Anlässlich der 25. Auflage des 1991 neu gestalteten Europäischen Röntgenkongresses
hatte Prof. Lorenzo Derchi aus Genua die Teilnehmer erneut nach Wien eingeladen. Und
über 30 000 TeilnehmerInnen folgten dem Aufruf und waren Teil des größeren Bildes.
Optisch fand sich das Motto, ausgehend vom Kongressplakat, das aus Fragmenten der
bisherigen 24 Kongressplakate zusammengesetzt war, im gesamten Erscheinungsbild der
Veranstaltung wieder: im Foyer ebenso wie in den Sälen, in den Projektionen und auf
den Hand-Outs. Ein künstlerisch gestaltetes und verantwortetes Erscheinungskonzept
sorgte dabei für einen unverwechselbaren Gesamteindruck dieses Jubiläumskongresses.
Dies fand seinen Niederschlag auch in Anklängen an die antike Kunst, z. B. im Hauptkonferenzraum
A, und stellte damit eine Referenz an die Heimat des Kongresspräsidenten dar, der
selbst mit italienischem Charme und erhoffter südländischer Grandezza die Highlights
des Kongresses moderierte.
Die nach der Rekordbeteiligung 2018 erneut gestiegene Teilnehmerzahl zeigt einmal
mehr das attraktive Konzept des Kongresses auf: dynamisch die Innovationen aufnehmend,
neue und unterschiedlichste Formate bedienend und ein erfrischend junges Gesamtkonzept,
das auch die nicht mehr ganz jungen Teilnehmer fasziniert und in dem sich neben volldigitalisiertem
Programm durchaus auch analoge Komponenten wie die tägliche Kongresszeitung wiederfinden.
Besonders ist die erneut gestiegene Zahl der Online-Teilnehmer hervorzuheben. Ein
Trend, den Veranstalter nationaler und internationaler Fachkongresse in den kommenden
Jahren in jedem Fall in die Gesamtkalkulation und das -konzept mit einbeziehen werden
müssen. Dazu kommt, dass die hinter dem ECR stehende European Society of Radiology
mit über 100 000 Mitgliedern inzwischen die stärkste Radiologenvereinigung der Welt
ist.
Wiener Impression (Copyright: ESR).
Als Folge der gestiegenen Teilnehmerzahl hat auch 2019 die Zahl der Veranstaltungsräume
erneut zugenommen. Neben dem inzwischen schon vertrauten M-Building hat auch der Cube
2.0 als Veranstaltungsort für die Interventionelle Radiologie erneut regen Zuspruch
gefunden. Auf einer gegenüber dem Vorjahr annähernd verdoppelten Fläche konnten vor
allem in interaktiven Sitzungen an Simulatoren Maßnahmen des gesamten Spektrums der
Interventionellen Radiologie von den Teilnehmern direkt erlebt und ausgeführt werden.
Die rasante Entwicklung dieses Kongressteils zeigt neben der Attraktivität auch die
Notwendigkeit derartiger Formate für die Vermittlung interventioneller Techniken auf.
Damit wird die Bedeutung der Interventionellen Radiologie als zweite Säule unseres
Faches zu Recht und mit Erfolg betont. Überdurchschnittlichen Zulauf fand auch die
unter dem Motto „Women in Focus“ im Bereich der Donau-City-Kirche durchgeführte Veranstaltungsreihe,
bei der den speziellen Anforderungen eines sich ändernden Rollenbildes für Frauen
in der Radiologie und speziell in Leitungspositionen Rechnung getragen wurde. Und
auch die Industrieausstellung hat sich in weitere Gebäude ausgedehnt, so dass erstmals
eine regelrechte ECR-City rund um, jedoch direkt verbunden mit dem Hauptveranstaltungszentrum
entstand.
Thematisch stand beim ECR 2019 – wie auf fast allen radiologischen Veranstaltungen
der vergangenen und kommenden Monate – der Gesamtkomplex „Künstliche Intelligenz (KI)“
im Mittelpunkt. Dies fand seinen Niederschlag sowohl in einer Vielzahl von Vorträgen
und Diskussionsrunden, aber auch in einem eigenen Bereich der Industrieausstellung,
die komplett diesem Thema gewidmet war. Dort stellten sich in der „AI-Arena“ über
die Tage des Kongresses unter zentraler Moderation kleine und große Firmen mit ihren
Konzepten und Produktlösungen der direkten Diskussion mit dem Publikum. Dabei wurden
verschiedene Aspekte deutlich. Zum Einen beherrschen bei eigentlich inzwischen klarer
Definition, was unter KI zu verstehen ist, noch immer erheblich unterschiedliche Interpretationen
dazu die Diskussion. So mutet es doch befremdlich an, wenn PACS-Funktionalitäten,
die seit mehr als 10 Jahren verfügbar sind, unter der Überschrift KI plötzlich „wiedererfunden“
werden. Auch die Programme zur Lungenrundherderkennung, die teilweise schon lange
klinisch im Einsatz sind, werden von fast allen in diesem Bereich tätigen Firmen jetzt
unter dem Label KI „neu“ präsentiert. Zum Anderen stellen KI-getriebene Algorithmen,
die beispielsweise im konventionellen Bild auf einen Pneumothorax oder im CT auf eine
intrakranielle Blutung hinweisen und dem Radiologen eine Priorisierung seiner Arbeitsliste
vorschlagen, durchaus interessante Tools für entscheidende Prozessoptimierungen dar.
Ungeklärt erscheinen dagegen zum momentanen Zeitpunkt noch die Möglichkeiten und vor
allem Notwendigkeiten der Kontrolle dieser Systeme. Abgesehen von der, zumindest aktuell,
weiterhin beim nutzenden Radiologen gelegenen Gesamtverantwortung. Diskussionen hierüber,
auch inwieweit die Hersteller der Algorithmen mit in die Verantwortlichkeit einzubeziehen
sind, werden sicherlich, neben der technischen Machbarkeit, interessant und spannend
bleiben.
Einen weiteren Schwerpunkt des Kongresses stellte ein ebenfalls durch die rasante
IT-Entwicklung getriebenes Thema zur Zukunft der onkologischen Bildgebung und Therapie
dar. Unter dem Stichwort „liquid biopsy“ wurden, nicht zuletzt angeheizt durch aktuelle
wissenschaftliche Veröffentlichungen, Szenarien diskutiert wie die radiologische Bildgebung
zusammen mit pathologischer, genetischer und molekularpathologischer Diagnostik zusammenspielen
wird. Auch wenn die Vorstellung durch eine Blutabnahme eine vollständige Diagnose,
Typisierung und ein zu erwartendes Therapieansprechen für einen Tumor zu generieren,
derzeit lediglich in Ansätzen möglich ist, scheint der Weg vorgezeichnet. Die Zeiten
der separaten Betrachtung von Bildmorphologie, Histopathologie und Molekulardiagnostik
werden in absehbarer Zeit vorbei sein. Die Zusammenführung der Ergebnisse in einem
einheitlichen Betrachtungsarchiv, einer Weiterentwicklung derzeitiger PACS-Systeme,
stellt auf dem Weg dahin ebenso eine Herausforderung dar wie die alle Ergebnisse berücksichtigende
Wertung für den Patienten. Liquid biopsy wird die Radiologie dabei ebenso verändern
wie die künftigen Einsatzmöglichkeiten der KI. Beide Revolutionen der Medizin werden
aber die Notwendigkeit des Radiologen als diagnostischem Lotsen entscheidend unterstreichen
– wenn wir unser Umfeld bestellen und unsere Abteilungen und Institute technisch und
mental bereit machen für die Herausforderungen, die die neuen Technologien von uns
fordern. Auch wenn dies sicherlich Investitionen erfordern wird, von denen aktuell
vielleicht nicht abzusehen ist, wer und wie sie zu leisten sein werden. Wenn wir uns
nicht an die Spitze der geordneten Umsetzung stellen, werden es andere Disziplinen
tun. Dass diese Aussicht eine durchaus positive, vor allem für Kolleginnen und Kollegen
im Anfang ihrer radiologischen Tätigkeit ist, zeigte die diesjährige Röntgenvorlesung
auf. Dabei entwarf die künftige ESR-Präsidentin Prof. Regina Beets-Tan aus Maastricht
ihre Vision von „Oncologic Imaging“ in 15 Jahren: ein didaktisch und optisch hervorragend
aufbereitetes Zukunftsszenario, wie die Radiologie des Jahres 2034 an zentraler Stelle
mit Hilfe von KI-getriggerten Diagnosen, der Gewinnung von Biopsiematerialien und
der minimal-invasiven Therapie für die entscheidenden Weichenstellungen bei Krebserkrankungen
tätig sein wird. Wenn die Vision Realität wird, wofür unser derzeitiges Wissen zumindest
die Option bietet, braucht einem um die Zukunft der Radiologie als Fach und um den
Nachwuchs, der in dieses weiterhin technisch und medizinisch hoch innovative und spannende
Fach streben soll, nicht bange sein.
Wie der ECR dieser Zukunft aussieht, lässt sich auch nur als Vision erahnen: möglicherweise
in kleinerer Form, was die Frontalvorlesungen anbelangt, mit noch höherem Anteil an
Online-Teilnehmern. Sicherlich mit einer zunehmenden Zahl an interaktiven Kursen und
Workshops zur Interventionellen Radiologie um die Fertigkeiten für den Alltag zu erlernen.
Jedoch trotz aller Digitalisierung auch weiterhin als eine Möglichkeit sich persönlich
zu begegnen, auszutauschen, voneinander zu lernen. Neben aller fachlichen Diskussion
berufspolitische Aspekte zu beleuchten und die notwendigen Abgrenzungen zu den anderen
Fachgebieten zu diskutieren. So wie der Kongress 2019 außer dem Kongressort nur noch
wenig gemein mit seiner ersten Auflage 1991 hat, wird angesichts der rasanten Entwicklung
in Wissenschaft und Technik auch die Veranstaltung von 2044 mit dem diesjährigen Jubiläumskongress
wohl kaum mehr als den Namen teilen.
Die nächste Gelegenheit diese Entwicklung zu begleiten bietet sich vom 11. bis 15. März
im kommenden Jahr zum ECR 2020. Wir sollten dabei sein!