Der Serotoninrezeptor-1F-Agonist Lasmiditan in der Akuttherapie der Migräne
Der Serotoninrezeptor-1F-Agonist Lasmiditan in der Akuttherapie der Migräne
**** Goadsby PJ, Wietecha LA, Dennehy EB, Kuca B, Case MG, Aurora SK, Gaul C. Phase
3 randomized, placebo-controlled, double-blind study of lasmiditan for acute treatment
of migraine. Brain 2019; doi:10.1093/brain/awz134
Auch die zweite Phase III-Studie zeigt eine signifikante Wirkung, die aber eher etwas
unter der von stark wirksamen Triptanen liegt. Zentralnervöse Nebenwirkungen sind
relativ häufig.
Inhalt
Lasmiditan ist ein selektiver Serotoninrezeptor-1F-Agonist, der bislang in 2 Phase-II-Studien
(intravenös und oral) und in 2 Phase-III-Studien (nur oral; genannt SPARTAN und SAMURAI)
sowie einer offenen Langzeitstudie (GLADIATOR) untersucht wurde. Die publizierte Studie
wird von der Firma Eli Lilly als Sponsor überall SPARTAN genannt, auch wenn dieser
Begriff in der Publikation nicht auftaucht. Das Besondere an Lasmiditan ist, dass
die Substanz nicht vasoaktiv ist und somit auch bei vaskulären Risikopatienten eingesetzt
werden kann. Außerdem zeigt die bisherige Effektivität von Lasmiditan, dass auch ein
reiner Serotonin-1F-Agonismus bei Migräne wirksam ist.
In dieser prospektiven, doppelblinden, multizentrischen Studie wurden Patienten mit
Migräne mit und ohne Aura mit Lasmiditan (Dosierungen: 50 mg, 100 m, 200 mg) oder
Placebo behandelt. Primäres Zielkriterium waren die Patienten, die nach 2 Stunden
schmerzfrei waren und die frei vom beeinträchtigendsten Symptom waren („most bothersome
symptom“). Es wurden 3005 Patienten eingeschlossen. Lasmiditan zeigte eine signifikant
höhere Rate an Schmerzfreiheit als Placebo (Lasmiditan 200 mg: 38,8 %; 100 mg: 31,4
%; 50 mg: 28,6 %, Placebo: 21,3 %). Nebenwirkungen durch die Behandlung wurden von
39,0 % (200 mg Lasmiditan), 36,1 % (100 mg Lasmiditan), 25,4 % (50 mg Lasmiditan)
und 11,6 % (Placebo) berichtet. Die häufigsten Nebenwirkungen waren zentralnervöse
Beschwerden wie Benommenheit, Schläfrigkeit und Parästhesien.
Kommentar
Es handelt sich hier um eine konventionelle Studie über die Wirksamkeit eines Medikaments
in der Behandlung akuter Migräneattacken. Dabei besticht diese Studie durch ihre Größe
und die vielen Zentren aus verschiedenen Ländern. Sie bestätigt dabei die Wirksamkeit
von Lasmiditan, wie sie schon aus den vorherigen Studien bekannt war, reflektiert
aber auch die bekannten Nebenwirkungen. Erstaunlich ist allenfalls, dass diese Studie
in der Zeitschrift Brain erschienen ist, die sonst nur sehr zurückhaltend klinische
Studien publiziert.
Trotz der martialischen Akronyme in der Studienbezeichnung muss zur Kenntnis genommen
werden, dass die Wirksamkeit von Lasmiditan im Durchschnitt eher schwach ist und etwas
unter der von gut wirksamen Triptanen liegt. Dabei ist die Rate der zentralnervösen
Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Akutmedikamenten in der Migränebehandlung relativ
hoch.
Zusammenfassend bleibt also der Stellenwert von Lasmiditan in der Zukunft abzuwarten.
Der Vorteil der Substanz in Bezug auf vaskuläre Sicherheit muss abgewogen werden gegen
die allenfalls durchschnittliche Wirksamkeit und gegen die deutlich erhöhte zentrale
Nebenwirkungsrate. Hinzu kommt, dass sowohl Wirksamkeit als auch Nebenwirkungen einer
Dosis-Wirkung-Beziehung unterliegen. Somit wäre die Dosis mit der besten Wirksamkeit
auch die am schlechtesten verträgliche. Eine Überlegenheit gegenüber den Triptanen
zeichnet sich also für Lasmiditan nicht ab; die Entscheidung, ob und wie man mit Lasmiditan
auf den Markt geht, wird für die Firma nicht einfach sein.
Sauerstoff und Triptane sind hocheffektiv zur Therapie von Clusterkopfschmerzattacken
Sauerstoff und Triptane sind hocheffektiv zur Therapie von Clusterkopfschmerzattacken
**** Pearson SM, Burish MJ, Shapiro RE, Yan Y, Schoer LI. Effectiveness of Oxygen
and Other Acute Treatments for Cluster Headache: Results From the Cluster Headache
Questionnaire, an International Survey. Headache 2019; 59: 235–249
Ergebnisse einer internationalen Clusterkopfschmerz Befragung mit 3251 Teilnehmern.
Zusammenfassung
Es handelt sich um die Ergebnisse der bisher größten, internationalen Befragung in
50 Ländern zu den Symptomen, Therapie, Demografie und Begleitumständen sowie Komorbiditäten
von 3251 Clusterkopfschmerzpatienten. Der Großteil der teilnehmenden Patienten kam
aus den USA, Großbritannien und Kanada. Aus Europa kamen immerhin noch 382 Patienten
(23,8 %). Das Cluster Headache Survey war ein Internetbasierter Fragebogen mit 152
Punkten, der von den Patienten selbst ausgefüllt wurde, die vorher selbst bestätigen
mussten, dass sie die Diagnose Clusterkopfschmerz von einer zuverlässigen Quelle nach
den Kriterien der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (ICHD-3 beta) bekommen haben.
1604 Patienten erfüllten diese Kriterien und 589 Patienten erfüllten die Diagnosekriterien
für wahrscheinlichen Clusterkopfschmerz, sodass beide Gruppen in die Analyse mit einflossen.
Die Ergebnisse bestätigten die hohe Wirksamkeit von Sauerstoff und Triptanen zur Akutbehandlung
der Clusterkopfschmerzattacke. Hierbei war Sauerstoff deutlich verträglicher als die
Triptane. Dihydroergotamin und Cafergot/Ergotamine wurden als moderat wirksam eingestuft
mit deutlichen Nebenwirkungen, während Capsaicin und Lidocain Nasenspray als weniger
gut wirksam beschrieben wurden. Seltener eingesetzte Medikamente wie Ketamin Nasenspray
und Koffein wurden als mittelgradig wirksam beschrieben, während Opioide keine Wirksamkeit
beim Clusterkopfschmerz hatten. Die Wirksamkeit von Sauerstoff war bei episodischem
Clusterkopfschmerz deutlich besser ausgeprägt als bei Patienten mit chronischen Clusterkopfschmerz.
Viele der befragten Patienten gaben allerdings an, dass sie große Schwierigkeiten
hatten überhaupt an Sauerstoff zu kommen, weil ihr behandelnder Arzt ihnen es nicht
verschrieben hat oder es Probleme in der Logistik gab. Zusammenfassend kommen die
Autoren zu dem Schluss, dass Sauerstoff die Therapie der 1. Wahl zur Therapie der
Clusterkopfschmerzattacke ist und von allen in Frage kommenden Therapeutika am besten
verträglich zu sein scheint.
Kommentar
Die Studie bestätigt noch einmal in einer großen Patientenkohorte die aktuell gültigen
Therapieempfehlungen beim Clusterkopfschmerz und gibt uns somit Therapiesicherheit
besonders in Bezug auf Sauerstoff und die Triptane. Auch wenn die Verschreibung von
Sauerstoff auch bei uns häufig zu Problemen und Nachfragen kommt, sollte diese Studie
noch einmal unterstreichen, dass es im Hinblick auf das Patientenwohl diese Mühe allemal
wert ist. Ein interessanter Aspekt dieser Studie ist der Einsatz und die Bewertung
von neueren und seltener eingesetzten Präparaten wie dem Ketanest, zu dem es in Zukunft
noch weiterführende Studien geben sollte. Einschränkend muss an dieser Stelle erwähnt
werden, dass keine zusätzliche Validierung oder Kontrolle der Patienteneingaben erfolgt
ist, so dass man sich bei der Interpretation der Studienergebnisse ganz auf die Richtigkeit
der Patientenangaben verlassen muss.
Mark Obermann, Seesen
Anmerkung der Redaktion: Hinweise für die Verordnung von Sauerstoff bei Cluster-Kopfschmerz
finden Sie auf der Webseite der DMKG: http://www.dmkg.de/kopfschmerz-erkrankungen/clusterkopfschmerz/empfehlungen_clusterkopf_sauerstoff.html
Botulinumtoxin bei chronischer Migräne – wann ist ein Auslassversuch sinnvoll?
Botulinumtoxin bei chronischer Migräne – wann ist ein Auslassversuch sinnvoll?
** Ching J, Tinsley A, Rothrock J. Prognosis Following Discontinuation of OnabotulinumA
Therapy in “Super-responding” Chronic Migraine Patients. Headache. 2019 doi: 10.1111/head.13630
Diese offene Studie gibt Hinweise darauf, dass bei Patienten mit sehr gutem Ansprechen
auf Botulinumtoxin ein Auslassversuch erfolgreich sein könnte.
Hintergrund
Die Anwendung von Botulinumtoxin für die Prophylaxe der chronischen Migräne ist durch
die PREEMPT-Studien belegt und mittlerweile in der klinischen Praxis gut etabliert.
Offen ist jedoch, wann und wie die Prophylaxe mit Botulinumtoxin gestoppt werden kann,
ohne einen Rückfall in die chronische Migräne zu provozieren. Es ist auch wissenschaftlich
eine sehr interessante (und wenig untersuchte) Frage, ob (und welche) Migräneprophylaktika
über ihre Anwendung hinaus zu einer anhaltenden Besserung führen. Der klinische Eindruck
bei Botulinumtoxin ist eher, dass eine Beendigung der Therapie bei vielen Patienten
zu einem Rückfall führt.
Zusammenfassung
In der vorliegenden prospektiven, offenen Beobachtungsstudie wurden 276 Patienten
mit chronischer Migräne an der Kopfschmerzambulanz der Washington University Medical
School alle 12 Wochen mit 155 E Botulinumtoxin nach PREEMPT-Schema behandelt. 131
Patienten, entsprechend 49 %, waren „Super-Responder“, d. h. sie hatten im Mittel
nach 6,8 Behandlungen mit Botulinumtoxin weniger als 5 Kopfschmerztage/Monat (nach
Kopfschmerzkalender) und der MIDAS war < 10 Punkte. In diesem Fall wurde die Behandlung
gestoppt, und der klinische Verlauf nach 12 und 24 Wochen kontrolliert. Bei 105 Patienten
(entsprechend 80 % der Super-Responder) kam es über 6 Monate nicht zu einer Verschlechterung
oder zur Notwendigkeit, wieder eine prophylaktische Behandlung zu beginnen. Prädiktoren
für einen Rückfall waren: Das Bestehen eines täglichen Kopfschmerzes für mehr als
6 Monate vor Beginn der Therapie (ca. 50 % der Super-Responder hatten vor Beginn von
Botulinumtoxin tägliche Kopfschmerzen, ca. 20 % bereits mehr als 6 Monate) und eine
größere Anzahl von Botulinumtoxin-Behandlungen bis zum Erreichen des oben beschriebenen
Stopp-Kriteriums.
Kommentar
Die Ergebnisse dieser Arbeit mit recht hohen Patientenzahlen sprechen dafür, dass
bei sehr gutem Ansprechen auf Botulinumtoxin der Behandlungserfolg auch nach dem Absetzen
weiter andauert. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass manche Patienten
spontane Remissionen hatten. Auffällig ist die hohe Anzahl von Super-Respondern, auch
unter Patienten mit täglichen Kopfschmerzen, die erfahrungsgemäß schwieriger zu behandeln
sind. Auch hätte man sich ein längeres Follow-up als 6 Monate gewünscht. Eine weitere
Einschränkung ist, dass „keine Verschlechterung oder Notwendigkeit wieder eine Prophylaxe
zu beginnen“ individuell durch den Behandler beurteilt wurde, ohne striktes Kriterium,
z. B. der Anzahl der Kopfschmerztage/Monat. Eine frühere Studie aus Spanien [[1]] hatte bei 108 Botulinumtoxin-Respondern (= 50 % Besserung der Kopfschmerztage)
nach dem ersten Jahr eine Verlängerung des Intervalls von 3 auf 4 Monate versucht,
die bei 44 % der Patienten erfolgreich war, bei 50 % musste auf 3-Monats-Intervalle
zurückgekehrt werden.
Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse der Studien dafür, dass nach angemessener
Therapiedauer und bei guter Wirkung von Botulinumtoxin eine Verlängerung des Therapieintervalls
versucht und ggf. ein Auslassversuch gemacht werden sollte. Das entspricht auch den
aktuellen Empfehlungen der DMKG [[2]], die bei erfolgreicher Therapie über ein Jahr eine Verlängerung des Intervalls
auf 4 Monate und bei anhaltendem Erfolg nach zwei 4-Monats-Zyklen einen Auslassversuch
empfehlen. Die hier besprochene Studie macht Hoffnung, dass dieses Vorgehen insbesondere
bei Patienten mit sehr gutem Ansprechen erfolgreich sein kann.
Ruth Ruscheweyh, München
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
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Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und
Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377
München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen
Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.