Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2019; 54(05): 312
DOI: 10.1055/a-0870-5740
Neues aus der Forschung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Künstliche Intelligenz (KI): Algorithmus lernt optimale Sepsistherapie

Komorowski M. et al.
The Artificial Intelligence Clinician learns optimal treatment strategies for sepsis in intensive care.

Nat Med 2018;
DOI: 10.1038/s41591-018-0213-5.
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Dipl.-Psych. Annika Simon, Hannover


Publication History

Publication Date:
13 May 2019 (online)

 

Sepsis bedingt die meisten Todesfälle im Krankenhaus, bis heute gibt es keine einheitlichen Therapiekonzepte. Da insbesondere Volumenmanagement und die Gabe von vasoaktiven Medikamenten diskutiert werden, haben Komorowski und Kollegen nun auf Basis großer Datenbanken und mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) ein Entscheidungsmodell entwickelt, das Intensivmediziner bei der Wahl des Therapieregimes unterstützen könnte.


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Die Sepsis zählt weltweit zu den häufigsten Todesursachen und bedingt die meisten Fälle an Krankenhaussterblichkeit. Trotz regelmäßiger Überarbeitungen von Sepsiskriterien und Therapieempfehlungen sind insbesondere die Gabe vasoaktiver Substanzen sowie das Volumenmanagement bis heute Gegenstand zahlreicher Forschungsbemühungen und Diskussionen. Bis heute gibt es keine einheitlichen Empfehlungen, obgleich Volumengabe und frühzeitige Vasopressoren-Therapie einen Einfluss auf das Outcome zu haben scheinen.

Komorowski und sein Team haben nun mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) und mit dem Prinzip des verstärkten Lernens einen Algorithmus entwickelt, der in Zukunft Intensivmediziner bei der Therapieplanung bei Sepsispatienten unterstützen könnte. Der sogenannte „KI-Arzt“, wie die Forscher ihr Modell bzw. ihren Algorithmus betiteln, wurde zunächst auf Basis der „Medical Information Mart for Intensive Care Version III“-(MIMIC III-)Datenbank entwickelt und anschließend auf Basis der „eICU Research Institute Database“ (eRI) validiert und getestet. Patienten der erstgenannten Datenbank erfüllten die Sepsis-3-Kriterien und wurden auf 5 Intensivstationen in einem Lehrkrankenhaus der Regelversorgung behandelt. Die Studienautoren konnten durch die Datenbank auf sämtliche klinische Parameter einschließlich Volumentherapie und Verordnung von Vasopressoren sowie auf das klinische Behandlungsergebnis bzw. die Mortalität zurückgreifen.

Über verschiedene KI-Modelle stellten sie einen Zusammenhang zwischen Therapie und Outcome her und entwickelten einen Entscheidungsalgorithmus mit dem Ziel, durch individualisierte Behandlungsstrategien die Mortalität möglichst gering zu halten. Jede positive Entscheidung im Bereich Volumentherapie und Vasopressoren, die mit einer geringeren Mortalität einherging, wurde quasi belohnt und dadurch gefestigt. Im zweiten Schritt validierten Komorowski und Team den „KI-Arzt“ mit den Daten des 2. Registers (eRI). Hierbei handelte es sich um eine große US-amerikanische Datenbank mit Informationen über Sepsispatienten von 128 Intensivstationen. Schließlich verglichen die Forscher die Therapieentscheidungen des Modells mit den entsprechenden Verordnungen der realen behandelnden Intensivmediziner.

KI kann Therapie individualisieren

Die Datenbank zur Modellentwicklung (MIMIC III) umfasste 17 083 intensivmedizinische Behandlungen. Die Patienten waren 64,4 Jahre alt, 56,2% von ihnen männlich, bei 34,1% lag die gesicherte Diagnose einer Sepsis einschließlich Pneumonien vor. Der SOFA Score lag im Mittel bei 7,2, die Krankenhausmortalität konnte auf 11,3% beziffert werden. Die Datenbank zur Validierung und Testung des entwickelten Modells beinhaltete 79 073 stationäre Behandlungen. Die Patienten waren 65 Jahre alt und 51,8% von ihnen männlich. 52,3% litten an einer diagnostizierten Sepsis, der SOFA Score lag bei 6,4 und die Krankenhaussterblichkeit bei 16,4%.

Beim Vergleich zwischen den Therapieempfehlungen des „KI-Arztes“ und dem realen Vorgehen gab es die größte Diskrepanz in Hinsicht auf die Volumengabe. Nur 36% der Patienten erhielten die vom „KI-Arzt“ empfohlene Dosierung. Patienten, die tatsächlich die vom Modell vorgeschlagene Menge erhielten, zeigten die niedrigste Mortalitätsrate. Insgesamt konnten die Forscher feststellen, dass die Vorschläge ihres Modells im Abgleich mit der Realität mit der niedrigsten Mortalitätsrate einhergingen. Sie halten daher vergleichbare Modelle für einen fruchtbaren Ansatz zur Unterstützung von Intensivmediziner bei der komplexen Entscheidungsfindung im Rahmen der Sepsistherapie.

Fazit

In dieser retrospektiven Analyse großer Datenbanken mit Therapieinformationen und Outcome von Sepsispatienten konnte ein KI-Modell entwickelt werden, das Medizinern bei der Optimierung ihrer Behandlungsstrategie helfen könnte. Da die Mortalität beim Modelltest dann am geringsten ausfiel, wenn sich die Therapieentscheidungen des realen Arztes mit denen des „KI-Arztes“ deckten, sehen die Forscher in ihrem auf Verstärkungslernen basierten Algorithmus eine Chance zur individualisierten Behandlung.


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Dipl.-Psych. Annika Simon, Hannover