Abb.: Steffers G, Credner S. Allgemeine Krankheitslehre und Innere Medizin für Physiotherapeuten.
3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015
3 Monate nach einer Sternotomie ist das Brustbein wieder voll belastbar.
Bei Herzoperationen wie Eingriffen an den Herzklappen, den Herzkranzarterien und anderen
Brustraumoperationen ist es das Standardvorgehen, den Brustkorb zu öffnen – auch wenn
die Zahl minimalinvasiv durchführbarer Operationen seit Jahrzehnten zunimmt. Aber
nicht nur bei Operationen am Herzen ist eine Sternotomie notwendig. Auch bei anderen
Eingriffen beispielsweise an der Lunge, bei der Entfernung des Thymus (Thymektomie),
einer Schilddrüsenresektion oder auch bei Rupturen, traumatischen Verletzungen, Tumoren
oder Metastasen im Mediastinum kann sie notwendig sein.
Patienten nach einer Sternotomie sind vor allem beim Tragen und Armeheben beinträchtigt.
Bei einer Sternotomie setzt der Operateur das Skalpell circa zwei Zentimeter unterhalb
des Jugulums (Fossa jugularis) an und durchtrennt Haut und Subkutangewebe über die
gesamte Länge des Sternums nach kaudal bis zum Processus xiphoideus. Nach Eröffnung
der Faszie der Mm. pectorales majores sägt er das Sternum längs auf. Dann legt er
einen sogenannten Thoraxsperrer in das gespaltene Sternum und schraubt die beiden
Brustkorbhälften auseinander, um die operativ zu versorgenden thorakalen Organe und
Strukturen freizulegen. Nach erfolgreicher OP fügt der Chirurg das Brustbein mit Drähten
(Drahtcerclage) passgenau und stabil zusammen, um eine anatomisch gerechte Konsolidierung
des Brustkorbs zu ermöglichen. Die Faszien, das Subkutangewebe und schließlich die
Haut vernäht er einzeln. Die Cerclage bleibt danach je nach Alter, verwendetem Material,
Störfaktoren oder Komplikationen unterschiedlich lange, manchmal auch für immer, im
Körper – eine Bildgebung hilft, die Situation einzuschätzen.
Bereits am ersten Tag nach einer Sternotomie beginnt die Physiotherapie auf der Intensivstation.
Besonderheiten in der Nachbehandlung
Aufgrund der muskuloskelettalen Durchtrennungen sind die Patienten post-OP vor allem
beim Heben der Arme, Drehen der Schultern gegen das Becken und beim Tragen eingeschränkt.
Postoperativ sind daher im Wundgebiet manuelle Techniken kontraindiziert. Zudem dürfen
die Patienten für sechs Wochen ihre Arme nicht über 90 Grad heben und sich für vier
Wochen nicht mit den Armen aufstützen sowie den Oberkörper einseitig belasten. Für
die ersten zwei bis drei Wochen nach dem Eingriff ist es zudem hilfreich, sie schützen
ihren Brustkorb beim Husten und Niesen, indem sie die Arme vor dem Brustbein verschränken.
Der Therapeut sollte darüber aufklären, dass die Patienten sich in den ersten vier
bis sechs Wochen nur en bloque drehen und möglichst nur auf dem Rücken schlafen sollten.
Bis drei Monate post-OP sollten die Patienten keine schweren Gegenstände über 5 Kilogramm
tragen und leichtere möglichst nah am Körper. Zudem sind Arbeiten und Sportarten,
die das Brustbein belasten, kontraindiziert (PATIENTENINFORMATION, S. 31).
Bereits am ersten Tag post-OP auf der Intensivstation beginnt die Physiotherapie bis
zum Sitz an der Bettkante oder, wenn der Patient schon sehr wach und kräftig ist,
bis zum Stand. Die Voraussetzung für den Beginn der Physiotherapie ist, dass der Patient
erfolgreich extubiert und sein Kreislauf stabil ist. Der Therapeut leitet den Patienten
zunächst an, wie er Alltagsbewegungen möglichst brustbeinschonend ausführt, und geht
individuell auf postoperative Probleme ein. Die Anleitung der Patienten zum Schutz
des Wundgebiets ist ein wichtiger Bestandteil der Physiotherapie, an die sich der
Patient insbesondere in den ersten zwei Wochen exakt halten sollte, damit die Wundränder
gut verheilen. Physiotherapeutin Birgit Slametschka betont, dass es vor allem wichtig
ist, dass der Patient sich nicht auf die Arme aufstützt oder sie über 90 Grad hebt:
„Bei uns in der Klinik gibt es keine Aufrichthilfe am Bett (‚Bettgalgen’), damit die
Patienten nicht in Versuchung geraten. Wir üben mit ihnen den Transfer zwischen Liegen
und Sitzen, ohne den Brustkorb zu verdrehen.“ Birgit Slametschka leitet die physiotherapeutische
Abteilung im Paulinenkrankenhaus in Berlin. Die Klinik bietet die Anschlussversorgung
von Herzoperationen an, sodass viele Patienten postoperativ aus dem Deutschen Herzzentrum
oder der Charité zur Weiterbehandlung dorthin verlegt werden. Das Team betreut hauptsächlich
Patienten, die sich zum Beispiel aufgrund einer Bypass-Operation, einer Herzklappenrekonstruktion
oder einer operativen Therapie eines Aortenaneurysmas einer Sternotomie unterzogen
haben.
Die Lungenbelüftung wieder normalisieren
Von hohem Stellenwert nach einer Thorax-Operation ist außerdem die Atemtherapie. Sie
beginnt ebenfalls am ersten Tag post-OP und ist neben der Mobilisation der zweite
Schwerpunkt der Physiotherapie. „Die Wunden verursachen Schmerzen, und die Patienten
müssen sich trauen, wieder tief zu atmen, damit kein Atemverhalt entsteht“, erklärt
Slametschka. Viele Patienten leiden postoperativ unter Atelektasen, meist Kompressionsatelektasen,
die durch Pleuraergüsse entstehen. Zur Anwendung kommt daher auch eine intermittierende
Überdruckinhalation (IPPB, Intermittent Positive Pressure Breathing), um die Atemwege
in unteren Bereichen zu belüften. Durch die Erweiterung der Bronchien löst sich das
Sekret und Atelektasen werden vermindert. „Bei circa 95 Prozent unserer Patienten
ist Atemtherapie indiziert – auch Patienten nach minimalinvasiven Eingriffen entwickeln
vor allem auf der Körperseite des Eingriffs Atelektasen. Die Atelektasen können durch
bildgebende Verfahren, vor allem Thorax-Röntgen oder Transthorakale Echokardiografie,
diagnostiziert werden. Patienten, die keine Atelektasen aufweisen, werden nicht mit
IPPB behandelt“, weiß Slametschka, die auch als Physiotherapeutin die Patienten bei
der IPPB anleitet.
Bildet der Patient postoperativ vermehrt Schleim, der abgehustet werden muss, gilt
es mithilfe der Atemtherapie die Lungenabschnitte ausreichend zu ventilieren und einer
Lungenentzündung vorzubeugen. Um während des Hustens keinen zu großen Druck im Brustraum
aufzubauen, soll der Patient mit über dem Brustkorb verschränkten Armen schonend husten
und damit Schmerzen und die Belastung des Wundverschlussmaterials vermindern. Dass
die Drahtcerclage durch einen sehr starken Husten aufbricht und das Sternum dadurch
instabil wird, ist sehr selten.
Die beiden wichtigsten Ziele in der frühen Physiotherapie sind Mobilität und gute
Lungenbelüftung.
Die Mobilität schrittweise steigern
Meist bleiben die Patienten etwa zehn bis zwölf Tage stationär. In Berlin werden sie
am dritten bis fünften Tag nach der Operation aus dem Deutschen Herzzentrum in das
Paulinenkrankenhaus Berlin verlegt und bleiben hier bei mittlerer Verweildauer zehn
bis zwölf Tage. Dort bekommen sie täglich Physiotherapie als Einzelbehandlung (Atemtherapie,
IPPB, Herz-Kreislauf-Training, unterstützend Ergometertraining mit dem Sitzergometer),
bis sie selbständig sind und keine Atembeeinträchtigungen mehr haben. Das Kreislauftraining
führen die Patienten möglichst täglich durch und der Therapeut passt es steigernd
an.
Wenn die Patienten unabhängig mobil sind, steht das Treppentraining an (angepasst
und unter Pulskontrolle, ca. 1–2 Etagen). An den darauffolgenden Tagen dürfen die
Patienten an der Gruppengymnastik teilnehmen. Diese findet unter Berücksichtigung
der Sternotomie im Sitzen statt.
Spätestens 14 Tage nach der Entlassung aus der Klinik müssen Patienten ihre Anschlussheilbehandlung
antreten.
Bei der Steigerung der Belastung gehen die Therapeuten in Berlin nach einem festen
Schema vor:
-
Sitzen an der Bettkante
-
Stehen und Schritte am Bett – evtl. Transfer auf den Pflegesessel (Toilettenstuhl
durch die Pflege) im Hinblick auf die ADLs
-
Gehen im Zimmer und Weg zur Toilette
-
Gehen im Flur mit möglichst täglicher Steigerung der Gehstrecke bis hin zum unabhängigen
Gehen – Erreichen der Selbstständigkeit auch im Hinblick auf die ADLs
-
Treppentraining
-
Gruppengymnastik
Ziel bei allen Patienten ist es, die Selbstständigkeit wieder voll herzustellen. Voll
belasten dürfen sich die Patienten nach einer Sternotomie nach drei Monaten. Die Anschlussheilbehandlung
müssen sie spätestens 14 Tage nach der Entlassung aus der Klinik antreten.