Nervenheilkunde 2019; 38(06): 427-428
DOI: 10.1055/a-0894-7023
Gesellschaftsnachrichten
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kopfschmerz News der DMKG

Ruth Ruscheweyh
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Publication Date:
12 June 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Die COMPEL-Studie ist eine offene Langzeitstudie, die den Effekt von 155 U Onabotulinumtoxin bei Patienten mit chronischer Migräne mit und ohne tägliche Kopfschmerzen über 9 Behandlungszyklen untersucht hat. Die Publikation stellt die Ergebnisse der Subgruppenanalyse täglicher Kopfschmerz (n = 138) vs. nicht täglicher Kopfschmerz (n = 503) vor. Primärer Zielparameter war der Rückgang der Kopfschmerztage über ein Intervall von jeweils 28 Tagen nach 9 Behandlungszyklen im Vergleich Baseline. Die Studie wurde von 43,5 % derer mit täglichen Kopfschmerzen und von 55,1 % derer ohne täglichen Kopfschmerz beendet. In beiden Subgruppen (mit/ohne tägl. Kopfschmerz) kam es in Woche 24 (–5,7/-8,8 Tage), 60 (–8,3/-10,9) und 108 (–10,5/-12,2) zu einem signifikanten und im Verlauf zunehmenden Rückgang der Kopfschmerztage pro Monat, wobei der Rückgang bei der Gruppe mit täglichen Kopfschmerzen regelhaft etwas geringer war. Statistisch bestand bei Woche 108 kein signifikanter Unterschied mehr zwischen den 2 Subgruppen. Zudem nahmen die Tage mit mäßigen bzw. schweren Kopfschmerzen in beiden Gruppen ab: Woche 108 mit/ohne täglichen Kopfschmerz –11,5/-9,9 Tage pro Monat. Die Belastung durch Kopfschmerzen gemessen mit MIDAS und HIT-6-Score reduzierte sich ebenfalls in beiden Gruppen signifikant und es wurde in beiden Gruppen eine Verbesserung der Lebensqualität mit dem MSQ nachgewiesen. Unerwünschte Ereignisse traten in beiden Gruppen auf (mit/ohne täglichen Kopfschmerz 71,7/58,9 %). Dies führte bei 7,2/3,4 % zum Abbruch der Studie. Die bekannten substanztypischen Nebenwirkungen (z. B. Ptosis, Nackenschmerzen) traten in beiden Gruppen etwa gleich häufig auf.


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Chronische Migräne mit täglichen Kopfschmerzen – schwieriger zu behandeln als chronische Migräne ohne tägliche Kopfschmerzen?

*** Young WB, Lopez JI, Rothrock JF, Orejudos A, Adams AM, Lipton ARB, Blumenfeld M. Effects of onabotulinumtoxinA treatment in chronic migraine patients with and without daily headache at baseline: results from the COMPEL Study. Journal of Headache and Pain 2019; 20: 12.

In der Langzeitbehandlung über 2 Jahre sprechen Patienten mit chronischer Migräne mit und ohne tägliche Kopfschmerzen auf die Prophylaxe mit Onabotulinumtoxin an.

Kommentar

Die Subgruppe mit nicht täglichen Kopfschmerzen entspricht mit im Mittel ca. 20 Kopfschmerztagen im Monat etwa dem Patientenkollektiv der PREEMPT-Studien. Die Ergebnisse dieser Studien wurden bestätigt. Die Nebenwirkungen der Therapie unterschieden sich auch in dem langen Behandlungszyklus nicht von den bekannten Nebenwirkungen.

Die Gruppe der Patienten mit täglichen Kopfschmerzen ist insofern besonders interessant, als diese Patienten schwerer betroffen waren und in den PREEMPT-Studien nicht vertreten waren. Diese Patientengruppe zeigte trotz der höheren Zahl an Kopfschmerztagen zwar zunächst einen geringeren absoluten wie auch relativen Rückgang der Kopfschmerztage, allerdings wurde der Unterschied im Rückgang der Kopfschmerztage und der Abnahme der Tage mit mäßigen bis schweren Kopfschmerzen im Langzeitverlauf immer geringer und erreichte nach 108 Wochen Behandlung schließlich im Gruppenvergleich keine statistische Signifikanz mehr. Die Studie belegt somit einmal mehr, dass Patienten mit chronischer Migräne eine deutlich längere Behandlungsdauer benötigen und dass sich das Ansprechen auf eine Prophylaxe später abzeichnet, als bei der Behandlung der episodischen Migräne. Interessant ist, dass sich der positive Effekt sogar bei Behandlung mit der niedrigeren Onabotulinumtoxin Dosis von 155 U gezeigt hat.

Allerdings muss man auch festhalten, dass nur 43,5 % von den initial 138 Patienten mit täglichen Kopfschmerzen und 55,1 % der 503 Patienten mit chronischer Migräne ohne täglichen Kopfschmerz die Studie beendeten. Hauptgründe für den Studienabbruch war die Rücknahme der Einwilligung zur Studienteilnahme (12,8 %) und fehlende Nachbeobachtung (11,5 %). Bei 4.9 % wurde die Studie wegen Wirkungslosigkeit vorzeitig abgebrochen. Möglicherweise drücken diese Zahlen aus, dass die Erwartungshaltung von chronischen Patienten gering ist und oft keine Motivation vorliegt, auf einen verzögerten Wirkeintritt zu warten.

Stefanie Förderreuther, München


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Vagusnervstimulation hemmt den trigeminoautonomen Reflex

Möller M, Schroeder CF, May A. Vagus nerve stimulation modulates the cranial trigeminal autonomic reflex. Ann Neurol 2018; doi: 10.1002/ana.25366.

Möglicher Wirkmechanismus der nicht invasiven Vagusnervstimulation am Hals bei Clusterkopfschmerz.

Hintergrund

Die nicht invasive Vagusnervstimulation am Hals (nVNS) mit dem GammaCore®-Gerät wird intensiv zur Behandlung von Clusterkopfschmerz und Migräne untersucht. Die Autoren gehen in der vorliegenden Arbeit der Frage nach, ob nVNS die Aktivierung des trigeminoautonomen Reflexes, der v. a. beim Clusterkopfschmerz eine wichtige pathophysiologische Rolle spielt, hemmen kann. Der trigeminoautonome Reflex wird durch (meist schmerzhafte) Stimulation des Trigeminusnerven ausgelöst, und führt über eine Aktivierung des spinalen Trigeminuskerns, des Ncl. salivatorius superior und des Ggl. sphenopalatinum über parasympathische Efferenzen zu ipsilateraler Lakrimation und Rhinorrhö. Man geht davon aus, dass durch die periphere Ausschüttung parasympathischer Neurotransmitter die Aktivierung des trigeminalen Systems weiter verstärkt wird, sodass der Reflex einen beim Clusterkopfschmerz relevanten „Teufelskreis“ darstellt.


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Zusammenfassung

Als Modell für die Aktivierung des trigeminoautonomen Reflexes wurde in der vorliegenden Studie die kinetische Oszillation in der Nasenhöhle mit dem Chordate®-Gerät verwendet, die zu einer ipsilateral betonten Lakrimation führt. Es wurden 22 gesunde Probanden in einem Cross-over-Design mit nVNS (3 x 120 s über dem linken N. vagus), sham-Stimulation (an der Rückseite des Halses) oder keiner Stimulation behandelt. Danach wurde die kinetische Oszillation in der linken Nasenhöhle appliziert (6 min). Die Lakrimation wurde bds. mit einem Schirmer-Test gemessen, einmal zu Beginn des Experiments und einmal nach der Oszillationsstimulation. Die Oszillation führte zu einer beidseitigen (ipsilateral betonten) Lakrimation, die durch die Vorbehandlung mit nVNS aber nicht durch die Sham-Stimulation beidseits signifikant gehemmt wurde. Der durch die Oszillation ausgelöste Schmerz wurde durch nVNS allerdings nicht beeinflusst.

Schlussfolgerung der Studie ist, dass die nVNS den trigeminoautonomen Reflex hemmt. Zum Mechanismus schlagen die Autoren vor, dass nVNS über eine Aktivierung des Ncl. tractus solitarii (NTS) entweder direkt oder über einen Umweg über den Hypothalamus den Ncl. salivatorius superior moduliert, der über das Ggl. sphenopalatinum die Lakrimation steuert.


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Kommentar

Dies ist eine bestechend einfache Studie mit einem klaren Ergebnis. Man kann allerdings die Frage stellen, ob die Oszillationsstimulation der Nasenhöhle tatsächlich über den trigeminoautonomen Reflex eine Lakrimation auslöst, oder über eine direkte Stimulation des in unmittelbarer Nachbarschaft liegenden Ggl. sphenopalatinum. In jedem Fall sprechen die Daten für eine Modulation der Efferenz des trigeminoautonomen Reflexes durch die nVNS. Dies ist ein Ansatz, der auch bei anderen Stimulationsverfahren zur Behandlung des Clusterkopfschmerzes verwendet wird (SPG-Stimulation mit dem Pulsante®-Gerät). In der Tat konnte eine Wirkung der nVNS zur Akuttherapie bei episodischem Clusterkopfschmerz und zur Prophylaxe bei chronischem Clusterkopfschmerz gezeigt werden [[1]–[3]].

Ruth Ruscheweyh, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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