Phlebologie 2019; 48(03): 197-198
DOI: 10.1055/a-0889-4590
Leserbrief
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief zum Artikel Lipödem – Mythen und Fakten Teil 4 (Liposuktion)

von T. Bertsch, G. Erbacher und N. Torio-Padron. Phlebologie 2019; 48: 47–56
Axel Baumgartner
,
Yvonne Frambach
,
Ilka Meier-Vollrath
,
Wilfried Schmeller
Further Information

Korrespondenzadresse

Wilfried Schmeller
Hanse-Klinik, Lübeck

Publication History

Publication Date:
27 May 2019 (online)

 

Wir sind den Autoren dankbar, dass sie auf die Schwierigkeiten bei der Bewertung der Liposuktion beim Lipödem hinweisen. Ebenso stehen wir hinter der Einschätzung: „Trotz unklarer Studienlage hat die Liposuktion u. E. dennoch einen Stellenwert bei der Behandlung des Lipödems“. Und wir freuen uns über die Aussage: „Auch wir sehen Patienten, die nach einer Liposuktion eine deutliche Beschwerdebesserung erfahren haben.“ Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob damit die Földiklinik nun auch zu den „Liposuktionsprotagonisten“ zählt.


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Die abschließend aufgeführten Kriterien für den Einsatz der Liposuktion halten wir für korrekt. Dabei ist uns ebenfalls wichtig, dass – wie auch ganz klar in den Leitlinien aufgeführt – die Liposuktion keine Methode zur Behandlung der Adipositas ist.

Zu einigen Punkten möchten wir kurz Stellung nehmen. Als sehr unglücklich formuliert empfinden wir die Anmerkung: „Auch Baumgartner glaubt an die langfristig wirksame Befund- und Beschwerdebesserung nach Liposuktion bei Lipödem“. Dies könnte so verstanden werden, dass es sich hierbei um eine individuelle und nicht belegte Meinung – evtl. sogar um ein Wunschdenken – handelt. Dabei wird offensichtlich übersehen, dass dieser „Glaube“ das Ergebnis zweier teils retrospektiver, teils prospektiver Studien ist, welche u. a. 2012 und 2016 [1], [2] im hoch gerateten British Journal of Dermatology (derzeitiger Impact Faktor 6,129) publiziert wurden. Darauf sei insbesondere vor dem Hintergrund des geforderten „Fremdratings“ hingewiesen.

Warum bei der Verbesserung postoperativ der Begriff „langfristig“ abgelehnt wird, ist nicht nachvollziehbar. Wie soll das Ergebnis denn anders als „langfristig“ bezeichnet werden, wenn ein Drittel der Betroffenen – welche vorher sowohl Manuelle Lymphdrainagen als auch Kompressionsstrümpfe benötigten – diese selbst nach 8 Jahren nicht mehr brauchten? Und weitere 60 Prozent benötigten deutlich weniger KPE als vorher.

Dass die Liposuktion angeblich „nur“ bei etwa einem Drittel der Betroffenen zu einer vollständigen Beschwerdefreiheit führt, ist eine Wertung, die ebenfalls nicht nachvollziehbar ist. Welche andere Therapiemethode hat auch nur annähernd so gute Erfolge? Man vergesse nicht: Diese Patientinnen, von denen eine große Zahl bereits eine oder mehrere stationäre Behandlungen in Lymphkliniken hinter sich hatten, wiesen trotz intensiver vorheriger konservativer Therapie immer noch Schmerzen und andere Lipödem-typische Beschwerden auf! Derartige Erfolgsraten werden von unseren Patientinnen als „hervorragend“ gewertet.

Es versteht sich dabei von selbst, dass es sich bei unseren Untersuchungen bzw. Behandlungen um „klinische Studien“ handelt, die zwangsläufig nicht als Doppelblind-Studie konzipiert werden können. Da aber fast alle Betroffenen präoperativ bereits eine – nicht ausreichend erfolgreiche – konservative Therapie hinter sich hatten, ist zumindest weitgehend eine zu Recht immer wieder geforderte (interne) „Vergleichsgruppe“ vorhanden.

Leider ist es aber auch wahr, dass es im Bereich der Liposuktion nicht nur seriöse Vertreter unseres Fachgebietes gibt; so entsteht in der Tat manchmal der Eindruck, dass „marketing-fördernde“ statt wissenschaftlicher Aspekte im Vordergrund der Darstellung der eigenen Ergebnisse stehen. Dankenswerterweise wurde aber auch darauf hingewiesen, dass wiederholt öffentlich versucht wurde, hier die „Spreu vom Weizen zu trennen“.

Die Frage, ob die postoperativ aufgetretenen Verbesserungen wirklich Folge der Liposuktion und nicht Folge der „enormen Wirkung der Erwartungen der Patientinnen“ sind, lässt sich bei jeder konservativen und operativen Maßnahme stellen. Ein Placeboeffekt tritt allerdings prinzipiell nie bei 100 % der Betroffenen ein. Außerdem spricht man von einem Placeboeffekt, wenn keine nachweisbar wirksame Therapiemaßnahme durchgeführt wurde und trotzdem eine Wirkung festgestellt wurde. In unserem Fall wurde jedoch durch die Entfernung einer individuell angepassten Fettgewebsmenge eine regelhaft nachweisbare Veränderung bewirkt. Man kann also diskutieren, ob hier der Begriff „Placebo“ wirklich angezeigt ist. Wenn bei allen Patientinnen – auch bei unterschiedlichen Operateuren – dieser Effekt postoperativ regelhaft auftritt, dann sollte von einer kausalen Beziehung ausgegangen werden.

In diesem Zusammenhang erscheint uns wichtig darauf hinzuweisen, dass gerade Patientinnen, die für ihre operativen Maßnahmen „das über Jahre mühsam angesparte Geld“ bezahlt haben, die Ergebnisse dieser Eingriffe besonders kritisch sehen und eine evtl. vorhandene Unzufriedenheit im Gespräch bzw. im Fragebogen sehr deutlich ausdrücken. Dass die Operierten also nicht den Operateuren nach dem Mund reden („enorme Wirkung von Erwartungen“), darauf weist „unsere seit Jahren bestehende klinische Erfahrung“ hin.

Die Begriffe Lipödem und Adipositas sollten sauber getrennt werden. Es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Entitäten, die zwar oft gemeinsam auftreten, allerdings nicht vermischt werden sollten. Diesbezüglich wurde auf eigene Erfahrungen in unserem letzten Leserbrief hingewiesen. Die Aussage, „dass bei Lipödempatientinnen spätestens ab einem BMI von 32 kg/m2 auch eine abdominelle Adipositas vorliegt“, ist in dieser apodiktischen Form nicht korrekt. Das hier aufgeführte Bildbeispiel der [ Abb. 1 ] zeigt beispielhaft eine Patientin mit einem BMI von 37,3 kg/m2, bei der der abdominelle Aspekt im Hintergrund und die Beinproblematik (Morphologie und Beschwerden) ganz im Vordergrund steht; trotz des hohen BMI ist die Betroffene für eine Liposuktion gut geeignet. [ Abb. 2 ] zeigt den Befund einer anderen Lipödempatientin mit einem Abfall des BMI von 41 kg/m2 präoperativ auf 34 kg/m2 postoperativ.

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Abb. 1 Lipödem und Adipositas. 44 Jahre, 167 cm KG, 104 kg, BMI: 37,3 kg/m2. Taille-Hüft-Quotient (waist to hip ratio = WHR): 0,65. Bauch-Größe-Quotient (waist to height ratio = WHtR): 0,56.
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Abb. 2 a Lipödem und Adipositas. Patientin mit 24 Jahren, 160 cm KG, 106 kg, BMI 41 kg/m2. Befund 2014 präoperativ. WHR: 0,77, WHtR: 0,62. b Dieselbe Patientin mit 29 Jahren (2019) nach Entfernung von insgesamt 16 200 ml Fettgewebe an Hüften und Oberschenkeln in vier Sitzungen. Jetzt 88,5 kg, BMI 34 kg/m2. WHR: 0,86, WHtR: 0,6. Formverbesserung und Verschwinden der Lipödem-typischen Beinproblematik.

Diese Beispiele demonstrieren eindrücklich, dass die aufgeführten Zahlen in den Leitlinien keine strikten Vorgaben sind, an denen man „blind kleben“ muss, sondern nur Richtwerte, die der Operateur für jeden Fall individuell und ganzheitlich zu beachten und – natürlich – mit der Patientin zu diskutieren hat („kritische Indikationsstellung“). Also: Nicht jede Lipödempatientin mit einem BMI über 32 kg/m2 ist deswegen automatisch von einer Liposuktion ausgeschlossen – und nicht jede Patientin mit einem BMI über 40 kg/m2 benötigt eine bariatrische Operation!

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Liposuktion – trotz einiger Schwächen bei der Studienlage – zweifellos die derzeit bei weitem effektivste Therapie mit den dauerhaftesten Ergebnissen darstellt, die uns für das unter konservativer Therapie nicht (mehr) besserbare Lipödem zur Verfügung steht.

Publikationshinweis

Leserbriefe stellen nicht unbedingt die Meinung von Herausgebern oder Verlag dar. Herausgeber und Verlag behalten sich vor, Leserbriefe nicht, gekürzt oder in Auszügen zu veröffentlichen.


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Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Schmeller W, Hueppe M, Meier-Vollrath I. Tumescent liposuction in lipoedema yields good long-term results. Br J Dermatol 2012; 166: 161-8
  • 2 Baumgartner A, Hueppe M, Schmeller W. Long-term benefit of liposuction in patients with lipoedema: a follow-up study after an average of 4 and 8 years. Br J Dermatol 2016; 174: 1061-7

Korrespondenzadresse

Wilfried Schmeller
Hanse-Klinik, Lübeck

  • Literatur

  • 1 Schmeller W, Hueppe M, Meier-Vollrath I. Tumescent liposuction in lipoedema yields good long-term results. Br J Dermatol 2012; 166: 161-8
  • 2 Baumgartner A, Hueppe M, Schmeller W. Long-term benefit of liposuction in patients with lipoedema: a follow-up study after an average of 4 and 8 years. Br J Dermatol 2016; 174: 1061-7

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Abb. 1 Lipödem und Adipositas. 44 Jahre, 167 cm KG, 104 kg, BMI: 37,3 kg/m2. Taille-Hüft-Quotient (waist to hip ratio = WHR): 0,65. Bauch-Größe-Quotient (waist to height ratio = WHtR): 0,56.
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Abb. 2 a Lipödem und Adipositas. Patientin mit 24 Jahren, 160 cm KG, 106 kg, BMI 41 kg/m2. Befund 2014 präoperativ. WHR: 0,77, WHtR: 0,62. b Dieselbe Patientin mit 29 Jahren (2019) nach Entfernung von insgesamt 16 200 ml Fettgewebe an Hüften und Oberschenkeln in vier Sitzungen. Jetzt 88,5 kg, BMI 34 kg/m2. WHR: 0,86, WHtR: 0,6. Formverbesserung und Verschwinden der Lipödem-typischen Beinproblematik.