Schlüsselwörter
Pseudarthrose - Schaftfraktur - Gelenkfraktur - Biomechanik - Low-Grade-Infekt
Key words
non-union - shaft fracture - joint fracture - biomechanics - low grade infection
Pseudarthrose: Patient, Chirurg und Implantat
Pseudarthrose: Patient, Chirurg und Implantat
Die Liste der Faktoren, die für die Entstehung einer Pseudarthrose ursächlich sein
können, ist lang. Frakturform und Weichteilschaden sind quasi vorgegeben und haben
wesentlichen Einfluss auf Stabilität und Blutversorgung und damit auf die Heilungspotenz
des verletzten Knochens. Ebenfalls weitgehend vorbestehend und nur bedingt beeinflussbar
sind die systemischen Vorbedingungen des verletzten Menschen. Zu nennen sind Alter,
Vorerkrankung, Medikation, Genussgifte und Trainingszustand. Alle vorgenannten Faktoren
haben einen bedeutenden Einfluss auf die Wahl und Ausführung der Osteosynthese und
führen nicht selten auch zur Entscheidung, eine nicht operative, konservative Frakturbehandlung
durchzuführen. Einzubeziehen sind auch die absehbaren funktionellen Ansprüche und
Limitierungen des Patienten. Ist eine Teilbelastung realistisch? Bestehen Einschränkungen
der mentalen Compliance, die ein Verstehen und Befolgten der Anweisungen für die postoperative
Phase unwahrscheinlich erscheinen lassen?
Wahl des Osteosyntheseverfahrens, operativer Zugang und Ausführung der Instrumentierung
sind Faktoren, die der Chirurg oder die Chirurgin wesentlich beeinflussen kann und
die damit als dynamische Einflussgrößen den Erfolg (z. B. eine ungestörte Bruchheilung)
oder den Misserfolg (z. B. eine Pseudarthrosenentstehung) letztendlich bestimmen.
Studien zur gestörten Knochenbruchheilung zeigen durchgehend, dass von den Parametern
lokale Verletzung, systemischer Gesamtzustand und operative Behandlung die Durchführung
der Osteosynthese wesentlich oder zumindest in der Rolle eines erheblichen Co-Faktors
für die Entstehung der Pseudarthrose verantwortlich ist [1]. Nach aktueller Rechtsprechung und unter dem Ziel einer zeitgemäßen Arzt-Patienten-Interaktion
folgert daraus zwangsläufig, dass auch der verletzte Patient, wenn immer möglich,
sinnvoll in den Entscheidungsprozess zum therapeutischen Verfahren einschließlich
der Implantatwahl aktiv und aufgeklärt mit einbezogen werden muss.
Prävention
Die Wahl der Osteosyntheseverfahren und der Implantate soll nicht automatisch aufgrund
der Diagnose oder nur nach Betrachten des Röntgenbildes, sondern unter Gesamtschau
des Patienten und nach kritischer Analyse der lokalen Verletzungsschwere, des systemischen
Allgemeinzustandes und der eigenen chirurgischen Möglichkeiten getroffen werden.
Biologie und Biomechanik
Betrachtet man die beiden Hauptfaktoren, die für die Knochenbruchheilung ausschlaggebend
sind, nämlich Biologie und Biomechanik, drängen sich auf den ersten Blick die mechanischen
Eigenschaften der diversen Implantate und Instrumentierungen in den Vordergrund. Die
nähere Analyse führt dann aber zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass auch die Biologie
der Frakturheilung untrennbar von Implantateigenschaften beeinflusst wird.
Die wesentlichen biologischen Einflussgrößen der Implantate sind die chirurgische
Zugangsmorbidität und die Vergrößerung des Infektrisikos durch Einbringen des Implantats
als Fremdkörper in den Frakturbereich. Implantatspezifisch ist der direkte Einfluss
auf die Durchblutung des Knochens, z. B. durch Aufbohren des Markraumes bei Marknagelung
oder durch die Druckschädigung des Periosts bei Verplattungen. Diese vorgenannten
Überlegungen haben zum Begriff der biologischen Osteosynthese als wesentliches komplikationsvermeidendes
Konzept geführt.
Nach neueren Erkenntnissen hat die implantatassoziierte Keimbesiedelung für die Ausbildung
einer Frakturheilungsstörung eine weit höhere Bedeutung als bisher angenommen [2]. Lange schon bekannt ist die klinisch eindeutige Infektpseudarthrose, sozusagen
der GAU unter den biologisch bedingten Knochenheilungsstörungen. Neuere Untersuchungen
belegen, dass darüber hinaus bei vielen Heilungsverzögerungen, aber auch bei einer
klinisch ungestört erscheinenden Heilung, unterschwellige Keimbesiedelungen nachweisbar
sind [3]. In diesem Licht gewinnt die unterschiedliche Keimaffinität der spezifischen Implantate
zusätzliches Gewicht.
Letztendlich gilt, dass die Faktoren Biologie und Biomechanik für jeden individuellen
Fall einer Pseudarthrose zu analysieren sind. Nahezu immer liegen Kombinationen von
Störfaktoren vor, wie die Achsabweichung mit Instabilität, die Instabilität mit naheliegendem
Infektverdacht, der Weichteilschaden mit ungenügender Fixierung usw. [4]. So gesehen hat die Implantatwahl und das damit verbundene operative Vorgehen eine
zentrale Bedeutung natürlich für die Mechanik, aber eben auch für den Faktor Biologie
in der Frakturbehandlung.
Prävention
Biologie und Biomechanik stehen für die Knochenbruchheilung in enger Synergie. Bei
der Analyse einer Frakturheilungsstörung müssen die Faktoren Instabilität, Fehlstellung,
Durchblutungsstörung und Infekt checklistenmäßig abgearbeitet werden, Kombinationen
sind dabei die Regel.
Biomechanische Prinzipien: Kompression und Schienung
Biomechanische Prinzipien: Kompression und Schienung
Die primäre Aufgabe des Osteosyntheseimplantats ist mechanischer Natur. Das Implantat
muss die korrekte Wiedereinrichtung der Fraktur unter Erhalt der physiologischen Lastachse
ermöglichen (Reposition) und diese über den Heilungszeitraum erhalten (Retention)
[5]. Da Implantate bei ihrer Entwicklung für die Erfüllung dieser beiden Aufgaben spezifiziert
werden, kommt es bei ihrem Einsatz auf eine korrekte Anwendung unter Einhaltung der
Frakturheilungsprinzipien an, zu nennen sind hier Schienung oder Kompression. Nur
bei korrekter Anwendung entsprechend der Spezifizierung kann eine komplikationslose
Heilung der Fraktur erwartet werden.
Bei der Kompressionsosteosynthese ist darauf zu achten, dass der Frakturspalt so eng
wie möglich zu komprimieren und somit die Fraktur bestmöglich zu stabilisieren ist.
Bei der Schienung hingegen werden minimale Frakturspalte toleriert, wobei sich eine
gewisse Mikrobewegung in diesen Spalten positiv auf die Frakturheilung auswirkt. Hierbei
konnte gezeigt werden, dass eine Frakturspaltbewegung in Belastungsrichtung, also
Kompression, die Heilung fördert, wohingegen Scherbewegungen und Rotationen die Knochenbildung
im Frakturspalt verzögern [6].
Osteosynthesen im Gelenkbereich erfordern i. d. R. eine perfekte Reposition mit einer
bis zur Frakturheilung unveränderten Retention und werden deshalb über eine Kompression
mit rigider Fixierung der Fragmente durchgeführt. Osteosynthesen im Schaftbereich
profitieren in aller Regel von den biologischen Vorteilen der Schienung, wobei die
mechanischen Eigenschaften der spezifischen Implantate für jede Fraktursituation berücksichtigt
werden müssen.
In der Praxis müssen für eine Frakturversorgung nicht selten die Prinzipien von Kompression
und Schienung kombiniert werden, was zu Kompromissen mit Blick auf die Frakturheilung
führen kann. Ein typisches Beispiel ist die Versorgung einer Typ-C-Fraktur der proximalen
Tibia, wobei die Gelenkfragmente mit einem hochstabilen Implantat wie der LISS-Platte
zu fixieren sind, das allerdings für die Schienung der Schaftkomponente der Fraktur
zu rigide sein und zur Pseudarthrose führen kann ([Abb. 1]).
Abb. 1 59-jährige Frau, proximale Tibiafraktur. a Versorgung mit lateraler LISS-Platte. b Nach 4 Monaten mit verzögerter Bruchheilung. c Nach 10 Monaten mit hypertropher Pseudarthrose bei stabil liegendem Implantat. d Nach 3-maliger Stoßwellentherapie Ausheilung nach 14 Monaten.
Prävention
Die Prinzipien der rigiden Fixierung unter Kompression für Gelenkfrakturen und der
dynamischen Schienung für Schaftfrakturen stehen bei kombinierten gelenknahen Bruchformen
häufig in Konkurrenz. Geeignete Präventionsmaßnahmen für Fehlstellungen und Pseudarthrosenbildungen
sind engmaschige Kontrollen mit frühzeitig durchzuführenden Sekundäreingriffen wie
z. B. Verplattung der Gegenkortikalis und Knochenimplantation.
Gelenkfrakturen
Intraartikuläre Frakturen sind nach bestmöglicher Reposition der Bruchstücke stabil
und damit unter Fragmentkompression zu fixieren. Bereits geringfügige Dehiszenzen
können zu Fehlstellungen des Gelenkes und damit zu einer frühen posttraumatischen
Arthrose führen. Besonders bei den lasttragenden Gelenken der unteren Extremität ist
daher auf eine ausreichende mechanische Stabilität des Implantats zu achten. Dabei
kann es hilfreich sein, das Primärimplantat durch zusätzliche Kompressions- oder Stellschrauben
zu unterstützten. Nicht zu vernachlässigen ist die Rekonstruktion stabilisierender
ligamentärer Strukturen. Ein praxisrelevantes Beispiel ist die Refixierung der Rotatorenmanschette
bei proximalen Humerusfrakturen.
Heilungsverzögerungen und Repositionsverluste bei Frakturen im Gelenkbereich sind
meist auf unzureichende Fixierung des Implantats im Knochen zurückzuführen. Entweder
wurde primär schon keine ausreichende Stabilität erreicht oder es kommt, so vor allem
bei osteoporotischem Knochen, sekundär zu einer Auslockerung oder Durchwandern des
Implantats durch den Knochen. Zur Vermeidung sollten Implantate, und hier vor allem
die Schrauben, in möglichst kräftigem Knochen zu liegen kommen [7]. So wird für die Fixierung bei hüftgelenknahen Frakturen empfohlen, die Schenkelhalsschraube
zentral und möglichst gelenknah im subkortikalen Knochen des Hüftkopfes zu platzieren
[8]. Ein weiteres Beispiel bildet die Fixierung proximaler Humerusfrakturen mit einer
Platzierung der einzelnen Schrauben im subkortikalen Bereich des Humeruskopfes und
biomechanisch sinnvoller Abstützung der medialen Säule durch entsprechend platzierter
Schrauben. Bei mangelhafter Knochenqualität kann Knochenzement zur Auffüllung von
Defekten oder Augmentation von Schrauben eingesetzt werden.
Prävention
Der Schlüssel zum Erfolg in der Behandlung artikulärer und gelenknaher Frakturen liegt
in der anatomischen Reposition und einer optimalen Platzierung der gelenknahen Schrauben.
Schaftfrakturen
Bei Frakturen der langen Röhrenknochen ist auf Basis der Frakturform zu entscheiden,
ob eine stabile komprimierende Osteosynthese erreicht werden kann. Die Frakturreposition
kann direkt über eine Zugschraubenosteosynthese oder auch über eine Plattenosteosynthese
mit indirekter Kompression des Frakturspaltes durchgeführt werden. Cerclagen können
bei Schrägfrakturen für die Einrichtung der Fraktur und das Schließen des Frakturspaltes
hilfreich sein. Die Vermeidung eines klaffenden Frakturspaltes bei mechanisch stabiler
Osteosynthese ist essenziell. Der Verbleib eines Frakturspaltes von mehr als 3 mm
kann bei Anwendung einer stabilen Osteosynthese wie der Verplattung nicht zeitgerecht
durch Knochenbildung mittels der sog. Spaltheilung überbrückt werden. Diese Situation
führt quasi als Pseudarthrosenmodell mit hoher Sicherheit zu einer Heilungsverzögerung
([Abb. 2]).
Abb. 2 Versorgung einer proximalen Oberarmfraktur mit winkelstabiler Platte. a Reposition mit leichtem Varus und stärkerer Dehiszenz der Fraktur. b Bruch der Platte typischerweise in den besetzten Löchern auf Höhe der Fraktur. c Reosteosynthese mit proximalem Humerusnagel. d Fortschreitende Frakturheilung im CT.
Alle Frakturen, die am Schaft nicht im Sinne einer primären Knochenheilung reponiert
werden müssen sowie Frakturen mit Defektsituationen, werden nach dem Prinzip der Schienung
fixiert. Die Schienung gewährleistet über induzierte Mikrobewegungen eine mechanische
Stimulation der Frakturheilung und ermöglicht die Heilung der Fraktur über eine periostale
Bildung von Frakturkallus. Eine solche Schienung kann extramedullär, z. B. über winkelstabile
Plattenosteosynthesen, oder intramedullär über Marknagelosteosynthesen mit Verriegelung
erfolgen. Auch bei geschienten Frakturen kann es durch zu große Mikrobewegungen zu
einer Heilungsverzögerung kommen, die dann meist als hypertrophe Pseudarthrosen sichtbar
werden.
Um zu große Mikrobewegungen bei geschienten Osteosynthesen zu vermeiden, muss auf
eine ausreichende Stabilität des Implantats geachtet werden. Winkelstabile Platten
sollten dabei genügend Länge haben und mit mindestens 2, besser 3 Schrauben jeweils
proximal und distal der Fraktur fixiert werden. Die frakturnahen Schrauben sollten
zur Fraktur einen Mindestabstand von einem Knochendurchmesser haben. Ungünstig sind
Zugschrauben frakturnah mit hohem Anpressdruck, die eine Kerbspannung auf die Platte
ausüben ([Abb. 3]). Bei sehr distalen Frakturen kann es durch die Hebelwirkung zu Instabilitäten kommen,
die durch die Verwendung von Cerclagen oder additiven Platten verhindert werden können.
Abb. 3 Periprothetische Fraktur am distalen Femur versorgt mit winkelstabiler Platte. a Die konventionelle Schraube, für die Adaptation der Platte an den Knochen verwendet,
wurde belassen. b Mithilfe der Finiten Element Analyse können die Spannungen in der Platte berechnet
werden. Die Spannung um die konventionelle Schraube ist neunmal höher als um die winkelstabile
Schraube. c Durch Spannungskonzentration induzierter Bruch der Platte.
Für die Stabilität der Marknagelosteosynthese ist sowohl die ausreichende Länge des
Marknagels wie auch eine intramedulläre Stabilität durch Ausfüllung des Markraumes
wichtig. Bei sehr proximal oder sehr distal gelegenen Frakturen muss durch Ausnutzung
aller Verriegelungsoptionen des Nagels eine ausreichende Biegestabilität der Osteosynthese
erreicht werden [9]. Die Schwachstelle der intramedullären Osteosynthese ist eine geringe Rotationsstabilität
der Marknägel. Bei rotationsinstabilen Frakturen kann eine Heilungsverzögerung z. B.
durch eine zusätzliche Plattenosteosynthese vermieden werden, die die Rotation der
Hauptfragmente um den Nagel verhindert [10].
Essenziell für die Heilung der Schaftfrakturen ist die möglichst korrekte Wiederherstellung
zunächst der Länge, insbesondere aber von Achse und Rotation. Die häufigen Achsabweichungen,
z. B. am proximalen Femur in Varus, führen, sich gegenseitig befruchtend, zur Pseudarthrose
und zum Implantatversagen. Dabei können primär korrekt reponierte Frakturen durch
einen zu lateralen Einschlagpunkt eines Marknagels in eine Varusfehlstellung gebracht
werden ([Abb. 4]). Eine häufige Fehlstellung ist die Rotationsabweichung des Oberschenkels nach außen
nach Marknagelung. Auch diese Fehlstellung stellt prinzipiell einen die Pseudarthrose
prädisponierenden Faktor dar ([Abb. 5]).
Abb. 4 45-jährige Patientin mit instabiler subtrochantärer Fraktur. a Fraktur ist unzureichend mit Versatz und Varusstellung reponiert, der Nagel ist zu
weit proximal platziert und die Schenkelhalsschraube zu kurz gewählt. b In der Seitprojektion ebenfalls unzureichende Reposition. c Revision mit geradem Marknagel, der bei identischem Einschlagpunkt die Varusfehlstellung
verstärkt. d 2. Revision mit Reposition über Cerclage, korrektem Einschlagpunkt und stellungssichernder
Antirotationsplatte.
Abb. 5 42-jähriger Mann, 8 Monate nach Erstversorgung. a Nagel zu kurz gewählt, distale Verriegelung gebrochen. b Hypertrophe Pseudarthrose im CT. c Außendrehfehler 30°. d Reosteosynthese mit Nagelwechsel, Derotation, Rotationssicherung über additive Platte.
Prävention
Klassiker für die Pseudarthrosenbildung nach Osteosynthese langer Röhrenknochen lassen
sich für Platten und Nägel definieren. Winkelstabile Platten müssen ausreichend lang
schienen und über der Fraktur eine definierte Schwingungsstrecke aufweisen, um Plattenbrüche
zu vermeiden. Marknägel sind ebenfalls in ausreichender Länge und markraumfüllend
stabil einzubringen unter Vermeidung von Dehiszenz und Rotationsfehlern.
Versagen von Osteosyntheseimplantaten
Versagen von Osteosyntheseimplantaten
In aller Regel ist das Versagen von Osteosyntheseimplantaten ein Zeichen für eine
verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung. Osteosyntheseimplantate sind dafür spezifiziert,
die mechanische Belastung über einen Zeitraum, der sich an der normalen Knochenheilung
orientiert, unter Vollbelastung auszuhalten. Wenn die Belastung auf das Implantat
im Verlauf der Heilungszeit nicht durch die fortschreitende Konsolidierung des Knochens
sukzessive reduziert wird, kommt es durch die andauernde Belastung des Implantats
zu einem Ermüdungsbruch. Dieser tritt meist im Bereich der Fraktur auf, weil dort
die größten mechanischen Dehnungen bestehen ([Abb. 6]).
Abb. 6 Problemzone periprothetische Frakturen. a Plattenausriss am Oberschenkelschaft, mögliche Ursache ist die teilweise nur monokortikale
Schraubeneinbringung. b Plattenbruch bei nicht heilender Fraktur am Oberschenkel, Kritikpunkt ist die enge
Schraubenbesetzung der winkelstabilen Platte ohne Schwingstrecke. c Plattenbruch an der proximalen Tibia, bei fehlendem Heilungspotenzial wäre ein Prothesenwechsel
auf ein schaftgeführtes Design indiziert gewesen.
Iatrogene Ursachen für ein Implantatversagen entstehen durch Beschädigung der Oberfläche
des Implantats im Verlauf der Operation. Riefen und Kratzer durch Bohrer oder Zange
erzeugen Sollbruchstellen, an denen das Implantat unter zyklischer Wechsellast bricht.
Daher müssen metallische Instrumentarien wie Bohrer oder Gewindeschneider immer mit
besonderer Sorgfalt und unter dem Schutz von passenden Hülsen verwendet werden.
Eine prinzipiell als iatrogen verursacht anzusehende Ursache des Implantatversagens
ist die falsche Wahl des Osteosynthesematerials ([Abb. 7]). Die Wahl des Implantats kann aus verschiedentlichsten Gründen, teils nachvollziehbar,
teil unverständlich, im Widerspruch zur allgemeinen Meinung, zu Empfehlungen in Leitlinien
oder Manualen, oder auch zu den Angaben des Herstellers stehen. Eine besondere Form
einer außerhalb der Konvention stehenden Implantatwahl stellt die Off-Label-Indikation
dar.
Abb. 7 Implantatassoziierte Pseudarthrosen. a Ungeeignetes Implantat für eine Unterschenkelfraktur. b Fixierung auf Dehiszenz mit fraglich stabiler LISS-Platte (kurze monokortikale Schrauben).
c Kombination Platte und Markdrahtung am Unterarm. d Zu kurzer Oberschenkelnagel bei Verlegung des Markraums proximal durch dynamische
Hüftschraube wegen Schenkelhalsfraktur. e Wegen Auflaufens verklemmter und damit zu kurzer Oberschenkelmarknagel.
Nichtsdestotrotz sind Off-Label-Anwendungen nicht immer vermeidbar. Für sehr speziell
gelagerte Fälle, wie z. B. sehr kleine oder sehr große Patienten, passen Standardimplantate
nicht und müssen modifiziert oder gegen für andere anatomische Lokalisationen konzipierte
Platten getauscht werden. Mit Blick auf die aktuelle Rechtslage empfiehlt es sich,
die Verwendung gegenüber dem Patienten zu begründen und aufzuklären oder bei intraoperativer
Entscheidungsfindung im OP-Bericht dezidiert aufzuführen. Während bis in die 90er-Jahre
überwiegend universelle Plattensysteme (unterschieden wurden Großfragment- und Kleinfragment-
sowie Fingerimplantate) zum Einsatz kamen, wandelte sich dies zunehmend und heute
überwiegend hin zu Spezialimplantaten. Diese sind anatomisch für bestimmte Regionen
konzipiert und werden häufig von den Herstellern zudem nur für bestimmte Indikationen
empfohlen ([Abb. 8]).
Abb. 8 Implantate mit bekannter Neigung zum Versagen. a 3,5-mm-Rekonstruktionsplatte bei Klavikulafraktur, höhere Versagensraten sind zu
beobachten. b Revision mit regulärer winkelstabiler Platte. c Unaufgebohrter Tibianagel bei Unterschenkelfraktur mit Trümmerzone, Bruch der distalen
Verriegelungsschrauben bei „Selbstdynamisierung“. d Revision mit Achskorrektur und Austauschnagelung.
Anatomische Implantate haben den Vorteil, dass Anpassungen durch Biegung und Schränkung
nicht mehr oder nur noch mit geringen Formveränderungen notwendig sind. Starke Verformungen
führen zu Mikrofissuren des metallischen Implantats mit Entstehung einer Sollbruchstelle
([Abb. 9]). Dies ist z. B. besonders ausgeprägt beim Zurückbiegen von Titanplatten.
Abb. 9 Implantatschwächung bei Off-Label-Anwendung. a Arthrodese des oberen Sprunggelenks mit direkter Verschraubung und ventraler Platte,
Verwendung einer angebogenen winkelstabilen Radiusplatte. b Plattenbruch bei verzögerter knöcherner Konsolidierung. c Bruch im durch die Biegung zusätzlich geschwächten Längsloch der Platte.
Wesentlich häufiger als das Versagen des Implantatkonstruktes ist das Lockern und
anschließende Auswandern von Schrauben aus der Platte oder dem Nagel. Selbst bei eigentlich
winkelstabil eingebrachten Schrauben kann es durch die Biegewechselbelastung zu einem
Lösen der Schrauben-Platte-Verbindung und zu einem Auswandern der Schraube kommen
([Abb. 10]). Bei winkelstabilen Schrauben ist die Einhaltung der vorgegebenen Richtung durch
Verwendung einer Bohrhülse zu sichern und zudem auf ein korrektes Anzugsmoment der
Schraube zu achten [11].
Abb. 10 32-jähriger Mann mit komplexer Unterarmverletzung, 6 Monate nach Versorgung. a Winkelstabile Plattenosteosynthesen an proximaler Ulna und Radiusschaft, anatomische
Platte für subkapitale Radiuskopffraktur. b Bruch der Platte im ehemaligen Frakturbereich bei Pseudarthrose. c Behandlung mit Metallentfernung und Resektion des Radiuskopfs.
Prävention
Implantatversagen mit Bruch oder Lockerung ist in aller Regel ein Zeichen einer verzögerten
Knochenbruchheilung. Osteosyntheseimplantate sind nur für eine temporär begrenzte
Stabilisierung designt und versagen bei ausbleibender Knochenbruchheilung in diesem
Zeitfenster. Schwächungen des Implantatdesigns durch unbeabsichtigte Beschädigungen,
wie z. B. Anbohren, sowie kalkulierte Schwächungen, wie Schränken und Biegen, sollten
nach Möglichkeit vermieden werden.
Infekt und Pseudarthrose
Neben der biomechanischen Instabilität und der biologischen Insuffizienz mit einer
gestörten Durchblutungssituation im Bereich der Frakturzone kann auch eine lokalisierte
bakterielle Besiedelung zur Beeinträchtigung eines zeitgerechten Frakturheilungsprozesses
führen [12]. Neben dem Auftreten klassischer Entzündungszeichen mit einem klinisch meist sicher
diagnostizierbaren floriden Infekt, treten auch sog. Low-Grade-Infekte auf. Diese
meist unterschwellig verlaufenden Infektionen haben als einziges Symptom eine ausbleibende
knöcherne Konsolidierung der Frakturzone. Unklar ist hierbei weiterhin die Häufigkeit
einer solchen Low-Grade-Situation. So konnte unter Anwendung molekularbiologischer
Verfahren gezeigt werden, dass bei 34 Patienten in 88% der Fälle Bakterien in der
Pseudarthrosenzone nachweisbar waren [3].
Diese sog. Low-Grade-Infekte werden meist durch niedrig virulente Erreger, wie bspw.
Staphylococcus epidermidis, hervorgerufen. Diese besitzen biofilmbildende Eigenschaften
und können so von systemisch verabreichten Antibiotika nicht erreicht werden [13] ([Abb. 11]). Aktuell rücken insbesondere bei infektgefährdeten Situationen, wie offenen Frakturen,
infektresistente Implantate in den Blickpunkt, die mit antibakteriellen Substanzen
bzw. Materialien beschichtet sind. Ziel solcher Beschichtungen ist es, noch vor Ausbildung
eines Biofilms die Beeinträchtigung des Frakturheilungsprozesses durch Bakterien zu
minimieren. Für die Beschichtung können passive Oberflächenmodifikationen, welche
die Adhäsion von Bakterien am Implantat minimeren sollen, von aktiven Oberflächenmodifikationen,
die pharmakologisch aktive mikrobielle Substanzen wie Antibiotika, Antiseptika oder
Metallionen freisetzen, unterschieden werden [14], [15].
Abb. 11 Schematische Darstellung der Biofilmfunktion: Ein Biofilm besteht aus einer Schleimschicht
aus Zuckern und Proteinen in der sich Mikroorganismen, wie beispielsweise Bakterien,
einbetten und einen besseren Schutz etwa gegenüber dem Immunsystem (z.B. Antikörper)
oder antimikrobiellen Substanzen (z.B. Antibiotika) erhalten. Sonst höchst effektive
Mechanismen, wie z. B. direkte Lyse oder Phagozytose durch Makrophagen, können diese
Mikroorganismen dann nicht mehr ausreichend angreifen und abtöten.
Prävention
Infektionsvermeidung hat höchste Priorität in der Frakturversorgung. Bei schweren
und schwersten Weichteilschädigungen ist Stufenkonzepten mit primärer Fixateur-externe-Stabilisierung
und sekundärer Definitivversorgung der Vorzug zu geben. Die Rolle infektresistenter
Implantate ist für die Zukunft noch zu definieren.
Prävention als Prinzip
Mit Fokus auf die chirurgischerseits leistbare Vermeidung implantatassoziierter Pseudarthrosen
lassen sich die Faktoren Planung, Übung und Kontrolle definieren. Eine sorgfältige
und dokumentierte präoperative Planung minimiert Fehler der Implantatwahl und erhöht
die Transparenz des Eingriffs für das ganze OP-Team. Digital gestützte Planungsprogramme
ersetzen die früher üblichen mühsamen Skizzenzeichnungen und lassen sich im Kliniksystem
digital dokumentieren.
Die Kompetenz auch schon am Beginn der chirurgischen Karriere hat durch das große
Kursangebot für Osteosynthesetechniken eine solide und etablierte Grundlage erreicht.
Kadaverworkshops mit z. T. präformierten Fraktursetzungen bilden eine sinnvolle Erweiterung
mit Schulung der operativen Zugänge und einer Annäherung an die reale klinische Situation.
Allerdings sind derartige Kursabsolvierungen vor dem Einsatz am Patienten bisher nicht
systematisch eingefordert und auch nicht obligatorisch in die Facharztweiterbildung
integriert.
Individuell sollte jede Osteosynthese intraoperativ über Bildwandler in 2 Ebenen und
mit Lagekontrolle der gelenknahen Implantate dokumentiert und in der Nachmittagsbesprechung
nach dem Mehrere-Augen-Prinzip validiert werden. Im weiteren Verlauf sind Röntgenkontrollen
standardisiert und verbindlich zu definieren. Ziel ist die möglichst frühzeitige Erkennung
eines Implantatversagens und einer drohenden Frakturheilungsstörung mit dann möglicher
frühzeitiger Revision. Die Ausbildung einer klassischen Pseudarthrose wird unter diesen
Maßnahmen eine Ausnahme darstellen. Für Dauerimplantate, wie z. B. Endoprothesen,
haben sich umfassende Register auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene
bewährt. Eine entsprechende Entwicklung ist auch für die temporär wirkenden Osteosyntheseimplantate
absehbar. Beschleunigen wird sich diese Entwicklung durch die europaweite Einführung
der Medical Device Regulations (MDR), die eine studienmäßige Dokumentation der Langzeitverläufe
auch von Osteosyntheseimplantaten zwingend erforderlich macht. Derartige systematische
Register und Studienprotokolle haben erfahrungsgemäß das Potenzial, Unterschiede und
Schwächen verschiedener Osteosyntheseformen in der Zukunft auch statistisch gesichert
aufzuzeigen.
Fazit
Eine Mitwirkung des Implantats bei der Pseudarthrosenentstehung nach operativer Knochenbruchbehandlung
muss in der großen Mehrzahl der Fälle diskutiert werden. Das Spektrum reicht von falschem
Implantat für die gegebene Frakturform bis zur falschen Anwendung eines prinzipiell
korrekten Implantates. Wechselwirkungen mit der Verletzungsschwere und der Patientencharakteristik
sind praktisch immer vorhanden und erschweren die Analyse von Ursache und Wirkung.
Für die Zukunft sind Verbesserungen durch obligatorische Schulungen der OP-Teams und
durch systematische Erfassung der klinischen Verläufe zu erwarten.