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DOI: 10.1055/a-0818-6950
Wird der kognitive Abbau bei Demenz durch körperliche Aktivität verzögert?
Publication History
Publication Date:
05 March 2019 (online)
- Zielsetzung
- Design
- Setting
- Interventionen
- Hauptzielgrößen
- Ergebnisse
- Schlussfolgerung
- Kommentar zur Studie
- Literatur
Abstract aus dem Englischen übersetzt und leicht modifiziert von S. Peters
Zielsetzung
Einschätzung des Effekts eines moderaten bis hoch-intensiven ausdauer- und kraftorientierten Trainingsprogramms auf die kognitive Einschränkung und andere Outcomes bei Personen mit leichter bis moderater Demenz.
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Design
Multizentrische, pragmatische, randomisiert kontrollierte Studie mit verblindeten Untersuchern.
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Setting
Primäre Gesundheitsversorgung des National Health Service (NHS), Angebote in der Gemeinde und sogenannte „memory services“, demenzbezogene Forschungsregister und wohltätige Anbieter in 15 Regionen Englands.
Teilnehmer / innen: 494 Personen mit Demenz. 329 wurden einem ausdauer- und kraftorientierten Trainingsprogramm zugewiesen und 165 der Gruppe Usual Care. Die zufällige Allokation erfolgte 2:1 zugunsten der Trainingsgruppe.
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Interventionen
Usual Care zuzüglich 4 Monaten betreuten körperlichen Trainings und der Unterstützung für fortlaufende körperliche Aktivität, oder Usual Care alleine.
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Hauptzielgrößen
Das primäre Outcome war die Punktzahl auf der kognitiven Subskala (ADAS-cog) der Alzheimer Erkrankung Assessment Skala zum Zeitpunkt von 12 Monaten. Sekundäre Zielgrößen umfassten die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), neuropsychiatrische Symptome, gesundheitsbezogene Lebensqualität sowie die Lebensqualität und Belastung von Betreuungspersonen. Die körperliche Fitness (inklusive 6-Minuten-Gehtest) wurde in der Trainingsgruppe während der Intervention gemessen.
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Ergebnisse
Das Durchschnittsalter der TeilnehmerInnen war 77 Jahre (SD = 7,9) und 301 von 494 waren Männer (61 %). Nach 12 Monaten war die durchschnittliche Punktzahl des ADAS-cog in der Trainingsgruppe auf 25,2 gestiegen (SD = 12,3) und in der Usual Care Gruppe auf 23,8 (SD = 10,4) (adjustierte Differenz zwischen den Gruppen -1,4, 95 % Konfidenzintervall -2,6 bis -0,2, p = 0,03). Das deutet eine größere kognitive Einschränkung in der Trainingsgruppe an, obwohl die durchschnittliche Differenz klein und die klinische Relevanz unklar ist. Keine Unterschiede wurden bei den sekundären Outcomes gefunden oder bei vorgeplanten Subgruppen Analysen nach Art der Demenz (Alzheimererkrankung oder andere Art), Schweregrad der kognitiven Einschränkung, Geschlecht und Mobilität. Die Compliance mit dem körperlichen Training war gut. Über 65 % der TeilnehmerInnen (214 / 329) nahmen an mehr als ¾ der geplanten Einheiten teil. Die 6-Minuten-Gestrecke verbesserte sich über 6 Wochen (mittlere Veränderung 18,1 m, 95 % Konfidenzintervall 11,6 m–24,6 m).
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Schlussfolgerung
Eine moderates bis hochintensives ausdauer- und kraftorientiertes Trainingsprogramm verzögert die kognitive Einschränkung bei Personen mit leichter und moderater Demenz nicht. Das Trainingsprogramm verbesserte die körperliche Fitness, aber es gab keine wahrnehmbaren Verbesserungen bei anderen klinischen Outcomes.
Stefan Peters (DVGS e. V.)
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Kommentar zur Studie
Demenz ist eine der größten Bedrohungen des selbstständigen Lebens im höheren Alter. In Deutschland sind ca. 1,8 Mio. Menschen betroffen – jährlich kommen ca. 300.000 hinzu. Die Prävalenz wird sich durch die demografische Entwicklung noch erhöhen, 2050 werden mehr als 3 Mio. Menschen betroffen sein [1]. Angesichts der sehr limitierten therapeutischen Optionen ist es verständlich, dass nichtmedizinische Interventionen, wie die Förderung der Bewegung, stärker in den Fokus rücken. Verschiedene epidemiologische Studien zeigen, dass ein höheres körperliches Aktivitätslevel das Risiko für eine demenzielle Erkrankung reduziert. Allerdings gab es bis dato noch keine randomisiert-kontrollierte Studie, die dies auf dem höchsten Evidenzlevel belegt.
Lamb et al. füllen diese Lücke. Sie untersuchen den Effekt eines kombinierten Kraft- und Ausdauertrainings auf die kognitiven Beeinträchtigungen von Patienten mit Demenz. Sie gelangen allerdings zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich keine Verbesserung der demenzrelevanten klinischen Parameter ergab. Die multizentrische Untersuchung ist methodisch sehr gründlich geplant und durchgeführt. Bestimmung und Rekrutierung der Stichprobe erfolgt auf einer soliden Powerschätzung. Die eingesetzten Messverfahren sind etabliert und validiert, dies gilt insbesondere auch für das Instrument zur Messung des primären Endpunktes. Dankenswerterweise wird im Gegensatz zu zahlreichen anderen Studien die durchgeführte Bewegungsintervention nachvollziehbar und plausibel dargestellt. Die Patienten trainieren jeweils 30 Minuten auf dem Fahrradergometer und führen ein individuelles Krafttraining mit Kurzhanteln durch.
Warum lassen sich die zahlreichen epidemiologischen Befunde in der vorliegenden Arbeit nicht bestätigen? Aus sportwissenschaftlicher Sicht ergeben sich dafür 2 Ansatzpunkte:
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Die Intervention ist zu kurz: Durchschnittlich wurden 26 Trainingseinheiten besucht. Untrainierte Menschen verzeichnen in der Regel eine rasche Leistungssteigerung. Allerdings belegt die geringe Verbesserung im 6-Minuten-Gehtest (nach 6 Wochen 18,1 Meter), woraus sich eine nur sehr geringe Effektstärke (d = 0,15) ergibt, dass die Intervention wenig geeignet war, die Ausdauerleistungsfähigkeit zu verbessern. Daten zur Kraftverbesserung werden überhaupt nicht präsentiert.
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Die Intervention ist monoton und wenig motivierend: Die Autoren erkennen selbst das Problem: „[…] and suggests that exercise might not be an attractive proposition“ (S. 9). 30 Minuten auf dem Fahrradergometer kombiniert mit einem Kurzhanteltraining erinnern eher an Tierexperimente und sind besonders für diese Zielgruppe alles andere als motivierend und entsprechen nicht den Vorgaben der Bewegungstherapie im Sinne einer biopsychosozialen Intervention.
Die Autoren sind zwar explizit mit dem Ziel angetreten, die Effekte eines rein körperlichen Trainings auf die kognitive Beeinträchtigung zu untersuchen, allerdings zeigen die Befunde deutlich, dass eine solche zeitlich und konzeptionell limitierte Intervention wenig geeignet ist, den Rückgang der kognitiven Leistungsfähigkeit positiv zu beeinflussen.
Dies darf aber nicht dazu führen, die Potenziale der Bewegungstherapie in diesem Kontext nicht intensiver zu nutzen. Aus einer erweiterten Analyse des Forschungsstandes sprechen die folgenden Punkte dafür:
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Körperliche Aktivität in der Lebensspanne reduziert das Risiko einer demenziellen Erkrankung beträchtlich. „[…] total daily physical activity was associated with incident AD (hazard ratio = 0,477).“ [2]
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Epidemiologische Studien zeigen klar, dass eine längere Dauer der körperlichen Aktivität sehr wohl die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert [3]. Diese Aktivitäten sind in der Regel selbstbestimmt und deshalb auch motivierend.
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Interventionen, die motorische Aufgaben mit kognitiven Anforderungen kombinieren (z. B. Dual-Task-Aufgaben, Tai-Chi) erweisen sich als wirkungsvoll. Eine Metaanalyse ergab über alle Interventionen hinweg eine Verbesserung der kognitiven Funktionen mit einer Effektstärke von 0,29. „Physical exercise improved cognitive function in the over 50 s, regardless of the cognitive status of participants.“ [4]. Diese Effekte werden dann größer, wenn die Intervention verstärkt auf dem kognitiv-motorischen Zusammenspiel aufbaut [5].
Der vorliegende Kommentar zur Studie wurde bereits in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (2018; 143: 1218–1219) veröffentlicht. Die Zweitveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Georg Thieme Verlag KG.
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Literatur
- 1 Zieschang T, Bauer JM.. Menschen und Demenz. Z Gerontol Geriat 2017; 50: 1-3
- 2 Buchman AS, Boyle PA, Yu L. et al. Total daily physical activity and the risk of AD and cognitive decline in older adults. Neurology 2012; 78: 1323-1329
- 3 Fondell E, Townsend MK, Unger LD. et al. Physical activity across adulthood and subjective cognitive function in older men. Eur J Epidemiol 2018; 33: 79-87
- 4 Northey JM, Cherbuin N, Pumpa KL. et al. Exercise interventions for cognitive function in adults older than 50: a systematic review with meta-analysis. Br J Sports Med. 2016 . Published Online First 24 April 2017. doi:10.1136/bjsports-2016-096587
- 5 Gregory MA, Silva BS, Narlon C. et al. Combined dual-task gait training and aerobic exercise to improve cognition, mobility, and vascular health in community-dwelling older adults at risk for future cognitive decline 1. J Alzheimers Dis 2017; 57: 747-763
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Literatur
- 1 Zieschang T, Bauer JM.. Menschen und Demenz. Z Gerontol Geriat 2017; 50: 1-3
- 2 Buchman AS, Boyle PA, Yu L. et al. Total daily physical activity and the risk of AD and cognitive decline in older adults. Neurology 2012; 78: 1323-1329
- 3 Fondell E, Townsend MK, Unger LD. et al. Physical activity across adulthood and subjective cognitive function in older men. Eur J Epidemiol 2018; 33: 79-87
- 4 Northey JM, Cherbuin N, Pumpa KL. et al. Exercise interventions for cognitive function in adults older than 50: a systematic review with meta-analysis. Br J Sports Med. 2016 . Published Online First 24 April 2017. doi:10.1136/bjsports-2016-096587
- 5 Gregory MA, Silva BS, Narlon C. et al. Combined dual-task gait training and aerobic exercise to improve cognition, mobility, and vascular health in community-dwelling older adults at risk for future cognitive decline 1. J Alzheimers Dis 2017; 57: 747-763