Nach der Begrüßung durch die Organisatoren der Veranstaltung Dr. Bernd Hoppe, Bernburg,
und Dr. Wolfram Junghanns, Aschersleben, sowie den Grußworten des Staatssekretärs
Dr. Ralf-Peter Weber, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes
Sachsen-Anhalt, gab Dr.-Ing. Andreas Schütte, Gülzow-Prüzen, einen Überblick über
die von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) seit ihrer Gründung im
Jahr 1993 geförderten 130 Forschungsvorhaben im Bereich der Arznei- und Gewürzpflanzen
in einer Größenordnung von 26 Mio. Euro. Die Förderung umfasse Projekte aus z. B.
Züchtung, Anbauoptimierung, Unkrautregulierung, Erntetechnologie und Trocknung, die
u. a. Bestandteil des 2007 gestarteten Demonstrationsvorhaben mit den Beispielkulturen
Kamille, Melisse und Baldrian mit 35 Teilprojekten und einer Fördersumme von 8,2 Mio.
Euro seien, was einer Förderquote von 90 % entspreche.
Qualitätsanforderungen und rechtliche Einordnung
Qualitätsanforderungen und rechtliche Einordnung
Prof. Dr. Bernd Honermeier, Gießen, beschrieb aus Sicht der Forschung Aspekte der
Qualität und Produktion von Arznei- und Gewürzpflanzen, insbesondere Anforderungen
an Böden, Saat- und Pflanzgut, Düngung, Pflanzenschutzmaßnahmen, Bewässerung, Ernte
und Trocknung. Zur Optimierung der Qualität sei eine Erweiterung der Kenntnisse über
wertgebende, aber auch toxische Inhaltsstoffe, Rückstände und Kontaminanten, Standorteignung
und Anbaumanagement wichtig, ebenso zur Interaktion der Pflanze mit der Umwelt besonders
unter dem Aspekt des Klimawandels und seiner Folgen. Er nannte als Beispiele die Ergebnisse
von Forschungsarbeiten, die sich mit dem Screening der Ätherisch-Öl-Gehalte in Origanum-Arten oder Pfefferminze befassten. Untersuchungen zur vertikalen Verteilung des Hypericin-Vorkommens
in Johanniskrautpflanzen gäben wertvolle Hinweise zur Festlegung der Breite der zu
erntenden Blühhorizonte, ähnliche Phänomene seien bei Buchweizen oder beim Vorkommen
der Kaffeoylchinasäure-Gehalte in Artischockenblättern zu beobachten. Auch die optimale
Nährstoffversorgung sei eine zukunftsweisende Aufgabe, wie z. B. die Düngung mit lebenden
Mikroben als „Biofertilizer“.
Abb. 1 Volles Haus in Bernburg: Blick in den Tagungssaal. Foto: Karin Hoppe, Bernburg
Welche Grenzwerte der Gesetzgeber im Sinne des Verbraucherschutzes und der Patientensicherheit
für unerwünschte, potenziell gesundheitsschädliche Begleitstoffe in pflanzlichen Materialien
festgelegt hat, stellte Dr. Barbara Steinhoff, Bonn, dar. Sie erläuterte die praktische
Relevanz dieser Regelungen für Schwermetalle bzw. Elementverunreinigungen, Pflanzenschutzmittel,
polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und Pyrrolizidinalkaloide (PA)
sowie die große Bedeutung der Erhebung entsprechender Daten in der täglichen Praxis
der pharmazeutischen Unternehmen im Rahmen eines firmenspezifischen / -übergreifenden
Monitorings. Die Auswertung von Daten für die genannten Rückstände bzw. Kontaminanten
biete einen umfassenden Überblick über die Belastungssituation und gebe den Unternehmen
die Möglichkeit einer Risikoabschätzung, die auch eine Voraussetzung für die individuelle
Gestaltung der Prüffrequenzen für die pflanzlichen Wirkstoffe bzw. Produkte sei. Letztendlich
sei auch die auf Daten basierende Prüfung der Einhaltbarkeit von Grenzwerten eine
wichtige Argumentationsgrundlage zur Diskussion mit den Behörden, wie auch die neuesten
Entwicklungen am Beispiel PA gezeigt hätten.
Prof. Dr. Michael Keusgen, Marburg, untersuchte die Frage, wann eine Arzneipflanze
als Arzneimittel und wann als Nahrungsergänzungsmittel einzustufen ist, da bekanntermaßen
sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe und hochkonzentrierte Extrakte teilweise auch als
Nahrungsergänzung angeboten würden. Letztere seien allerdings nur verkehrsfähig, wenn
sie keine pharmakologische Wirkung entfalteten bzw. nach aktueller Rechtsprechung
die „Erheblichkeitsschwelle“ nicht überschritten werde. Er nannte als Beispiel Zubereitungen
aus der Rosenwurz (Rhodiola rosea); hingegen seien die chinesischen Heilpilze Cordyceps sinensis und Ganoderma lucidum eher als „Novel Food“ einzustufen. Im Lebensmittelbereich verwendete Extrakte bräuchten
keine Arzneimittelstandards zu erfüllen, allerdings werde in der Werbung häufig auf
Ergebnisse analoger pflanzlicher Arzneimittel Bezug genommen. Die Rechtslage in Europa
sei uneinheitlich, und der Verbraucher könne die Produktgruppen meistens nicht unterscheiden.
Vorsicht sei jedenfalls geboten bei Internet-Käufen von Produkten mit Gesundheitsbezug.
Der Referent betonte, dass Nahrungsergänzungsmittel Phytopharmaka sicher nicht ersetzen
könnten.
Pflanzen aus anderen Kulturkreisen
Pflanzen aus anderen Kulturkreisen
Prof. Dr. Michael H. Böhme, Berlin, sprach über Pflanzen in der traditionellen asiatischen
Medizin anhand der Länderbeispiele Bangladesch und Vietnam, in denen sowohl die Richtungen
des indischen Ayurveda und des auf den Erkenntnissen der griechischen Medizin zu Zeiten
von Hippokrates beruhenden Unani besonders ausgeprägt seien. Beide nutzten in der
Therapie indigene Pflanzen wie das Indische Lungenkraut (Adhatoda vasica), den Ingwer (Zingiber officinale), das Indische Basilikum (Ocimum sanctum) oder die Schlafbeere (Withania somnifera). Der Referent beschrieb außerdem den therapeutischen Wert einiger weiterer Pflanzen,
die vorwiegend als Gewürze bzw. Nahrungsmittel eingesetzt werden, wie z. B. die polyphenol-
und anthocyanhaltige Lamiacee Perilla frutescens.
Ein weiterer Vortrag befasste sich mit der Domestizierung und dem Versuchsanbau von
Süßholz (Glycyrrhiza glabra) im Iran, vorgetragen von Dr. Farsad Nadjafi, Teheran. Er zeigte, dass bei geringen
Niederschlagsmengen ein guter Wurzelertrag erreicht werden konnte, der mit dem Gehalt
an Glycyrrhizin und Glabridin als wertgebende Inhaltsstoffe korreliere. Ein großes,
aber bislang nicht genutztes Potenzial zur weiteren Entwicklung von Arznei- und Gewürzpflanzen
biete die Flora der Türkei, wie Prof. Dr. Mensure Özgüven, Konya / Türkei, darstellte.
Durch eine staatliche Unterstützung sei es in den letzten Jahren möglich gewesen,
Anbau und Verarbeitung von Arzneipflanzen voranzubringen sowie traditionelle volksmedizinische
und ethnobotanische Kenntnisse wissenschaftlich auszuwerten und in die Vermarktung
von Produkten umzusetzen. Einen umfassenden Überblick über Inhaltsstoffe, Forschungsarbeiten
und Anwendungsmöglichkeiten des Schmalblättrigen Weidenröschens (Epilobium angustifolium) gab Prof. Dr. Elena Malankina, Universität Moskau, die berichtete, dass für diese
Pflanze eine Inkulturnahme in verschiedenen Regionen Russlands geplant ist.
Abb. 2 Süßholzwurzel (Glycyrrhiza glabra): Guter Wurzelertrag auch bei Niederschlagsarmut im Iran. Foto: Yuriy Danilevsky
Arzneipflanzen und Umwelt
Arzneipflanzen und Umwelt
Dr. Matthias Lorenz, Darmstadt, stellte interessante Möglichkeiten für die Nutzung
von Satellitendaten für das Sourcing von Arzneipflanzen dar. Als Beispiele für eine
Optimierung der Qualitätssicherung erwähnte er den Kamillenanbau in Oberägypten, bei
dem mit Hilfe von GPS-Daten eine Bewässerung aus sauberen Kanälen zur Vermeidung einer
mikrobiellen Kontamination durchgeführt wurde, sowie die Gewinnung von Rotem Weinlaub
in Chile, bei dem auf die gleiche Weise das Risiko einer Kontamination mit Pestiziden
als Folge einer Windverwehung minimiert werden konnte. Anschaulich erläuterte er auch,
wie potenzielle neue Sammelgebiete für Johanniskraut (Hypericum perforatum) in Chile, die durch Satellitenbilder sichtbar gemacht werden konnten, und wie schließlich
im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten eine Verbesserung der Qualität
von Muskatnüssen (Myristica fragans) mit Hilfe eines genetischen Screenings natürlicher Vorkommen in Grenada erreicht
werden konnte.
Dr. Wolfram Junghanns beschrieb eindrücklich die katastrophalen Auswirkungen der Dürreperiode,
die insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2018 den Arzneipflanzenanbau vor allem
in Mitteldeutschland hochgradig beeinträchtigt hat. Durch extreme Trockenheit und
starke Hitze sei es in vielen Kulturen zu Totalausfällen in der Ernte gekommen, wobei
auch teilweise bereits in den frühen Stadien der Arzneipflanzenproduktion eine Denaturierung
im Saatgut stattgefunden habe. Um zukünftigen Extremsituationen begegnen zu können,
sei es deshalb notwendig, systematisch alle vorhandenen Bewässerungsmöglichkeiten
auszuschöpfen und eine ernteübergreifende Bevorratung mit Rohware sicherzustellen,
was allerdings kapitalintensiv sein und das Endprodukt verteuern könne.
Weitere Vorträge befassten sich u. a. mit Benediktenkraut (Centaurea benedicta) und seinen Bitterstoffen, mit der Züchtung von Johanniskraut (Hypericum perforatum), mit dem Auftraten von Schaderregern in Kamille (Matricaria recutita) sowie mit neuen Anwendungsregelungen für Düngemittel und Pflanzenschutzmittel.
Ehrungen und Rahmenprogramm
Ehrungen und Rahmenprogramm
Den diesjährigen Ehrenpreis der GFS e. V. für wissenschaftliche Leistungen erhielt
Professor Dr. Michael Keusgen, der seit 2007 Dekan des Fachbereichs Pharmazie an der
Universität Marburg ist, zahlreiche Forschungsarbeiten an mittelasiatischen Arzneipflanzen,
insbesondere an Zwiebelgewächsen durchgeführt hat und sowohl an neuen pharmazeutischen
Nutzungen als auch neuen Analysenmethoden arbeitet. Hervorzuheben sei auch seine Mitarbeit
in Ausschüssen des Arzneibuchs und seine Tätigkeit als Vorsitzender der Gemeinsamen
Expertenkommission des BVL / BfArM zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln,
wie Dr. Bernd Hoppe, Bernburg, in seiner Laudatio betonte.
Abb. 3 Logo von Saluplanta e. V. – die veranstaltende Gesellschaft der Bernburger Winterseminare.
Mit dem Saluplanta-Ehrenpreis 2019 wurde Prof. Dr. Bernd Honermeier ausgezeichnet,
der seit 1998 am Institut für Pflanzenbau der Universität Gießen tätig und heute dessen
geschäftsführender Direktor ist. Seine zahlreichen, in über 330 Veröffentlichungen
beschriebenen Forschungsarbeiten beziehen sich u. a. auf Langzeiteffekte von Fruchtfolge
und Düngung sowie die Qualität von Arzneipflanzen.
Wie in jedem Jahr nutzten die Teilnehmer bei der längst zur Tradition gewordenen Abendveranstaltung
im Tagungssaal und zwischen den Vorträgen bei der Posterbegehung die Möglichkeit,
das seit Etablierung des Bernburger Winterseminars vor knapp 30 Jahren bestehende
Netzwerk aus Vertretern des Anbaus und der Arzneipflanzen-verarbeitenden Industrie,
aus Behörden, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen weiter auszubauen.
Dr. Barbara Steinhoff
steinhoff@phytotherapie.de