Einführung in die Thematik
Traumata und ihre Auswirkungen
Durch die Revisionen des DSM mit der Einführung des DSM-5 im Jahr 2013 und der ICD-11 ab 2022 sowie der neuen S3-Leitlinie PTBS ergeben sich vielfältige Neuerungen für die Therapie. Ca. 70 % der Bevölkerung erleben im Laufe ihres Lebens z. T. lebensbedrohliche und damit potenziell traumatische Ereignisse [1]. Verkehrsunfälle, Naturkatastrophen, körperliche und sexuelle Gewalt oder schwerwiegende medizinische Eingriffe können Traumaspuren hinterlassen. Frauen werden häufiger Opfer sexualisierter Gewalt, Männer erfahren eher traumatische Erfahrungen in Form von körperlicher Gewalt, Unfällen oder Krieg (z. B. [2]). Viele Betroffene entwickeln psychische Symptome und Traumafolgestörungen.
Die PTBS stellt eine häufige Traumafolgestörung bei Personen nach traumatischen Ereignissen dar.
Besonders häufig treten Traumafolgestörungen nach traumatischen Ereignissen auf, die von anderen Menschen verursacht wurden („man made“). Ca. 50 % der Vergewaltigungs- und Folteropfer, jedoch nur ca. 10 % der Fälle bei Verkehrsunfällen entwickeln eine PTBS. Auch andere Erkrankungen wie Essstörungen, Depressionen und Angststörungen können sich u. U. als Folge einer zugrundeliegenden Traumatisierung entwickeln.
Die Lebenszeitprävalenz für eine PTBS beträgt weltweit ca. 6–7 % [3]
[4], Deutschland weist zwischen 1,3–1,9 % (< 60 J.) und 3,4 % (> 60 J.) auf. Somit stellt die PTBS insbesondere unter globaler Betrachtung eine häufige psychische Erkrankung mit hohem Leidensdruck für die Betroffenen dar.
Insbesondere traumatische Erlebnisse, die von anderen Menschen verursacht worden sind, begünstigen die Entwicklung einer PTBS.
Trotz der hohen medialen Präsenz potenziell traumatisierender Themen wie Krieg, Terror oder Gewalt sollten Begriffe wie Traumafolgestörungen und traumaassoziierte Symptomatik sowohl aufgrund von diagnostischen als auch behandlungstechnischen Gesichtspunkten nur mit Zurückhaltung verwendet werden. Um eine „Überdiagnostizierung“ der Traumafolgestörungen zu vermeiden, bedarf es einer klaren Terminologie und diagnostischen Klassifikation ([Tab. 1]).
Tab. 1
Diagnostische Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung.
ICD-10
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DSM-5
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ICD-11
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A. Die Betroffenen sind einem kurz oder lang anhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde.
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A. Bedrohung mit Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt auf mindestens eine der folgenden Arten:
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direktes Erleben
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persönliches Miterleben bei anderen Personen
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erfahren, dass traumatische Ereignisse (Gewalt, Unfälle) einem Familienmitglied oder einem engen Freund widerfahren sind
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wiederholte Konfrontation mit aversiven Details eines traumatischen Ereignisses (z. B. bei Ersthelfern und Polizisten)
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Extrem bedrohliches oder erschreckendes Ereignis bzw. Ereignisse
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B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung mit Hier-und-Jetzt-Qualität (Flashbacks, Nachhallerinnerungen), sich wiederholende Träume oder innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen.
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B. Mindestens ein Symptom des Wiedererlebens, das auf das traumatische Ereignis bezogen ist und nach diesem aufgetreten ist
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Wiedererleben in der Gegenwart in der Form von Albträumen, intrusiven Erinnerungen oder Flashbacks
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C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses Vermeiden bestand nicht vor dem belastenden Ereignis.
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C. Eine auf das traumatische Ereignis folgende anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Ereignis verbunden sind
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Vermeidung traumabezogener Erinnerungen/ Erinnerungsanlässe
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D. Entweder 1. oder 2.
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Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.
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Anhaltende Symptome (nicht vorhanden vor der Belastung) mit 2 der folgenden Merkmale:
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Ein-und Durchschlafstörungen
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Reizbarkeit oder Wutausbrüche
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Konzentrationsschwierigkeiten
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Hypervigilanz
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Erhöhte Schreckhaftigkeit
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D. Negative Veränderungen der Kognitionen und der Stimmung im Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis
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Erhöhte Wachsamkeit oder gesteigerte Schreckreaktion durch subjektive Wahrnehmung einer anhalten-den Bedrohung
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E. Die Kriterien B, C und D treten innerhalb von 6 Monaten nach dem Belastungsereignis auf.
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E. Anhaltende Symptome eines erhöhten Erregungsniveaus und übersteigerter Reaktivität im Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis
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F. Störungsbild besteht länger als einen Monat
G. Klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen bedeutsamen Funktionsbereichen
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Störungsbild besteht seit mind. einigen Wochen.
Signifikante Beeinträchtigung des Funktionsniveaus in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen
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H. Das Störungsbild ist nicht auf physiologische Effekte von Substanzen oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurückzuführen
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Traumata sind kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehnisse von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden.
Traumatische Erinnerung
Reaktivierte „traumatische Erinnerungen“ sind wiederholte Episoden des Wiederhervorbringens (reenactment), die auf dem Wiedervorstellen von Erfahrungen und Ereignissen beruhen. Wenn traumatisierte Menschen, d. h. ihre dissoziierten Anteile, traumatische Erinnerungen in Form von reflexartigen Verteidigungs- oder Bindungsreaktionen wieder hervorbringen (reenact), tun sie dies in hocherregten sensomotorischen Abläufen und mit emotional stark aufgeladenen Verhaltensmustern. Ihr Bewusstsein ist dabei eingeengt. Sie sind auf alte Zielvorstellungen fixiert, die sie als eine drängende und gegenwärtige Zielorientierung erleben [7].
Die diagnostischen Kriterien der PTBS unterscheiden sich zwischen dem ICD-10, dem ICD-11 und dem DSM-5.
Klinisches Erscheinungsbild der PTBS
Als ein Kernsymptom der PTBS manifestiert sich bei den Betroffen ein intrusives Wiedererleben von Teilen der traumatischen Ereignisse in Form von einschießenden Erinnerungen, Albträumen oder Flashbacks. Ferner zeigen Betroffene spezifisches Vermeidungsverhalten rund um Situationen, Orte, Personen oder Reize, Gedanken und Gefühle, die sie an das traumatische Ereignis erinnern oder Ähnlichkeiten hierzu aufweisen. Betroffene versuchen in der Regel, unter großen Anstrengungen die einschießenden Gedanken und Erinnerungen zu verdrängen, d. h. eine kognitive Beschäftigung mit dem Geschehenen unbedingt zu vermeiden, was den Betroffenen dennoch meist nicht gelingt.
Intrusives Wiedererleben und Vermeidungsverhalten sind Kernsymptome einer PTBS.
Einhergehend mit dem Vermeidungsverhalten wird auch eine Reduktion der psychischen Reagibilität berichtet. So fühlen sich die eigenen Gefühle für die Patienten zunehmend gleich an und ein Gefühl der Entfremdung von anderen Personen stellt sich ein, welches soziales Rückzugsverhalten bedingen kann.
Des Weiteren zeigt sich bei Betroffenen oft eine ausgeprägte Schreckhaftigkeit, Ängstlichkeit oder Hyperarousal (Übererregbarkeit des vegetativen Nervensystems). Tagsüber findet sich meist eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber Außenreizen (Geräusche, Lichtimpulse, Gesichter u. a.), die mitunter heftige Schreckreaktionen auslösen können. Nicht selten können durch das erhöhte Erregungsniveau Ein- und Durchschlafstörungen auftreten.
Grundannahmen, Denkmuster, emotionales Erleben und Verhaltensmuster sind bei der PTBS deutlich beeinträchtigt. Emotional lassen sich Gefühle von Schuld und Scham, Entfremdung, affektive Verflachung (numbing) auch gegenüber anderen sowie ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber anderen Menschen erkennen. Dies wiederum geht ebenfalls mit Schlafstörungen, Unruhezuständen und Konzentrationsschwierigkeiten einher (vgl. u. a. [5]). Teilweise neigen Betroffene zu dissoziativem Erleben wie Amnesien, Derealisations- sowie Depersonalisationssymptomen. In schweren Fällen kann es zu „Abspaltungen“ von Persönlichkeitsanteilen im Rahmen einer dissoziativen Identitätsstörung kommen ([Tab. 1]).
Neben den Kernsymptomen können Rückzugverhalten, Schreckhaftigkeit, Ängstlichkeit, Hyperarousal, Schuld- und Schamgefühle, affektive Verflachung und dissoziatives Erleben hinzukommen. Schlafstörungen sind ebenfalls häufig.
Diagnostische Kriterien der PTBS
kPTBS
In die 11. Version der ICD wird neben der „klassischen“ PTBS die neue Diagnose der Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) aufgenommen werden. Die kPTBS nach Mehrfach- und chronischen Traumatisierungen zeigt anders als die PTBS ein erweitertes Symptom-Cluster. Neben den bekannten Symptomen der PTBS fallen hierunter schwere anhaltende Störungen der Emotionsregulation, anhaltende Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten und sich anderen nahe zu fühlen sowie anhaltende Überzeugungen über sich selbst als bedeutungslos, ohnmächtig oder wertlos. Letztere werden begleitet von tiefen und allgegenwärtigen Gefühlen der Schande, Schuld oder des Scheiterns im Zusammenhang mit den traumatischen Ereignissen. Im DSM-5 wurden die beschriebenen Symptome bereits als Kriterien D, E und F inkludiert [6].
Dissoziativer Subtyp
Die PTBS wird als Störungsbild neben der kPTBS, der partiellen dissoziativen Identitätsstörung sowie der Dissoziativen Identitätsstörung auf einem Kontinuum aufgefasst, welches je nach Ausprägung der Dissoziation die Kohärenz der Persönlichkeit beeinträchtigt. Verdeutlicht wird dies durch das Modell der strukturellen Dissoziation nach Nijenhuis [7]. Auch in den Forschungen von Cloitre [8] zeigt sich dies u. a. in der Ausweitung des syndromalen Spektrums durch die zunehmende Komplexität der PTBS-Symptomatik. Dementsprechend wurde in das DSM-5 ein dissoziativer Subtyp der PTBS aufgenommen.
In der Praxis sind im Rahmen von Diagnostik und Behandlung der dissoziative Subtyp der PTBS sowie die komplexe PTBS mit zu berücksichtigen.
Je nach Ausprägung der PTBS und dem ggf. vorliegenden Subtyp sind jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Behandlung zu stellen und ggf. die erhöhte Komplexität zu beachten.
Bisherige Forschungsergebnisse und hieraus abgeleitete Empfehlungen der derzeitigen Leitlinien basieren weitestgehend auf Erkenntnissen zur Behandlung der klassischen PTBS ohne Berücksichtigung komplexer Traumatisierungen und dissoziativer Begleitsymptome. Die Erforschung der komplexen PTBS und des dissoziativen Subtyps hat erst kürzlich mit der Einigung auf die neuen Forschungskriterien im DSM-5 und ICD-11 eingesetzt, sodass neue belastbare Erkenntnisse zu diesen Themen erst mittelfristig innerhalb der nächsten Jahre zu erwarten sind.
Erste evidenzbasierte Behandlungsverfahren zur kPTBS liegen trotz eines quantitativ unbefriedigenden Forschungsstandes bereits vor, jedoch wird hier nur ein geringer Anteil der praktisch bestehenden Herausforderungen in der Behandlung schwerster PTBS-Formen behandelt, sodass im Folgenden umfänglicher auf die notwendige Behandlungspraxis eingegangen werden soll.
Komorbiditäten der PTBS und kPTBS
Komorbiditäten mit anderen psychischen Erkrankungen (affektive Störungen, Substanzmissbrauch, somatoforme (Schmerz-)Störungen, (Borderline-Störung u. a.) Persönlichkeitsstörungen sowie dissoziative Störungen etc. sind eher die Regel als die Ausnahme [9].
Die Behandlung der PTBS
Die im Folgenden beschriebenen Therapieansätze orientieren sich an den aktuellen Behandlungsleitlinien für die PTBS (APA 2017, NICE 2018, ISTSS 2019, ISST-D 2011, AWMF S3-Leitlinie PTBS 2019) und der Bewertung von State-of-the-Art Publikationen bzw. Metaanalysen der vergangenen Jahre, Best-Practice-Empfehlungen und aktuellen neurobiologischen Erkenntnissen, um die Wirksamkeit der jeweiligen Therapieansätze in einen größeren Sinnzusammenhang zu bringen und den praktischen Nutzen zu erhöhen. Methodenkritische Forschungsergebnisse und juristische Rahmenbedingungen sind berücksichtigt.
Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Psychotraumatologie deuten auf den verstärkten Einsatz integrativer Psychotherapiekonzepte hin. Behandelt wird die „Trauma-Prägung“ sowie die Auswirkungen, nicht das zugrunde liegende Ereignis, d. h. der Betroffene in seinem Sozialgefüge und als Akteur in seinen unterschiedlichen sozialen Rollen.
Als Ausgangsbasis für den Erfolg der Therapie gilt es, zunächst günstige Rahmenbedingungen für die Therapie zu schaffen.
Die Voraussetzung für den Erfolg der Therapie einer PTBS ist eine tragfähige, Sicherheit gebende, konstruktiv erlebte Therapeuten-Patienten-Beziehung, die auf einer vertrauensvollen, empathisch mitfühlenden Haltung des Therapeuten basiert. Derartige Arbeitsbeziehungen weisen in empirischen Untersuchungen die höchste Effektstärke auf [11]. Traumapädagogische und psychosoziale Einflüsse gewinnen an Bedeutung [12]. Sinnvoll ist fürsorgliches Einwirken, Förderung der Selbstermächtigung und partizipatives Vorgehen. Transparentes Vorgehen schafft Vertrauen und Sicherheit.
Betroffene benötigen oft zusätzlich begleitende psychosoziale Unterstützung und ein entsprechendes professionelles Hilfenetzwerk. Das Konzept der Einbettung und Milieuarbeit schafft sowohl günstige Voraussetzungen für gelingende Traumatherapie als auch die Voraussetzung für die Sicherstellung des Therapieerfolges im Anschluss an die Behandlung. So kann ein schützender und haltgebender Rahmen entstehen.
Ziel aller Behandlungsansätze bei der PTBS ist die Reduktion der spezifischen Symptome und der Aufbau einer für den Patienten befriedigenden psychosozialen Funktionsweise im Alltag. Die therapeutische Grundlage basiert auf 3 Säulen:
Die aktuelle S3-Leitlinie PTBS kann als gute Orientierungshilfe für evidenzbasiertes Vorgehen herangezogen werden. Aufgrund der Komplexität zu berücksichtigender Störungsbilder empfiehlt sich eine Hierarchisierung der Behandlung, um Fallstricke zu vermeiden. Dabei werden auch unwillkürliche Prozesse als Handlungen im Rahmen der Therapie einbezogen – selbst, wenn diese dem Patienten zunächst nicht bewusst sind. Auf diese Weise entsteht bei den Betroffenen ein Bewusstsein und die Möglichkeit zur Verhaltensänderung beispielsweise auf Grundlage von Verhaltensanalysen und metakognitivem Vorgehen.
Basis für jede Form der Traumatherapie sind stabile und Sicherheit gebende Rahmenbedingungen.
Eine Abklärung therapiebeschränkender Sachverhalte [13] analog zur dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) kann hilfreich sein, um das Risiko von Therapiekomplikationen zu minimieren. Dysfunktionale lebensbedrohliche, selbst- und therapieschädigende u. ä. Verhaltensweisen sind zu beachten und vorrangig aufzugreifen. Es gilt, schwere psychosoziale Belastungen zu minimieren und die Lebensqualität als Basis für traumafokussierte Therapie zu verbessern.
Prinzipiell gilt: Erst wenn eine ausreichende Therapiesicherheit geschaffen werden konnte, sind die jeweils nächsten Schritte in der Traumatherapie sinnvoll und nachhaltig einsetzbar.
Es gilt, emotionale Schwingungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit, Verbindlichkeit in der Therapie-Wahrnehmung, Selbstregulationsmechanismen, Absprachefähigkeit sowie eine zeitliche und örtliche Differenzierungsfähigkeit zu fördern. Da insbesondere bei komplex traumatisierten Personen Identitäts-Unsicherheiten auftreten können, erscheint es sinnvoll, diese Bedingungen bei jedem therapeutischen Kontakt erneut abzuklären. Die wechselnden Anteile der eigenen Identität können als unterschiedliche Ego-States imponieren, welche situativ andersgeartete Verhaltensweisen aufweisen können, die eine dementsprechende Herangehensweise erforderlich machen.
Therapieschädigendes Verhalten kann jedoch auch aufseiten des Therapeuten auftreten, z. B. in Form von mangelnder Konzentration, Fehlinterpretationen, Empathieversagen oder dominantem (fremd)bestimmendem Auftreten.
Ein offener und transparenter Dialog mit dem Patienten verhindert ggf. therapieschädigendes Verhalten vonseiten des Therapeuten.
Die kontinuierliche Beobachtung und Besprechung von Therapiefortschritten und noch zu erreichenden Therapiezielen schafft einen Kontakt auf Augenhöhe zwischen Patient und Therapeut. Die erarbeiteten Informationen können zudem zur therapiestrategischen Ausrichtung im Informed-Consent entsprechend dem Patientenrechtegesetz genutzt werden. Dies steigert bei den Patienten die Bereitschaft zur Kooperation, sich für sensible Themen zu öffnen und schafft so die Grundlage für eine weitere günstige therapeutische Entwicklung. Danach kann eine Auftragsklärung, Zielklärung und zielorientierte Therapieausrichtung begonnen werden.
Bei Komorbiditäten zur PTBS ist ein Behandlungsplan zu erarbeiten, der sich an der primären Störung sowie dem Schweregrad der Symptomatik orientiert. Entsprechender Bedeutung kommt der Erfassung aller Komorbiditäten zu, insofern sie klinisch relevant sind. Suchterkrankungen, schwere depressive Episoden sowie schwere Zwänge und Essstörungen müssten gegebenenfalls vorrangig behandelt werden. Alkoholkonsum erhöht das Risiko von Therapieabbrüchen, schwere Persönlichkeitsstörungen und Dissoziationen limitieren ebenfalls den Behandlungserfolg.
Therapiehindernisse sind zu beachten und vor Beginn der traumatherapeutischen Interventionen zu bearbeiten. Dies gilt sowohl für Patienten als auch für die Behandler. Ziel ist ein transparentes Vorgehen auf Augenhöhe.
Die PTBS ist in erster Linie eine Stress-Störung. Stress, insbesondere traumatischer Stress, bedingt eine Reihe von somatischen Störungen und diversen Erkrankungen. Nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Gesundheit werden durch traumatisches Stresserleben erheblich gefährdet. Mitunter verkürzt sich die Lebenserwartung je nach Schwere der Störung sogar um mehrere Jahre. Auch metabolische, neuroendokrine und neuroimmunologische Erkrankungen sind als Folge von dauerhaftem Stress empirisch belegt, die entweder bei Vorliegen zu behandeln sind oder denen präventiv zu begegnen ist.
Häufig vermeiden PTBS-Patientinnen Arztbesuche aus Schamgefühl, weil sie sich nicht berühren lassen wollen oder aus Selbstvernachlässigung. Als Folge gefährden sie dadurch ihre Gesundheit. Die Förderung einer gesundheitsbewussteren Lebensweise ist Aufgabe des gesamten Helfersystems. Aufgrund komplexer physiologischer Interaktionen [14] ist eine gesunde, möglichst „mediterrane“ Ernährung zur Senkung der Entzündungsaktivität und Verbesserung der metabolischen Regulation zu befürworten. Zusätzlich steigert regelmäßige körperliche Bewegung Kondition, Kraft und Ausdauer und verbessert mit antidissoziativem Effekt den Bezug zum eigenen Körper. Qualitativ sowie quantitativ ausreichender Schlaf wirkt sich ebenfalls positiv auf die körperliche Verfassung des Patienten aus.
Der konsequente Einbezug körperlicher Parameter und Einflüsse stellt bei der PTBS die Basis für späteres effektives Lernen in der Traumatherapie dar.
Klassischerweise wird eine Traumatherapie in 3 Phasen unterteilt:
Die Notwendigkeit einer Stabilisierungsphase wird gerade bei gut strukturierten Persönlichkeiten und Typ-I-Traumata aktuell innerhalb der Forschung infrage gestellt. Die Entscheidung, ob eine solche Stabilisierung individuell notwendig ist, obliegt den erfahrenen Therapeuten, da es insbesondere bei Betroffenen mit komplexen Traumatisierungen und/oder Bindungsstörungen spezifischer Rahmenbedingungen bedarf, um Retraumatisierungen, Exazerbationen dissoziativer Störungen und damit substanziellen sozio-psycho-physischen Verschlechterungen entgegenzuwirken (nil nocere!). Hierzu kommentierte beispielsweise Reddemann [15]: „Jeder Kliniker, jede Klinikerin weiß oder sollte zumindest wissen, dass es Unterschiede zwischen einem stabilen und einem instabilen Patienten gibt.“ – „Darüber hinaus gilt in der Medizin die Regel, dass man nur solche Interventionen durchführen darf, deren Komplikationen man kennt und, falls erforderlich, behandeln kann.“
Kernelement der Behandlung ist ein traumafokussiertes Vorgehen unter gleichzeitiger Sicherstellung der dazu erforderlichen Distanzierungsfähigkeit des Patienten.
Dieser Einwand ist angesichts möglicher Beziehungs- und Therapieabbrüche bei Kommunikationsstörungen bzw. Verletzungen auf der Beziehungsebene durchaus berechtigt. Speziell Patienten mit Bindungsstörungen zeigen diesbezüglich eine erhöhte Vulnerabilität. Mögliche Grenzverletzungen in der Psychotherapie umfassen u. a. Rahmenverletzungen, sexuelle und soziale Grenzverletzung, Befangenheit, Empathie-Versagen, ökonomischer Missbrauch, Therapieabbrüche ohne nachvollziehbare Gründe, mangelnde Diagnostik, Aufklärung, Dokumentation und Verstöße gegen die Schweigepflicht. Im Zuge der Traumatherapie besteht für Patienten vorwiegend das Risiko, sekundäre Traumatisierungen zu erleben.
Das Problem des Victim blaming (Opferbeschuldigung) kennzeichnet die oft bei noch unerfahrenen Therapeuten anzutreffende Neigung, den Betroffenen die Schuld für das Geschehene zu geben. Dies führt in der Folge nicht selten zu einer Verstärkung der Schwere der Traumafolgestörung. Im Falle derartig erlebter Grenzverletzungen in der Psychotherapie stehen den Betroffenen die kostenlosen Beratungs- und Betreuungsangebote des jeweils zuständigen Ethikvereins als Hilfe zu Verfügung.
Kontroverse: Stabilisieren oder Konfrontieren?
Die Diskussion, ob sich entweder eine Stabilisierung oder Konfrontation günstiger auf den Heilverlauf auswirkt, wurde bereits vor der Differenzierung durch Horowitz (1976) geführt. Dies scheint jedoch weniger eine intellektuell zu diskutierende Frage zu sein, sondern eher eine Frage des aktuell gegebenen Funktionszustandes neuronaler Prozesse und somit der vorherrschenden Gehirnfunktion des Patienten, die es zu berücksichtigen und an die es sich anzupassen gilt. Es gibt hier klare und eindeutige Evidenz für eine traumafokussierte Vorgehensweise als Standardvorgehen. Der Begriff „traumafokussiert“ eröffnet die Abkehr von Begrifflichkeiten wie „Konfrontation“ und geht mit der Ableitung neuerer schonenderer Behandlungsmethoden oder Modifikation bestehender Verfahren einher. Dazu zählt beispielsweise auch die Kombination von Achtsamkeit und Liebender-Güte-Meditation [21], die sich ebenfalls als effektiv in der Behandlung der PTBS zeigte.
Entsprechend dem Patienten-Rechte-Gesetz von 2013 besteht eine Aufklärungspflicht hinsichtlich möglicher schädigender Folgen von Psychotherapie.
Wie bei allen medizinischen Verfahren existieren nicht nur Non-Responder, sondern lassen sich teilweise auch Verschlechterungen der Symptomatik beobachten, die durch die Therapie entstehen. Hier sind v. a. Dissoziationen, psychotische und somatische Dekompensationen, Verschlechterung der PTBS-Symptomatik, Suizidalität, selbstschädigendes Verhalten, Substanzmittelmissbrauch sowie Dekompensation oder Verlust der Alltagsfunktionen zu nennen. Über diese Nebenwirkungen der PTBS-Behandlung muss fachgerecht vom Behandler aufgeklärt werden. Bezüglich der komplexen PTBS liegen nur bedingt übertragbare Erkenntnisse vor. Bei Patienten mit PTBS und gleichzeitig desorganisierten Bindungsmustern und -traumatisierungen ist besondere Vorsicht geboten. In diesen Fällen reicht oft eine substanzielle Stabilisierung aus, um Betroffenen ein „gutes Leben“ zu ermöglichen [16].
Was versteht man unter Trauma-Netzwerken?
Nach Nijenhuis geht gemäß der Theorie der Strukturellen Dissoziation jede PTBS zwangsläufig mit einer Dissoziation einher [7]. Neben der annähernd normalen Persönlichkeit (ANP) existiert immer jeweils mindestens ein emotionaler Persönlichkeitsanteil (EP), der als traumaspezifische Reaktion z. B. infolge eines Auslösereizes bei Konfrontation mit einem spezifischen Trigger reaktiviert werden kann. Häufig treten unter diesen Bedingungen leidvolles Erleben, spezifische traumaassoziierte Gefühle, Gedanken, körperlich-sensorische Phänomene und spezifische Verhaltensveränderungen auf. Das neurobiologische Korrelat hierzu wird als Trauma-Netzwerk bezeichnet, worunter ein spezifisches Muster neuronaler Aktivierungen und Hemmungen verstanden wird. In der Summe ergeben Trauma-Netzwerke in der Regel ein komplexes Erlebnismuster analog der Hebbschen Regel: „Neurons that fire together wire together“. Die abgespeicherten Schemata entstehen üblicherweise mit dem Erleben des traumatischen Ereignisses. In der Folge kommt es zu komplexen Kompensationsstrategien wie Scham- und Schuldgefühlen als Folge sekundärer kognitiver dysfunktionaler Plausibilisierungsversuche.
Infolge des traumatischen Ereignisses entsteht ein traumaassoziiertes neuronales Netzwerk, welches bei Konfrontation mit entsprechenden Triggern reaktiviert wird.
Aktivierungen des neuronalen Netzwerks können den Charakter unterschiedlicher Persönlichkeitszüge der Betroffenen (EGO-States) mit mehr oder weniger realitätsbezogenen Komponenten aufweisen [7]. Nach traumatisierenden Ereignissen ist es für Angehörige oft „ein Schock“, die Persönlichkeitsveränderungen der Angehörigen zu erleben. Neben dem Anerkennen des subjektiven Erlebens dieser Sachverhalte und der damit verbundenen Wahrnehmungen (Validierung) wird den Betroffenen und Angehörigen vermittelt, dass es sich dabei um „eine normale Reaktion auf völlig außergewöhnliche Ereignisse handelt“ (Normalisierung und Entpathologisierung). Jede Begegnung mit den Betroffenen wird durch die Anerkennung und das Aufdecken der Entstehungsgeschichte (Aufklärung über Funktionalität etwaiger Reaktionen, z. B. bei Impulshandlungen) erleichtert. Ergänzt durch „Safety first“ wird die Notwendigkeit des Herstellens innerer und äußerer Sicherheit betont. Dabei wird die Fokussierung der therapeutischen Arbeit auf die Arbeit mit dem Erwachsenen- oder auch Steuerungs-Ich angestrebt.
Ziel der Stabilisierungsphase ist die Verminderung des subjektiv erlebten Stresses. Dazu gehört gerade zu Beginn der Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung. Nützlich sind eine fundierte Psychoedukation in einem sicher erlebten Bezugsrahmen sowie strukturierende, unterstützende Interventionen wie Imaginationsübungen („sicherer Ort“, „Tresor“, „innere Helfer/Heiler“).
Ein besonderer Fokus sollte auf die Aktivierung von Ressourcen gelegt werden (Lösungs- bzw. Ressourcen-Netzwerk-Aktivierung: „Was hat bisher geholfen zu überleben?“; „Wie haben Sie es geschafft, bis hierhin trotz Ihres Schicksals zu kommen?“). Erst, wenn ein ausreichendes Verständnis für die Lebensbedingungen geschaffen wurde, können bestehende Belastungen minimiert und psychosoziale Beeinträchtigungen für die Therapieplanung berücksichtigt werden. Das Erlernen von Fertigkeiten (sog. Skills) ermöglicht, starke Emotionen besser regulieren zu lernen. Antidissoziative Skills ermöglichen, Dissoziationen zu begrenzen, da andernfalls therapeutische Lernprozesse behindert oder unmöglich werden (state-dependent learning). Dies umfasst ggf. auch einen wohlüberlegten und strategisch geplanten Einsatz von Psychopharmaka, um die Patienten ausreichend für die Behandlung zu befähigen, ohne diese durch Fehl- oder Übermedikation zu behindern. Benzodiazepine sind nur begrenzt als absolute Notfall-Medikation anzuwenden.
Stresshaft erlebte Therapiebedingungen stehen einer wirksamen Traumatherapie entgegen. Es gilt, diese Erkenntnis durch entsprechende Gestaltung der Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Die bereits genannte Stabilisierungsphase dient dem Aufbau von Bindungssicherheit und Schutz der Betroffenen für die emotions- bzw. traumafokussierte Vorgehensweise im weiteren Therapieverlauf. Grundlage dafür ist die Polyvagal-Theorie von Porges, der die neurobiologischen Grundlagen des inneren Sicherheitssystems beleuchtet [22]. Demnach wird den Patienten aufgezeigt, ob sie sich im jeweiligen Therapiemoment im „therapeutischen Fenster“, d. h. sicher, ruhig und mit klarem Verstand (ventraler myeliniserter Vagus aktiv, parasympathisch) befinden oder nicht. Mit zunehmender äußerer oder innerer Stressbelastung drohen ansonsten eine dysfunktionale Sympathikusaktivierung mit dem Notfallprogramm Flucht oder Kampf oder gar der „Shut-down“ (Aktivierung des dorsalen unmyelinisierten Vagusastes) mit Erstarrung und Dissoziation als „Totstellreflex“.
In einem geeigneten Behandlungsrahmen erfolgt die motivationale Klärung und das Einholen eines Behandlungsauftrages (Commitment). Die traumafokussierte Vorgehensweise als Kernelement einer professionellen Traumatherapie setzt an der zugrundeliegenden gestörten Verarbeitung und Gedächtnisspeicherung der traumatischen Erfahrung im Falle der PTBS an. Ursprünglich war der Betroffene durch die sinnlich-sensorischen Eindrücke und die besonderen Bedingungen der traumatisierenden Situation mit dem erlebten Überlebenskampf so überfordert, dass eine kohärente Speicherung der Erfahrungen im expliziten Gedächtnis unterblieb. Die Unfähigkeit, sich an wichtige Aspekte des traumatischen Ereignisses zu erinnern (D1-Kriterium in der ICD-11), lässt sich an der geringen Kohärenz und fragmentierten Schilderungen in den Narrativen der PTBS-Patienten erkennen [17].
Neurobiologische Erkenntnisse als Ansatzpunkte für die Behandlung
Generell wird zwischen der traumatisierenden Situation und der dadurch entstandenen „Traumaprägung“ unterschieden. So lässt sich auch ein unkonventionelles Vorgehen auf der Symbolebene plausibilisieren, wenn beispielsweise das Narrativ in der Imaginationsarbeit gestoppt wird und das Erwachsenen-Ich zu Hilfe kommt, was in der traumatischen Situation nicht der Fall war. Die Berücksichtigung der empirisch belegten Wirkprinzipien der Psychotherapie nach Grawe sind auch in der heutigen Psychotherapie weiter essentiell [23]. Grawe konnte u. a. nachweisen, dass neben einer Problemaktualisierung gleichzeitig eine Ressourcenaktivierung erforderlich ist, um die größten Therapieeffekte zu erzielen.
Der Schwerpunkt des traumafokussierten Vorgehens liegt auf der Aktualisierung des „Trauma-Ego-State“ bei gleichzeitig anzustrebender Aktivierung des korrespondierenden „Ressourcen-“ bzw. „Lösungs-Ego-State“.
In der Netzwerk-Theorie ist das Zusammenspiel zwischen dem Mentalisierungs-System, dem Defensivsystem, dem Bindungssystem und dem motivationalen System von Bedeutung [15]. Dies ist für die Therapie insofern wichtig, als dass dazu eine individuell zugeschnittene Psychotraumatherapie (personalisierte integrierte Psychotherapie) notwendig ist, um Fluktuationen zwischen oder in den einzelnen Systemen zu erkennen und darauf zu reagieren. Beispielsweise erfordern dissoziative Zustände der Betroffenen während der Traumabearbeitung eine sofortige adäquate Veränderung des therapeutischen Vorgehens, wie z. B. der sinnesspezifischen Externalisierung der Aufmerksamkeit.
Das Erkennen dissoziativer Zustände bei den Patienten dient als Voraussetzung für die Einleitung einer Gegenreaktion, z. B. den Einsatz hilfreicher Techniken, die vorher mit dem Patienten abgestimmt wurden. Es ist sinnlos, mit jemandem zu arbeiten, der sich „nicht im Hier und Jetzt befindet“.
Die entwickelten Verfahren für die Traumabearbeitung setzen an den Prozessen des Mentalisierungs-Systems an, bestehend aus
-
Exekutiv-Netzwerk,
-
Default-Mode-Network und
-
Salienznetzwerk.
Das Exekutivnetzwerk (EN) (vorwiegend dorsolateraler präfrontaler Kortex und parietale Assoziationsfelder) repräsentiert das planende und Entscheidungen treffende Erleben und ermöglicht kognitiv die Top-down-Kontrolle für aufkommende Gedanken, Intrusionen sowie Vorstellungen mit entsprechender emotionaler Reaktion. Es beinhaltet die Fähigkeit zur bewussten Aufmerksamkeitslenkung, Problemlösung und steuert zielorientiertes Vorgehen.
Das Salienznetzwerk (SN) verarbeitet Afferenzen aus dem ganzen Körper in anterioren Anteilen des cingulären Cortex, dem Thalamus, der Amygdala, den Basal-Ganglien und der Inselrinde. Es dient der Verarbeitung relevanter körperbasierter (kinästhetischer) Informationen und auftauchender Emotionen und trägt zu einer verbesserten Entscheidungsfindung und Umsetzung in konkrete Handlungen bei (Bauchentscheidungen). Zudem erlaubt es, ein Gefühl von Lebendigkeit fühl- bzw. spürbarer werden zu lassen. Als Bestandteil des Gehirns mit dem Augenmerk auf sozialen Aspekten liefert es die Voraussetzungen für das unkomplizierte Zusammenleben in sozialen Gemeinschaften. Verknüpfungen mit dem Belohnungssystem haben vor allem motivationale Bedeutung. Das SN erlaubt auch Entscheidungsfindungen in ambivalenten und unvorhersehbaren Situationen.
Das Default-Mode-Network (DMN) (dorso- und ventromedialer Kortex, subgenialer anteriorer und posteriorer cingulärer Kortex, Hippokampus sowie tieferliegender temporaler Kortex) wird in Ruhesituationen aktiv. Etwa 30 % des Tages verbringen Menschen durchschnittlich mit Tagträumen, grübelnden Gedanken und dem Abschalten vom Alltag. Menschen reflektieren in solchen Momenten gemachte Erfahrungen und befassen sich mit Szenarien für die Zukunft.
Das momentane Erleben wird durch Aufmerksamkeitsfokussierung im Hier und Jetzt bestimmt und im Mentalisierungssystem repräsentiert und kann durch gezielte Interventionen im Sinne des Patienten modifiziert werden.
Die beschriebenen 3 Netzwerke sind bei Menschen mit traumatisierenden Erfahrungen funktionell teils erheblich gestört. Während sie im Normalzustand je nach Erfordernissen flexibel miteinander interagieren, treten infolge des Traumas diverse Veränderungen der Funktionsfähigkeit auf. Intrusionen und Flashbacks, also traumaassoziierte Erinnerungsfragmente, stellen neuronale Prozesse im DMN dar. Sie gehen mit der Aktivierung assoziierter Gefühlswahrnehmungen und -empfindungen im SN einher (Bottom-up). Die Top-down-Kontrolle ist funktionell gehemmt und wird durch die Chronifizierung der Stressantwort sowie damit einhergehenden strukturellen Veränderungen wie Dendritenverlust und Kappung von axonalen Verbindungen zum EN massiv gestört [18]. Der Hippokampus wird zusätzlich geschädigt und höhere Hirnfunktionen zugunsten von rudimentäreren Überlebensstrategien blockiert. Auch wenn diese Vorgänge mit zunehmender Chronifizierung der Störung zunehmen, sind sie per se nicht irreversibel. Erkenntnisse der Resilienzforschung, der Salutogenese und des Recovery-Ansatzes beleuchten, wie diese Prozesse mittels therapeutischer Interventionen aufgehalten und in effektiver Weise modifiziert werden können.
Therapeutisch abzuleitende Strategien
Zur Stärkung des EN ist eine gegenwartsbezogene, handlungsorientierte und zielfokussierte Therapie empfehlenswert, die Selbstwirksamkeit steigert und eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive beim Patienten erzeugt. Zudem und zur Unterstützung der SN-Funktion ist die emotionale Relevanz, d. h. das Gefühl, dass die Behandlungsschritte für den Patienten in die richtige Richtung weisen und als bedeutungsvoll erlebt werden, therapeutisch zu fördern. Vorherrschende negative Narrative können durch positive ersetzt werden, die im DMN abgespeichert werden und in entsprechenden Ruhephasen dem Patienten bewusst werden können. Letzteres markiert die Bedeutung des lösungsorientierten Ansatzes z. B. durch hypnotherapeutisches Vorgehen und Achtsamkeitspraxis („Ich bin nicht das Gefühl, sondern ich habe ein Gefühl.“).
Bei Betroffenen fehlt eine ausreichende Top-down-Kontrolle über eine funktionierende Exekutiv-Netzwerk-Anbindung. Exzessives Rationalisieren verhindert allerdings den Zugang zu Bottom-up-Prozessen wie dem Spüren und Fühlen.
Im Wesentlichen wurde durch die Psychotherapieforschung die Wirksamkeit unterschiedlicher Methoden in der Behandlung der PTBS als gleichrangig bewertet, wobei der sicheren und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung der größte prädiktive Wert zugemessen wurde. Das individualisierte und flexibilisierte Therapie erfordert einen integrativen multimodalen Ansatz [12]. Evidenzbasierte Methoden setzen mit jeweils unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen an den für die Traumaverarbeitung relevanten neuronalen Netzwerken an. Auch die unterschiedlichen neuronalen Repräsentationen in beiden Gehirnhälften lassen sich modifizieren, bspw. bei rechtshemisphärischer präfrontaler Überaktivität (Schwarz-Weiß-Denken, Übergeneralisieren, Katastrophisieren, Alles-oder-Nichts-Denken und voreiligen Schlussfolgerungen). Neben der erforderlichen Stärkung der Top-down-Kontrolle (kognitiv) oder Verbesserung von Bottom-up-Feedback-Schleifen (emotional) ist eine Aktivierung linkshemisphärisch lokalisierter präfrontaler Netzwerke anzustreben (Erleben von Entscheidungsfreiheit, kognitiver Flexibilität und Selbstregulationsfähigkeit) [15], was besonders mittels EMDR, alternierender bifokaler Stimulation (ABS) oder mithilfe körpertherapeutischer Verfahren erzielt werden kann.
Wesentliche Kernelemente und Wirkprinzipien der modernen Traumatherapie
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Sicherstellung einer vertrauensvollen und belastbaren therapeutischen Beziehung.
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Habituation traumaspezifischer emotional-kinästhetischer Sensationen
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Erinnerungs-Rekonsolidierung durch Integration erarbeiteter Teilerinnerungen der traumatischen Erfahrung mit Entwicklung konsistenter Narrative
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Kognitive Therapie bei Scham- und Schuld-Themen
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Diskriminationslernen
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Change-State, Veränderung des Bezugsrahmens und Modifikation automatisierter Vorstellungs- bzw. Repräsentationsmuster im gegenwärtigen Erleben, Transformation
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Konsolidierung funktioneller neurobiologischer Funktionssysteme, u. a. durch Training von Techniken der Emotionsregulation, Problemlösefertigkeiten und funktioneller Beziehungsgestaltung
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Stärkung der Resilienz
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Inklusion
Wichtig ist, ein schlüssiges Narrativ zu erarbeiten, welches eine Erklärung für und das Wissen um die erlebte Hilflosigkeit beinhaltet. Verknüpft mit einer konstruktiven Bedeutungszuschreibung ermöglicht dies traumatisches Wachstum (traumatic-growth).
Bei Frau B. ergaben sich nach strukturierter multimodaler Diagnostik die Diagnosen einer PTBS (F43.1), einer mittelschweren depressiven Episode (F32.1) sowie einer Agoraphobie (F40.0). Insbesondere die Angstsymptomatik und die damit verbundenen Einschränkungen in der Mobilität und ihrem Aktionsradius erzeugten einen massiven Leidensdruck bei der Patientin. Nach ausführlicher Psychoedukation zur PTBS und Angststörung wurde mit einer Expositionstherapie in vivo zur Bearbeitung der agoraphoben Ängste begonnen. Hier wurde ein leicht modifiziertes Vorgehen unter Verwendung von Diskriminationstechniken sowie antidissoziativen Techniken gewählt. Im Hinblick auf die traumatisierenden Erlebnisse entschied sich die Patientin für eine Expositiontherapie in sensu unter Verwendung eines schriftlichen Narrativs, welches im Rahmen der Übungen vorgelesen und auch als Hausaufgabe genutzt wurde.
Im Verlaufe der Behandlung reduzierte sich dadurch die Häufigkeit und Intensität des intrusiven Wiedererlebens sowie die generelle Ängstlichkeit. Frau B. war zunehmend besser in der Lage, Wege alleine zu gehen und am Ende der Behandlung sogar eine Zugfahrt ohne Begleitung zu unternehmen. Insgesamt reduzierte sich in der Folge auch die depressive Symptomatik, und Frau B. erklärte, nun einen aktiveren Weg im Umgang mit ihren Belastungen gefunden zu haben.
Aktuelle leitlinienbasierte Therapiemethoden und differenzialtherapeutische Behandlungsstrategien
Generell gilt traumafokussierte Psychotherapie als Goldstandard in der Behandlung der PTBS. Die beschriebenen Behandlungsmethoden sollten auf der Grundlage validierter Manuale durchgeführt werden.
Übersicht aktueller Leitlinien-Empfehlungen zur traumafokussierten Psychotherapie
Methoden der 1. Wahl
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Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (KBT-PTBS, CBT-T, CPT)
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Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)
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Narrative Expositionstherapie (NET)
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Prolongierte Exposition (PE)
Methoden der erweiterten Wahl
Wenn keine traumafokussierte Therapie verfügbar ist oder bei Präferenz der Patienten
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Potenziell gefährdende Symptome und Verhaltensweisen, die zu schwerwiegenden Störungen der Verhaltenskontrolle führen, stellen relative Kontraindikationen für ein traumafokussiertes Vorgehen dar.
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Aerobes körperliches Belastungstraining
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Psychosoziale Rehabilitation
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Komorbiditäten sind jeweils adäquat zu behandeln.
Nach durchgeführter Traumaexposition soll die Traumatherapie, wenn indiziert, zum Zwecke der Unterstützung der Trauer und Neubewertung, sozialer Neuorientierung sowie zum Schutz vor Reviktimisierung und zur Selbstwertstabilsierung als Erhaltungstherapie fortgeführt werden.
Spezifische Traumatherapie für Kinder und Jugendliche
Methoden der 1. Wahl
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Altersadaptierte individualisierte traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT) nach Cohen, Mannarino und Deblinger
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Modifizierte Behandlung mit EMDR für Kinder und Jugendliche
Methoden der erweiterten Wahl
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Narrative Expositionstherapie für Kinder (KIDNET), Child-Parent-Psychotherapie
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Gruppen-Psychoedukation, psychodynamische Verfahren, non-direktive Beratung und Hypnotherapie
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Psychopharmakotherapie wird nicht empfohlen
Psychotherapie der komplexen PTBS
Der Schwerpunkt der Behandlung sollte auf der traumafokussierten Psychotherapie liegen, wobei neben dem Standardvorgehen der PTBS-Behandlung Techniken der Emotionsregulation und zur Verbesserung von Beziehungsstörungen im Sinne der Bearbeitung dysfunktionaler zwischenmenschlicher Muster vermittelt werden sollten. Vorbehaltlich weiterer klinischer Untersuchungen gelten folgende Empfehlungen:
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Dialektisch-Behaviorale Therapie PTBS (DBT-PTBS)
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Skills-Training in Affective and Interpersonal Regulation/Narrative Therapy (STAIR/NT)
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Kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze (CBT-T, CPT)
Aktuelle Leitlinien-Empfehlung zur Psychopharmakotherapie der PTBS
Psychopharmakotherapie soll nicht als alleinige Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung eingesetzt werden. Ergänzende Psychopharmakotherapie kann zur Unterstützung der Symptomkontrolle indiziert sein, ersetzt jedoch keine traumaspezifische Psychotherapie.
Erläuterungen zur neurobiologischen Wirkweise
Traumafokussierte Psychotherapie, die auf eine Habituation nach Aktivierung des Traumanetzwerkes abzielt
Funktionelle Adaptation (Habituation) durch wiederholte Konfrontation mit der Trauma-Erinnerung bei Ausbleiben befürchteter Konsequenzen und in einem sicher erlebten therapeutischen Rahmen: Stärkung der Top-down-Regulation der Amygdala-Aktivität durch Adaptation und Neubewertung (EN: „Es passiert mir nichts“), z. B. Prolongierte Exposition (PE) nach Foa 2007, die Narrative Expositionstherapie (NET) nach Schauer 2005, die Schreibtherapie (Written-Exposure-Therapy) oder die Imagination Reprocessing and Rescripting Therapy (IRRT) nach Schmucker 1997.
Traumafokussierte Psychotherapie, die Veränderungen dysfunktionaler Interpretationen des Traumas und seiner Konsequenzen sowie Veränderungen dysfunktionaler Überzeugungen anstrebt
Hypothese: Traumatische Erfahrungen wurden unvollständig verarbeitet. Fehlverarbeitungen und -interpretationen sind modifizier- bzw. korrigierbar. Dysfunktionale Bedeutungszuschreibungen werden modifiziert: Stärkung der kognitiven Kontrolle (Stärkung der EN-Netzwerkfunktion), Emotionsregulation, alternative Bedeutungszuschreibung bzw. Veränderung des Bezugsrahmens, z. B. Cognitive Processing Therapy (CPT) nach Resick und Schnicke 1993, Traumafokussierte Kognitiv-Behaviorale Therapie (CBT-T) nach Ehlers 2005. Der Einsatz von Diskriminationsübungen/-training hilft, sensorische Trauma-Reaktivierungen mit „Hier und Jetzt“-Charakter zeitlich und situativ dort zu verorten, wo sie geprägt worden sind. Dieses Vorgehen unterstützt dabei durch kontinuierliches Üben die zunehmende automatisch ablaufende Differenzierung zwischen Interpretationen wie „Ich bin jetzt in Gefahr“ und „Es war und ist vorbei, ich befinde mich jetzt in Sicherheit“. Eine Sonderform ist das Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) nach Shapiro, ein Therapieansatz mit evokativer „Erinnerungsmobilisation“ traumabezogenen Sinneserlebens unterstützt durch alternierende bilaterale stimulative Hirnaktivierung (ABS) in Kombination mit kognitiver Umstrukturierung und Neubewertung.
Spezifische Modulation des Mentalisierungs-Systems zur Förderung von Bottom-up-Prozessen
Jeweilige Verfahren setzen an sensorischen Erinnerungen an und fördern die Integration derartig ausgelöster Prägungen: Hypnotherapie (Modulation speziell des SN und DMN), Psychodynamische Imaginative Traumatherapie (PITT) nach Reddemann, auch IRRT und Kunsttherapie. Körpertherapie (Modulation des SN): z. B. Traumasensitives Yoga, Tanz- und Bewegungstherapie, Körpertherapie in der Behandlung sexueller Funktionsstörungen nach Missbrauchserfahrungen, Tanztherapie, Ohrakupunktur nach dem NADA-Protokoll, Somatic Experiencing nach Levine.
Psychotherapie, die mittels Auflösung von Vermeidung und Emotionsfokussierung und integrativer Zielsetzung Modifikationen der jeweiligen dominierenden Ich-Repräsentanz (Ego-State) anstrebt
Behandlung dissoziativer Störungen, Behandlung der komorbiden Dissoziativen Identitätsstörung (DIS): z. B. Hypnotherapie, Psychodynamische Therapie, Systemische Therapie, Ego-State-Therapie, IRRT.
Die Anpassung der Therapie erfolgt ausschließlich anhand der individuellen Bedürfnisse des Patienten.