Laryngorhinootologie 2019; 98(04): 293-294
DOI: 10.1055/a-0799-6669
Facharztfragen
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Fragen für die Facharztprüfung


Subject Editor: Dr. med. Gerlind Schneider, Jena
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Publication Date:
09 April 2019 (online)

Innenohr, Gleichgewichtssinn und Otobasis

Frage: Sprechen Sie über genetisch bedingte nicht-syndromale Innenohrschwerhörigkeiten!

Antwort: Die Schwerhörigkeit ist der häufigste angeborene sensorische Defekt des Menschen. Die nicht-syndromalen Formen machen ca. 70 % der Fälle aus. Von den in Deutschland 2010 geborenen 678 000 Kindern sind schätzungsweise zwischen 240 und 1200 von einer nicht-syndromalen hereditären Schwerhörigkeit betroffen. Die für eine nicht-syndromale hereditäre Schwerhörigkeit verantwortlichen Gene umfassen u. a. Myosine, zytoskelettale, Gap- und Tight-Junction-Bestandteile, Transkriptionsfaktoren, aber auch Faktoren, deren Funktion nicht bekannt ist.

Die häufigsten nicht-syndromalen hereditären Schwerhörigkeiten sind die autosomal-dominante Form, die autosomal-rezessive Form, die mitochondriale Form und die x-chromosomale Form. Ausgeprägte angeborene Schwerhörigkeiten werden im Neugeborenenhörscreening erfasst, geringgradige Schwerhörigkeiten werden oft erst später entdeckt. Die x-chromosomalen Formen treten gehäuft beim männlichen Geschlecht auf, die anderen Formen sind nicht geschlechterpräferent. Die autosomal dominante Form betrifft meist mehrere Generationen. Es liegt keine einzelne Genmutation vor, bis heute wurden 27 verantwortliche Gene bestimmt, die für eine heterogene Bandbreite von Phänotypen verantwortlich sind. Die autosomal rezessive Form betrifft in der überwiegenden Anzahl der Fälle den DFNB1-Locus, seltener den DFNB4-Locus. Die mitochondrialen Formen gehen meist mit syndromalen Formen einher und werden nur von der Mutter auf das Kind vererbt. Die x-chromosomale Form wird aktuell mit 3 Gen-Loci (DFNX1, DFNX2 und DFNX4) assoziiert. X-chromosomale Erkrankungen werden vorwiegend bei den männlichen Mitgliedern einer Familie gefunden und von der Mutter auf den Sohn vererbt. Bei allen Formen treten Innenohrschwerhörigkeiten unterschiedlichen Ausmaßes von der angeborenen Ertaubung bis zu langsam progredienten Verschlechterungen auf. Die genetische Diagnostik ist aufgrund der verschiedenen Variationen vorher durch eine intensive Familienanamnese und apparative Diagnostik einzugrenzen. Besteht kein Verdacht auf eine syndromale Erkrankung, sollten hochgradig schwerhörige Patienten auf GJB2 und GJB6 getestet werden. Bei Hinweisen im CT auf einen vergrößerten Aquaeductus vestibulae sollte die Sequenzierung von SLC26A4 erfolgen. Bei Hinweisen im CT auf Auffälligkeiten des inneren Gehörgangs, des ovalen Fensters oder der Stapesfußplatte sollte die Sequenzierung auf POU3F4 erfolgen. Die audiologische Diagnostik umfasst die TEOAE und die automatisiert ausgewertete Hirnstammaudiometrie (AABR) im Rahmen des Neugeborenenhörscreenings – bei Auffälligkeiten erfolgt die weitere Abklärung über pädaudiologische Zentren mit Notched noise BERA zur Hörschwellenbestimmung und EBERA zur Funktionsprüfung des Hörnervens bei Kindern in Vorbereitung einer Cochleaimplantation. Bei älteren Kindern und Erwachsenen erfolgt die audiologische (Audiogramm, Sprachaudiogramm) und vestibuläre (KIT, thermische Prüfung) Diagnostik je nach Krankheitsbild. Bei hochgradiger Schwerhörigkeit ist die Cochleaimplantation Mittel der Wahl. Dies liegt vor, wenn bei den objektiven Messverfahren keine sicheren Reizantworten (Hörschwellen schlechter als 80 dB) zu erhalten sind. Eine bilaterale Implantation ist anzustreben, wenn eine beidseitige Taubheit vorliegt. Bei asymmetrischem Hörvermögen mit einseitiger Taubheit und noch nutzbarem Hörvermögen auf dem Gegenohr ist zunächst eine Hörgeräteversorgung neben der einseitigen Cochleaimplantation indiziert. Kontraindikationen zur Cochleaimplantation sind Fehlbildungen mit Aplasie des N. cochlearis. Die humangenetische Diagnostik von Erwachsenen oder Familien mit Kindern mit hereditärer Innenohrschwerhörigkeit sollte immer erfolgen, um hinsichtlich Prognose und Familienplanung zu beraten.