Z Sex Forsch 2019; 32(01): 39-47
DOI: 10.1055/a-0835-1668
Dokumentation
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Linda Williams’ „Hard Core“

Der Klassiker der Pornografie-Forschung wird 30 Jahre altLinda Williams’ “Hard Core”The Classic of Pornography Research Turns 30 Years Old
Nicola Döring
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft, Technische Universität Ilmenau
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. phil. Nicola Döring
Technische Universität Ilmenau
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft
Ehrenbergstr. 29 (EAZ 2217)
98693 Ilmenau

Publication History

Publication Date:
20 March 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Die Monografie „Hard Core“ der US-amerikanischen Filmwissenschaftlerin Linda Williams erschien im Jahr 1989, inmitten der „feministischen Porno-Kriege“. Das Buch gilt als Klassiker der Pornografie-Forschung, da es sich eben nicht um eine weitere ideologische Streitschrift für oder gegen Pornografie handelt, sondern erstmals um eine wissenschaftliche Arbeit, die das Genre des pornografischen Films detailliert in seiner historischen Entwicklung und Machart analysiert. Anlässlich des 30. Geburtstags des Werkes stellt der vorliegende Beitrag die Autorin und ihr Buch vor, geht auf seine Rezeptionsgeschichte ein und arbeitet die Bedeutung für die heute boomende Pornografie-Forschung heraus.


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Abstract

The monograph “Hard Core” by US film scholar Linda Williams was published in 1989, amidst the “feminist porn wars”. The book is considered a classic of pornography research because it is not just another ideological pamphlet for or against pornography, but for the first time a scientific work that analyses the genre of pornographic film in detail in its historical development and style. On the occasion of the 30th anniversary of the book, this article presents the author and her work, deals with its reception history, and highlights its significance for today’s booming field of pornography research.


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Vor 30 Jahren legte die Filmwissenschaftlerin Linda Williams mit ihrer Monografie „Hard Core. Power, Pleasure and the ¸Frenzy of the Visible‘“ (deutsche Übersetzung 1995: „Hard Core. Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films“) den Grundstein für die heute boomende, interdisziplinäre Pornografie-Forschung. Der vorliegende Beitrag stellt anlässlich dieses runden Geburtstags das Werk sowie dessen Rezeptionsgeschichte vor und erläutert seine anhaltend große Bedeutung für die heutige Sexualforschung. Auch der Hintergrund der Autorin wird beleuchtet.

Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams

In den 1960er-Jahren studierte Linda Williams vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California (UC), Berkeley. Promoviert wurde sie 1977 an der University Colorado Boulder mit einer Arbeit über den surrealistischen Film. Fortan lehrte und forschte sie filmwissenschaftlich – zunächst an der University of Illinois at Chicago, dann an der University of California, Irvine. Schließlich kehrte sie 1997 bis 2015 als Professorin für Filmwissenschaft und Rhetorik an die UC Berkeley zurück (http://filmmedia.berkeley.edu/faculty-pro​file/linda-williams). Ihren akademischen Werdegang schildert sie in einem im Jahr 2014 aufgezeichneten einstündigen Video-Interview (https://vimeo.com/116755454) mit dem kanadischen Filmkritiker Tom Waugh ([Waugh 1996]).

Zu den Forschungsschwerpunkten von Linda Williams gehören jene Film-Gattungen, die sie in Anlehnung an [Carol Clover (1987)] als Körper-Genres bezeichnet ([Williams 2009]). Körper-Genres zielen darauf ab, den Körper als Empfindungskörper sowohl darzustellen als auch anzusprechen. Dazu zählen laut Williams der Horrorfilm, der Terror inszeniert und in Angst und Schrecken versetzt, das Melodram, das überwältigende Traurigkeit ausmalt und zu Tränen rührt, und eben die Pornografie, die sexuelle Ekstase zeigt und Erregung erzeugt. Körper-Genres lassen das Publikum möglichst spektakuläre Körperekstasen rund um Gewalt, Gefühl und Sex sehen und hören – etwa das Zittern, Schluchzen und Beben unter Folter, Liebeskummer oder Orgasmen – und dadurch bestenfalls selbst entsprechende Körperempfindungen erleben und genießen ([Williams 2009]).

Neben dem Körper-Genre Pornografie hat Linda Williams die Repräsentation von Sexualität auch in anderen Mediengattungen untersucht. Zu diesen weiteren Sex-Genres, die weniger starke körperliche Reaktionen als die Pornografie auslösen mögen, aber ebenfalls große Verbreitung und gesellschaftliche Bedeutung haben, gehören etwa Fernsehserien und Kinofilme, die nicht selten Küsse und simulierte Sex-Akte präsentieren ([Williams 2008]).

Der filmanalytische Ansatz von Linda Williams ist durch eine Vielfalt theoretischer Zugänge geprägt, wobei sie vor allem historisch, feministisch, psychoanalytisch und soziologisch argumentiert. Von zentraler Bedeutung sind für sie die Werke von Karl Marx, von Sigmund Freud und vor allem von Michel Foucault.

Neben „Hard Core“, ihrer hier vorgestellten Monografie zur Bewegtbild-Pornografie, hat Linda Williams zahlreiche weitere Bücher, Buchkapitel und Zeitschriftenartikel über Pornografie vorgelegt. Besonders hervorzuheben sind zwei Veröffentlichungen: Ihr Sammelband „Porn Studies“, der aus einem Filmseminar hervorgegangen ist und sich auch der Frage widmet, wie man Pornografie zum Gegenstand der universitären Lehre machen kann ([Williams 2004]), sowie ihr Kommentar zum aktuellen Stand der Pornografie-Forschung ([Williams 2014]).

Linda Williams gilt durch ihre wegweisenden Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen als Mitbegründerin der zeitgenössischen akademischen Pornografie-Forschung. Als im Jahr 2014 die Fachzeitschrift „Porn Studies“ (Taylor & Francis: https://www.tandfon​line.com/loi/rprn20) gegründet wurde, berief man sie in den wissenschaftlichen Beirat. Und auch die Filmpraxis wurde durch Linda Williams beeinflusst. Die feministische Porno-Regisseurin Erika Lust jedenfalls beschreibt ihren Werdegang folgendermaßen (https://erikalust.com/de/ueber/):

„Ich bin in Schweden geboren und bevor ich mich dazu entschied, mich auf Erotikfilme zu spezialisieren, habe ich Politik, Feminismus und Sexualwissenschaften an der Universität von Lund studiert. Dort bin ich auf das 1989 erschienene Buch ‚Hard Core: Power, Pleasure, and the Frenzy of the Visible‘ von Linda Williams gestoßen. Dieses Buch hatte sehr großen Einfluss auf den modernen Diskurs um Pornografie sowie auf meine persönliche Einstellung zu diesem Genre.“


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„Hard Core“ als Klassiker der Pornografie-Forschung

Hardcore-Darstellungen, die nackte Körper und sexuelle Aktivitäten explizit zeigen und der sexuellen Erregung des Publikums dienen, waren bis in die 1960er-Jahre fast überall auf der Welt verboten bzw. zensiert. Mit der sexuellen Revolution änderten sich die Moralvorstellungen und Gesetze in Mitteleuropa und Nordamerika: Eine 1969 vom demokratischen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson eingesetzte Untersuchungskommission zur Bewertung von Pornografie kam auf der Basis wissenschaftlicher Befunde zu dem Schluss, dass Pornografie weitgehend harmlos ist ([Commission on Obscenity and Pornography 1970]). Visuelle Pornografie wurde schrittweise legalisiert – etwa 1969 in Dänemark und in den USA, 1975 in Deutschland. Die Pornoindustrie erlebte daraufhin in den 1970er-Jahren ihre goldene Dekade mit aufwändigen Produktionen und steigendem Absatz in den Kinos. Im Zuge der rasanten Verbreitung des Videorekorders hielten Pornofilme in den 1980er-Jahren weithin Einzug in die Privathaushalte.

Mit ihrer Popularisierung wurde Pornografie gesellschaftlich kontroverser diskutiert (zusammenfassend [Döring 2011]): Auf der einen Seite standen die Pornografie-Gegner_innen, die sich ein Pornografie-Verbot zurückwünschten. Ihre kritische Haltung entsprang oft einem konservativ-religiösen Weltbild (Hauptargument: Sexualität soll nur als Partnersexualität in der Ehe stattfinden, was sowohl die Produktion als auch die masturbatorische Rezeption von Pornografie als Treuebruch und Sünde ausschließt). Die konservativ-religiösen Pornografie-Gegner_innen verbündeten sich mit den radikal-feministischen Pornografie-Gegner_innen, deren Kritik ebenso vehement, aber ganz anders motiviert war, nämlich die Viktimisierung von Frauen anprangerte (Hauptargumente: Pornografie viktimisiert zum einen die Pornodarstellerinnen, die bei der Pornografie-Produktion durch Zwang und sexuelle Gewalt ausgebeutet werden, und zum anderen alle Frauen, da die Pornografie-Inhalte sie gesellschaftlich zu puren Sexualobjekten von Männern degradieren und sexuelle Gewalt von Männern an Frauen glorifizieren). Unter dem republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan wurde erneut eine Untersuchungskommission zur Bewertung von Pornografie eingesetzt, die in ihrem 1986 veröffentlichen Abschlussbericht, dem sog. „Meese-Report“ ([Attorney General’s Commission on Pornography 1986]), behauptete, dass Pornografie schädlich sei und reale sexuelle Gewalt fördere. Damit hatte sich der „Meese-Report“ die Haltung der Anti-Pornografie-Bewegung zu eigen gemacht – gegen den Protest der beteiligten Wissenschaftler_innen, die den Forschungsstand anders bewerteten.

Der politisch sehr aktiven Anti-Pornografie-Bewegung stand die Anti-Zensur-Bewegung gegenüber, die Pornografie als weitgehend harmlos einstufte – insbesondere harmlos im Vergleich zu den großen Gefahren, die eine Zensur sexueller Medieninhalte mit sich bringen würde. Die Anti-Zensur-Position lehnte die von den Pornografie-Gegner_innen geforderte Rekriminalisierung von Pornografie ab (zusammenfassend [Döring 2011]).

Neben Anti-Pornografie- und Anti-Zensur-Positionen artikulierten sich auch Pro-Pornografie-Standpunkte, die insbesondere jenen Hardcore-Darstellungen, welche sich nicht primär an ein heterosexuelles männliches Publikum richteten, positive Effekte zuschrieben (zusammenfassend [Döring 2011]). So wurde erwartet, dass der authentische – von und für die Szene produzierte – Lesben-, Schwulen- oder BDSM-Porno zum sexuellen und gesellschaftlichen Empowerment von sexuellen Minoritäten beiträgt, etwa durch die 1985 gegründete lesbische Produktionsfirma Fatale Media, die auch heute noch im Geschäft ist (www.fatalemedia.com). Ebenso wurde argumentiert, dass der frauenorientierte bzw. feministische Porno das sexuelle und gesellschaftliche Empowerment von heterosexuellen Frauen fördert, z. B. durch die 1984 von Candida Royalle gegründete Produktionsfirma Femme Productions. Der Empowerment-Faktor alternativer Pornografien wurde und wird darin gesehen, dass gesellschaftlich marginalisierte sexuelle Vorlieben und Praktiken jenseits der Bedürfnisse des heterosexuellen Mannes nun häufiger explizit gezeigt und rezipiert und infolgedessen auch stärker anerkannt und normalisiert werden.

Die öffentlichen und akademischen Debatten rund um Pornografie waren damals so polarisiert und aufgeheizt, dass die Fachliteratur – einschließlich [Linda Williams (1995)] – bis heute von den „feministischen Sex-Kriegen“ bzw. den „feministischen Porno-Kriegen“ der 1980er spricht: Während innerhalb der zweiten Welle des Feminismus also die einen Feminist_innen Pornografie zum Inbegriff der Frauenunterdrückung erklärten und vehement bekämpften, verteidigten die anderen Feminst_innen die Meinungs- und Informationsfreiheit oder engagierten sich sogar in der Produktion feministischer Pornofilme. Wechselseitig beschuldigte man sich, die Sache der Emanzipation der Frauen zu verraten (zusammenfassend [Döring 2011]).

In dieser historischen Situation erschien 1989 Linda Williams’ „Hard Core“ – eine umfassende Abhandlung über die heterosexuelle Film- und Video-Pornografie. Was diesem Werk den Status eines Klassikers verleiht, ist die Tatsache, dass es sich eben nicht um eine weitere ideologische Streitschrift für oder gegen die Berechtigung von Pornografie handelt. Williams war ausdrücklich nicht an der Frage interessiert, ob es Pornografie nun aus moralischen, politischen, religiösen oder sonstigen Gründen geben sollte oder nicht. Sie konstatierte vielmehr, dass Pornografie massenhaft existiert, und wollte herausfinden, wie sich das Genre historisch entwickelt hat und wodurch es sich in seinen Darstellungsweisen und Bedeutungen auszeichnet. Es ist diese konsequent analytisch-erkenntnissuchende Haltung sowie die damit einhergehende detaillierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, die es der Filmwissenschaftlerin ermöglichten, mit „Hard Core“ wissenschaftliches Neuland zu betreten und zu beginnen, das Feld der heute interdisziplinär florierenden Pornografie-Forschung als Pionierin abzustecken.


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Die Hauptinhalte von „Hard Core“

Die Monografie „Hard Core“ gliedert sich in acht Kapitel, die durch eine Einleitung und eine Zusammenfassung gerahmt sind. Das methodische Vorgehen beschränkt sich durchgängig auf die qualitativ-interpretierende Betrachtung einzelner Filme. An keiner Stelle wird empirisch-quantifizierend auf die systematische Analyse größerer Material-Stichproben abgezielt. Dabei wird das ekstatische Körper-Genre Pornografie sehr nüchtern-minimalistisch in einem wissenschaftlichen Fließtext behandelt, dessen Lektüre anspruchsvoll, zuweilen mangels Strukturierung auch recht anstrengend ist. Linda Williams erklärt, sie habe auf Abbildungen des analysierten pornografischen Materials im Buch absichtlich verzichtet, um unnötige Provokationen zu vermeiden ([Williams 1995]: 62 f.). Im Folgenden werden zentrale Kapitelinhalte auf der Basis der deutschsprachigen Ausgabe ([Williams 1995]) kursorisch referiert und zusätzlich einige Hintergrundinformationen zum besseren Verständnis des Werkes geliefert.

Kapitel 1. Sprechender Sex: Geschwätzige Kleinode

Im ersten Kapitel skizziert Linda Williams Zielsetzung, Gegenstandsdefinition, Theorierahmen und Methode ihrer Arbeit und kontextualisiert sie innerhalb der feministischen Porno-Kriege der 1980er. In ihrer Rolle als Film-Interpretatorin identifiziert Williams sich dabei ausdrücklich als heterosexuelle Frau ([Williams 1995]: 30). Sie erklärt, dass sie im Buch die feministisch umstrittene heterosexuelle Pornografie behandeln werde, die sich ursprünglich nur an Männer richtete, später aber auch verstärkt Frauen anzusprechen versuchte. Lesbische und schwule Pornografie würdigt sie als ebenfalls wichtige Untersuchungsgegenstände. Allerdings möchte sie bei der akademischen Analyse von lesbischer und schwuler Pornografie lieber denjenigen den Vortritt lassen, die zur primären Zielgruppe gehören und diese Genres somit besser verstehen können ([Williams 1995]: 30).

Visuelle Pornografie wird von Linda Williams über zwei Merkmale definiert, nämlich a) die filmische Darstellung von echten (nicht simulierten) Geschlechtsakten und b) das vorrangige Ziel, das Publikum sexuell zu stimulieren ([Williams 1995]: 19). Diese inhaltlich-funktionale Definition ist bis heute in der Pornografie-Forschung üblich. Williams betont, es sei weder ihr Ziel zu untersuchen, ob Pornografie frauenfeindlich sei (ein Großteil sei es), oder ob Pornografie Kunst sei (ein Großteil sei es nicht). Vielmehr möchte sie herausfinden, welche Art Filmgenre Pornografie ist, wie sie funktioniert, und warum sie so populär ist ([Williams 1995]: 28).

Der Buchtitel „Hard Core“ verweist auf die Abgrenzung zu Softcore-Darstellungen, in denen Sexualakte (z. B. Penetrationen) von den Darstellenden vor der Kamera nur simuliert, nicht jedoch real ausgeführt werden. Wenn in der deutschen Übersetzung etwas missverständlich von „harter Pornografie“ die Rede ist, sind an keiner Stelle illegale Darstellungen gemeint [1], sondern stets die heute legalen Hardcore-Darstellungen im Heteroporno und eben nicht die Softcore-Darstellungen von Sexualität, wie sie in Film und Fernsehen auftauchen.

Williams kennzeichnet ihren theoretischen Standpunkt als „feministische Neubewertung“, die in einem Spannungsfeld zwischen mehreren Betrachtungsweisen anzusiedeln ist, nämlich „den psychoanalytischen Theorien über Sexualität und sexuelle Identität, den marxistischen Theorien der Verdinglichung, der Utopie und der sexuellen Warenbeziehung; Foucaultschen Beschreibungen von Macht, Lust und Diskurs; sowie neueren Arbeiten über Massenkultur, besonders über die für Frauen massenhaft produzierten Genres wie Seifenoper, Liebesfilm und der Film für die Frau“ ([Williams 1995]: 28 f.).

Das von ihr analysierte Filmmaterial umfasst laut Williams ein breites Spektrum populärer zeitgenössischer Pornofilme der 1970er- und 1980er-Jahre sowie handverlesene frühe fotografische und filmische Darstellungen aus der Zeit, als visuelle Pornografie noch verboten war ([Williams 1995]: 31 f.).


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Kapitel 2. Vorgeschichte: Visuelle Obsessionen

In der Analyse des Genres Pornografie geht Linda Williams chronologisch vor und beginnt mit den ersten Foto- und Filmaufnahmen des menschlichen Körpers. So erstellte der britische Fotograf Eadweard Muybridge (1830–1904), der auch als „Vater des Kinos“ tituliert wurde, erstmals Fotoserien, in denen er mit klinisch-wissenschaftlicher Genauigkeit die Bewegungsabläufe bei Tieren und Menschen dokumentierte. Im Jahr 1901 veröffentlichte er das Buch „The Human Figure in Motion: An Electro-Photographic Investigation of Consecutive Phases of Muscular Actions“ (verfügbar unter: https://exhibits.stanford.edu/muybridge). Die Fotoserien im Buch zeigen bekleidete und unbekleidete Männer und Frauen bei unterschiedlichen Tätigkeiten und Bewegungsabläufen.

Williams fällt bei ihren Analysen solcher frühen Foto- und Filmaufnahmen auf, dass dieselben Bewegungsabläufe (z. B. sich hinsetzen, sich hinlegen) bei Männern und Frauen ganz unterschiedlich inszeniert wurden. Sie vermutet deshalb, dass sich schon bei diesen frühen fotografischen Bewegungsstudien die wissenschaftliche Suche nach Wahrheit über den „Körper in Bewegung“ mit der voyeuristischen Lust am Betrachten der Körper verbunden hat. In der späteren Pornografie werde diese Logik fortgesetzt: Der Pornofilm entstamme also nicht der Sphäre der erotischen Kunst (ars sexualis), sondern eher der wissenschaftlichen Betrachtung von Sexualität (scientia sexualis) und der Idee, durch genaue Sichtbarmachung – insbesondere des weiblichen Körpers und der weiblichen Erregung – beim männlichen Publikum Erkenntnis- und Machtgewinn mit Lustzuwachs zu verbinden.


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Kapitel 3. Der Sex-Kurzfilm: Genitale Schau und genitales Ereignis

Zwischen 1915 und 1968 wurden die ersten Sex-Kurzfilme (im Englischen als Stag Films bezeichnet) produziert. Es handelt sich um Kurzfilme von rund zehn bis 15 Minuten Länge, was einer 16-mm- oder 8-mm-Filmrolle von 300 Metern entspricht. Was diese Stag Films neben ihrer Kürze auszeichnete, war das Fehlen von Ton, Farbe und zusammenhängender Handlung ([Williams 1995]: 96). Die geringe filmische Qualität – Williams spricht auch von „primitiven“ Filmen – war indessen nicht überraschend, da aufgrund des Pornografie-Verbots die Filmemacher meist anonyme Amateure waren. Glücklicherweise sind rund 1 200 dieser historischen Sex-Kurzfilme erhalten ([Williams 1995]: 96) und werden vom Kinsey-Institut an der Indiana University in einem Filmarchiv bereitgehalten (https://www.kinseyinstitute.org/collections/).

Hier hat Linda Williams ihr Analysematerial bezogen – unter anderem den deutschen Sex-Kurzfilm „Am Abend“, den sie folgendermaßen beschreibt ([Williams 1995]: 96):

Am Abend (Deutschland, ca. 1910) dauert zehn Minuten und beginnt mit einem Mann, der durch ein Schlüsselloch guckt. Die nächste Einstellung zeigt eine Frau, die allein in einem Schlafzimmer masturbiert, das Schlüsselloch bildet den Rahmen. In der folgenden Einstellung betritt der Mann das Schlafzimmer und zieht sich aus. Der Mann und die Frau vereinigen sich daraufhin in einer Folge von zusammenhanglosen Stellungen: ‚konventioneller Sex‘ (Penetration mit dem Mann oben), Fellatio, weitere Masturbation der Frau, Penetration von hinten. Das pornographische Geschehen wird abwechselnd in der Totale mit dem Paar auf dem Bett und in eingefügten Großaufnahmen von Details gezeigt. In manchen Einstellungen sind die genitalen Handlungen deutlicher zu sehen, in anderen weniger deutlich; die Handlungen beschränken sich auf Fellatio und Penetration.“

Williams erklärt, dass diese illegalen Sex-Stummfilme in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts typischerweise in Herrenclubs und in Bordellen gezeigt wurden, wo man in Männerrunden gemeinsam die dargestellten Szenen und die weibliche Anatomie kommentierte und sich erregen ließ ([Williams 1995]: 112). Orgastische Befriedigung anlässlich der betrachteten Filme war in diesen Gruppen heterosexuell identifizierter Männer indessen nicht üblich, da gemeinsames Masturbieren ein Tabu darstellte. Vielmehr ging es unter den mehr oder minder sexuell unerfahrenen Männern um Initiation in die Männlichkeit, um Verbrüderung, um die Zerstreuung von sexuellen Ängsten. Sehr auffällig an den frühen Sexfilmen sei die „klinische, verdinglichende Prüfung des weiblichen Körpers (‚öffne die Lippen‘)“ ([Williams 1995]: 112). Interessant ist ferner Williams’ Beobachtung, dass die Befriedigung von Mann und Frau in diesen Filmen niemals näher thematisiert wurde: „einen Penis in eine Körperöffnung einzuführen galt automatisch als befriedigend für beide“ ([Williams 1995]: 132). Ebenso weist sie darauf hin, dass die Stag Films mit ihrer einfachen Struktur willkürlich aneinandergehängter Großaufnahmen von Sexualorganen und Sexualakten (v. a. vaginale Penetration durch einen Penis, eine Filmeinstellung, die sie als Meat Shot bezeichnet) das narrative Problem hatten, dass sie abrupt zu einem scheinbar beliebigen Zeitpunkt einfach abbrachen, da sich noch keine Konvention über das Filmfinale etabliert hatte ([William 1995]: 110).

Auf rund vierzig Seiten rekonstruiert Williams detailliert die Machart der frühen Sexkurzfilme, die Rezeptionssituationen in reinen Herrenrunden und die möglichen Wirkungen auf das männliche Publikum. Bei den Filmen vermische sich primitive Kinotechnik mit harmlos-pubertärem – oft aber auch mit frauenfeindlichem – Inhalt ([Williams 1995]: 133). Es war laut Williams eine Zeit, „als die männlichen Betrachter der Pornographie noch ihre Lust an der Inspektion von Frauen haben konnten, ohne sich um deren Lust Gedanken machen zu müssen“ ([Williams 1995]: 134).


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Kapitel 4. Fetischismus und harter Porno: Marx, Freud und der „money shot“

Mit der Legalisierung von Pornografie begann in den 1970er-Jahren die Ära der professionell produzierten abendfüllenden Porno-Spielfilme, die nun mit Ton, Farbe und Handlung aufwarteten und dank Videorekorder auch zu Hause rezipiert werden konnten. Im Unterschied zum Stag Film, der auf die Penetration in Großaufnahme als Beweis für echten Sex fokussierte, hob der Porno-Spielfilm die Logik der Sichtbarmachung auf eine neue Ebene: Eingeführt wurde die externe Ejakulation in Großaufnahme, als Beweis für echte (männliche) Orgasmen (Williams schreibt vom Come Shot; umgangssprachlich auch: Cum Shot). Da die Pornodarsteller für die nun obligatorische Ejakulationsszene extra bezahlt wurden, wird der Come Shot auch als Money Shot bezeichnet ([Williams 1995]: 135). Williams sieht im Come Shot bzw. Money Shot sowohl einen Ausdruck des Marx’schen Warenfetischs (Lust wird zur visuell verdinglichten, bezahlten Ware) als auch einen Ausdruck des Freud’schen Fetischs der Kastrationsleugnung (Lust wird nicht über genitale Vereinigung visualisiert, sondern über den solipsistischen Rückzug von der Frau und den Fokus allein auf den Phallus und die extrakorporale Ejakulation; [Williams 1995]: 163). Der Money Shot als Fetisch zeigt für William einen „Mangel an Beziehung zum Anderen“. Dabei weist sie auch darauf hin, dass in der filmischen Narration die Frau zwar oft um die externe Ejakulation bittet, weil sie diese sehen wolle, tatsächlich das visuelle Schauspiel aber gar nicht für ihre (dann meist geschlossenen) Augen bestimmt ist, vielmehr der Pornodarsteller sich selbst ejakulieren sieht und das Publikum ihn dabei beobachtet ([Williams 1995]: 144).

Im Mittelpunkt der Betrachtung steht in diesem Kapitel der Porno-Klassiker „Deep Throat“ (1971). Es handelt sich hierbei um den ersten pornografischen Film in (knapper) Spielfilmlänge (61 Minuten), der in regulären Kinos lief, von der Filmkritik in den Tageszeitungen besprochen wurde und ein sehr großes männliches, aber durchaus auch weibliches Publikum fand. „Deep Throat“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau, Linda Lovelace, die darunter leidet, beim Sex keine orgastische Befriedigung zu finden, trotz diverser sexueller Experimente mit verschiedenen Männern ([Williams 1995]: 154). Bei einer medizinischen Untersuchung stellt sich schließlich heraus, dass sich ihre Klitoris nicht in den Genitalien, sondern im Hals befindet. Der Arzt verordnet daraufhin Krankengymnastik, damit Linda tiefe Fellatio lernt. Und tatsächlich erlebt sie dann bei Fellatio mit dem Arzt ihren ersten Orgasmus, während er auf ihr Gesicht ejakuliert. Im weiteren Verlauf des Films betätigt sich Linda selbst als Krankengymnastin, wobei die von ihr an den Patienten durchgeführten Behandlungen stets sexueller Natur sind. Schließlich heiratet sie einen Mann, der sie sexuell befriedigen kann ([Williams 1995]: 155 f.).

Die feministische Anti-Pornografie-Bewegung kritisierte den Film für seine abstruse Handlung und Frauenfeindlichkeit. [Gloria Steinem (1983)] argumentierte, Millionen von Frauen würden nun von ihren Freunden, Ehemännern oder Zuhältern in den Film geschleppt, der ihnen beibringe, wie sie durch erniedrigende, buchstäblich knebelnde sexuelle Praktiken dem Mann zu dienen haben. Die Kritik wurde weiter dadurch verschärft, dass die Hauptdarstellerin Linda Boreman in einer Autobiografie offenlegte, von ihrem gewalttätigen Ehemann Chuck Traynor zu den Dreharbeiten von „Deep Throat“ und auch zur Prostitution gezwungen worden zu sein ([Lovelace und McGrady 1980]). Linda Boreman, die oft unter ihrem Filmnamen Linda Lovelace auftrat, schloss sich mit der Veröffentlichung ihrer Autobiografie „Ordeal“ der feministischen Anti-Pornografie-Bewegung an. Sie wurde auch von der Meese-Kommission gehört und wird im „Meese-Report“ zitiert mit der Aussage: „When you see the movie Deep Throat, you are watching me being raped. […] It is a crime that movie is still showing. […] There was a gun to my head the entire time” ([Attorney General’s Commission on Pornography 1986]: 794, 820, 829).

Williams, die mit „Hard Core“ ausdrücklich eine „feministische Neubewertung“ der Pornografie mit filmanalytischen Mitteln anstrebt, positioniert sich in der kontroversen Debatte um den Erfolgsfilm „Deep Throat“ eindeutig: Sie bescheinigt dem Film seine „Dürftigkeit und offensichtliche Frauenfeindlichkeit“ ([Williams 1995]: 154) und problematisiert ausdrücklich die Produktionsbedingungen: Sie zweifle nicht an der Aussage der Hauptdarstellerin, zu den Dreharbeiten gezwungen worden zu sein ([Williams 1995]: 157). Gleichwohl plädiert Williams dafür, den Film nicht simplifizierend zu deuten, sondern im filmhistorischen und kulturellen Kontext zu sehen. So dürftig die Story auch sei, so sei es doch gleichzeitig bemerkenswert, dass erstmals in der Filmgeschichte eine Spielfilmhandlung mit pornografischen Sexszenen einigermaßen plausibel kombiniert und in der breiten Öffentlichkeit rezipiert wurde ([Williams 1995]: 142).

Und so ausführlich Williams selbst den Money Shot als fetischistischen Ersatz und als Symbol des Mangels kritisiert, so verweist sie doch auf die Ambivalenz der Symbolik: „Deep Throat“ wurde zu Zeiten der sexuellen Revolution produziert, als die Lust der Frau und die Bedeutung der Klitoris sexualwissenschaftlich bearbeitet und verstärkt öffentlich diskutiert wurden. Der Film musste sich somit der Lustfrage stellen. Das heißt, er musste – der pornografischen Logik maximaler Sichtbarmachung folgend – einen Weg finden, den klitoralen Orgasmus zu visualisieren. Indem der Film die Klitoris in den Hals der Frau verlegt und den Orgasmus der Frau über ihren Gesichtsausdruck sowie die gleichzeitige, externe Ejakulation des Mannes veranschaulicht, wird die weibliche Lust zwar einem phallischen Modell unterworfen, andererseits aber eben erstmals ausdrücklich zum Thema ([Williams 1995]: 157 f.). Williams sieht die Konvention des Money Shot auch nicht als unveränderlich, sondern vermutet, dass in dem Maße, in dem mehr Frauen als Zuschauerinnen und Produzentinnen mit Pornografie zu tun bekommen, auch eine größere Vielfalt in der Darstellung der Lüste entstehen könne.


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Kapitel 5. Lüste des Genres: Nummer und Narration

Im Laufe der 1970er-Jahre schritt die Normalisierung des pornografischen Spielfilms immer weiter voran. Pornofilme wurden Teil der allgemeinen Unterhaltung. Zunehmend arbeiteten sie mit Referenzen auf Hollywood-Filme: Sie parodierten deren Titel und Handlungen und kombinierten sie mit den expliziten Sexszenen ([Williams 1995]: 165). So kamen Hardcore-Versionen zu diversen Filmgattungen auf den Markt, seien es Hardcore-Versionen von Horrorfilmen („Sexorcist“, 1974), von Vampirfilmen („Dracula Sucks“, 1979) oder von Western („Urban Cowgirls“, 1981).

Eine starke Parallele zeige sich laut Williams auch zwischen dem Porno-Spielfilm und dem Hollywood-Musical. In beiden Gattungen werden die einzelnen Nummern (Sex-Nummern oder Musik-Nummern) über eine Narration verbunden, Ton und Bewegung spielen eine große Rolle, die Nummern sollen spontan wirken und sind doch komplett durchchoreografiert. Williams geht ausführlich darauf ein, wie der heterosexuelle Sex-Spielfilm vertont ist (z. B. dramatisches Stöhnen und Schreien der Frauen, nicht aber der Männer; [Williams 1995]: 168), welche Sex-Nummern er zeigt (z. B. Masturbation, Oralsex, Vaginalverkehr, Analverkehr, Dreier, Orgie; [Williams 1995]: 172 f.) und welche er eben nicht zeigt (v. a. schwule Sexszenen, während lesbische Szenen zum Standard gehören). Illustriert wird das Ganze am Beispiel des Porno-Spielfilms „The Opening of Misty Beethoven“ (1976), der an die Handlung des Musicals „My Fair Lady“ angelehnt ist. Williams erkennt eine Parallele zwischen dem sexologischen Diskurs, in dem ein immer breiteres Spektrum sexueller Praktiken als Lösung für das Problem der sexuellen Befriedigung verhandelt wird, und dem Porno mit seiner Abfolge verschiedener Sex-Nummern, die zwar meist auf die männliche Schaulust ausgerichtet sind, aber doch auch eine gewisse Vielfalt der Lüste anerkennen ([Williams 1995]: 200).


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Kapitel 6. Hard Core Utopien: Probleme und Lösungen

Im sechsten Kapitel widmet sich Williams der Frage nach der weiblichen Lust und Macht im Porno. Laut Williams ist der Porno eine „eskapistische Mediengattung“, die von den sozialen und politischen Ursachen der gestörten Beziehung zwischen Männern und Frauen und der oft unbefriedigenden Paarsexualität ablenken soll – nicht ohne dabei auf eben diese Probleme ausdrücklich zu verweisen ([Williams 1995]: 205). Der Pornofilm biete dabei lustvolle Utopien, deren Bedeutung man im Kontext der Narration deuten müsse. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Darstellung und Ausforschung des weiblichen Körpers und seiner Lust im Porno per se immer objektifizierend, herabsetzend und entmachtend wirke ([Williams 1995]: 204). Williams illustriert die Vielfalt der Utopien an drei Beispielen.

Bei dem Pornofilm „Behind the Green Door“ (1972) handelt es sich laut Williams um eine „nicht-integrierte Utopie“. Der Film verweise am Anfang auf das Alltagsproblem des „erschöpften, eintönigen, ökonomisch manipulierten“ Sexlebens einer großen Menge von Männern und biete als davon losgelöste eskapistische Utopie die aufregende Bühnenshow in einem Sex-Theater. Der Held, ein Lastwagenfahrer, genießt erst die Sexshow und entführt dann das Showgirl, um mit ihr Sex zu haben. Die Protagonistin Gloria, die weder aus Eigeninitiative in der Sexshow auftritt, noch sich aus Eigeninitiative mit dem Lastwagenfahrer zusammentut, sondern in beiden Fällen entführt und gezwungen wird, steht als Beispiel für die machtlose Frau, die in zynischer Weise so dargestellt wird, dass sie die Machtlosigkeit und ihr angetane Gewalt letztlich als lustvoll genießt ([Williams 1995]: 218).

Dagegen stellt Williams den Film „The Resurrection of Eve“ (1976) als Beispiel für eine „integrierte Utopie“. Ausgangspunkt und Problem ist wiederum das aus Sicht des Mannes eintönige alltägliche Sexualleben, aus dem ein Ausweg gesucht wird. In dem Film ist es Frank, der Liebhaber und spätere Ehemann der schüchternen Eve, der auf mehr Abwechslung, Partnertausch und Gruppensex drängt ([Williams 1995]: 219). Das reale Beziehungsproblem wird als Streit zwischen Eve und Frank sichtbar. Frank setzt seine Vorstellungen durch, und Eve nimmt zunächst widerstrebend an diversen Sexpartys teil. Doch bald findet Eve selbst Gefallen an der sexuellen Freizügigkeit, beteiligt sich aktiv und erlebt schließlich ekstatischen Sex mit ihrem schwarzen Freund Johnny. Nun reagiert der einst überlegene Frank eifersüchtig und will zum früheren Status quo der Beziehung zurückkehren. Doch die ehemals verschüchterte Eve kann jetzt unabhängig von Frank Lust erleben und gewinnt dadurch auch die Macht, ihn zu verlassen. Dieser Porno erzählt geradezu eine Emanzipationsgeschichte: Eve gewinnt an Macht, indem sie Lust gewinnt, während Frank beides verliert ([Williams 1995]: 222).

Als dritte Form der Strukturierung des Verhältnisses zwischen filmischer Narration und pornotopischen Nummern führt Williams die „aufgelöste Utopie“ am Beispiel des Films „Insatiable“ (1980) ein. Hier wird die Protagonistin Sandra von Anfang an als unabhängige, macht- und lustvolle Frau dargestellt, die ihren schier unersättlichen sexuellen Gelüsten aktiv und gänzlich ungestraft nachgeht, wobei ihre Befriedigung oft auch gar keinen Phallus benötigt. „Insatiable“ konstruiert seine Protagonistin als Subjekt und nicht als Objekt des Begehrens ([Williams 1995]: 230).

Die feministische Anti-Pornografie-Bewegung der 1980er-Jahre kennzeichnete das Frauenbild in der Pornografie als durchgehend negativ: „Pornografie ist Hass gegen Frauen“ (Brownmiller 1979) – „Pornografie ist die Theorie und Vergewaltigung ist die Praxis“ ([Morgan 1980]: 128) – Pornografie ist die „Darstellung von Frauen als wertlose Huren“ ([Dworkin 1988]: 241). Doch solche plakativen Formeln ignorieren die Vielfalt, die selbst innerhalb der heterosexuellen Mainstream-Pornografie besteht, wie Williams’ Analyse beispielhaft anhand der Filmprotagonistinnen Eve und Sandra aufzeigt, die sich in der Pornofilmhandlung eindeutig patriarchaler Unterdrückung entziehen.


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Kapitel 7. Macht, Lust und Perversion: Sadomasochistische Pornographie im Film

Williams setzt sich im siebten Kapitel mit sadomasochistischer Pornografie auseinander. Sie stellt klar, dass Sadomasochismus zwar nach allgemeiner Auffassung als „perverser Missbrauch von Masochistinnen durch männliche Sadisten” verstanden werde, faktisch aber sowohl sadistische als auch masochistische, dominante wie submissive Rollen von Frauen und von Männern einvernehmlich eingenommen werden ([Williams 1995]: 252). Weder in der sadomasochistischen Praxis noch im sadomasochistischen Film habe also per se nur der Mann die Macht; Frauen können hier ebenfalls machtvolle Rollen einnehmen. Zudem sei auch die von einer Frau selbst gewählte masochistische oder submissive Rolle im SM-Kontext nicht durch pure Machtlosigkeit gekennzeichnet. Die „Opfer-Heldin“ im Film sei subtiler und ambivalenter zu betrachten, da das vermeintliche weibliche „Opfer“ eben auch gleichzeitig Macht habe, insbesondere deshalb, weil in der SM-Interaktion die Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten nicht qua Geschlecht vorgegeben sind, sondern gemäß der einzunehmenden Rollen wechselseitig ausgehandelt werden. Williams sieht den Wert der SM-Pornografie nicht zuletzt darin, die Rolle der Macht im Kontext sexueller Lust ausdrücklich zum Thema zu machen ([Williams 1995]: 289).


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Kapitel 8. Fortsetzungen und Re-Visionen: Eigenes Begehren

Da der Pornografie-Markt wie jeder andere kapitalistische Markt auf Expansion drängt, kamen ab Mitte der 1980er-Jahre verstärkt auch die Frauen als „begehrende Konsumentinnen“ in den Blick. Das führt laut Williams dazu, dass die gängige Hetero-Pornografie sich jetzt stärker an Frauen und Paare richtet und

„weichere, sauberere, schönere Versionen der im Porno-Spielfilm gängigen Nummern und Handlungen anbietet. Die bessere Qualität schlägt sich auch in der besseren Produktionsqualität, in besserer Beleuchtung, selteneren Pickeln auf dem Gesäß und besser aussehenden männlichen Darstellern nieder, die jetzt auch ihre Schuhe und Socken ausziehen, sowie Darstellerinnen, die ihrerseits die Schuhe und teuer aussehende Reizwäsche anbehalten“
([Williams 1995]: 295).

Als Beispiele für die stärkere Paarorientierung der Hetero-Pornografie verweist Williams auf die Fortsetzungen der beiden bereits angesprochenen Porno-Klassiker „Deep Throat“ („Throat… Twelve Years After”, 1984) und “Behind the Green Door” (“Behind the Green Door – The Sequel”, 1986).

Neben dem Hetero-Porno für Paare stellt das Aufkommen des frauenorientierten bzw. feministischen Pornofilms einen weiteren Beitrag zum Wandel des ehemals männerorientierten Genres Pornografie dar. Am Beispiel der von der ehemaligen Pornodarstellerin Candida Royalle im Jahr 1984 gegründeten Produktionsfirma Femme Productions erläutert Williams die Besonderheiten der Produktionsbedingungen und Inhalte. So wurden bei Femme Productions viele Pornodarstellerinnen als Regisseurinnen beschäftigt, um weibliche Perspektiven von Anfang an in den Produktionsprozess einzubringen. Auch wurde auf die Darstellung von Safer Sex Wert gelegt.

Williams bringt am Ende ihrer Monografie vorsichtigen Optimismus zum Ausdruck: Pornografie sei zwar immer noch stark männerdominiert, aber „kein monolithisches patriarchales Instrument” ([Williams 1995]: 338). Die Perspektiven von Frauen könnten stärker integriert werden. Dabei bleibe es den Frauen überlassen, ob sie sich auf diese Reise begeben wollen ([Williams 1995]: 350). Der männlich definierten heterosexuellen Normalität des Pornofilms andere Bilder an die Seite zu stellen, erscheint aus Williams’ Perspektive wünschenswert. Dabei erkennt sie mit Michel Foucault durchaus die Ambivalenz aller Diskurse über Sexualität – einschließlich aller pornografischen Repräsentationen – an: „Das ‚Sprechen über Sex‘ ist heute, zu unserem Nutzen und zu unserem Schaden, wesentlich vielfältiger“ ([Williams 1995]: 344).


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Die Rezeptionsgeschichte von „Hard Core“

Die im Jahr 1989 veröffentlichte erste Auflage von „Hard Core“ wurde in der Fachwelt ganz überwiegend positiv aufgenommen, teilweise regelrecht gefeiert. Die eine Rezensentin schwärmt, „I cannot recommend Hard Core strongly enough“ ([Zadworna-Fjellestad 1990]), die nächste fragt rhetorisch: „Is it perverse that a book about hard core film pornography should offer so many diverse intellectual pleasures?“ ([Brown 1991]). Die Rezensionen loben einhellig den wissenschaftlich-analytischen Zugang zum Gegenstand anstelle der in den 1980ern bis dahin üblichen moralischen Bewertung. Sie würdigen auch die historische und kulturelle Kontextualisierung des vermeintlichen „Schmuddelmediums“ Porno sowie die Vielzahl und Originalität neuer Thesen.

Die zehn Jahre später erschienene zweite Auflage von „Hard Core“ stellt im Wesentlichen einen Nachdruck dar. Lediglich ein „Epilogue“ ist hinzugefügt. Die Besonderheit dieses neuen Kapitels besteht darin, dass nun erstmals pornografisches Bildmaterial integriert wird und Williams auch kurz auf die „elektronische Pornografie“ der aufkommenden Internet-Ära eingeht. Exemplarisch schildert sie Besonderheiten der digitalen Pornografie anhand ihrer Interpretationen des auf CD-ROM ausgelieferten Digitalspiels „Virtual Vixens“ (1994).

Obwohl Williams mit der Bewegtbild-Pornografie einen gesellschaftlich und akademisch heiklen Untersuchungsgegenstand wählte, erwies sich „Hard Core“ für sie als äußerst karriereförderlich: Nicht nur blieben, wie sie im Interview erzählt (https://vimeo.com/116755454), die auch von ihr selbst befürchteten Anfeindungen von der Anti-Pornografie-Bewegung aus. Ihre Expertise wurde weithin anerkannt und spiegelte sich in zahlreichen Vortragseinladungen und auch in der Zweitauflage des Buches wider. Nicht zuletzt zeugen die in der wissenschaftlichen Literaturdatenbank Google Scholar verzeichneten mehr als 2 390 Zitationen in der Fachliteratur (Stand: Dezember 2018) von einer breiten Rezeption und Anerkennung ihres Werkes in der Scientific Community. Dabei wird Williams’ „Hard Core“ bis in die allerjüngste Zeit hinein in kultur-, kommunikations- und filmwissenschaftlichen Arbeiten, aber auch in feministischen, soziologischen und sexualwissenschaftlichen Beiträgen zitiert. Allein in 2018 sind mehr als 100 Publikationen erschienen, die „Hard Core“ zitieren.

Trotz der überwiegend positiven Resonanz wurden aber auch Schwächen des Werkes kritisiert. So weisen selbst wohlwollende Buchrezensionen kritisch darauf hin, dass Williams die Bedeutung und Entwicklung der Pornografie immer nur im Kontext der US-amerikanischen Debatten verortet, was z. B. aus europäischer Perspektive als deutliche Limitation auffällt ([Bassett 2000]). Auf Kritik stieß auch Williams’ Entscheidung, sich ausschließlich auf heterosexuelle Pornografie zu konzentrieren, da dies eben doch eine beträchtliche Einschränkung darstelle ([Duggan 1989]). Wenn Williams beispielsweise behauptet: „Pornographie als Genre möchte von Sex handeln. Bei genauerem Hinsehen kommt aber stets heraus, daß sie mehr von Geschlechterbeziehungen handelt.” ([Williams 1995]: 336), dann drängt sich in der Tat der Verdacht auf, dass diese apodiktische Aussage ihrem alleinigen Fokus auf Hetero-Pornografie geschuldet ist ([Duggan 1989]). Grundsätzlich zu hinterfragen ist ferner ihre nicht ausreichend reflektierte Position als akademische Film-Interpretatorin, die doch recht häufig autoritative Aussagen trifft. Während Williams die Analyse von homosexueller Pornografie ablehnt, da sie als heterosexuelle Frau eine Outsider-Position innehabe ([Williams 1995]: 30), wendet sie sich trotz offensichtlicher Outsider-Position gegenüber der BDSM-Szene überraschenderweise der sadomasochistischen Pornografie zu. Hier ist ihre Analyse dann auch wenig erhellend, da sie zum einen diverse Masochismus-Konzepte undifferenziert vermischt ([Duggan 1989]) und zum anderen das gesamte BDSM-Spektrum unzulässig auf SM verkürzt.

Nicht zuletzt werden die Grenzen von Williams’ Expertise dort deutlich, wo es um digitale Pornografie geht ([Bassett 2000]). Williams beschreibt sich selbst als „a woman who is hopelessly inept at navigating the maze of cyberspace“ ([Williams 1999]: 314). Dementsprechend unbefriedigend bleibt ihre oberflächliche Auseinandersetzung mit digitaler Pornografie im Epilog der Neuauflage. Da das Genre Pornografie sich durch die neuen Produktions-, Distributions- und Vermarktungsbedingungen im Internet in den letzten 25 Jahren grundlegend verändert hat ([Döring 2013a]), ist es ausgesprochen schade, dass Williams sich nicht für die Internet-Kultur erwärmen konnte und keine dritte Auflage von „Hard Core“ vorgelegt hat, die sich den digitalen Pornografien widmet.

In der rezenten Pornografie-Forschung, die durch zunehmende Interdisziplinarität sowie Vielfalt der Theorien und Methoden gekennzeichnet ist, wird „Hard Core“ keineswegs nur als historisch bahnbrechendes Werk referenziert. Bis heute werden einzelne Thesen von Linda Williams herausgegriffen, weiterentwickelt und empirisch geprüft. So stützt sich beispielsweise eine quantitative Inhaltsanalyse der 50 meistgeklickten Videos auf der populären Porno-Plattform PornHub.com auf Williams’ Thesen zur pornografischen Sichtbarmachung der Lust (siehe Kapitel 4 mit dem Filmbeispiel „Deep Throat“): Tatsächlich zeigt sich, dass die beliebtesten Online-Porno-Clips den weiblichen Orgasmus über lustvollen Gesichtsausdruck in Szene setzen (90 %), beim männlichen Orgasmus dagegen den Gesichtsausdruck selten zeigen (10 %) und stattdessen die extrakorporale Ejakulation (72 %) inszenieren ([Séguin et al. 2017]). Eine qualitative Studie, die sich der frauenorientierten Pornografie widmet, nimmt Williams’ Überlegungen und Befunde zur Subjektrolle der Porno-Protagonistinnen aus Kapitel 8 zum Ausgangspunkt und entwickelt sie weiter ([Ziv 2015]): Gerade anhand von Textpornografie, die auch die Gedanken und Gefühle der Beteiligten darstellt, zeigt die in den Gender und Queer Studies verankerte Analyse, dass und wie frauenorientierte pornografische Darstellungen weibliche Lust am Penetriert-Werden eben nicht als unterwürfig und machtlos, sondern als machtvoll und stärkend inszenieren.


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Die Bedeutung von „Hard Core“ für die heutige Sexualforschung

Inwiefern kann „Hard Core“ als Klassiker der Pornografie-Forschung in der heutigen Sexualforschung fruchtbar gemacht werden? Sechs Anschlussstellen seien herausgegriffen.

  1. Public Viewing. In Kapitel 3 von „Hard Core“ widmet sich Williams der gemeinsamen Rezeption von Stag Films in Herrenrunden. Auch wenn sich ein Großteil der Pornografie-Rezeption heute in die Privatsphäre verlagert hat, so gibt es doch diverse Kontexte des zeitgenössischen Public Viewing: Jugendliche schauen Pornos beispielsweise gemeinsam auf gemischtgeschlechtlichen Partys oder in geschlechtshomogen Peergroups ([Döring 2012], [2016]). Erwachsene betrachten Pornos gemeinsam in Pornokinos, Swingerclubs oder bei Filmfestivals ([Meier 2015]), etwa bei dem seit über zehn Jahren jährlich stattfindenden Pornfilmfestival in Berlin (http://pornfilmfestivalberlin.de/). Welche Bedeutung haben diese Praxen? Geht es auch hier um geschlechtliche Initiationserfahrungen, um das Zerstreuen von Angst und um Verbrüderung wie bei der von Williams beschriebenen gemeinsamen Rezeption von Stag Films? Oder hat die kollektive Rezeption heute andere Qualitäten?

  2. Meat Shots und Money Shots. In Kapitel 4 widmet sich Williams der pornografischen Konvention des Money Shots, also der extrakorporalen Ejakulation. Doch ihre Interpretationen verlangen nach empirischer Überprüfung. Stimmt es, dass der Money Shot im Zuge der Diversifizierung der Pornografie inzwischen immer seltener vorkommt? Hypothesen über einzelne Pornografie-Inhalte sollten an möglichst repräsentativen Materialstichproben inhaltsanalytisch und quantitativ-statistisch geprüft werden, am besten über diverse Subgenres und Zeiträume hinweg (z. B. [Séguin et al. 2017]). Ebenso sind Williams’ Spekulationen über die tatsächlichen oder vermeintlichen Publikumsvorlieben und Publikumsreaktionen bezüglich bestimmter Inhalte durch empirische Rezeptionsstudien zu prüfen (z. B. [Döring 2013b]).

  3. Nummern und Narrationen. In ihren Analysen der Sex-Spielfilme der 1970er- und 1980er-Jahre legt Williams großen Wert auf die Verknüpfung der einzelnen Sex-Nummern mit der übergreifenden Rahmenhandlung. In Kapitel 5 zieht sie gar eine Parallele zum Musicalfilm, was in der Fachcommunity als originelle These aufgenommen wurde (z. B. [Bassett 2000]; [Duggan 1989]; [Lewandowski 2012]: 227 f.; [Zadworna-Fjellestad 1990]). Im Licht der heute üblichen digitalen Mainstream- Pornografie mit ihren oft kurzen Clips und neuen Formaten wie Kompilationen der immer gleichen Nummer (z. B. „handjob compilation“, „cum in mouth compilation“, „squirt compilation“) muss die Frage nach der Bedeutung von Narration im zeitgenössischen Online-Porno neu diskutiert werden.

  4. Frauenorientierte und feministische Pornografie. Als Ergänzung und Herausforderung des traditionell männlich konnotierten Genres Pornografie widmet sich Williams in Kapitel 8 ausführlich der in den 1980er-Jahren aufkommenden frauenorientierten bzw. feministischen Pornografie. Anknüpfend an diese Vorarbeiten gilt es, die Geschichte frauenorientierter Pornografie weiterzuschreiben, insbesondere da nicht nur die Vielfalt der pornografischen (Online-)Angebote von und für Frauen wächst, sondern auch die Institutionalisierung zunimmt (z. B. über die jährlich vergebenen Feminist Porn Awards: http://www.feministpornawards.com/).

  5. Pornografie in der akademischen Lehre. In ihrem Sammelband „Porn Studies“ ([Williams 2004]) erläutert Williams in der Einleitung ihre ambivalenten Erfahrungen mit pornografiebezogenen Lehrveranstaltungen an Hochschulen. Die Frage nach der Einheit von Forschung und Lehre gilt es für die Pornografie-Forschung aufzugreifen und gute pädagogisch-didaktische Modelle zu entwickeln. Durch Integration in die akademische Lehre wird zukünftige Pornografie-Forschung gefördert, weil es entsprechend ausgebildeten akademischen Nachwuchs gibt.

  6. Archivierung von pornografischem Material. In ihrer Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Pornografie-Forschung thematisiert [Williams (2014)] die Bedeutung von Materialarchiven. Das mag im Internet-Zeitalter anachronistisch wirken, da das Material doch scheinbar umfassend und niedrigschwellig online zugänglich ist. Doch dieser Eindruck stimmt nur bedingt. Die illegalen Amateur-Sexfilme der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts sind über das Archiv des Kinsey-Instituts recht umfassend zugänglich, während von den zeitgenössischen Amateur-Produktionen wohl nur ein winziger Bruchteil online publiziert wird. Ein Großteil des selbstproduzierten pornografischen Materials, das heute massenhaft auf privaten Smartphones, Tablets und Laptops liegt, steht der Forschung überhaupt nicht zur Verfügung.

Abgesehen von der Vielzahl konkreter Anknüpfungspunkte, die „Hard Core“ für die weitere Pornografie-Forschung bietet, bleibt abschließend noch zu fragen, wie zeitgemäß eigentlich die erkenntnissuchende Haltung ist, mit der sich Linda Williams als Filmwissenschaftlerin vor rund 30 Jahren dem Genre zuwandte und eine „feministische Neubewertung“ versuchte. Hier zeigt sich ein zwiespältiges Bild: Einerseits ist die Mainstream-Pornografie bis heute stark geschlechterasymmetrisch strukturiert, andererseits wachsen das Angebot und Interesse an alternativen Pornografien für Frauen. Gänzlich überwunden sind die feministischen Sex- und Porno-Kriege der 1980er somit nicht. Noch immer erscheinen Werke, die sich klar der feministischen Anti-Pornografie-Bewegung zuordnen ([Dines 2011]) oder eine Pro-Pornografie-Position beziehen ([Taormino et al. 2013]).

Auch jenseits feministischer Debatten wird in akademischen Diskursen bis heute über die Schädlichkeit, Unschädlichkeit oder Nützlichkeit der Pornografie heftig gestritten (zusammenfassend [Döring 2012]). Dabei nehmen geistes- und kulturwissenschaftliche Arbeiten meist eine optimistischere Position ein, weil sie – wie Linda Williams – im pornografischen Angebotsspektrum durchaus emanzipatorische Beispiele finden und zudem auf die individuelle und kollektive Veränderbarkeit von Produktions- und Rezeptionsbedingungen setzen. Demgegenüber neigen sozial- und verhaltenswissenschaftliche Arbeiten eher zu einer pessimistischen Position, die Pornografie primär mit Risiken und Negativwirkungen verknüpft. Eine aktuelle Metaanalyse erklärt es beispielsweise für eindeutig bewiesen, dass jegliche Form von Pornografie sexuelle Aggressivität steigere ([Wright et al. 2016]). In einem zukunftsweisenden transdisziplinären Projekt wird jetzt detailliert untersucht, inwiefern sich der disziplinäre Blick der Film- und Kulturwissenschaften auf Pornografie-Wirkungen von dem der Sozialwissenschaften unterscheidet, und was die Disziplinen im Sinne verbesserten Erkenntnisgewinns voneinander lernen können ([McKee und Ingham 2018]).


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Interessenkonflikt

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Fußnote

1 Unter harter Pornografie werden in Deutschland juristisch die Gewalt-, Tier-, Kinder- und Jugendpornografie zusammengefasst, bei denen nicht nur die Produktion, sondern auch die Verbreitung und teilweise auch der Besitz strafbar sind.



Korrespondenzadresse

Prof. Dr. phil. Nicola Döring
Technische Universität Ilmenau
Institut für Medien und Kommunikationswissenschaft
Ehrenbergstr. 29 (EAZ 2217)
98693 Ilmenau