Fortschr Neurol Psychiatr 2019; 87(04): 210
DOI: 10.1055/a-0859-2303
Fokussiert
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Multiple Sklerose im Kindes- und Jugendalter: Fingolimod versus Interferon beta-1a

Chitnis T. et al.
Trial of Fingolimod versus Interferon Beta-1a in Pediatric Multiple Sclerosis.

New Engl J Med 2018;
379: 1017-1027 . doi: 10.1056/NEJMoa1800149
Further Information

Publication History

Publication Date:
18 April 2019 (online)

 

Die Multiple Sklerose (MS) manifestiert sich typischerweise im Erwachsenenalter. Etwa 3 bis 5 % der Patienten erkranken allerdings bereits im Kindes- oder Jugendalter. Profitieren die Betroffenen – ähnlich wie Erwachsene – von einer Therapie mit dem oralen Sphingosin-1-Phosphatrezeptor-Modulator Fingolimod? Dieser Frage ist ein Team internationaler Wissenschaftler im Rahmen einer randomisierten Doppelblindstudie nachgegangen.


#

Ihre Ergebnisse stellten die Forscher im New England Journal of Medicine vor. Teilnehmer der zwischen 2013 und 2016 an 87 Zentren in 26 Ländern durchgeführten PARADIGMS-Studie waren 215 pädiatrische MS-Patienten im Alter zwischen 10 und 17 Jahren, die während des vergangenen Jahres mindestens 1 Krankheitsrezidiv bzw. während der vergangenen 2 Jahre mindestens 2 Krankheitsrezidive erlitten hatten oder bei welchen in den 6 Monaten vor der Studienteilnahme mindestens eine kontrastmittelaufnehmende MRT-Läsion diagnostiziert worden war. Alle Patienten wiesen einen Punktwert von 0,0 bis 5,5 auf der „Expanded Disability Status Scale“ (EDSS) auf. Etwa die Hälfte der Patienten wurde über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten täglich mit Fingolimod p. o. behandelt. Die übrigen Studienteilnehmer erhielten einmal pro Woche eine intramuskuläre Injektion Interferon beta-1a. Alle Patienten erhielten zudem das jeweils andere Pharmakon in Form einer Placebokapsel bzw. einer Placeboinjektion. Primärer Studienendpunkt war die durchschnittliche jährliche Rate ärztlich bestätigter MS-Rezidive während der aktiven Behandlungsdauer. Die sekundären Outcome-Parameter umfassten unter anderem die jährliche Rate magnetresonanztomografisch neu diagnostizierter bzw. größenprogredienter MS-Herde, die Zeit bis zum Rezidiv, der Anteil rezidivfreier Patienten, die Anzahl kontrastmittelspeichernder MRT-Läsionen sowie das Nebenwirkungsprofil der Studienmedikamente.

Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der Studienpatienten betrug 15,3 Jahre, 62 % waren Mädchen. Im Mittel litten die Kinder und Jugendlichen seit 2,1 Jahren an MS-Symptomen und 63,3 % hatten zuvor keine Therapie erhalten. Während der 2 Jahre vor Studieneinschluss waren durchschnittlich 2,4 MS-Rezidive aufgetreten. Die mediane Behandlungsdauer betrug 1,61 Jahre. Bezüglich der therapeutischen Effektivität der Studieninterventionen zeigte sich: Die jährliche Rezidivrate unter Fingolimod betrug 0,12, unter Interferon beta-1a dagegen 0,67. Dies entsprach einer Rate Ratio von 0,18 (95 %-KI 0,11–0,30; p < 0,001), einer relativen Differenz von 82 % sowie einer absoluten Differenz von 0,55 Rezidiven (95 %-KI 0,36–0,74; p < 0,001). Im Median vergingen in der Fingolimod-Gruppe 720 Tage bis zum Rezidiv, unter Interferon beta-1a dagegen nur 488. Auch hinsichtlich des Anteils der nach 24 Monaten rezidivfreien Patienten (85,7 vs. 38,8 %), der jährlichen Rate magnetresonanztomografisch neu diagnostizierter bzw. größenprogredienter MS-Herde (4,39 vs. 9,27; Rate Ratio 0,47; 95 %-KI 0,36–0,62 / absolute Differenz 4,88 Läsionen; 95 %-KI 2,91–6,84; p < 0,001) sowie der durchschnittlichen Anzahl kontrastmittelspeichernder MRT-Herde pro Scan (0,44 vs. 1,28) erwies sich Fingolimod Interferon beta-1a überlegen. 88,8 % der mit Fingolimod und 95,3 % der mit Interferon beta-1a behandelten Patienten erlitten Nebenwirkungen. Schwere Nebenwirkungen traten unter Fingolimod in 16,8 % (z. B. Infektion, Leukopenie, Konvulsionen) und unter Interferon beta-1a in 6,5 % der Fälle (z. B. Infektionen, supraventrikuläre Tachykardie) auf.

Fazit

Kinder und Jugendliche mit einer rezidivierend verlaufenden MS, so das Fazit der Autoren, profitieren hinsichtlich des Rezidivrisikos sowie der magnetresonanztomografischen Krankheitsaktivität stärker von einer Behandlung mit Fingolimod als von einer Interferontherapie. Allerdings besteht unter Fingolimod ein höheres Risiko für schwere unerwünschte Therapienebenwirkungen. Weitere Studien zur Langzeiteffektivität und -sicherheit von Fingolimod im pädiatrischen Patientengut sind notwendig.

Dr. med. Judith Lorenz, Künzell


#
#