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DOI: 10.1055/a-0875-1396
Radiologie in Deutschland. Ein Weißbuch
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
22. Mai 2019 (online)
Worüber reden wir eigentlich, wenn wir von Radiologie in Deutschland sprechen? 15 Radiologinnen, Medizinphysiker und Medizinisch-Technische Radiologie-Assistentinnen (MTRA) sind auf Initiative der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) dieser Frage über einen Zeitraum von rund 18 Monaten nachgegangen. Entstanden ist aus einem gemeinsamen Forschungs-, Workshop- und Redaktionsprozess die Publikation „Radiologie in Deutschland. Ein Weißbuch“. DRG-Präsident Prof. Dr. Stefan O. Schönberg und Dr. Stefan Lohwasser, DRG-Geschäftsführer, haben sich im Vorfeld der Veröffentlichung zu einem Gespräch über das Weißbuch in Berlin getroffen.
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Dr. Stefan Lohwasser: Ich bin vor einigen Jahren als Geschäftsführer der DRG in die Welt der Radiologie eingetreten. Das war für mich etwas völlig Neues. Natürlich hatte ich ein vorgefertigtes Bild, aber das war im Grunde so, als würde man am Fenster stehen, ohne dass man wirklich den ganzen Raum betrachten konnte. Mittlerweile habe ich erlebt, dass es eine ganz eigene, vielschichtige und lebendige radiologische Kultur gibt. Mir war es deshalb ein großes Anliegen, diese radiologische Kultur auch anderen greifbar, erlebbar, nachvollziehbar zu machen.
Prof. Dr. Stefan O. Schönberg: Zur Kultur gehört für mich auch ein gesellschaftlicher Anspruch der Radiologie. Dieser Anspruch ist mit Blick auf die Versorgung von Patientinnen und Patienten ein vierfacher: Radiologie in Deutschland steht erstens für Interprofessionalität, zweitens für die Vermittlung von medizinischem Wissen an Patienten, Angehörige, Fachkolleginnen und die Wissenschaft, drittens für medizinische wie technische Innovation und viertens für hohe Qualitätsmaßstäbe. Diese vier Aspekte finden sich im Weißbuch in Wort und Bild wieder.
Lohwasser: Vor allem liefern die Texte und Bilder Einblicke von denjenigen, die Radiologie in Deutschland täglich in ihrer Arbeit gestalten. Und dafür ist so ein Weißbuch wichtig: dass die Radiologie einmal ihre Geschichte erzählt, aus den unterschiedlichsten Perspektiven und Arbeitskontexten heraus. Diese radiologische Vielfalt der Menschen, Themen und Positionen kann Grundlage und Ausgangspunkt sein, um ins Gespräch zu kommen – untereinander, aber vor allen Dingen mit allen anderen.
Schönberg: Das Markenzeichen der Radiologie ist ja ihre Trilateralität: die Zusammenarbeit von Radiologinnen, Medizinisch-Technischen-Radiologie-Assistenten und Medizinphysikerinnen. Die Radiologie steht deshalb nicht nur für einen medizinischen Anspruch, sondern auch für technische Operabilität und höchste Umsetzungsqualität – und dafür braucht man die richtigen Personen bzw. kompetente Teams. Folgerichtig haben deshalb auch Vertreter aller drei Berufsgruppen als Autoren am Weißbuch mitgewirkt. Und was ich wirklich bemerkenswert finde: Die 15 Autorinnen und Autoren haben jenseits von Hierarchien, Organisationsstrukturen und Berufsgrenzen ihren Erfahrungsschatz, ihre besondere Aus- und Vorbildung eingebracht, geteilt und dazu genutzt, besondere Perspektiven auf die radiologische Praxis aufzuzeigen. Ich kann mich dafür nicht oft genug bei den Beteiligten bedanken.
Lohwasser: Ich möchte hier noch etwas zur Genese des Buches ergänzen. Wie vielleicht bei anderen Organisationen und Gesellschaften auch hat sich bei der DRG aus der täglichen Routine heraus eine gewisse „déformation professionnelle“ eingeschlichen. Der Vorstand der DRG hat deshalb ganz bewusst auf irgendwelche Vorgaben verzichtet und stattdessen darauf geachtet, dass dem Autorenteam ein Höchstmaß an Freiheit und Unabhängigkeit gegeben ist. Im Weißbuch finden sich kurze Einleitungskapitel, die rein deskriptiven Charakters sind. Die zentralen Inhalte aber kommen ausnahmslos von den Autorinnen und Autoren. Auch von meiner Seite für diese engagierte Arbeit einen herzlichen Dank. Wir haben auch versucht, durch die Auswahl der Autoren das gesamte Spektrum der Radiologie von der ambulanten bis in die klinische Versorgung, von Praxen bis zu Universitätskliniken, von Weiterbildungsassistenten bis zu Ordinarien abzubilden. Ich denke, das kommt auch in den Beiträgen sehr gut rüber. Das Weißbuch ist wirklich besonders und macht Lust auf Lesen, weil man wie beim Blick durch ein Kaleidoskop ganz verschiedene Einblicke bekommt. Aber am Ende fügt es sich zu einem großen Ganzen.
Schönberg: Wenn man das Buch aufschlägt, springt einem als erstes die Gestaltung ins Auge. Die Radiologie mit ihren bildgebenden Verfahren wird hier natürlich auch in Bildern repräsentiert – nahezu die Hälfte des Buches nimmt das ein. Das zeichnet ja auch die Medizin insgesamt aus: der Mensch im Zentrum und die Orientierung am Bild, an der Topografie, an der Anatomie.
Lohwasser: In Zeiten des allgegenwärtigen Bilderrausches war und ist das eine wichtige Aussage, den Menschen und seine Abbildbarkeit in den Fokus zu rücken – einerseits. Andererseits bewegt sich die Radiologie wie auch die Medizin insgesamt weg vom Bild hin zu den Daten. Aber die vielen Daten werden dann wiederum bildlich übersetzt. Es führt also kein Weg vorbei am Bild.
Schönberg: Und auch kein Weg vorbei an der Ästhetik dieser Bilder. Diese Ästhetik hat ja auch eine ambivalente Geschichte. Zum einen galten manchen Leuten die Radiologen als die, die „nur“ die schönen Bilder machen. In Zeiten bildgestützter Interventioneller Radiologie hat sich sicher auch dieses Klischee überholt. Vor allem steht aber für mich die Ästhetik und Brillanz der radiologischen Bilder heute auch für technische Qualität und die Exzellenz derjenigen, die sie erstellen, einhergehend mit dem kontinuierlichen Streben unseres Faches nach Innovation und Perfektion. Ich finde die Bilder im positivsten Sinne brisant.
Lohwasser: „Den ganzen Menschen im Blick“ – das ist für mich schon mehr als nur eine Kapitelüberschrift im Weißbuch. Da würde ich an Ihren Gedanken eines gesellschaftlichen Anspruchs der Radiologie, ja letztlich auch eines Auftrages, anknüpfen. Radiologie ist eben nicht kalte Medizintechnik, sondern sie ist von Menschen für Menschen gemacht. Das ist für mich eine ganz zentrale Botschaft, die alle Kapitel durchzieht. Neben der Anästhesie ist in einem Krankenhaus die Radiologie die zentrale Schalt- und Verteilerzentrale. Diese Rolle ist gewissermaßen in ihrer DNA angelegt und ich denke, wir müssen uns überlegen, wie die Radiologie diese Rolle in Zukunft noch besser ausfüllen kann, und das nicht nur in der stationären Versorgung. Die Radiologie muss auch in der ambulanten Versorgung noch stärker eine Verteiler- oder Lotsenrolle einnehmen und eine beratende Funktion sowohl für Patienten als auch für Fachkollegen innehaben.
Schönberg: Wissensvermittlung gehört für mich ganz zentral zur Radiologie. Aus dieser Wissensvermittlung hat sich ein ganz neuer Dialog mit anderen Fachgruppen, mit Ärztinnen, aber auch mit Nichtärzten, entwickelt. Das ist in den Buchbeiträgen ja in der vollen Breite abgebildet. Letztendlich haben wir diese Vermittlerrolle sehr, sehr früh verstanden und auch umgesetzt. Das wird auch sicher weitergehen. Unsere Aufgabe als DRG ist es, das noch mehr nach außen, insbesondere in die Politik, zu tragen. Die Digitalisierung bringt uns dabei in eine noch stärkere, integrativere Rolle. Das heißt, wir werden jetzt zu Wissensintegratorinnen, die neben den Bildinformationen noch andere Informationen und Daten mit hineinnehmen und damit noch stärker auf den medizinischen Gesamtversorgungsprozess eines Patienten schauen. Das hatten wir früher nicht so im Blick – mit dem Stellen der Diagnose war der Auftrag erfüllt. Daraus leitet sich ja auch der Begriff der Auftragsleistung ab. Davon haben wir uns inzwischen wegentwickelt hin zu einem umfassenderen Anspruch, wirklich den ganzen Menschen und sein Wohlergehen zu betrachten. Auch da blickt das Weißbuch sicherlich weit nach vorn und zeigt die Radiologie als Innovationstreiber. Künstliche Intelligenz, hybride Verfahren, Präzisionsmedizin – Innovation geht mit Integration Hand in Hand.
Lohwasser: Da ist jetzt vieles in Bewegung und im Gespräch. Für uns als DRG ist der Dreiklang aus Wissensvermittlung, Kommunikation und der Generierung neuen Wissens wichtig. Ich möchte da gern das Geburtshaus von Wilhelm Conrad Röntgen in Remscheid-Lennep, das wir nach Renovierung und Umbau als Ort der Begegnung wiedereröffnet haben, als Symbol nutzen. Hier findet sich der Dreiklang wieder: Das Erdgeschoss mit seiner Publikumsausstellung steht für das Vermitteln von Wissen. Im ersten Obergeschoss treffen wir uns und tauschen uns aus. Das steht für Kommunikation, da fallen Entscheidungen, da wird nachgedacht. Und im Dachgeschoss findet Wissensgenerierung durch Forscherinnen und Forscher statt, die dort für eine Zeit Quartier beziehen. Da entsteht Neues, entstehen Innovationen, die dann im ersten Obergeschoss auch wieder ausgetauscht und abgeglichen werden. Es gibt immer wieder neue Impulse, sodass sich die Radiologie fortwährend neu erfindet, neu erfinden muss. Sie bleibt nie stehen und bindet multiprofessionell viele Menschen und Gruppierungen ein. Das ist auch ein Sinnbild für die Rolle innerhalb der Medizin insgesamt.
Schönberg: Das Weißbuch ist nicht nur ein sichtbarer Ausdruck für diese Multiprofessionalität, sondern auch für diesen fortwährenden Veränderungsprozess. Wir sprechen ja nicht von einem Buch im klassischen Sinn, sondern von einem lebendigen Dokument. Das kann Grundlage und Ausgangspunkt sein für eine Begleitung und Weiterentwicklung der Themen und für einen gesellschaftlichen Dialog. Ich denke da besonders an die Politik. Gerade mit Blick auf die Themen und das gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Potenzial, für das die Radiologie ja steht, wüsste ich dieses Buch zum Beispiel auch gern auf dem Schreibtisch der Gesundheits- wie auch Wirtschaftsministerinnen und -minister auf Landes- und Bundesebene.
Lohwasser: Lesenswert ist das Weißbuch auch für junge Menschen, die vielleicht schon Medizin studieren oder sich gerade erst beruflich orientieren. Oder Industrievertreter und Lobbyisten, die nach den zukünftigen Themen in der Medizin Ausschau halten. Auch Menschen, die der Radiologie gegenüber kritisch eingestellt sind, sie vielleicht nicht als klinisch vollwertiges Fach oder nur kommerzgetrieben sehen, können ihr Urteil mit den Inhalten des Weißbuchs abgleichen.
Schönberg: Ich hoffe, dass wir da viele noch gar nicht im Blick haben, die das Weißbuch auch lesen werden.
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