Einleitung und Epidemiologie
Im Jahr 2016 zählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 6,3 Millionen neue
Tuberkulosefälle – eine Erhöhung um über 200 000 Fälle im Vergleich zu 2015 [1]. Die aktuellsten Zahlen für Deutschland stammen ebenfalls aus dem Jahr 2016, hier
wurden nach Information des Robert Koch-Instituts (RKI) 5915 Neuerkrankungen registriert
[2]. Besonders hoch ist die Inzidenz in Deutschland bei ausländischen Staatsbürgern:
sie beträgt hier 42,6/100 000 Einwohner und ist damit 19-mal so hoch wie in der deutschen
Bevölkerung. Im Vergleich zu 2015 hat dieser Unterschied um mehr als das 16-Fache
zugenommen [2]. Betroffen sind bei ausländischen Staatsbürgern vor allem junge Erwachsene, deren
Altersmedian lag bei 28 Jahren (58 Jahre bei Patienten deutscher Herkunft) [2].
Für die weltweite Prävalenz einer aktiven Tuberkulose bei schwangeren Frauen liegen
nur Schätzungen vor, auch die WHO nennt hier keine konkreten Zahlen. Nach einer Untersuchung
aus dem Jahr 2014 litten 2011 weltweit etwa 216 500 Schwangere an einer Tuberkulose,
fast die Hälfte davon stammt aus Afrika [3]. In den USA nahm die Inzidenz der Tuberkulose bei Schwangeren zwischen 2003 und
2011 kontinuierlich zu; sie wird insgesamt mit 26,6/100 000 Geburten angegeben [4]. Analog zur allgemeinen Bevölkerung ist eine Tuberkulose in Hochprävalenzgebieten
wie Südafrika deutlich häufiger unter HIV-infizierten schwangeren Frauen als unter
HIV-negativen [5]. Für Deutschland existieren keine Zahlen zu Inzidenz oder Prävalenz unter schwangeren
Frauen.
Aufgrund der Migrationsbewegung der letzten Jahre und der Zunahme junger Patienten
mit einer Tuberkulose ist von einer künftig steigenden Relevanz der Tuberkulose in
der Schwangerschaft auch in Deutschland auszugehen.
Gegenstand dieses Übersichtsartikels sind die Besonderheiten des Immunsystems in der
Schwangerschaft sowie Diagnostik und Therapie von schwangeren Tuberkulosepatienten.
Die Ausführungen und Empfehlungen erfolgen auf Grundlage der aktuellen Literatur,
der nationalen und internationalen Leitlinien sowie der klinischen Erfahrungen der
Autoren vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Erkrankung.
Review
Immunologische Besonderheiten in der Schwangerschaft
Schwangerschaft ist mit einer Reihe von weitreichenden Veränderungen des mütterlichen
Immunsystems assoziiert, die zur Erhaltung der maternofetalen Immuntoleranz von entscheidender
Bedeutung sind. Getriggert werden diese Veränderungen vor allem von Hormonen wie Östrogenen
und Progesteron [6], [7]. Auch wenn diese Veränderungen komplex und noch nicht gänzlich verstanden sind,
ist davon auszugehen, dass der zelluläre Arm des Immunsystems supprimiert wird, während
es zu einer Induktion der humoralen Komponente kommt (sog. TH1-/TH2-Phänotyp-Shift).
Diese Effekte nehmen im Verlauf der Schwangerschaft zu [6], [8], [9], [10]. Einen Überblick über die immunologischen Veränderungen gibt [Abb. 1].
Abb. 1 Immunologische Veränderungen im Schwangerschaftsverlauf. CD: Cluster of Differentiation,
TH1: T-Helferzellen Typ 1, TH2: T-Helferzellen Typ 2.
Aus klinischer Sicht wird eine während der Schwangerschaft verminderte zelluläre Immunität
vor allem durch 2 Feststellungen gestützt: Zum einen nimmt die Schwere von Virus-
und Pilzerkrankungen des Respirationstraktes insbesondere in der 2. Schwangerschaftshälfte
zu [11], [12], [13]. In diesem Kontext scheint sich auch das Risiko für die Reaktivierung einer latenten
Tuberkulose zu erhöhen [14]. Zum anderen zeigen einige Autoimmunerkrankungen, die vor allem mit Störungen der
zellulären Immunität in Verbindung gebracht werden (z. B. rheumatoide Arthritis oder
multiple Sklerose) häufig eine – zum Teil deutliche – Besserungstendenz während der
Schwangerschaft [8], [15]. Autoimmunerkrankungen jedoch, die vornehmlich von der humoralen Immunität abhängig
sind (z. B. systemischer Lupus erythematodes), gehen nicht selten mit Schüben und
einer erhöhten Krankheitsaktivität, vor allem zum Ende der Schwangerschaft hin, einher
[15].
Für die Auseinandersetzung des Immunsystems mit Mycobacterium tuberculosis (Mtb) sind
die genannten Veränderungen in der Schwangerschaft deshalb relevant, weil gerade eine
zelluläre Immunantwort (T-Zellen) entscheidend ist. Mtb wird nach Aufnahme über den
Respirationstrakt von Makrophagen internalisiert, die ihrerseits die entsprechend
prozessierten Antigene den T-Helferzellen präsentieren. Das führt zu einer Freisetzung
verschiedener Zytokine (u. a. Tumornekrosefaktor [TNF] und Interferon-[IFN-]γ) und
letztlich zur Granulombildung. Die typischen Granulome limitieren zwar einerseits
den Entzündungsprozess, schaffen andererseits aber auch eine Umgebung für das Überleben
der Mykobakterien [16], [17]. Die Persistenz von Mykobakterien in Granulomen ohne Krankheitsausbruch bzw. nach
durchgemachter Tuberkulose wird als latente tuberkulöse Infektion bezeichnet. Neben
anderen Faktoren spielt TNF eine entscheidende Rolle in der Aufrechterhaltung der
Granulome [18], [19]. Diese Feststellung wird von der Tatsache unterstrichen, dass der therapeutische
Einsatz von TNF-Inhibitoren (z. B. Adalimumab) bei Autoimmunerkrankungen das Risiko
einer Tuberkulosereaktivierung um das 2 – 6-Fache erhöht [20]. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass in der Schwangerschaft aufgrund der beschriebenen
Veränderungen ein erhöhtes Risiko für eine Progression bzw. Reaktivierung einer latenten
tuberkulösen Infektion hin zu einer manifesten Tuberkulose besteht [21], [22].
Klinik, Diagnostik und Therapie der Tuberkulose in der Schwangerschaft
Bei Vorliegen der Kardinalsymptome (Husten > 2 Wochen, Fieber, Nachtschweiß und ungewollter
Gewichtsverlust) sollte immer auch an eine Tuberkulose gedacht werden. Besonders schwierig
ist die Diagnose bei immunkompromittierten Patienten; sie zeigen oft eine atypische
Klinik (z. B. Aszites oder eine zerebrale Symptomatik) und klassische Zeichen im Röntgenbild
des Thorax können trotz Lungenbeteiligung fehlen [23]. Darüber hinaus ist das Risiko einer extrapulmonalen Tuberkulose mit atypischen
Symptomen bei schwangeren Patientinnen gegenüber Nichtschwangeren deutlich erhöht
[4], [24], [25], [26].
Die meisten schwangerschaftsassoziierten Tuberkulosediagnosen werden erst post partum
gestellt [14], die Latenzzeit beträgt bis zu 6 Monate [14], [22]. Ursächlich kommen am ehesten eine verzögerte Diagnostik und die beschriebenen immunologischen
Veränderungen, die während der Schwangerschaft fortlaufend zunehmen, in Betracht [22]. In einer älteren Übersichtsarbeit, die publizierte, peripartale Tuberkulosefälle
ausgewertet hat, zeigten über 75% der Patientinnen während der Schwangerschaft keine
für eine Tuberkulose verdächtigen Symptome [27]. Der Therapiebeginn wurde im Median um 27 Tage verzögert, 38% der Patientinnen starben
an der Infektion. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass die Arbeit in summa
nur 29 Patientinnen umfasste und ein Drittel (n = 11) der Patientinnen eine meningeale
Beteiligung hatte, was mit einer erhöhten Letalität verbunden ist [27]. Ein wichtiger Grund für die verzögerte Diagnostik durch vermeintlich fehlende Symptome
sind die physiologischen Veränderungen, die mit einer Schwangerschaft einhergehen.
Ein durch die Tuberkulose verursachter Gewichtsverlust kann z. B. durch schwangerschaftsbedingte
Ödeme oder die Zunahme des Abdomenumfangs maskiert werden; Abgeschlagenheit oder eine
erschwerte Atmung können als physiologisch fehlinterpretiert werden. Eine Röntgendiagnostik
kommt bei Schwangeren häufig aus Angst vor potenziellen Strahlenschäden für den Fetus
nur sehr zurückhaltend zum Einsatz.
Für die Erhärtung des Verdachts auf eine Lungentuberkulose ist ein Röntgen des Thorax
oder ein entsprechendes CT wichtig. Letzteres ist in der Schwangerschaft kontraindiziert,
allerdings kann ein einzelnes Röntgenbild bei begründetem Verdacht (z. B. anhaltender
Husten) ohne Gefahr für den Fetus erfolgen [28] und ist bei entsprechenden Symptomen in Deutschland empfohlen [29].
Während die Mikroskopie des Sputums trotz seiner geringen Sensitivität (rund 50%)
in Ländern mit hoher Krankheitslast routinemäßig zum Einsatz kommt [30], gilt die Kultur nach wie vor als Goldstandard für die Diagnosesicherung. Eingeschränkt
wird ihr praktischer Nutzen durch die langen Kulturzeiten. Im letzten Jahrzehnt haben
sich schnelle Verfahren etabliert, welche auf DNA-Amplifikation des Erregers beruhen
und von der WHO als Bestätigungstests empfohlen werden. Hier kann eine gleichzeitige
Resistenztestung für Rifampicin erfolgen, die Durchführung solcher Tests benötigt
nur rund 90 Minuten [31], [32]. Eine rechtzeitige Diagnose ist gerade in der Schwangerschaft wichtig, da Studien
ein verbessertes Outcome für Mütter und Kinder bei Therapiebeginn noch während der
Schwangerschaft zeigen [25], [26], [33]. So lange eine offene Lungentuberkulose nicht ausgeschlossen ist, hat eine adäquate
Isolation der Patientin zu erfolgen [34].
Die Therapie sollte keinesfalls verzögert werden. Die Standardtherapie mit einer Vierfachkombination
aus Ethambutol (ETB), Isoniazid (INH), Pyrazinamide (PZA) und Rifampicin (RMP) für
2 Monate, gefolgt von einer Zweifachkombination aus INH und RMP für 4 Monate, wird
auch für Schwangere empfohlen [35]. Die Therapiedauer erhöht sich bei einem extrapulmonalen Befall (z. B. 2 + 7 Monate
bei Knochentuberkulose, 2 + 10 Monate bei zerebraler Beteiligung) [35]. Alternative Therapieregimen können [Tab. 1] entnommen werden, Dosierempfehlungen finden sich in [Tab. 2].
Tab. 1 Therapieempfehlungen für die Lungentuberkulose (in Anlehnung an Schaberg et al. [31]).
|
Initialtherapie
|
Erhaltungstherapie
|
|
Dauer (Monate)
|
|
Dauer (Monate)
|
|
1 in Deutschland noch nicht zugelassen
|
|
manifeste Tuberkulose
|
|
INH, RMP, PZA, ETB
|
2
|
INH, RMP
|
4
|
|
INH, RMP, EMB
|
2
|
INH, RMP
|
7
|
|
latente tuberkulöse Infektion
|
|
INH täglich
|
9
|
–
|
–
|
|
RMP täglich
|
4
|
–
|
–
|
|
INH und RMP täglich
|
3 – 4
|
–
|
–
|
|
INH/Rifapentin wöchentl.1
|
3
|
–
|
–
|
Tab. 2 Dosierungsempfehlungen für die Standardtherapie (Aus: Schaberg et al. 2016 [31]).
|
Medikament
|
Dosis1 (mg/kg Körpergewicht)
|
Dosisbereich (mg/kg Körpergewicht)
|
minimale/maximale Dosis (mg)
|
Standarddosis (70 kg Körpergewicht)
|
|
1 Dosisanpassung bei steigendem Körpergewicht im Behandlungsverlauf beachten.
2 Die beste Dosierung ist nicht bekannt. Bei der angegebenen Dosierung sind jedoch
ophthalmologische Komplikationen seltener als bei höheren Dosen.
3 Höhere Dosen werden geprüft.
|
|
Isoniazid
|
5
|
4 – 6
|
200/300
|
300
|
|
Rifampicin
|
10
|
8 – 123
|
450/600
|
600
|
|
Pyrazinamid
|
25
|
20 – 30
|
1500/2500
|
1750
|
|
Ethambutol
|
152
|
15 – 20
|
800/1600
|
1200
|
Die genannten Erstlinientherapeutika werden als sicher angesehen und sind nicht mit
negativen Auswirkungen auf die Schwangerschaft assoziiert. Während die meisten internationalen
Fachgesellschaften – so auch in Deutschland – ebenfalls das genannte PZA empfehlen
[35], sieht die American Thoracic Society dessen Einsatz in der Schwangerschaft aufgrund
mangelnder Daten zur Teratogenität kritisch [36]. Sofern auf PZA verzichtet wird, verlängert sich die Therapiedauer auf insgesamt
9 Monate (INH, RMP und EMB für 2 Monate, INH und RMP für 7 Monate) [35]. Allen schwangeren und stillenden Patientinnen, denen INH verordnet wird, sollte
auch Vitamin B6 (Pyridoxin) verordnet werden; Kombinationspräparate sind erhältlich.
Auch wenn eine 2014 erschienene Metaanalyse von 35 Studien zur Therapie der Tuberkulose
in der Schwangerschaft keine negativen Auswirkungen einer Zweitlinientherapie auf
Mutter oder Fetus zeigt [37], sollte im Falle des Vorliegens resistenter Stämme (sog. Multi-drug resistance)
nur in Absprache mit Infektiologen und Mikrobiologen unter Berücksichtigung der individuellen
Risiken (Tuberkulose vs. unerwünschte Arzneimittelwirkungen) behandelt werden. [Tab. 3] gibt einen Überblick über die einzelnen Zeitlinientherapeutika und deren potenziell
schädliche Auswirkungen auf den Fetus.
Tab. 3 Zweitlinientherapie zur Behandlung der Tuberkulose in der Schwangerschaft (Aus: Schaberg
et al. 2016 [31]).
|
Medikament
|
Fetustoxizität
|
Teratogenität
|
|
T: Tierstudie
|
|
Gatifloxacin
|
unwahrscheinlich
|
unwahrscheinlich
|
|
Levofloxacin
|
unwahrscheinlich
|
unwahrscheinlich
|
|
Moxifloxacin
|
unwahrscheinlich
|
unwahrscheinlich
|
|
Amikacin
|
Ototoxizität
|
unklar
|
|
Capreomycin
|
Ototoxizität
|
ja (T)
|
|
Streptomycin
|
Ototoxizität
|
nein
|
|
Clofazimin
|
reversible Hautverfärbung
|
nein
|
|
Cycloserin
|
postpartale sideroblastische Anämie
|
nein
|
|
Terizidon
|
unklar
|
unklar
|
|
Ethionamid/Protionamid
|
Entwicklungsverzögerung
|
ja
|
|
Linezolid
|
unklar
|
nein
|
|
Ethambutol
|
nein
|
nein
|
|
Pyrazinamid
|
selten: Ikterus
|
unklar
|
|
hochdosiertes Isoniazid
|
selten: ZNS-Schäden, wenn auf eine Pyridoxin-Supplementation verzichtet wird
|
nein
|
|
Bedaquilin
|
unklar
|
nein
|
|
Delamanid
|
unklar
|
ja (T)
|
|
p-Aminosalicylsäure
|
postpartale Diarrhö
|
ja (1. Trimester)
|
|
Amoxicillin/Clavulansäure
|
selten: nekrotisierende Enterokolitis postpartal
|
nein
|
|
Meropenem/Imipenem
|
unklar
|
nein
|
Generell ist das Ansprechen auf eine Therapie auch in der Schwangerschaft gut. Nach
den Ergebnissen einer Metaanalyse können fast 89% der schwangeren Frauen erfolgreich
(Kulturkonversion) therapiert werden [37].
Tuberkulose und Müttermortalität
Verglichen mit Schwangeren, die nicht an einer Tuberkulose erkrankt sind, haben schwangere
Patientinnen mit Tuberkulose und deren Kinder ein schlechteres Outcome in vielen Bereichen.
Eine erst kürzlich erschienene Metaanalyse aus Großbritannien (13 Studien, 3384 schwangere
Tuberkulosepatientinnen vs. 119 448 schwangere Frauen ohne Tuberkulose) zeigt mütterlicherseits
ein erhöhtes Risiko z. B. für Anämien (Odds Ratio [OR] 3,9) oder die Notwendigkeit
eines Kaiserschnitts (OR 2,1) [38]. Eine andere Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die Mortalität der Mütter um
das 6-Fache erhöht sei [4].
Ein besonderes Risiko besteht bei einer HIV-Koinfektion der Mutter, hier ist die Mortalität
deutlich erhöht [39], [40]. Nach den Ergebnissen einer prospektiven Kohortenstudie (n = 88 HIV-/Tuberkulose
koinfizierte Schwangere vs. 155 schwangere Patientinnen mit HIV) steigen in diesem
Fall außerdem die Krankenhausverweildauer und das Risiko einer Präeklampsie [41].
Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass es unter schwangeren Patientinnen nicht
nur einen hohen Anteil an extrapulmonaler Beteiligung gibt (50 – 69% [4], [24], [25], [26]), sondern das diese außerdem mit einem tendenziell schlechteren Outcome assoziiert
sind, auch wenn hier keine statistische Signifikanz erreicht wird [38]. Möglicherweise sind hierbei Fälle mit zerebraler Beteiligung von entscheidender
Bedeutung. Eine ältere Untersuchung zu extrapulmonalen Verläufen zeigt zudem höhere,
pränatale Hospitalisierungsraten; ausgenommen hiervon scheint die Lymphknotentuberkulose
zu sein [42].
Einfluss von maternaler Tuberkulose auf das Kind und postnatales Management des Neugeborenen
Für Säuglinge an Tuberkulose erkrankter Mütter ist die Wahrscheinlichkeit für ein
geringes Geburtsgewicht (OR 1,7), eine Asphyxie (OR 4,6) oder sogar ein perinatales
Versterben (OR 4,2) deutlich erhöht [38]. Eine pränatale Infektion des Fetus (konnatale Tuberkulose) ist nach aktueller Datenlage
sehr selten. So wurden in einem systematischen Review zwischen 1946 und 2009 nur 170 Fälle
konnataler Tuberkulose in der internationalen Literatur beschrieben [43]. In den meisten Fällen erfolgte die Diagnose einer Tuberkulose bei den Müttern erst
postpartal. Auch rein extrapulmonale maternale Verläufe sind für die Neugeborenen
mit negativen Auswirkungen, z. B. einem niedrigen Geburtsgewicht oder niedrigen Apgar-Scores,
verbunden [42].
In Fällen von pränataler Ansteckung wurde in einer alten Fallserie eine Säuglingsmortalität
von 46% beschrieben [44], die neuere Untersuchung von Peng und Kollegen geht bei Fällen ab 1994 ebenfalls
von einer Mortalität von rund 40% aus [43]. Die Diagnose einer konnatalen Tuberkulose ist häufig schwierig, zumal in den meisten
Fällen erst nach 2 – 3 Wochen Symptome auftreten. Typisch sind Fieber, Atemnot, Hepato(spleno)megalie
und Husten, in vielen Fällen wird zunächst eine bakterielle oder virale Infektion
vermutet [43].
Wenn in der Schwangerschaft eine maternale Tuberkulose diagnostiziert wurde oder der
Verdacht darauf besteht, soll nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
Pädiatrische Infektiologie (DGPI) nach der Geburt immer eine Entnahme von fixiertem
und nativem Plazentagewebe zur histologischen und mikrobiologischen Untersuchung erfolgen.
Eine weiterführende Diagnostik beim Neugeborenen ist diesen Fällen zwingend. Da der
unverzügliche Beginn einer antituberkulösen Therapie von größter Bedeutung ist, sollte
bereits im Verdachtsfall eine initiale antituberkulöse Vierfachtherapie erfolgen [45].
Asymptomatische Neugeborene mit relevanter Tuberkuloseexposition sollen eine prophylaktische
Therapie mit INH und Pyridoxin erhalten [45].
Postpartal können Mütter auch unter antituberkulöser Therapie zum Stillen ermutigt
werden, sofern von einer Nichtansteckungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Dies trifft
zu, wenn:
-
keine infektiöse pulmonale Tuberkulose bei der Mutter vorliegt (mind. 3 negative Sputen
nach Therapiebeginn, alternativ antituberkulöse Therapie bei sensibler Tuberkulose
> 21 Tage),
-
klinisch keine tuberkulöse Mastitis besteht und
-
beim Neugeborenen eine adäquate prophylaktische Therapie initiiert wurde [45].
Trifft dies nicht zu oder besteht diesbezüglich Unklarheit, so muss eine getrennte
Unterbringung von Mutter und Kind in Betracht gezogen werden, wobei eine Zusammenkunft
zum Stillen unter konsequentem Tragen einer FFP2-(Filtering-Face-Piece-2-)Maske erwogen
werden kann. Diese Art von Atemmasken filtern mindestens 96% aller bis zu 6 µm großen
Luftpartikel, womit ein ausreichender Schutz zu erwarten ist. Eine Ansteckung über
(ggf. abgepumpte) Muttermilch ist unwahrscheinlich. Die antituberkulöse Therapie der
Mutter ist für das Neugeborene unbedenklich, es gelangen nur geringe, für das gestillte
Kind nicht toxische Mengen, der Erstlinientherapeutika in die Muttermilch [35], [36].
Prävention
Schwierigkeiten im klinischen Alltag bereitet nach wie vor die Entität der latenten
tuberkulösen Infektion. Eine solche Infektion liegt vor, sofern sich nach Primärinfektion
keine manifeste Erkrankung entwickelt, die Erreger jedoch im Wirt persistieren. Zur
Detektion eignen sich IFN-γ release assays (IGRA) (z. B. QuantiFERON-Test) oder der
klassische Tuberkulin-Hauttest (THT, sog. Mendel-Mantoux-Test), der auch in der Schwangerschaft
sicher anwendbar ist [29]. Konkrete Angaben zu Sensitivität und Spezifität von THT und IGRA in der Schwangerschaft
fehlen. Generell wird jedoch davon ausgegangen, dass der IGRA in Regionen mit niedriger
Tuberkuloseinzidenz bei vergleichbarer Sensitivität eine etwas höhere Spezifität als
der THT aufweist, während in Regionen mit hoher Tuberkuloseinzidenz eine höhere Sensitivität
für den IGRA vorliegt [46], [47], [48].
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine internationalen Empfehlungen hinsichtlich eines
Screenings auf latente tuberkulöse Infektion bei schwangeren Patientinnen, auch nicht
in Ländern mit einer hohen Krankheitslast. Es wird jedoch – wie bereits beschrieben
– davon ausgegangen, dass in der Schwangerschaft ein erhöhtes Progressions- bzw. Reaktivierungsrisiko
der latenten tuberkulösen Infektion hin zu einer manifesten und potenziell ansteckenden
Erkrankung besteht. Daher empfiehlt das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der
Tuberkulose (DZK) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe (DGGG) generell bei schwangeren, asylsuchenden Frauen den prioritären
Einsatz eines IGRAs als Screeningtest [29]. Im Falle eines positiven Testergebnisses soll in jedem Fall eine Röntgenuntersuchung
des Thorax angeschlossen werden.
Bei positivem IGRA bzw. THT und fehlendem klinischen Anhalt für eine Tuberkulose kommt
eine Therapie grundsätzlich infrage, sofern kürzlich ein Kontakt zu einem ansteckenden
Indexfall bestanden hat oder eine HIV-Infektion vorliegt [35]. Eingesetzt werden kann nach neueren Erkenntnissen z. B. Rifampicin als Monotherapie
für 4 Monate [49] oder INH als Monotherapie über 9 Monate, kombiniert mit Pyridoxin [50]. Sofern die genannten Risikofaktoren (enger Kontakt zu einem Indexfall, HIV-Infektion)
nicht vorliegen, kann ein Verschieben der Therapie auf 2 – 3 Monate post partum erwogen
werden [35].
Eine aktuelle Auswertung der Daten zweier randomisierter Studien zu Behandlung der
latenten Tuberkulose zeigte eine mit der Normalbevölkerung vergleichbare Rate an Aborten
und kongenitalen Anomalien unter schwangeren Patientinnen mit Tuberkulose, die versehentlich
mindestens einer Dosis INH mono oder INH + Rifapentin ausgesetzt waren [51].
Leider berichten 3 amerikanische Studien zur Therapie einer latenten Tuberkulose mit
INH in der Schwangerschaft von einer geringen Adherence mit Komplettierungsraten von
höchstens 21% [52], [53], [54]. Die Autoren führten dies u. a. auf Nebenwirkungen, aber auch auf sozioökonomische
Gründe zurück [54]. Die Adherence war signifikant besser, wenn die Behandlung prä- und postpartal durch
den gleichen Arzt erfolgte [53].