Was sind PREP und PREP2?
PREP ist ein Akronym für Predicting REcovery Potential. Der
PREP-Algorithmus gilt als der Goldstandard hinsichtlich der an Biomarkern
orientierten Prognosen für die Erholung der oberen Extremität nach Schlaganfall.
Hier werden Prädiktoren stufenweise abgearbeitet, nachdem zunächst die
Charakteristika der Patienten erfasst wurden, die die Prognose am stärksten
beeinflussen („Kraft“). Erst danach werden je nach der Ausprägung der Parese des
Armes weitere Prädiktoren geprüft.
PREP wurde von Professor Cathy Stinear entwickelt und 2012 im Lancet
Neurology publiziert [2]. Ursprünglich
diente der PREP-Algorithmus der Stratifizierung von Patientengruppen für Studien, um
die Ergebnisse aussagekräftiger belegen zu können und Responder und
Non-Responder zu unterscheiden, wie von Horn und Lotze in diesem Heft
beschrieben [1].
Der weiterentwickelte, neu modifizierte PREP2 wurde im November 2017 im
Annals of Clinical and Translational Neurology veröffentlicht. Er
erleichtert die Anwendung im klinischen Alltag erheblich, da die Verwendung von
DTI-Bildern hier nicht mehr benötigt wird, auf der die Berechnung einer Fraktionalen
Anisotropie (FA) für die PLIC (Posterior Limb of Internal Capsule) der
kortikospinalen Bahnen (corticospinal tract = CST) basierte. Dieser Teil wurde durch
die Verwendung der NIHSS (National Institutes of Health
Stroke Scale) ersetzt. Der Prädiktor „Alter“ wird einbezogen.
Außerdem ist ein niedrigerer SAFE-Score von ≥ 5 (Schulter-Abduktion,
Finger-Extension = SAFE) ausreichend ([
Abb. 1
]), um den Patienten als MEP + zu
werten (Motorisch Evozierte Potenziale positiv). Das bedeutet,
dass TMS (Transkranielle Magnetstimulation) bei weniger als einem Drittel der
Patienten benötigt wird – anstatt der Hälfte wie bei PREP.
Abb. 1 Der PREP2-Algorithmus errechnet sich in drei Schritten und
ergibt eine sehr gute, gute, limitierte oder schwache Prognose. (Quelle: T. Henneken; Umsetzung: Thieme
Gruppe)
Genau wie beim PREP wird beim PREP2 in bis zu drei Schritten vorgegangen, um in den
ersten 72 Stunden nach dem Schlaganfall eine Prognose des Outcomes nach zwölf Wochen
errechnen zu können. Vier Outcome-Potenziale sind möglich: sehr gut, gut, limitiert,
schwach [3].
Durchführung PREP2
PREP2 in drei Schritten
PREP2 ist geeignet für Patienten ab 18 Jahren, die einen akuten kortikalen oder
subkortikalen Schlaganfall hatten, der mit einer Schwäche in Arm und Hand
verbunden ist. Ausgenommen sind Patienten mit Schlaganfall im Kleinhirn, Aphasie
oder kognitiver Beeinträchtigung.
Schritt 1 Innerhalb von 72 Stunden nach dem Schlaganfall wird der
SAFE-Score durchgeführt. Dieser errechnet sich aus der Kraftmessung von
Schulterabduktion plus Fingerextension ([
Abb.
2
]) und ergibt einen SAFE-Score von 0–10 Punkten, mit je 0–5
Punkten für Schulter und Finger.
Abb. 2 Zunächst erfolgt die Kraftmessung nach dem British Medical
Council (0 = keinerlei palpierbare Muskelaktivität, komplette Lähmung; 5
= normale Kraft). Addiert man die Kraftmessung von Schulterabduktion mit
der Fingerextension, erhält man einen SAFE-Score von 0 bis 10 Punkten. (Quelle: T. Henneken; Symbolbild)
Auswertung:
-
Ist der SAFE-Score drei Tage nach dem Insult 5 oder höher, wird kein
weiterer Test benötigt: Das Potenzial ist sehr gut ([
Abb. 1
]).
-
Ist der Patient über 80 Jahre alt und der SAFE-Score unter 8, wird der
funktionelle Outcome gut sein.
-
Ist der SAFE-Score unter 5, geht man zu Schritt 2.
Schritt 2 Mittels Transkranieller Magnetstimulation testen wir die
motorischen Bahnen zwischen betroffener Hirnhälfte und betroffenem Arm. Das
dauert 15 Minuten und findet bis zu sieben Tage nach dem Schlaganfall statt
([
Abb. 3
]).
Abb. 3 Die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) gehört zu den
nichtinvasiven Untersuchungsmethoden. Sie löst Aktionspotenziale im
Gehirn aus, indem sie das physikalische Prinzip der elektromagnetischen
Induktion nutzt. (Quelle: T. Henneken; Symbolbild)
Auswertung:
-
Sind Motorisch Evozierte Potenziale abrufbar (MEP +), ist das Potenzial
für den motorischen Outcome nach 12 Wochen gut.
-
Sind keine Motorisch Evozierten Potenziale ableitbar (MEP-), wird Schritt
3 durchgeführt.
Schritt 3 Hier sieht man sich den NIHSS-Score an. Dieser Score wird immer
bei Aufnahme auf einer Stroke Unit erhoben. Er gibt Aufschluss über den
Schweregrad des Schlaganfalls. Dabei gilt: Je höher der Score, desto schwerer
der Schlaganfall ([
Tab. 1
]).
Tab. 1
Einteilung des National Institutes of Health Scale (NIHHS)
NIHSS-Score
|
Schweregrad des Schlaganfalls
|
0
|
keine Schlaganfallsymptomatik
|
1–4
|
geringe Schlaganfallsymptomatik
|
5–15
|
moderate Schlaganfallsymptomatik
|
16–20
|
moderate bis schwere Schlaganfallsymptomatik
|
21–42
|
schwere Schlaganfallsymptomatik
|
Auswertung:
Therapiefokus entsprechend der Prognose
PREP2-Prognosen können helfen, den Therapiefokus festzulegen:
-
Sehr gutes Potenzial – Förderung normaler Gebrauch: Der Patient
wird in zwölf Wochen eine (nahezu) vollständige Funktionserholung des
betroffenen Armes erreichen. Im Fokus der Therapie stehen demnach ein
forcierter Handeinsatz im Alltag sowie ein individuelles
Eigenübungsprogramm (Heimübungsprogramm).
-
Gutes Potenzial – Förderung der Funktion: Der Patient wird seinen
Arm in zwölf Wochen bei fast allen Activities of Daily Living (ADLs)
verwenden können. Die Therapie konzentriert sich auf
Funktionsverbesserung, Kräftigung, Koordination, Feinmotorik,
repetitives Training, Einsatz des Armes im Alltag unter Berücksichtigung
der Sicherheit und Vermeidung von Kompensation.
-
Limitiertes Potenzial – Förderung von Bewegung: Der Patient wird
den Arm in zwölf Wochen bei einigen ADLs verwenden können. Die
Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Modifikationen benötigt werden.
Patient und Therapeut arbeiten am Erhalt und an der Verbesserung von
Kraft und Flexibilität, Assistenz bei Adaptionen und dem Gebrauch von
Hilfsmitteln.
-
Schwaches Potenzial – Förderung von Kompensation: Der Patient wird
in zwölf Wochen sehr wenig Bewegungen im Arm zurückerlangen. Im Fokus
der Therapie stehen damit die Prävention von Sekundärkomplikationen
(Schmerz, Steifheit), Armhandling sowie Hilfe bei der Umsetzung von
Einhändertechniken in den ADLs.
Offen und sensibel kommunizieren
Eine Prognose soll Hoffnung geben, aber keine falsche Hoffnung wecken. Eine
schwache Prognose kann Betroffenen den Druck nehmen. Denn viele glauben, sie
seien schuld daran, dass es nicht sehr viel besser wird. Eine sehr gute Prognose
hingegen kann auch für manche eine schlechte Nachricht sein, weil sie eine hohe
Erwartungshaltung haben. Es ist also wichtig zu wissen, dass wir in einem sehr
sensiblen Moment vorsichtig den Rehabilitationsverlauf beeinflussen möchten. Für
alle Patienten, die Schwierigkeiten haben, mit den Zukunftsaussichten umzugehen,
sollte darüber hinaus selbstverständlich psychologische Unterstützung angeboten
werden. Andere wiederum möchten keine Prognose erhalten. Das muss offen
kommuniziert werden und gilt es zu respektieren.
Die Prognose mitteilen Klienten und deren Angehörigen eine Prognose
mitzuteilen, ist mehr als nur die Benachrichtigung über das Ergebnis. Zudem sind
Prognosen keine absolute Garantie, denn manche Menschen entwickeln sich besser
und manche schlechter als erwartet. Aus diesem Grund ist es wichtig, Begriffe
wie „nahezu normal“, „sehr wahrscheinlich“, „wahrscheinlich“ oder
„unwahrscheinlich“ und „sehr unwahrscheinlich“ zu verwenden. Vermeiden sollte
man Phrasen, die dem Klienten das Gefühl vermitteln, dass nichts besser werden
wird wie „schlecht (bleiben)“, „nicht gut“, „nicht normal“, „nie wieder“ oder
„keine Chance“. Eine sehr gute oder gute Prognose mitzuteilen, ist nicht
schwierig. Aber die Betroffenen, die ein limitiertes oder schwaches Potenzial
haben, benötigen eine bedachte Aufklärung und haben oft viele Fragen. In diesen
Fällen hilft folgendes Schema für die Mitteilung:
-
1. Ergebnis: Mitteilung Prognose. Das Potenzial ist …
-
2. Erwartung: Bewegung wird … sein. Fokus der Therapie ist …
-
3. Aufgabe: Auftrag. Übungen neben Therapie sind …
-
4. Erklärung: Momentaner Status. Keine Garantie …
Wie genau ist PREP2?
PREP2 wurde in einer Studie mit 207 von Schlaganfall betroffenen Patienten erhoben,
die in den ersten drei Tagen nach dem Schlaganfall eingeschlossen wurden. Insgesamt
war die Prognose für den Outcome der oberen Extremität für 156 von 207 Patienten
korrekt (75 %). Von den übrigen 51 Patienten war die PREP2-Prognose für 35 Patienten
zu optimistisch und für 16 zu pessimistisch. Den 35 zu optimistisch eingeschätzten
Patienten wurde ein sehr guter Outcome errechnet, aber sie erreichten stattdessen
einen guten (n = 25) oder sogar nur limitierten (n = 1) Outcome. Alle Patienten, die
zu pessimistisch eingeschätzt wurden, hatten ein gutes Potenzial, erreichten aber
einen sehr guten Outcome (n = 14). Durch den Zusammenschluss von der Berechnung des
SAFE-Scores eines Patienten mit dessen Alter erreichte man eine verbesserte
Genauigkeit der Prognose von 68 % auf 78 %. Dies betrifft Patienten mit einem sehr
guten oder guten Potenzial für den Outcome der oberen Extremität zwölf Wochen nach
dem akuten Schlaganfall. Für Patienten mit einem SAFE-Score ≤ 5 fand man heraus,
dass allein der NIHSS ohne MEP-Status den Outcome nur zu 55 % Genauigkeit für den
guten oder schwachen Outcome prognostiziert. Durch die TMS-Biomarkerinformation
verbessert sich die Prognosegenauigkeit für diese Patienten auf 70 %. Dies zeigt die
Wichtigkeit der Testung der kortikospinalen Bahnen auf, gerade für die schwerer
betroffenen Patienten [3].
Klinischer Alltag PREP2
Der klinische Alltag sieht natürlich häufig ganz anders aus als eine
Versuchssituation. Hier sind Effizienz und Einfachheit der Vorgehensweise für den
Anfang einer Implementierung von PREP2 unumgänglich. Zwar ist die Messung der MEPs
weder schwierig noch zeitaufwendig, jedoch muss auf der einen Seite das Gerät
vorhanden sein und auf der anderen Seite die Benutzung unter einem genauen Protokoll
stattfinden (Patienten- und Angehörigenaufklärung, SAFE-Score < 5,
Sicherheitscheckliste TMS, MEP-Messung innerhalb von 3–7 Tagen).
Viele haben Hemmungen, eine „ungünstige“ Prognose mitzuteilen. Aus der Erfahrung im
klinischen Alltag ist das aber nicht nötig, da gerade die schwer betroffenen
Patienten, die zunächst wirken, als hätten sie ein wenig erfolgversprechendes
Potenzial, mit PREP2 durch die Messung der MEPs und Nutzung der NIHSS in eine
„bessere“ Gruppe aufsteigen. Die Patienten, die zu solchen „Mischgruppen“ gehören,
sind die, die wir ohne PREP2 entweder unterschätzen oder überfordern könnten. Es
können z. B. Patienten sein, die ohne TMS mit einem SAFE-Score < 5 zunächst nach
einem schwachen Potenzial aussehen, aber bei MEP + sogar eine gute Prognose und auch
bei MEP- mit NIHSS ≥ 7 dennoch eine limitierte Prognose erhalten würden. Sowohl die
Patienten und die Angehörigen als auch das involvierte Klinikpersonal (Therapeuten,
Pflegende, Ärzte) empfinden ein solches Ergebnis als besonders positiv überraschend.
Ein Hinarbeiten auf ein nachweislich realistisches Ziel bringt sehr viel mehr Freude
an den Fortschritten und dem Eigentraining als ein Hinarbeiten auf ein ungewisses,
unrealistisches oder unterschätztes Ziel.
PREP2 im Alltag aus Sicht einer Therapeutin
PREP2 im Alltag aus Sicht einer Therapeutin
Beispiel 1
Der Patient wird an einem Dienstagnachmittag auf der Stroke Unit aufgenommen (Tag
1). Er ist 88 Jahre alt. Die Diagnose bestätigt den Verdacht eines
Schlaganfalls: ein Capsula-interna-Infarkt links mit distal betonter Hemiparese
rechts (NIHSS 6). Am Mittwoch (Tag 2) wird die Therapie zugewiesen. Trotz
leichter Erschöpfung des Patienten kann der SAFE-Score erhoben werden:
SAFE-Score = 3. Der Patient weist eine ausgeprägte distale Parese auf,
Schulterabduktion ⅗, Fingerextension 0/5.
Die Therapie verläuft wie gewohnt. Der Patient lernt das Armhandling, erste
Übungen können schon im Sitz auf der Bettkante, später im Rollstuhl gemacht
werden. Am Freitag (Tag 4) ist der Patient stabil und wird auf die Normalstation
verlegt. Zunächst wird der Patient gefragt, ob er eine Prognose für den Outcome
seines Arms nach zwölf Wochen erhalten möchte, denn zuvor stellte er bereits die
Frage: „Wird der Arm wieder werden?“ Es wird ihm erklärt, dass dies durch eine
nichtinvasive Messung der absteigenden Bahnen vom Gehirn zur betroffenen Hand
möglich ist. Er wird ein Klopfen durch die Magnetspule spüren, wenn diese sich
entlädt, was wir aber ankündigen und vorführen werden. Diese Untersuchung dauert
circa 15 Minuten. Er wünscht eine Prognose zu erhalten, und die TMS-Checkliste
und -Einwilligung werden durchgearbeitet und unterschrieben.
Die Messung der MEPs wird am Montag durchgeführt (Tag 6): MEP- ([
Abb. 4
]). Nun muss der NIHSS vom Tag der
Aufnahme herangezogen werden, NIHSS = 6. Der Wert ist < 7 und bedeutet, dass
das Potenzial nicht schwach, sondern limitiert ist. Nur TMS oder nur NIHSS
reichen nicht aus, denn wenn der Patient MEP + gehabt hätte, wäre sein Potenzial
sogar gut gewesen. Mithilfe des Vier-Punkte-Schemas kann ihm die Prognose genau
erklärt werden.
Abb. 4 TMS-Diagnostik von Patient 1. Es sind keine MEPs vom Kortex
links (M1) über die absteigenden kortikospinalen Bahnen ableitbar. (Quelle: T. Henneken; Umsetzung: Thieme
Gruppe)
Vier-Punkte-Schema:
-
1. Ergebnis: Ihr Arm und Ihre Hand werden in den nächsten drei
Monaten höchstwahrscheinlich limitiert Besserungen zeigen.
-
2. Erwartung: Sie können erwarten, dass Sie ein wenig Bewegung
zurückerlangen werden. Das heißt, die Feinmotorik wird sicherlich eine
große Herausforderung bleiben. Der Fokus der Reha wird sein, die Kraft
und Flexibilität des Armes und der Hand zu verbessern und Sie mit
Adaptionen und Tricks auszustatten, damit Sie den Arm bestmöglich werden
verwenden können.
-
3. Aufgabe: Sie werden auch selbst außerhalb der Therapie viel
üben müssen, um das Ergebnis zu verbessern. Wir zeigen Ihnen Wege, wie
Sie selbst den Arm im Alltag gut einbinden können.
-
4. Erklärung: Diese Prognose basiert auf Ihrem aktuellen Status.
Es ist keine Garantie, da sich einige Menschen mehr und andere weniger
gut erholen.
Der Patient möchte, dass seine Gattin dabei ist. In Neuseeland wird als Teil von
PREP2 zur Unterstützung der Mitteilung einer Prognose ein Tablet mit den
MRT-Bildern verwendet ([
Abb. 5
]), das
geht aber aus Datenschutzgründen in Österreich nicht. Es wäre hilfreich gewesen,
denn der Patient ist zwar zufrieden mit dem Ergebnis und vielleicht sogar ein
bisschen erleichtert, aber seine Frau kann das Ergebnis noch nicht ganz
begreifen. Es können vielleicht für den Moment nicht alle Fragen geklärt werden,
aber in den darauffolgenden Tagen versteht die Frau des Patienten das Ergebnis
und kann motivierend am Reha-Prozess teilnehmen. Das Ziel des Patienten war es,
den betroffenen Arm in Zukunft als Hilfshand, z. B. beim Öffnen einer Flasche,
eines Duschgels oder zum Gegenhalten beim Schneiden von Gemüse, verwenden zu
können. Das Ziel hat er erreicht. Selbstverständlich hat er sich zwölf Wochen
nach dem Schlaganfall weiter verbessert.
Abb. 5 Beispiel von Patient 1, diffusionsgewichtete Bildgebung.
Darstellung der PLIC (Posterior Limb Internal Capsule) in grün in Ebenen
frontal (a), sagittal (b) und transversal (c).
Grüner Pfeil (d) zeigt Infarktgebiet im Bereich der Capsula
interna. (Quelle: T. Henneken)
Beispiel 2
Die Patientin, 73 Jahre, hat eine seit dem Vortag zunehmende Schwäche der linken
Seite (Tag 2). In der Bildgebung zeigt sich ein Marklagerinfarkt rechts. Am
selben Tag kann der SAFE-Score erhoben werden: SAFE-Score = 4 (Tag 2). Ihre
Schulterabduktion ist ⅔ und die Fingerextension ⅔. Zwei Tage darauf wird die
Patientin in stabilem Zustand auf die Normalstation verlegt (Tag 4). Mit einem
SAFE-Score von < 5 ist der nächste Schritt die TMS-Diagnostik zur Darstellung
der MEPs, wenn die Patientin dies wünscht. Wir erklären ihr, dass wir im
jetzigen Zeitfenster bis sieben Tage nach dem Schlaganfall eine Prognose für
ihren Outcome der oberen Extremität stellen können. Damit können wir
vorhersagen, was sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen können wird. Um die
genaue Berechnung des Algorithmus vornehmen zu können, müssen wir eine
Untersuchung der absteigenden Bahnen mit TMS bei ihr vornehmen. Die Patientin
versteht die Instruktionen und willigt ein (Tag 4). Die TMS-Diagnostik ergibt
MEP + ([
Abb. 6
]). Die Patientin hat
eine gute Prognose.
Abb. 6 TMS-Diagnostik von Patientin 2. Es sind MEPs vom Kortex
rechts (M1) über die absteigenden kortikospinalen Bahnen ableitbar. (Quelle: T. Henneken; Umsetzung: Thieme
Gruppe)
Vier-Punkte-Schema:
-
1. Ergebnis: Ihr Arm und Ihre Hand werden in den nächsten drei
Monaten höchstwahrscheinlich gute Besserungen zeigen.
-
2. Erwartung: Sie können erwarten, dass Sie in zwölf Wochen Ihren
Arm und Ihre Hand bei nahezu allen Tätigkeiten im Alltag einsetzen
lernen werden. Der Fokus der Reha wird sein, den Arm und die Hand zu
kräftigen, die Koordination zu trainieren und an der Feinmotorik zu
arbeiten. Sie werden auch Bewegungen repetitiv üben.
-
3. Aufgabe: Sie werden außerhalb der Therapien viel üben müssen,
um das Ergebnis zu verbessern. Es wird anstrengend werden, den
betroffenen Arm forciert und unentwegt im Alltag einzusetzen, ohne den
anderen dabei zu Hilfe zu nehmen. Achten Sie darauf, es von heute an zu
üben.
-
4. Erklärung: Die Prognose basiert auf Ihrem aktuellen Status und
ist keine Garantie, da sich Menschen unterschiedlich gut erholen.
Für die Patientin ist es eine sehr gute Nachricht, denn im Moment kann sie ihre
Hand noch nicht adäquat verwenden. In der Therapie wird ein repetitives Training
gestartet. Mit zusätzlichen Eigenübungen für Kraft (Stütz) und Bewegungsausmaß
(Schulter) kann sie die Hand bereits eine Woche später im Alltag verwenden,
anfangs noch mit Griffverdickungen und nicht ausdauernd. Für die Patientin steht
fest, dass die Prognose sie erst richtig motiviert hat. Eigentlich hat es sogar
ihren Ehrgeiz geweckt, das Ergebnis zu übertreffen, sagt sie. Aber sie weiß,
dass sie auch danach noch weiter Fortschritte machen wird.
Resümee
Beide Patienten sind typische Beispiele für Betroffene, die sich selbst ohne die
Prognose hinsichtlich des motorischen Outcomes schlechter eingeschätzt hätten. Auch
das Klinikpersonal reagiert in solchen Fällen positiv überrascht, was zusätzlich
motivierend auf die Patienten wirken kann. Und auch wenn für den ersten Patienten
der Outcome nicht so gut klingt wie für die zweite Patientin, so nimmt es ihm
augenblicklich den Druck, mehr erreichen zu müssen, als er für möglich halten kann.
Mit Prognosen lernen wir, mehr noch das Mögliche und nicht das Unmögliche zu
verlangen und uns unserer Sache sicher zu fühlen.
Eignung für die Prognose Nicht sehr viele Patienten eignen sich für eine
Prognose, da sie nicht die Voraussetzungen erfüllen. Ein großer Teil erhält
Interventionen wie Thrombolysen und/oder Thrombektomien. Ein weiterer Teil von
Patienten nach Schlaganfall ist bereits vor dem Schlaganfall multimorbid. Vor allem
die schwerer betroffenen Patienten mit einem SAFE-Score < 5, für die eine
Prognose eine durchaus wichtige Rolle spielen kann, stellen nur eine geringe Anzahl
dar. Die Patienten mit einer guten oder sehr guten Prognose sind wohl die größte
Gruppe, die mit einer gewissen Erfahrung und Expertise von Therapeuten
wahrscheinlich vollkommen richtig eingeschätzt werden würden.
Zweifel an der Prognose Prognosen werden häufig angezweifelt. Das ist auch gut
so. Nichts soll unsere gesunde Skepsis verdrängen. Noch ist die Genauigkeit nicht
hoch genug, sodass es wie bei der Wetterprognose nur eine Wahrscheinlichkeit bleibt.
Mit PREP2 können wir Patienten in Prognosegruppen einteilen und
Therapieentscheidungen vereinfachen. Wir können zum richtigen Zeitpunkt mit den
geeigneten Mitteln die Rehabilitation des Patienten effizient unterstützen.
Individuelle Therapievarianz Die Frage lautet nach wie vor oft, ob eine wenig
erfolgversprechende Prognose einem Menschen nicht die Hoffnung nähme. Und das ist
wohl auch neben der Skepsis gegenüber der Genauigkeit einer Prognose eine sehr große
Hürde für Therapeuten, Prognosen zu verwenden. Ein Patient sagte einmal darauf, dass
einem die Hoffnung genommen werden würde, wenn einem etwas vorgemacht wird. Die
Arbeit mit Menschen bleibt wie immer individuell zu betrachten. Daher ist der
PREP2-Algorithmus trotz der Verwendung eines kostspieligen TMS-Gerätes eine gute
Möglichkeit, Prognosen im Alltag einzusetzen, da Patienten in vier Prognosegruppen
eingeteilt werden und keine expliziten Funktionsoutcomes vorhergesagt werden. Das
ermöglicht eine individuelle Varianz für die Therapie.
Genauigkeit Es werden größere und multizentrische Studien benötigt, um die
Genauigkeit zu verbessern. Untersuchungen zu verschiedenen Prädiktoren in diversen
Kombinationen können die Entwicklung vorantreiben.