Abkürzungen
ACE:
Angiotensin-converting Enzyme
AM:
Arzneimittel
AMI:
Arzneimittelinteraktionen
ASS:
Azetylsalizylsäure
COX-1:
Cyclooxygenase-1
CYP:
Cytochrom-P450-System
LQT:
Long QT
NOAK:
nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien
NSAR:
nichtsteroidale Antirheumatika
OATP:
Organic Anion Transporting Protein
PDE:
Phosphodiesterase
P-gp:
P-Glykoprotein
PPI:
Protonenpumpeninhibitoren
SERT:
Serotonintransporter
SSRI:
selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren
TdP:
Torsade-de-Pointes-Tachykardie
Einleitung
Es wird angenommen, dass 1 – 5% aller Krankenhauseinweisungen auf Arzneimittelinteraktionen
(AMI) zurückzuführen sind oder zumindest mit diesen in Zusammenhang stehen [1]. Hochgerechnet auf die Anzahl an jährlichen Krankenhauseinweisungen (20 Mio. Patienten)
sind in Deutschland daher 200 000 bis 1 Mio. Patienten pro Jahr betroffen. In unserer
alternden Gesellschaft werden immer mehr Arzneimittel (AM) in Kombination eingenommen
(Polypharmazie). Vor diesem Hintergrund fällt es in der täglichen Praxis zunehmend
schwer, alle möglichen AMI zu kennen und zu vermeiden [2].
Für den vorliegenden Beitrag haben wir daher besonders häufige und schwerwiegende
AMI systematisch zusammengefasst [1]. Wir haben AMI ergänzt, die uns aus eigener Erfahrung besonders erwähnenswert scheinen
oder die bestimmte Interaktionsprinzipien einprägsam darstellen.
Pharmakodynamische Interaktionen
Synergistische pharmakodynamische Interaktionen
Bei Kombination von Pharmaka mit gleichem Wirkmechanismus kann es zur synergistischen
Wirkverstärkung, aber auch zur wechselseitigen Hemmung der AM-Wirkung kommen. Pharmakodynamische
AMI können die Auftretenswahrscheinlichkeit sonst kaum beobachteter unerwünschter
Arzneimittelwirkungen derart erhöhen, dass diese klinische Relevanz erhalten. Pharmakodynamische
AMI sind ferner nicht mit Veränderungen der Wirkstoffkonzentration verbunden. Auch
sind meist alle Vertreter einer Substanzklasse betroffen (Klassenphänomene), da die
Interaktion auf den Wirkmechanismus der Substanz zurückzuführen ist ([Tab. 1]) [2].
Tab. 1 Systematik und Beispiele pharmakodynamischer Interaktionen (Wirkungsänderung ohne
Veränderung der Konzentration, Klassenphänomen).
synergistisch
|
antagonistisch
|
PDE: Phosphodiesterase, SSRI: selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren
|
|
|
NO-Donatoren vs. Phosphodiesterasehemmer
Ein sehr prominentes Beispiel für eine synergistische pharmakodynamische Interaktion
ist die additive vasodilatatorische Wirkung von
Beide Medikamentengruppen greifen in den Metabolismus des zyklischen Guanosinmonophosphats
(cGMP), eines wichtigen Mediators der Relaxation glatter Gefäßmuskeln, ein.
Cave
Bei gleichzeitiger Gabe von NO-Donatoren und PDE-5-Hemmern wird die gefäßdilatierende
Wirkung beider Wirkstoffgruppen potenziert und es kann zu lebensbedrohlichen Blutdruckabfällen
kommen.
So führte in einer Studie die Gabe von Tadalafil (4 mg) bei 26% der mit Nitroglycerin
(0,4 mg) behandelten Patienten zu signifikanten Blutdruckabfällen, d. h. systolischer
Blutdruck < 85 mmHg. Hingegen kommt es bei Kombination von PDE-5-Inhibitoren mit anderen
antihypertensiv wirkenden Pharmaka lediglich zu einer moderaten additiven Blutdrucksenkung
von ca. 4 mmHg systolisch und 2 mmHg diastolisch. Dazu gehören Kalziumantagonisten,
Betarezeptorblocker, ACE-Hemmer und Diuretika [3]. Vorsicht ist ebenfalls geboten bei Kombination von PDE-5-Hemmern mit Alphablockern,
die auch zu einem signifikanten Blutdruckabfall führen können. Dabei fallen die hypotensiven
Effekte bei den sog. „uro-selektiven“ Alphablockern (z. B. Tamsulosin) geringer aus,
weshalb diese zu bevorzugen sind [4].
Betarezeptorblocker und Kalziumantagonisten vom Verapamil- und Diltiazem-Typ
Eine weitere klassische synergistische pharmakodynamische Interaktion ist die Wechselwirkung
-
von Kalziumantagonisten vom Verapamil- und Diltiazemtyp (Phenylalkylamine und Benzothiazine)
-
mit anderen, die AV-Überleitung verzögernden Wirkstoffen, insbesondere Betarezeptorblockern.
Es ist allgemein bekannt, dass diese Kombination zu einer erheblichen AV-Überleitungsverzögerung
bis hin zum AV-Block III führen kann [2]. Wir möchten darauf hinweisen, dass bei der Beurteilung möglicher AMI auch nichtorale
Applikationsformen von Betarezeptorblockern, wie Augentropfen, in Betracht gezogen
werden müssen (s. „Fallbeispiel – AV-Überleitungsverzögerung“ [5]).
Fallbeispiel
AV-Überleitungsverzögerung
Bei einem 64-jährigen Patienten fällt bei einer Routineuntersuchung eine Bradykardie
von 36 Schlägen pro Minute auf. Zur Prophylaxe von Glaukom-Anfällen erhält er 2-mal
täglich Timolol-Augentropfen (0,5%). Außerdem nimmt er seit 12 Monaten Verapamil aufgrund
von Angina bei chronischer koronarer Herzerkrankung ein. Timolol, ein Betarezeptorblocker,
der zur Prophylaxe von Glaukom-Anfällen als Augentropfen eingesetzt wird, weist aufgrund
der Umgehung des Pfortader-Kreislaufs eine sehr hohe Bioverfügbarkeit (80%) auf. Bei
gleichzeitiger Applikation von Verapamil mit dem Betarezeptorblocker kann es daher
zu signifikanten Bradykardien durch Addierung der negativ dromotropen Effekte beider
Substanzen kommen. Nach Umstellung der Medikation von Verapamil auf Nifedipin normalisiert
sich die Herzfrequenz auf 78 Schläge pro Minute [5] (heute sind anstelle von Nifedipin langsamer anflutende Kalziumantagonisten wie
Amlodipin oder Lercanidipin eher üblich).
SSRI und Antikoagulanzien
In den letzten Jahren haben sich Hinweise auf ein erhöhtes Blutungsrisiko durch die
Einnahme von selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI, z. B. Citalopram,
Fluoxetin, Paroxetin) verdichtet.
Ursache ist offenbar eine Interaktion mit dem Serotonintransporter (SERT) in Thrombozyten
([Abb. 1]). Serotonin stellt einen wichtigen Mediator der Thrombozytenaggregation dar. SSRI
hemmen die Aufnahme von Serotonin nicht nur an serotoninergen Neuronen, sondern offenbar
auch an Thrombozyten [6]. Es kommt zu einer gestörten Thrombozytenaggregation. Erste Anhaltspunkte lieferte
2012 eine kanadische Metaanalyse, in der 16 Studien mit Daten von mehr als einer halben
Million Patienten analysiert wurden [7]. Eine SSRI-Therapie erhöht demzufolge die Gefahr, eine intrakranielle Hämorrhagie
zu erleiden, um rund 50%. Nahmen die Patienten zusätzlich Antikoagulanzien ein, stieg
das Hirnblutungsrisiko im Vergleich zu einer Antikoagulanzien-Monotherapie um weitere
56%. Dies ist vergleichbar mit der Erhöhung des Hirnblutungsrisikos durch Wechselwirkung
von Azetylsalizylsäure (ASS), Clopidogrel oder anderen Thrombozyten-wirksamen Arzneistoffen
mit oralen Antikoagulanzien.
Abb. 1 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) interagieren mit der Serotoninaufnahme
in Thrombozyten. Die Freisetzung von Serotonin aus Thrombozyten spielt eine wichtige
Rolle während der Thrombozytenaggregation. Das aus Thrombozyten freigesetzte Serotonin
löst an der glatten Gefäßmuskulatur eine Vasokonstriktion aus und aktiviert weitere
Thrombozyten. Durch Hemmung der Serotoninaufnahme in Thrombozyten (Serotonintransporter,
SERT) können SSRI das Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien
überproportional erhöhen.
Ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen offenbarte eine Metaanalyse von
4 Beobachtungsstudien von Patienten, die mit SSRI und nichtsteroidalen Antirheumatika
(NSAR) behandelt wurden [8]. Unter SSRI-Therapie war das Risiko gastrointestinaler Blutungen verdoppelt, unter
alleiniger NSAR-Therapie 3-fach und unter der Kombination aus SSRI und NSAR 6-fach
erhöht.
Merke
Patienten mit Hirnblutungen, gastrointestinalen Blutungen und Magengeschwüren in der
Vergangenheit sollten – wenn möglich – mit Antidepressiva behandelt werden, die geringere
Affinität zum SERT aufweisen als SSRI.
QT-Zeit-verlängernde Pharmaka
Die Verlängerung der QT-Zeit im EKG gilt als Indikator für ein erhöhtes Risiko für
Torsade-de-Pointes-Tachykardien (TdP) [9]. Die einzige Substanzklasse QT-Zeit-verlängernder Pharmaka, für die ein vermehrtes
Auftreten von TdP-Arrhythmien eindeutig nachgewiesen ist, sind Antiarrhythmika der
Klassen IA (z. B. Chinidin) und Klasse III (z. B. Sotalol) [10]. Bei anderen Pharmaka, wie Makrolidantibiotika und Antipsychotika, gelten die Verlängerung
der QT-Zeit (Long-QT, LQT) und Blockade von IKr-Kanälen als Surrogat-Marker für ein
erhöhtes Risiko für TdP-Arrhythmien.
QT-Zeit-verlängernde Pharmaka werden nach der AZCERT-Klassifikation (Arizona Center
for Education and Research on Therapeutics, s. „Praxis – Online Tools“) in 3 Kategorien
unterteilt:
-
Zum einen in AM mit „bekanntem“ Risiko, wobei die QT-Zeit-Verlängerung regelmäßig
dosisabhängig TdP-Arrhythmien auslöst (s. „Info – LQT-Pharmaka: 5-A-Regel“).
-
Die zweite Gruppe umfasst AM mit „möglichem“ Risiko für TdP-Arrhythmien. Diese können
zwar regelmäßig eine QT-Zeit-Verlängerung auslösen, lösen aber nicht nachweislich
oder nur sehr selten TdP-Arrhythmien aus (z. B. Clozapin, Tramadol).
-
Die dritte Gruppe fasst AM zusammen, bei denen das Risiko einer QT-Zeit-Verlängerung
und Auslösung von TdP-Arrhythmien vom Vorhandensein zusätzlicher Ko-Faktoren (z. B.
Hypokaliämie oder genetische Prädisposition) abhängt („bedingtes“ Risiko, z. B. Diphenhydramin,
Omeprazol, Loperamid).
Insbesondere bei älteren Patienten ist mitunter die gleichzeitige Einnahme mehrerer
die QT-Zeit verlängernder AM unumgänglich. In gängigen Arzneimittelinteraktionsdatenbanken
(s. „Praxis – Online Tools“) wird bei Verordnung von QT-Zeit-verlängernden AM vor
synergistischen pharmakodynamischen Effekten gewarnt. Diese Warnungen müssen differenziert
betrachtet werden: Die Annahme, dass sich die QT-Zeit umso stärker verlängert, je
mehr QT-Zeit-verlängernde AM eingenommen werden und das Risiko für TdP-Arrhythmien
entsprechend ansteigt, ist nicht ausreichend belegt. Lediglich für die Kombination
zweier AM mit „bekanntem Risiko“ für TdP-Arrhythmien konnte eine additive Wirkung
auf die QT-Zeit-Verlängerung nachgewiesen werden. Dass dies nicht zwangsläufig mit
einem höheren Risiko für TdP-Arrhythmien einhergehen muss, zeigt eine neuere Studie:
Hier erhöhte die Gabe eines weiteren QT-Zeit-verlängernden AM das Risiko für das Auftreten
von TdP-Arrhythmien nicht signifikant [11].
Vor diesem Hintergrund sollte also die Kombination von diesen AM nicht per se ausgeschlossen
werden. Vielmehr sollte das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis abgewogen werden
und ein entsprechendes QT-Monitoring erfolgen. Hierbei sind zusätzliche Faktoren zu
berücksichtigen wie höheres Lebensalter, weibliches Geschlecht, genetische Prädisposition,
strukturelle Herzerkrankungen und Elektrolytverschiebungen (insbesondere Hypokaliämie,
Cave: Diuretika) [12].
Info
LQT-Pharmaka: 5-A-Regel
Die 5 „A“-Gruppen der Medikamente mit „bekanntem Risiko“ für TdP-Arrhythmien sind:
-
Antiarrhythmika (Amiodaron, Chinidin, Dronedaron, Flecainid, Sotalol)
-
Antidepressiva (Citalopram, Escitalopram)
-
Antipsychotika (Chlorpromazin, Droperidol, Haloperidol, Levomepromazin, Sulpirid,
Thioridazin)
-
Antibiotika (Fluorchinolone: Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin; Makrolide:
Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin, Roxithromycin)
-
Andere (Chloroquin, Domperidon, Donepezil, Fluconazol, Methadon, Propofol)
Antagonistische pharmakodynamische Interaktionen
Azetylsalizylsäure und NSAR
ASS ist der wichtigste Thrombozytenaggregationshemmer und zählt zu den am meisten
verwendeten AM. Die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung ist im Wesentlichen auf
eine Acetylierung und damit irreversible Hemmung der thrombozytären Cyclooxygenase-1
(COX-1) zurückzuführen. Da Thrombozyten keinen Zellkern besitzen, um dieses für die
Thrombozytenaggregation wichtige Enzym nachzusynthetisieren, bleibt die aggregationshemmende
Wirkung während der gesamten Thrombozyten-Lebensdauer erhalten. So kann trotz der
geringen Halbwertszeit von ASS (ca. 15 min) eine langanhaltende thrombozytenaggregationshemmende
Wirkung erzielt werden (Wirkverlust nach ca. 5 Tagen).
NSAR wie Ibuprofen binden reversibel an die COX-1 der Thrombozyten und verhindern
so die Acetylierung und irreversible Hemmung der thrombozytären COX-1 durch ASS. Ausmaß
und Dauer der Hemmung der Thrombozytenaggregation werden so eingeschränkt und das
kardiale Risiko für Patienten mit koronarer Herzkrankheit steigt [2]. In-vitro-Experimente konnten zeigen, dass nicht alle NSAR von dieser Interaktion
betroffen sind: So scheinen Paracetamol oder Diclofenac die thrombozytenaggregationshemmende
Wirkung von ASS nicht zu beeinflussen [13].
Merke
Einmalige Einnahme von NSAR unter ASS-Therapie scheint unbedenklich. Bei häufiger
Einnahme sollten NSAR mindestens 8 h vor und frühestens 30 min nach ASS eingenommen
werden. Paracetamol scheint die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung von ASS nicht
zu beeinflussen.
Pharmakokinetische Interaktionen
Unter pharmakokinetischen AMI werden im Folgenden Interaktionen zusammengefasst, die
die Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Elimination beeinflussen und somit
die effektive Konzentration am Wirkort verändern.
Interaktionen bei der Resorption
P-Glykoprotein-vermittelte Interaktionen
P-Glykoprotein (P-gp) wird an vielen Gewebebarrieren exprimiert, wie beispielsweise
der Blut-Hirn-Schranke sowie dem Nieren- und Darmepithel. P-gp transportiert lipophile
Pharmaka wie Digoxin aus dem Zytosol über die apikalen Zellmembranen nach außen. Beispielsweise
kann eine Hemmung von P-gp durch Verapamil zu einer verstärkten oralen Bioverfügbarkeit
von Digoxin beitragen. Bei Dabigatranetexilat, der inaktiven Vorstufe des nicht-Vitamin-K-abhängigen
(früher: „neuen“) oralen Antikoagulans (NOAK) Dabigatran, ist P-gp verantwortlich
für die relativ geringe Bioverfügbarkeit (ca. 7%). Daher ist bei Kombination mit Inhibitoren
(z. B. Verapamil) bzw. Induktoren (z. B. Rifampicin) des P-gp mit erhöhten bzw. verminderten
Dabigatran-Plasmaspiegeln zu rechnen ([Abb. 2]).
Abb. 2 Substrate, Inhibitoren und Induktoren des P-Glykoproteins (P-gp). S: Substrat, Hyperforin:
Hauptwirkstoff in Johanniskrautextrakten.
Merke
In aktuellen Leitlinien wird eine Dosisreduktion des NOAK Dabigatran bei Kombination
mit Verapamil, Amiodaron oder Chinidin empfohlen [14].
Interaktionen bei der Verteilung
AMI durch Konkurrenz verschiedener Pharmaka um die Plasmaeiweißbindung wurden lange
überschätzt. Wenn überhaupt, spielt die gegenseitige Verdrängung von AM eine Rolle
bei Pharmaka mit hoher Plasmaeiweißbindung, geringem Verteilungsvolumen und engem
therapeutischem Bereich. Hierzu zählen: Phenprocoumon, Sulfonylharnstoffe, Phenytoin,
Diazepam und Digitoxin [15].
Interaktionen bei der Metabolisierung und Ausscheidung
Organic Anion Transporting Protein: OATP1B1
Eine wichtige Rolle bei der Metabolisierung und Ausscheidung von AM spielt die Aufnahme
des AM in Leber- und Nierenepithelzellen. Diese wird über organische Anionen- (OAT)
und Kationentransporter (OCT) vermittelt. Neben körpereigenen Stoffen wie Gallensäuren,
Schilddrüsenhormonen, Prostaglandinen und Katecholaminen werden über diese Transporter
auch AM aufgenommen. So werden beispielsweise über OATP1B1 (Organic Anionic Transporting
Polypeptide 1B1) bestimmte Statine, ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptor-Antagonisten
aus dem Pfortader-Kreislauf in die Hepatozyten aufgenommen. Bei Hemmung dieses ersten
Schrittes in der hepatischen Elimination, z. B. durch Ciclosporin oder Fibrate, kommt
es zu
-
einer gestörten hepatischen Aufnahme,
-
einer erhöhten Bioverfügbarkeit und folgend
-
einem gesteigerten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (s. „Fallbeispiel
– Cerivastatin“ [16]).
Fallbeispiel
Cerivastatin
Im August 2001 musste die Firma Bayer den Lipidsenker Cerivastatin (Lipobay®) vom Markt nehmen, nachdem zahlreiche Todesfälle unter Cerivastatin bekannt geworden
waren. Diese standen mit der gleichzeitigen Einnahme von Cerivastatin und Gemfibrozil
als Lipidsenker in Zusammenhang. Als Ursache wurde eine OATP1B1-vermittelte Interaktion
identifiziert. Gemfibrozil hemmt die Aufnahme und damit den Abbau von Cerivastatin
in Hepatozyten. Die deutlich erhöhte Bioverfügbarkeit von Cerivastatin führte zu einem
gesteigerten Risiko für oft tödlich verlaufende Rhabdomyolysen [16]
Cytochrom-P450-Enzyme
Viele AM werden über das Cytochrom-P450-System (CYP) metabolisiert. AM, aber auch
Nahrungsmittel und andere Substanzen, können die Aktivität des Systems im Sinne einer
Hemmung (Inhibitoren) oder Aktivitätssteigerung (Induktoren) modulieren. Hierdurch
bedingt kommt es zu vielfältigen AMI. Die Komplexität des Systems wird außerdem durch
das Vorhandensein verschiedener CYP-Iso-Enzyme ([Abb. 3]) erhöht, wobei jedes Iso-Enzym ein eigenes Spektrum an Substraten, Inhibitoren und
Induktoren aufweist. Dies führt zu einer schier unüberschaubaren Fülle an Interaktionsmöglichkeiten,
die in diversen Internetdatenbanken zusammengefasst und regelmäßig aktualisiert werden
(s. „Praxis – Online Tools“). Folgende Überlegungen haben wir genutzt, um eine Auswahl
an wichtigen AMI zu treffen und hier zusammenzufassen:
Abb. 3 Wichtige Iso-Enzyme des Cytochrom-P450-Systems. Die Darstellung zeigt, wie viel Prozent
der metabolisch eliminierten Arzneistoffe über das jeweilige Iso-Enzym eliminiert
werden.
Merke
Die wichtigsten CYP-vermittelten AMI, die man kennen muss [17], betreffen:
Klinisch relevante Interaktionen zwischen Substraten sind eher selten.
CYP3A4: das Iso-Enzym mit dem breitesten Substratspektrum
CYP3A4-vermittelte AMI sind außerordentlich vielfältig, da dieses Iso-Enzym ein besonders
breites Substratspektrum besitzt [2] ([Abb. 4]). Etwa 50% aller metabolisierten AM werden über CYP3A4 verstoffwechselt.
Abb. 4 Substrate, Inhibitoren und Induktoren der 3 wichtigsten CYP-Iso-Enzyme. a CYP3A4. Ketoconazol und Indinavir (+) gelten als besonders starke Inhibitoren. Hyperforin:
Hauptwirkstoff in Johanniskrautextrakten. b Substrate und Inhibitoren von CYP2D6. SSRI: selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren.
c Substrate und Inhibitoren von CYP2C19.ADP: Adenosindiphosphat.
Relevant sind AMI insbesondere bei AM mit geringer therapeutischer Breite wie Antikoagulanzien.
Sowohl Phenprocoumon als auch die NOAK Apixaban, Rivaroxaban und Edoxaban werden durch
CYP3A4 abgebaut. So kann es beispielsweise bei Kombination von Phenprocoumon mit Verapamil,
einem potenten CYP3A4-Inhibitor, zu einem erhöhten Blutungsrisiko kommen. Bei Neuverordnung
von CYP3A4-Induktoren oder -Inhibitoren sollte daher bei mit Phenprocoumon antikoagulierten
Patienten die INR wenigstens einmal außerhalb der Routine bestimmt werden – am besten
3 – 5 Tage nach Therapiebeginn [18].
Aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Monitorings der Gerinnungshemmung sind AMI
bei NOAK besonders gefährlich. Rivaroxaban und Apixaban sind Substrate von CYP3A4
und P-gp. Die Kombination mit Pharmaka, die beide Eliminationswege hemmen, wie Azol-Antimykotika
(z. B. Ketoconazol) oder HIV-Protease-Inhibitoren (z. B. Ritonavir), sollte vermieden
werden ([Abb. 5]) [19]. Im klinischen Alltag wird jedoch auch viel zu häufig die kontraindizierte Kombination
von Ticagrelor mit starken CYP3A4-Inhibitoren übersehen, denn Ticagrelor wird hauptsächlich
durch CYP3A4 zu seinem aktiven Metaboliten metabolisiert. Als Beispiel sei hier ein
hospitalisierter Patient nach Stentimplantation bei akutem Koronarsyndrom genannt,
der nun antibiotisch mit Clarithromycin behandelt wird.
Abb. 5 Schematische Darstellung der pharmakokinetischen Interaktionen von nicht-Vitamin-K-abhängigen
oralen Antikoagulanzien (NOAK) mit CYP3A4. Die Kombination von Rivaroxaban oder Apixaban
mit starken CYP3A4-Inhibitoren oder -Induktoren wird nicht empfohlen. Wirkstoffe mit
mäßiger Hemmwirkung (Diltiazem, Naproxen, Amiodaron, Verapamil) erhöhen die Plasmakonzentration
der NOAK dagegen nur in geringem Maße. Hier ist ggf. lediglich eine Dosisreduktion
erforderlich. Beim Metabolismus von Dabigatran und Edoxaban spielt CYP3A4 nur eine
geringe Rolle, trotzdem sind Interaktionen über P-Glykoprotein zu beachten ([Abb. 2]). Cmax: maximale Plasmakonzentration, AUC: Fläche unter der Kurve [14].
Ferner bietet eine Kombination von CYP3A4-verstoffwechselten Statinen und einigen
Makrolidantibiotika wie Clarithromycin und Erythromycin schwerwiegende Interaktionsmöglichkeiten.
Hier kann es zu schweren Myopathien und Rhabdomyolysen kommen [20].
Cave
Viel zu oft wird in der Klinik die absolute Kontraindikation einer Kombination von
Simvastatin und Clarithromycin oder Erythromycin übersehen.
Fluvastatin, Pravastatin und insbesondere Rosuvastatin (auch Pitavastatin) könnten
Alternativen darstellen, da sie nicht exzessiv über CYP3A4 metabolisiert werden und
weniger wahrscheinlich Rhabdomyolysen verursachen. Trotzdem müssen hier ebenfalls
ein strenges Monitoring und eine Aufklärung der Patienten erfolgen, da auch hier AMI
– obwohl nicht prospektiv untersucht – beschrieben sind [21]. Hier sollte insbesondere auf klinische Symptome wie Myalgien oder Muskelschwäche
geachtet werden und ggf. die Kreatinkinase-Aktivität bestimmt werden. Es ist aber
vorzuziehen, die Kombination von Statinen mit Clarithyromycin/Erythromycin zu vermeiden
durch Gabe eines anderen Antibiotikums, ggf. auch durch kurzzeitiges Pausieren des
Statins. Letzteres muss in Abwägung des kardiovaskulären Risikos erfolgen. Grundsätzlich
sind bei der Statin-Therapie auch andere Inhibitoren des Cytochrom-P450-Systems wie
z. B. Verapamil und Diltiazem zu berücksichtigen.
Das in Zitrusfrüchten (besonders Grapefruit) enthaltene Naringin ist ein potenter
Inhibitor von CYP3A4. Der Genuss eines Glases Grapefruitsaft führt zur irreversiblen
Hemmung des gesamten intestinalen CYP3A4-Pools für 24 – 48 Stunden und erhöht damit
die Bioverfügbarkeit von oral eingenommenen CYP3A4-Substraten. Der Anteil dieses sog.
präsystemischen Metabolismus am Gesamtmetabolismus eines AM ist z. T. sehr hoch. Es
kommt dann zu einem erheblichen Anstieg der Plasmakonzentration des AM bis um das
9-Fache (Simvastatin, Buspiron). Für Gerinnungshemmer wie Phenprocoumon ist die klinische
Relevanz umstritten, allerdings sollten übermäßige Mengen an Grapefruitsaft bei antikoagulierten
Patienten vermieden werden [2].
Bemerkenswert ist außerdem, dass einige hochpotente Opioide (Buprenorphin, Fentanyl,
Oxycodon) ebenfalls CYP3A4-Substrate darstellen. Vorsicht ist hier insbesondere bei
transdermalen Applikationsformen, die oft zur Therapie chronischer Schmerzen eingesetzt
werden, geboten (s. „Fallbeispiel – CYP3A4-Inhibition“ [22]).
Fallbeispiel
CYP3A4-Inhibition
Eine 72-jährige Patientin mit Mammakarzinom und Knochenmetastasen erhält als Schmerztherapie
Fentanyl-Pflaster. Während eines Krankenhausaufenthalts wird ihr zur Therapie einer
Atemwegsinfektion Clarithromycin verabreicht. 2 Tage später entwickelt die Patientin
plötzlich eine Ateminsuffizienz und wird bewusstlos. Nach sofortiger Gabe von Sauerstoff,
Infusion von Naloxon und Absetzen des Fentanyls bessert sich der Zustand der Patienten
im Laufe des darauffolgenden Tages [22].
CYP3A4-Induktoren sind insbesondere ältere Antiepileptika wie Carbamazepin und Phenytoin,
aber auch das Tuberkulostatikum Rifampicin oder Hyperforin (Hauptwirkstoff in Johanniskrautextrakten).
Merke
Auf Hyperforin soll hier besonders hingewiesen werden, weil Johanniskrautextrakte
von Patienten im Rahmen der Selbstmedikation oft vom Arzt unbemerkt eingenommen werden.
Insbesondere für Substanzen mit enger therapeutischer Breite kann der durch Induktion
von CYP3A4 hervorgerufene schnellere Abbau schwerwiegende Folgen haben. Beispielhaft
sei hier eine mögliche Transplantatabstoßung aufgrund eines Abfalls der Blutkonzentration
von Ciclosporin genannt.
Auch Ethinylestradiol als wesentlicher Bestandteil von oralen Kontrazeptiva wird durch
CYP3A4 abgebaut. Bei Kombination mit Produkten mit Johanniskrautextrakten (Hyperforin)
kann es zu vermehrtem Auftreten von Zwischenblutungen aufgrund des gesteigerten Abbaus
von Ethinylestradiol kommen. Allerdings gibt es keine Evidenz dafür, dass die kontrazeptive
Wirkung der Pille dadurch eingeschränkt ist [23].
CYP2D6 vermittelt wichtige AMI der Psychopharmaka
Selektive SSRI werden oft aufgrund des geringeren Potenzials für unspezifische AM-Wirkungen
den trizyklischen Antidepressiva vorgezogen. Allerdings sind insbesondere Fluoxetin
und Paroxetin potente Inhibitoren von CYP2D6, das immerhin den Abbau von 25% der metabolisierten
AM vermittelt ([Abb. 3] u. [Abb. 4 b]). Als Substrate gelten insbesondere Psychopharmaka wie trizyklische Antidepressiva,
Antipsychotika und SSRI selbst. Hierauf sollte nicht nur bei Kombination dieser AM
geachtet werden, sondern auch bei der Umstellung von Fluoxetin auf andere Psychopharmaka.
Dabei sollte mit niedriger Dosis begonnen und die lange Halbwertszeit von Fluoxetin
(4 – 6 Tage) berücksichtigt werden, welche durch die Hemmung des eigenen Abbaus bedingt
ist.
Fluoxetin und Paroxetin hemmen auch den Abbau von Betarezeptorblockern und können
so Bradykardie, AV-Blockierungen und Blutdrucksenkung auslösen (s. „Fallbeispiel –
CYP2D6-Inhibition“ [24]). Außerdem kann die Umwandlung von Codein und Tramadol in die aktiven Formen Morphin
und O-Desmethyltramadol unterdrückt werden, wodurch die Gefahr des Therapieversagens
besteht.
Fallbeispiel
CYP2D6-Inhibition
Ein 54 Jahre alter Patient erhält nach einer koronararteriellen Bypassoperation täglich
100 mg Metoprolol. Nach 4 Wochen entwickelt er eine beginnende Depression und der
Hausarzt verordnet ihm 20 mg Fluoxetin pro Tag. Am übernächsten Tag klagt der Patient
über Müdigkeit und Antriebsarmut. Im EKG wird eine ausgeprägte Bradykardie mit 36
Schlägen pro Minute festgestellt. Nach Absetzen von Fluoxetin kehrt die Herzfrequenz
wieder auf Normalwerte zurück [24].
CYP2C19: Aktivierung von Clopidogrel
Das Iso-Enzym CYP2C19 spielt eine wesentliche Rolle bei der Aktivierung des Thrombozytenaggregationshemmers
Clopidogrel ([Abb. 4 c]). Zur Prävention von gastrointestinalen Blutungen werden Thrombozytenaggregationshemmer
oft mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) kombiniert. Insbesondere Omeprazol und Lansoprazol
stellen allerdings effektive Inhibitoren von CYP2C19 dar. Entsprechend konnte in Ex-vivo-Analysen
und retrospektiven Beobachtungsstudien eine verminderte thrombozytenaggregationshemmende
Wirkung von Clopidogrel und ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nachgewiesen
werden. Im Gegensatz dazu konnten randomisierte, kontrollierte Studien keine Zunahme
ischämischer Ereignisse oder Todesfälle erkennen. Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen
Daten schlagen Experten in einem Positionspapier der European Society of Cardiology
vor, PPI mit einem geringeren CYP2C19-Interaktionspotenzial, z. B. Pantoprazol, zu
bevorzugen.
Merke
Für die neueren Plättchen-Aggregationshemmer Prasugrel und Ticagrelor existieren keine
Daten, die auf eine bedenkliche Interaktion mit PPI hinweisen [25].
CYP2C9, CYP1A2
AMI über CYP1A2 und CYP2C9 spielen klinisch eine eher untergeordnete Rolle. Hier sollen
daher nur wenige Beispiele zur Veranschaulichung erwähnt werden.
Zu den Substraten von CYP1A2 zählt neben Theophyllin auch Koffein. Inhibiert wird
CYP1A2 durch Ciprofloxacin und Norfloxacin. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe,
wie sie beispielsweise beim Rauchen ins Blut gelangen, induzieren CYP1A2. Dies führt
bei Rauchern zu einer bis zu 50% reduzierten Halbwertszeit von Theophyllin.
Wichtige Substrate von CYP2C9 sind Warfarin und NSAR wie Ibuprofen, Diclofenac und
Naproxen. An dieser Stelle soll auf die Interaktion des insbesondere im angloamerikanischen
Raum gebräuchlichen Warfarins mit Amiodaron, einem CYP2C9-Inhibitor, hingewiesen werden.