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DOI: 10.1055/a-0955-0319
Blut rettet Leben bei Schwerstverletzten
Vergleich des präklinischen Einsatzes verschiedener Blutprodukte vs. kristalloider Lösungen bei der SchwerstverletztenversorgungPrehospital Blood Product and Crystalloid Resuscitation in the Severely Injured Patient: A Secondary Analysis of the Prehospital Air Medical Plasma Trial.
Ann Surg 2019;
DOI: 10.1097/SLA.0000000000003324.
Dr. med. Andreas Klinger, Würzburg
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
09. Oktober 2019 (online)
Bei der Versorgung von Schwerstverletzten stellt die Exsanguination immer noch die häufigste vermeidbare Todesursache dar. Für das innerklinische Umfeld ist bekannt, dass bei schwerstverletzten Patienten (Pat.) im hämorrhagischen Schock der frühzeitige Einsatz von Blutprodukten (z. B. Erythrozytenkonzentrate = EK, Fresh Frozen Plasma = FFP) die Mortalität reduziert. Die liberale kristalloide Flüssigkeitstherapie führt dagegen zu einer Steigerung der Mortalität.
Für den präklinischen Einsatz von Blutprodukten mehren sich in der aktuellen Literatur Hinweise, dass sowohl die Frühmortalität als auch die Wahrscheinlichkeit für einen hämorrhagischen Schock bzw. die innerklinische Transfusion reduziert werden kann. Insbesondere in der Luftrettung wurde durch den Einsatz von FFP eine Mortalitätsreduktion von bis zu 10% bei Schwerstverletzten im hämorrhagischen Schock festgestellt.
Allerdings geht aus den bisherigen Untersuchungen nicht hervor, welches Blutprodukt bzw. welche Kombination von Blutprodukten präklinisch zur maximalen Mortalitätsreduktion führt.
Daher werteten Guyette et al. in einer Sekundäranalyse die Ergebnisse von 7275 Pat. mit dem Risiko für einen hämorrhagischen Schock aus, die an der multizentrischen clusterrandomisierten PAMPer-Studie (Prehospital Air Medical Plasma) teilgenommen hatten. Das Risiko für einen hämorrhagischen Schock sahen die Autoren als gegeben, wenn – in der Prähospitalphase – der systolische Blutdruck bei 70 – 90 mmHg war und eine Tachykardie vorlag oder der systolische Blutdruck < 70 mmHg war.
In der PAMPer-Studie wurden 27 Luftrettungsstützpunkte in 2 Gruppen randomisiert. Während die „Interventionsgruppe“ FFP mitführte, um Pat. mit dem Risiko für einen hämorrhagischen Schock mit FFP zu therapieren, wurde in der „Beobachtungsgruppe“ nur kristalloide Lösung mitgeführt. Entsprechend dem lokalen Protokoll konnten die Pat. beider o.g. Gruppen zusätzlich mit 2 EK behandelt werden. Die Transfusion von EK war möglich, wenn die in Box 1 aufgeführten Kriterien erfüllt waren.
Somit konnten die folgenden 4 Gruppen für die Analyse gebildet werden: nur kristalloide Lösungen (Kristalloid-Gruppe, 139 Pat., 34%), nur EK (EK-Gruppe, 83 Pat., 20%), nur FFP (FFP-Gruppe, 147 Pat., 36%), FFP und EK (FFP + EK-Gruppe, 38 Pat., 10%).
Bei der adjustierten Regressionsanalyse zeigte sich, dass durch die Applikation von Blutprodukten die 30-Tage-Mortalität signifikant gesenkt werden konnte. Am meisten profitierten die Pat. der EK + FFP-Gruppe mit einer Mortalitätsreduktion von 62%, während die Sterblichkeit in der FFP-Gruppe um 43% und in der EK-Gruppe um 32% im Vergleich zur Kristalloid-Gruppe gesenkt werden konnte.
Weiterhin stellten die Forscher einen Dosiseffekt fest. So reduzierte ein EK die Mortalität um 31% und ein FFP um 32%. Gleichzeitig erhöhte sich die Mortalität um 65% je Liter kristalloider Lösung, sobald die Pat. präklinisch zusätzlich mit Blutprodukten behandelt wurden. Interessanterweise war bei Pat., die präklinisch nur mit kristalloiden Lösungen behandelt wurden, keine dosisabhängige Mortalitätssteigerung nachweisbar.
Einschränkungen in der Interpretation der Ergebnisse sehen die Autoren in der Auswahl der Patientengruppen, da eine Randomisierung nur bei den Luftrettungsstandorten, jedoch nicht bei den Pat. stattfand. Somit konnten bei der adjustierten Analyse nur bekannte Confounder beachtet werden.
Außerdem seien auch die Pat. in der EK-Gruppe mit im Mittel 1000 ml bzw. in der EK + FFP-Gruppe mit 675 ml kristalloider Infusion behandelt worden. Dies könnte einerseits als Ausdruck eines besonders schweren Schockgeschehens gewertet werden, andererseits war die ausschließliche Behandlung mit Blutprodukten nicht im Studiendesign vorgesehen, was die Vergleichbarkeit der Patientengruppen erschwert.
(Voraussetzung: Applikation von 1 l kristalloider Lösung und eines der folgenden Kriterien)
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Hypotension mit einem systolischen Blutdruck von < 90 mmHg
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Bewusstseinstrübung
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Veränderungen der Hautfarbe (Blässe, Marmorierung, Zyanose)
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Tachykardie mit > 120 bpm
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Rekapillarisierungszeit > 2 s
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Laktat > 4 mmol/l
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Schockindex (Herzfrequenz/systolischer Blutdruck) < 0,9
Zusammenfassend stellen die Autoren fest, dass in ihrer Untersuchung durch die präklinische Behandlung mit Blutprodukten die Mortalität bei Schwerstverletzten mit einem Risiko für einen hämorrhagischen Schock signifikant reduziert wurde. Daher fordern sie, diese Patienten präklinisch wann immer möglich mit FFP und ggfs. zusätzlich mit EK zu therapieren. Weiterhin sollte die kristalloide Volumenzufuhr so restriktiv wie möglich erfolgen. Für eine generelle Empfehlung dieses Vorgehens seien jedoch weitere umfassendere Untersuchungen notwendig.
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Dr. med. Andreas Klinger, Würzburg