den Entzündungsprozess, schaffen andererseits aber auch eine Umgebung für das Überleben der Mykobakterien [16], [17]. Die Persistenz von Mykobakterien in Granulomen ohne Krankheitsausbruch bzw. nach durchgemachter Tuberkulose wird als latente tuberkulöse Infektion bezeichnet. Neben anderen Faktoren spielt TNF eine entscheidende Rolle in der Aufrechterhaltung der Granulome [18], [19]. Diese Feststellung wird von der Tatsache unterstrichen, dass der therapeutische Einsatz von TNF-Inhibitoren (z. B. Adalimumab) bei Autoimmunerkrankungen das Risiko einer Tuberkulosereaktivierung um das 2 – 6-Fache erhöht [20]. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass in der Schwangerschaft aufgrund der beschriebenen Veränderungen ein erhöhtes Risiko für eine Progression bzw. Reaktivierung einer latenten tuberkulösen Infektion hin zu einer manifesten Tuberkulose besteht [21], [22].
Klinik, Diagnostik und Therapie der Tuberkulose in der Schwangerschaft
Bei Vorliegen der Kardinalsymptome (Husten > 2 Wochen, Fieber, Nachtschweiß und ungewollter Gewichtsverlust) sollte immer auch an eine Tuberkulose gedacht werden. Besonders schwierig ist die Diagnose bei immunkompromittierten Patienten; sie zeigen oft eine atypische Klinik (z. B. Aszites oder eine zerebrale Symptomatik) und klassische Zeichen im Röntgenbild des Thorax können trotz Lungenbeteiligung fehlen [23]. Darüber hinaus ist das Risiko einer extrapulmonalen Tuberkulose mit atypischen Symptomen bei schwangeren Patientinnen gegenüber Nichtschwangeren deutlich erhöht [4], [24], [25], [26].
Die meisten schwangerschaftsassoziierten Tuberkulosediagnosen werden erst post partum gestellt [14], die Latenzzeit beträgt bis zu 6 Monate [14], [22]. Ursächlich kommen am ehesten eine verzögerte Diagnostik und die beschriebenen immunologischen Veränderungen, die während der Schwangerschaft fortlaufend zunehmen, in Betracht [22]. In einer älteren Übersichtsarbeit, die publizierte, peripartale Tuberkulosefälle ausgewertet hat, zeigten über 75% der Patientinnen während der Schwangerschaft keine für eine Tuberkulose verdächtigen Symptome [27]. Der Therapiebeginn wurde im Median um 27 Tage verzögert, 38% der Patientinnen starben an der Infektion. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass die Arbeit in summa nur 29 Patientinnen umfasste und ein Drittel (n = 11) der Patientinnen eine meningeale Beteiligung hatte, was mit einer erhöhten Letalität verbunden ist [27]. Ein wichtiger Grund für die verzögerte Diagnostik durch vermeintlich fehlende Symptome sind die physiologischen Veränderungen, die mit einer Schwangerschaft einhergehen. Ein durch die Tuberkulose verursachter Gewichtsverlust kann z. B. durch schwangerschaftsbedingte Ödeme oder die Zunahme des Abdomenumfangs maskiert werden; Abgeschlagenheit oder eine erschwerte Atmung können als physiologisch fehlinterpretiert werden. Eine Röntgendiagnostik kommt bei Schwangeren häufig aus Angst vor potenziellen Strahlenschäden für den Fetus nur sehr zurückhaltend zum Einsatz.
Für die Erhärtung des Verdachts auf eine Lungentuberkulose ist ein Röntgen des Thorax oder ein entsprechendes CT wichtig. Letzteres ist in der Schwangerschaft kontraindiziert, allerdings kann ein einzelnes Röntgenbild bei begründetem Verdacht (z. B. anhaltender Husten) ohne Gefahr für den Fetus erfolgen [28] und ist bei entsprechenden Symptomen in Deutschland empfohlen [29].
Während die Mikroskopie des Sputums trotz seiner geringen Sensitivität (rund 50%) in Ländern mit hoher Krankheitslast routinemäßig zum Einsatz kommt [30], gilt die Kultur nach wie vor als Goldstandard für die Diagnosesicherung. Eingeschränkt wird ihr praktischer Nutzen durch die langen Kulturzeiten. Im letzten Jahrzehnt haben sich schnelle Verfahren etabliert, welche auf DNA-Amplifikation des Erregers beruhen und von der WHO als Bestätigungstests empfohlen werden. Hier kann eine gleichzeitige Resistenztestung für Rifampicin erfolgen, die Durchführung solcher Tests benötigt nur rund 90 Minuten [31], [32]. Eine rechtzeitige Diagnose ist gerade in der Schwangerschaft wichtig, da Studien ein verbessertes Outcome für Mütter und Kinder bei Therapiebeginn noch während der Schwangerschaft zeigen [25], [26], [33]. So lange eine offene Lungentuberkulose nicht ausgeschlossen ist, hat eine adäquate Isolation der Patientin zu erfolgen [34].
Die Therapie sollte keinesfalls verzögert werden. Die Standardtherapie mit einer Vierfachkombination aus Ethambutol (ETB), Isoniazid (INH), Pyrazinamide (PZA) und Rifampicin (RMP) für 2 Monate, gefolgt von einer Zweifachkombination aus INH und RMP für 4 Monate, wird auch für Schwangere empfohlen [35]. Die Therapiedauer erhöht sich bei einem extrapulmonalen Befall (z. B. 2 + 7 Monate bei Knochentuberkulose, 2 + 10 Monate bei zerebraler Beteiligung) [35]. Alternative Therapieregimen können [Tab. 1] entnommen werden, Dosierempfehlungen finden sich in [Tab. 2].
Tab. 1 Therapieempfehlungen für die Lungentuberkulose (in Anlehnung an Schaberg et al. [31]).
Initialtherapie
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Erhaltungstherapie
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Dauer (Monate)
|
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Dauer (Monate)
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1 in Deutschland noch nicht zugelassen
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manifeste Tuberkulose
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INH, RMP, PZA, ETB
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2
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INH, RMP
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4
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INH, RMP, EMB
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2
|
INH, RMP
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7
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latente tuberkulöse Infektion
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INH täglich
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9
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–
|
–
|
RMP täglich
|
4
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–
|
–
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INH und RMP täglich
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3 – 4
|
–
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–
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INH/Rifapentin wöchentl.1
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3
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–
|
–
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Tab. 2 Dosierungsempfehlungen für die Standardtherapie (Aus: Schaberg et al. 2016 [31]).
Medikament
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Dosis1 (mg/kg Körpergewicht)
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Dosisbereich (mg/kg Körpergewicht)
|
minimale/maximale Dosis (mg)
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Standarddosis (70 kg Körpergewicht)
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1 Dosisanpassung bei steigendem Körpergewicht im Behandlungsverlauf beachten.
2 Die beste Dosierung ist nicht bekannt. Bei der angegebenen Dosierung sind jedoch ophthalmologische Komplikationen seltener als bei höheren Dosen.
3 Höhere Dosen werden geprüft.
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Isoniazid
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5
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4 – 6
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200/300
|
300
|
Rifampicin
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10
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8 – 123
|
450/600
|
600
|
Pyrazinamid
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25
|
20 – 30
|
1500/2500
|
1750
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Ethambutol
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152
|
15 – 20
|
800/1600
|
1200
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Die genannten Erstlinientherapeutika werden als sicher angesehen und sind nicht mit negativen Auswirkungen auf die Schwangerschaft assoziiert. Während die meisten internationalen Fachgesellschaften – so auch in Deutschland – ebenfalls das genannte PZA empfehlen [35], sieht die American Thoracic Society dessen Einsatz in der Schwangerschaft aufgrund mangelnder Daten zur Teratogenität kritisch [36]. Sofern auf PZA verzichtet wird, verlängert sich die Therapiedauer auf insgesamt 9 Monate (INH, RMP und EMB für 2 Monate, INH und RMP für 7 Monate) [35]. Allen schwangeren und stillenden Patientinnen, denen INH verordnet wird, sollte auch Vitamin B6 (Pyridoxin) verordnet werden; Kombinationspräparate sind erhältlich.
Auch wenn eine 2014 erschienene Metaanalyse von 35 Studien zur Therapie der Tuberkulose in der Schwangerschaft keine negativen Auswirkungen einer Zweitlinientherapie auf Mutter oder Fetus zeigt [37], sollte im Falle des Vorliegens resistenter Stämme (sog. Multi-drug resistance) nur in Absprache mit Infektiologen und Mikrobiologen unter Berücksichtigung der individuellen Risiken (Tuberkulose vs. unerwünschte Arzneimittelwirkungen) behandelt werden. [Tab. 3] gibt einen Überblick über die einzelnen Zeitlinientherapeutika und deren potenziell schädliche Auswirkungen auf den Fetus.
Tab. 3 Zweitlinientherapie zur Behandlung der Tuberkulose in der Schwangerschaft (Aus: Schaberg et al. 2016 [31]).
Medikament
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Fetustoxizität
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Teratogenität
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T: Tierstudie
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Gatifloxacin
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unwahrscheinlich
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unwahrscheinlich
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Levofloxacin
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unwahrscheinlich
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unwahrscheinlich
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Moxifloxacin
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unwahrscheinlich
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unwahrscheinlich
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Amikacin
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Ototoxizität
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unklar
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Capreomycin
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Ototoxizität
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ja (T)
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Streptomycin
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Ototoxizität
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nein
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Clofazimin
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reversible Hautverfärbung
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nein
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Cycloserin
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postpartale sideroblastische Anämie
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nein
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Terizidon
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unklar
|
unklar
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Ethionamid/Protionamid
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Entwicklungsverzögerung
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ja
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Linezolid
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unklar
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nein
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Ethambutol
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nein
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nein
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Pyrazinamid
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selten: Ikterus
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unklar
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hochdosiertes Isoniazid
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selten: ZNS-Schäden, wenn auf eine Pyridoxin-Supplementation verzichtet wird
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nein
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Bedaquilin
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unklar
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nein
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Delamanid
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unklar
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ja (T)
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p-Aminosalicylsäure
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postpartale Diarrhö
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ja (1. Trimester)
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Amoxicillin/Clavulansäure
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selten: nekrotisierende Enterokolitis postpartal
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nein
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Meropenem/Imipenem
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unklar
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nein
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Generell ist das Ansprechen auf eine Therapie auch in der Schwangerschaft gut. Nach den Ergebnissen einer Metaanalyse können fast 89% der schwangeren Frauen erfolgreich (Kulturkonversion) therapiert werden [37].
Tuberkulose und Müttermortalität
Verglichen mit Schwangeren, die nicht an einer Tuberkulose erkrankt sind, haben schwangere Patientinnen mit Tuberkulose und deren Kinder ein schlechteres Outcome in vielen Bereichen. Eine erst kürzlich erschienene Metaanalyse aus Großbritannien (13 Studien, 3384 schwangere Tuberkulosepatientinnen vs. 119 448 schwangere Frauen ohne Tuberkulose) zeigt mütterlicherseits ein erhöhtes Risiko z. B. für Anämien (Odds Ratio [OR] 3,9) oder die Notwendigkeit eines Kaiserschnitts (OR 2,1) [38]. Eine andere Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die Mortalität der Mütter um das 6-Fache erhöht sei [4].
Ein besonderes Risiko besteht bei einer HIV-Koinfektion der Mutter, hier ist die Mortalität deutlich erhöht [39], [40]. Nach den Ergebnissen einer prospektiven Kohortenstudie (n = 88 HIV-/Tuberkulose koinfizierte Schwangere vs. 155 schwangere Patientinnen mit HIV) steigen in diesem Fall außerdem die Krankenhausverweildauer und das Risiko einer Präeklampsie [41].
Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass es unter schwangeren Patientinnen nicht nur einen hohen Anteil an extrapulmonaler Beteiligung gibt (50 – 69% [4], [24], [25], [26]), sondern das diese außerdem mit einem tendenziell schlechteren Outcome assoziiert sind, auch wenn hier keine statistische Signifikanz erreicht wird [38]. Möglicherweise sind hierbei Fälle mit zerebraler Beteiligung von entscheidender Bedeutung. Eine ältere Untersuchung zu extrapulmonalen Verläufen zeigt zudem höhere, pränatale Hospitalisierungsraten; ausgenommen hiervon scheint die Lymphknotentuberkulose zu sein [42].
Einfluss von maternaler Tuberkulose auf das Kind und postnatales Management des Neugeborenen
Für Säuglinge an Tuberkulose erkrankter Mütter ist die Wahrscheinlichkeit für ein geringes Geburtsgewicht (OR 1,7), eine Asphyxie (OR 4,6) oder sogar ein perinatales Versterben (OR 4,2) deutlich erhöht [38]. Eine pränatale Infektion des Fetus (konnatale Tuberkulose) ist nach aktueller Datenlage sehr selten. So wurden in einem systematischen Review zwischen 1946 und 2009 nur 170 Fälle konnataler Tuberkulose in der internationalen Literatur beschrieben [43]. In den meisten Fällen erfolgte die Diagnose einer Tuberkulose bei den Müttern erst postpartal. Auch rein extrapulmonale maternale Verläufe sind für die Neugeborenen mit negativen Auswirkungen, z. B. einem niedrigen Geburtsgewicht oder niedrigen Apgar-Scores, verbunden [42].
In Fällen von pränataler Ansteckung wurde in einer alten Fallserie eine Säuglingsmortalität von 46% beschrieben [44], die neuere Untersuchung von Peng und Kollegen geht bei Fällen ab 1994 ebenfalls von einer Mortalität von rund 40% aus [43]. Die Diagnose einer konnatalen Tuberkulose ist häufig schwierig, zumal in den meisten Fällen erst nach 2 – 3 Wochen Symptome auftreten. Typisch sind Fieber, Atemnot, Hepato(spleno)megalie und Husten, in vielen Fällen wird zunächst eine bakterielle oder virale Infektion vermutet [43].
Wenn in der Schwangerschaft eine maternale Tuberkulose diagnostiziert wurde oder der Verdacht darauf besteht, soll nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) nach der Geburt immer eine Entnahme von fixiertem und nativem Plazentagewebe zur histologischen und mikrobiologischen Untersuchung erfolgen. Eine weiterführende Diagnostik beim Neugeborenen ist diesen Fällen zwingend. Da der unverzügliche Beginn einer antituberkulösen Therapie von größter Bedeutung ist, sollte bereits im Verdachtsfall eine initiale antituberkulöse Vierfachtherapie erfolgen [45].
Asymptomatische Neugeborene mit relevanter Tuberkuloseexposition sollen eine prophylaktische Therapie mit INH und Pyridoxin erhalten [45].
Postpartal können Mütter auch unter antituberkulöser Therapie zum Stillen ermutigt werden, sofern von einer Nichtansteckungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Dies trifft zu, wenn:
-
keine infektiöse pulmonale Tuberkulose bei der Mutter vorliegt (mind. 3 negative Sputen nach Therapiebeginn, alternativ antituberkulöse Therapie bei sensibler Tuberkulose > 21 Tage),
-
klinisch keine tuberkulöse Mastitis besteht und
-
beim Neugeborenen eine adäquate prophylaktische Therapie initiiert wurde [45].
Trifft dies nicht zu oder besteht diesbezüglich Unklarheit, so muss eine getrennte Unterbringung von Mutter und Kind in Betracht gezogen werden, wobei eine Zusammenkunft zum Stillen unter konsequentem Tragen einer FFP2-(Filtering-Face-Piece-2-)Maske erwogen werden kann. Diese Art von Atemmasken filtern mindestens 96% aller bis zu 6 µm großen Luftpartikel, womit ein ausreichender Schutz zu erwarten ist. Eine Ansteckung über (ggf. abgepumpte) Muttermilch ist unwahrscheinlich. Die antituberkulöse Therapie der Mutter ist für das Neugeborene unbedenklich, es gelangen nur geringe, für das gestillte Kind nicht toxische Mengen, der Erstlinientherapeutika in die Muttermilch [35], [36].
Prävention
Schwierigkeiten im klinischen Alltag bereitet nach wie vor die Entität der latenten tuberkulösen Infektion. Eine solche Infektion liegt vor, sofern sich nach Primärinfektion keine manifeste Erkrankung entwickelt, die Erreger jedoch im Wirt persistieren. Zur Detektion eignen sich IFN-γ release assays (IGRA) (z. B. QuantiFERON-Test) oder der klassische Tuberkulin-Hauttest (THT, sog. Mendel-Mantoux-Test), der auch in der Schwangerschaft sicher anwendbar ist [29]. Konkrete Angaben zu Sensitivität und Spezifität von THT und IGRA in der Schwangerschaft fehlen. Generell wird jedoch davon ausgegangen, dass der IGRA in Regionen mit niedriger Tuberkuloseinzidenz bei vergleichbarer Sensitivität eine etwas höhere Spezifität als der THT aufweist, während in Regionen mit hoher Tuberkuloseinzidenz eine höhere Sensitivität für den IGRA vorliegt [46], [47], [48].
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine internationalen Empfehlungen hinsichtlich eines Screenings auf latente tuberkulöse Infektion bei schwangeren Patientinnen, auch nicht in Ländern mit einer hohen Krankheitslast. Es wird jedoch – wie bereits beschrieben – davon ausgegangen, dass in der Schwangerschaft ein erhöhtes Progressions- bzw. Reaktivierungsrisiko der latenten tuberkulösen Infektion hin zu einer manifesten und potenziell ansteckenden Erkrankung besteht. Daher empfiehlt das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) generell bei schwangeren, asylsuchenden Frauen den prioritären Einsatz eines IGRAs als Screeningtest [29]. Im Falle eines positiven Testergebnisses soll in jedem Fall eine Röntgenuntersuchung des Thorax angeschlossen werden.
Bei positivem IGRA bzw. THT und fehlendem klinischen Anhalt für eine Tuberkulose kommt eine Therapie grundsätzlich infrage, sofern kürzlich ein Kontakt zu einem ansteckenden Indexfall bestanden hat oder eine HIV-Infektion vorliegt [35]. Eingesetzt werden kann nach neueren Erkenntnissen z. B. Rifampicin als Monotherapie für 4 Monate [49] oder INH als Monotherapie über 9 Monate, kombiniert mit Pyridoxin [50]. Sofern die genannten Risikofaktoren (enger Kontakt zu einem Indexfall, HIV-Infektion) nicht vorliegen, kann ein Verschieben der Therapie auf 2 – 3 Monate post partum erwogen werden [35].
Eine aktuelle Auswertung der Daten zweier randomisierter Studien zu Behandlung der latenten Tuberkulose zeigte eine mit der Normalbevölkerung vergleichbare Rate an Aborten und kongenitalen Anomalien unter schwangeren Patientinnen mit Tuberkulose, die versehentlich mindestens einer Dosis INH mono oder INH + Rifapentin ausgesetzt waren [51].
Leider berichten 3 amerikanische Studien zur Therapie einer latenten Tuberkulose mit INH in der Schwangerschaft von einer geringen Adherence mit Komplettierungsraten von höchstens 21% [52], [53], [54]. Die Autoren führten dies u. a. auf Nebenwirkungen, aber auch auf sozioökonomische Gründe zurück [54]. Die Adherence war signifikant besser, wenn die Behandlung prä- und postpartal durch den gleichen Arzt erfolgte [53].