Schlüsselwörter
Gehirnfunktionsstörung - Bewusstseinsstörung - Glukosestoffwechsel - Schilddrüsenerkrankung
Abkürzungen
AEP:
akutistisch evozierte Potenziale
AHD:
acquired hepatocerebral Degeneration,
ANF:
atrial-natriuretischer Faktor
ATP:
Adenosintriphosphat
CPM:
zentrale pontine Myelinolyse
CSWS:
cerebral Salt Waste Syndrome
DDS:
Dialyse-Dysäquilibrium-Syndrom
DWI:
diffusionsgewichtete MRT
EPM:
extrapontine Myelinolyse
ETKA:
Erythrozyten-Thiamin-Transketolase
FLAIR:
Fluid attenuated Inversion Recovery
GABA:
Gamma-Aminobuttersäure
HepE:
hepatische Enzephalopathie
KS:
Korsakow-Syndrom
MEP:
motorisch evozierte Potenziale
NNR:
Nebennierenrinde
NSE:
neuronenspezifische Enolase
ODS:
osmotisches Demyelinisierungssyndrom
PNP:
Polyneuropathie
PRES:
posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom
RCVS:
reversibles zerebrales Vasokonstriktionssnydrom
RESLES:
reversible splenial Lesion Syndrome
SEP:
somatosensibel evozierte Potenziale
SESA:
subakute Enzephalopathie mit Anfällen bei Alkoholismus
SIADH:
Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion; Schwartz-Bartter-Syndrom
SIRS:
systemic inflammatory Response Syndrome
SREAT:
Steroid-responsive Enzephalopathie bei Autoimmunthyreoiditis; Hashimoto-Enzephalopathie
TSH:
Thyreoidea-stimulierendes Hormon
WE:
Wernicke-Enzephalopathie
ZNS:
Zentralnervensystem
Charakterisierung der „metabolisch-toxischen Enzephalopathie“
Charakterisierung der „metabolisch-toxischen Enzephalopathie“
Die Gruppe der „Enzephalopathien“ (griech. = Gehirnleiden) umfasst ein breites Spektrum
von krankhaften Veränderungen der Gehirnfunktion und -struktur unterschiedlicher Ursache
und Ausprägung. In der Praxis wird der Begriff fast ausschließlich für sekundäre Dysfunktionen
des Gehirns verwendet, die als Folge von Fehlfunktionen innerer Organe oder von Stoffwechselvorgängen
auftreten. Die Spanne reicht von der hepatischen, septischen oder hypoxischen Enzephalopathie
über die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (Morbus Binsswanger) oder
inflammatorisch vermittelte Enzephalopathien bis hin zu genetisch determinierten Erkrankungen
wie Porphyrien oder Mitochondriopathien. Die Enzephalopathie kann als Erstmanifestation
oder als führendes Symptom einer metabolisch-toxischen Dysfunktion auftreten.
Die Störungen, die zu einer Enzephalopathie führen, können zusätzlich auch zu funktionellen
und strukturellen Schädigungen folgender Strukturen führen:
-
des Rückenmarks (Myelopathie) (z. B. Vitamin B12-Mangel),
-
des peripheren Nervensystems (Neuropathie) (z. B. Vitamin B12-Mangel),
-
des zentralen oder peripheren autonomen Nervensystems,
-
der Muskulatur (Myopathie) (z. B. Elektrolytstörungen),
-
anderer Organe.
Diese je nach Verursachung unterschiedlichen Symptomkombinationen sind ein differenzialdiagnostischer
Schlüssel bei der ätiologischen Klärung einer Enzephalopathie.
Die metabolisch-toxischen Störungen als Ursache der Enzephalopathie sind entweder
-
erworben im Rahmen von Organdysfunktionen,
-
erworben im Rahmen einer externen Zufuhr (z. B. Intoxikation, Medikamente) oder
-
genetisch bedingt im Rahmen entsprechender Stoffwechselstörungen.
Die Ausbildung einer Enzephalopathie ist davon abhängig, inwieweit die Balance zwischen
(neuro-)protektiven Faktoren auf der einen Seite und einer erhöhten neuronalen Vulnerabilität
und dem Ausmaß der „Noxe“ auf der anderen Seite verloren geht ([Abb. 1]; nach [1]). Treffen beispielsweise geringe metabolische Störungen auf ein neurodegenerativ
vorgeschädigtes Gehirn, so kann dies bereits zur „enzephalopathischen Dekompensation“
führen [1].
Abb. 1 Enzephalopathische Dekompensation des Gleichgewichts zwischen (neuro-)protektiven
Faktoren einerseits und neuronaler Vulnerabilität und Stärke der hinzutretenden Noxe
auf der anderen Seite.
Die Schädigung des Gehirns durch die metabolische Dysfunktion wird verursacht durch
direkte Beeinträchtigungen neuronaler Funktionen wie der von Ionenkanälen, synaptischen
Übertragungen, Neurotransmitterbildung oder Rezeptoraktivitäten – meist begleitet
von einer Alteration der schützenden Blut-Hirn-Schranke. Entwickeln sich die metabolischen
Veränderungen langsam und chronisch, sind die Auswirkungen auf das Gehirn durch Adaptationen
(protektiver Faktor) weniger drastisch als bei akuten Dekompensationen (s. [Abb. 1]). Oft führt – gerade bei älteren Patienten – die Summation mehrerer enzephalopathogener
Faktoren im Rahmen einer Dekompensation zur akuten Manifestation (z. B. vorbestehende
Demenz + Exsikkose + dopaminerge Medikamente + Hyperglykämie + Fieber) [2].
Diffuse Hirnfunktionsstörung …
Meist ist die Hirnfunktion diffus oder symmetrisch multifokal gestört mit den Leitsymptomen:
-
Bewusstseinsstörung – quantitativ und qualitativ (von delirant bis komatös),
-
motorische Symptome (pyramidal und extrapyramidal, Synergismen),
-
zerebrale und vegetative Reizsymptome (z. B. generalisierte epileptische Anfälle,
Myoklonien).
… und fokale Akzentuierung
Ausnahmen von der diffusen Hirnstörung finden sich bei den fokal begrenzten oder fokal
akzentuierten Schädigungsmustern etwa bei der Wernicke-Enzephalopathie, der zentralen
pontinen Myelinolyse, dem posterioren Enzephalopathiesyndrom (PRES) und der Schädigung
der Basalganglien im Rahmen einer Kohlenmonoxid- oder Methanolylalkoholvergiftung
bzw. nach hypoxischer oder hepatischer Enzephalopathie. Asymmetrische fokale Akzentuierungen
kommen auch bei urämischer und hypoglykämischer Enzephalopathie vor, ohne dass es
dabei zu strukturellen Läsionen kommen muss. Zudem können bei jeder Enzephalopathie
vorbestehende subklinische fokale Hirnläsionen (z. B. ein älterer Hirninfarkt oder
posttraumatischer Hirngewebsdefekt) zu einer fokalen Symptomakzentuierung (z. B. Hemiparese)
im Sinne einer Demaskierung führen [3]
[4].
Dynamik und Prognose: reversibel versus irreversibel
Dynamik und Prognose: reversibel versus irreversibel
Maßgeblich für die Dynamik der Enzephalopathie und damit für die Prognose ist das
Ausmaß der nur funktionell – und damit reversibel – geschädigten Hirnzellen im Verhältnis
zu den bereits definitiv und strukturell unwiderruflich geschädigten Zellen. Abhängig
ist dieses Verhältnis von der „Noxe“ der Schädigung sowie dem Ausmaß und der Länge
der Exposition. So ist beispielsweise bei schneller Korrektur einer Hypoglykämie eine
prompte Rückkehr von Wachheit und Bewusstsein möglich, während sich bei längerer Dauer
angesichts strukturell geschädigter Hirnzellen eine chronische Bewusstseinsstörung
entwickelt.
Damit gilt bei akuten Enzephalopathien hinsichtlich der Diagnostik und Therapie das
Grundprinzip „Time is brain“.
Take Home Message
Bei akuten metabolischen Enzephalopathien sind eine schnelle Diagnosestellung und
Therapie entscheidend, um das Fortschreiten einer funktionellen zu einer strukturellen
neuronalen Schädigung zu verhindern.
Einteilungsprinzipien
Die Enzephalopathien lassen sich multidimensional nach unterschiedlichen Kriterien
einteilen, die sich teilweise überschneiden. So lässt beispielsweise die Wernicke-Enzephalopathie
sowohl als „Vitaminmangel-Enzephalopathie“ (Vitamin B1) als auch als „alkoholassoziierte Enzephalopathie“ klassifizieren.
Manche Enzephalopathien stellen die „Endstrecke“ multipler Noxen dar: So kann man
die Endotheldysfunktion beim posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndrom (PRES)
als Ausdruck eines Hypertonus (z. B. bei Eklampsie) aber auch durch externe Noxen
(z. B. Immunsuppressiva oder Drogen) auffassen. Auch die Läsionstopografie (z. B.
Splenium des Corpus callosum) kann eine eigene Syndromkategorie darstellen (z. B.
reversible Spleniumläsionen), die unterschiedliche metabolische und toxische Ursachen
haben kann.
Auch die Trennung metabolisch versus toxisch ist unscharf: So kann man die hepatische
Enzephalopathie neben ihrer metabolischen Zuordnung auch als „endogen“ toxische Enzephalopathie
ansehen, während exogen toxische Enzephalopathien durch Genussgifte, Drogen oder primär
toxische Substanzen verursacht werden. Manche Organdysfunktionen können auf unterschiedliche
Weise zur Enzephalopathie beitragen wie beispielsweise bei einer Zöliakie durch sowohl
autoimmunologische Mechanismen als auch durch intestinale Resorptionsstörungen [5]
[6]
[7]
[8].
Mögliche Einteilungskategorien fasst die Übersicht zusammen.
Mögliche Einteilungskategorien metabolisch-toxischer Enzephalopathien
-
Ätiologie bzw. Noxe
-
Art der Organ- oder Stoffwechseldysfunktion
-
akute versus chronische Manifestation
-
reversible versus irreversible Enzephalopathien
-
erworbene versus hereditäre Stoffwechselerkrankung
-
Manifestationsalter: pädiatrische versus adulte Formen
-
lokalisierte Prädilektionen/Schädigungsmuster im MRT:
In diesem Artikel werden die für den klinischen Alltag relevantesten endogen metabolischen Enzephalopathien besprochen; verzichtet wird auf die Darstellung der vielfältigen
genetisch-metabolischen Enzephalopathien mit vorwiegender Manifestation im Kindesalter,
auch wenn es bei einigen adulte Formen gibt wie beispielsweise bei den Speichererkrankungen
einschließlich Morbus Wilson, Leukodystrophien oder Mitochondriopathien. Die exogen
toxischen Enzephalopathien werden im Teil 2 der Übersicht in einer der kommenden Ausgaben
zusammengestellt (s. a. [Abb. 2]).
Abb. 2 Das Spektrum metabolisch-toxischer Enzephalopathien (die blau unterlegten Enzephalopathien
sind in diesem Teil 1 beschrieben, die grün unterlegte Thematik wird in Teil 2 in
einer der kommenden Ausgaben abgehandelt).
Diagnostisches und therapeutisches Management
Diagnostisches und therapeutisches Management
Die Diagnose der Ursache einer metabolischen Enzephalopathie bzw. der Ausschluss von
konkurrierenden Ursachen (z. B. entzündlicher Genese) erfolgt durch die mehrdimensionale
Zusammenschau von klinischem Bild, Entstehungsdynamik, Labor- und Liquoruntersuchungen,
EEG und der zerebralen Bildgebung. Die Wichtung der einzelnen Diagnostikbausteine
ist dabei je nach Ätiologie unterschiedlich: Bei der lebensbedrohlichen Wernicke-Enzephalopathie
ist allein die klinische Präsentation ausschlaggebend für einen frühzeitigen Therapiebeginn,
während ein posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES) im klinischen Kontext
mit ausreichender Sicherheit aus der MRT-Bildgebung zu diagnostizieren ist [9]
[10].
Diagnostik
Laboruntersuchungen
Viele metabolische bzw. elektrolytbezogene Dysfunktionen lassen sich durch Messung
von Laborparametern (Routineparameter, z. B. Elektrolyte, Glukose, Schilddrüsen- und
Nierenwerte, oder spezielle Laborparameter wie z. B. bei Kupferstoffwechselstörungen
oder Vitaminmangel) identifizieren.
EEG
Es zeigen sich abhängig vom Schweregrad der Enzephalopathie Verlangsamungen des α-Rhythmus
mit triphasischer generalisierter δ-Aktivität und bei epileptischen Anfällen eventuell
epilepsietypische Muster – letztere auch relevant für die Differenzialdiagnose nonkonvulsiver
Anfälle.
Liquoruntersuchung
Sie dient dem differenzialdiagnostischen Ausschluss entzündlicher Ursachen wie erregerbedingter
oder autoimmuner Meningoenzephalitis.
Zerebrale Bildgebung
Mittels CT und besser noch MRT können zum einen konkurrierende Ursachen der enzephalopathieverdächtigen
Symptomatik ausgeschlossen werden (z. B. Schlaganfälle, Hirntumor) und/oder zum anderen
hinweisende, typische oder spezifische Läsionsmuster der metabolischen Enzephalopathien,
z. B. bilaterale Stammganglienläsionen bei Methanol-Intoxikation, zentrale pontine
Myelinolyse, PRES, nachgewiesen werden.
Die klinisch-neurologische Symptomatik metabolischer Enzephalopathien ist meist unspezifisch,
sodass sie differenzialdiagnostisch nur schwer von Intoxikationen, entzündlichen oder
vaskulären ZNS-Erkrankungen und anderen – vor allem bilateralen – strukturellen Hirnläsionen
unterschieden werden können. Insofern ist eine Ausschlussdiagnostik notwendig, wenn
sich die Ursache nicht unmittelbar erschließt.
Differenzialdiagnose
Für die grundsätzliche Differenzialdiagnose der akuten Gehirndysfunktion können die
Akronyme „I Watch Death“ oder „AEIOU-Tips“ (s. Übersicht) zu Hilfe genommen werden.
Differenzialdiagnose der akuten Gehirndysfunktion
Akronym-Merksatz „I WATCH DEATH“
Akronym „AEIOU-Tips“
-
A – Alkohol
-
E – Epilepsie, Elektrolyte, Endokrin, Enzephalopathie
-
I – Insulin
-
O – Opioide, O2/CO2, Overdose
-
U – Urämie (metabolisch)
-
T – Trauma
-
I – Infektion
-
P – Psychiatrie, Pharmaka, Porphyrie
-
S – Schock, Subarachnoidalblutung (SAB), Stroke, Sepsis
Therapie
Je nach Ätiologie der Enzephalopathie besteht die Therapie aus kausalen und/oder supportiv-symptomatischen
Maßnahmen [10].
Störungen des Glukosestoffwechsels
Störungen des Glukosestoffwechsels
Enzephalopathie bei Hyperglykämie
Akute und subakute Störungen der Gehirnfunktion beim „Coma diabeticum“ treten auf als
Klinik und Prognose
Bei der ketoazidotischen Hyperglykämie kommt es bei 80 % der Patienten zu enzephalopathischen
Symptomen mit allen Stadien quantitativer Bewusstseinsstörungen – bei 10–15 % bis
hin zum Koma. Die Enzephalopathie wird primär durch die Azidose verursacht. Fokale
neurologische Symptome sind selten. Meistens kommt es zur kompletten neurologischen
Restitution.
Bei der hyperosmolaren Hyperglykämie kommt es ebenfalls zu akuten Bewusstseinsstörungen
bis hin zum Koma, häufig jedoch auch zu fokalen Symptomen wie Aphasie, Halbseitensymptomen,
Pyramidenbahnzeichen und fokalen Anfällen, ohne dass bildgebend strukturelle Hirnläsionen
nachweisbar wären. Es besteht ein Flüssigkeitsdefizit von mehreren Litern. Die Sterblichkeit
ist mit fast 30 % hoch. Im Falle des Überlebens sind allerdings in der Regel keine
dauerhaften neurologischen Beeinträchtigungen zu erwarten [2].
Therapie
Die Therapie umfasst 3 Stadien:
-
Rehydrierung: Die Rehydrierung bessert die zerebrale, die renale und die Kreislauffunktion. Durch
die Verbesserung der Insulinsensitivität sinken bereits die Blutzuckerspiegel.
-
Insulintherapie: Anzustreben ist eine Senkung des Blutzuckerspiegels um ca. 50 mg/dl/h.
-
Langsame Anpassung: Eine zu schnelle bzw. überschießende Korrektur muss vermieden werden. Anzustreben
ist eine Stabilisierung des Blutzuckers bei ca. 200 mg/dl.
Sonderform hyperglykämische „diabetische Striatopathie“
Bei dieser seltenen Komplikation der non-ketoazidotischen hyperosmolaren Hyperglykämie
kommt es akut oder subakut zu hemichoreatischen und/oder hemiballistischen Symptomen
mit einer meist einseitigen, oft hämorrhagischen Läsion im CT bzw. MRT im Bereich
von Nucleus caudatus, Putamen und Globus pallidus ([Abb. 3]). Die Komplikation ist fast ausschließlich beim Typ-2-Diabetes beschrieben.
Abb. 3 CT und MRT einer „diabetischen Striatopathie“ (Pfeil) bei einem 66-jährigen Patienten
mit Diabetes Typ 2 und einer dekompensierten nicht-ketoazidotischen Hyperglykämie
und Symptomen einer hemichoreatisch-ballistischen Bewegungsstörung.
Die pathophysiologischen Mechanismen sind nicht abschließend geklärt; diskutiert werden
petechiale Mikroblutungen, mineralische Ablagerungen (v. a. Kalzium und Magnesium),
Demyelinisierungen und Infarzierungen mit Astrozytose. Nach dem Ausgleich der Hyperglykämie
ist die Symptomatik meist mit Verzögerung reversibel. Bei längerer Symptomdauer können
auch „antichoreatische“ Medikamente (z. B. Antidopaminergia wie Tiaprid oder Tetrabenazin)
notwendig werden [11].
Enzephalopathie bei Hypoglykämie
Die Hypoglykämie (Blutglukose < 45–50 mg/dl) ist die häufigste Komplikation des Diabetes
mellitus. 20–60 % der Typ-1-Diabetiker erleiden pro Jahr eine schwerere Hypoglykämie,
die z. B. durch zu strenge Diabeteseinstellung, eine akzidentelle oder suizidale Insulinzufuhr,
eine inadäquate parenterale Ernährung oder aber bei Sepsis, Multiorganversagen oder
endogenem Hyperinsulinismus bei Insulinom entsteht. Pathophysiologisch steht dabei
zu wenig Substrat für die Produktion energiereicher Phosphate im Gehirn zur Verfügung.
Dadurch akkumulieren exzitatorische Aminosäuren.
Klinik und Prognose
Typisch sind zunächst Tachykardie, Palpitationen, Blässe, Heißhunger, Schweißausbruch,
Tremor, Angstgefühle, Unruhe und Sehstörungen. Bei der gleichzeitigen Einnahme von
Betablockern werden diese autonomen Warnzeichen einer Hypoglykämie teilweise unterdrückt.
Es folgen Koordinationsstörungen, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma mit Primitivreflexen
und Pyramidenbahnzeichen, aber auch generalisierte und fokale Anfälle. Gelegentlich
auftretende fokale motorische Symptome mit halbseitiger Akzentuierung oder Aphasie
können an einen Schlaganfall denken lassen („Stroke Mimic“). Im MRT können sich als
Ausdruck der hypoglykämischen Zellschädigung symmetrische multifokale oder diffuse
Läsionen Areale mit Diffusionsrestriktionen zeigen ([Abb. 4]).
Abb. 4 Unterschiedliche Läsionsmuster in den diffusionsgewichteten MRT-Aufnahmen (DWI) als
Ausdruck einer zytotoxischen Schädigung nach kurzer und längerer schwerer Hypoglykämie
(helle Darstellung). Betroffen sind bilateral Thalamus und Putamen (links) bzw. nahezu
die gesamte weiße Substanz (rechts) als Ausdruck einer schweren Enzephalopathie 14
Tage nach schwerer Hypoglykämie mit anhaltendem Koma.
Besonders hypoglykämiesensitive zerebrale Areale sind der Hippocampus, der Thalamus,
das Striatum und der Kortex. Schwerste, länger anhaltende Hyopglykämien führen zu
Defektzuständen mit persistierendem vegetativem Status („Syndrom reaktionsloser Wachheit“).
Bei rezidivierenden Hypoglykämien kann es, ähnlich wie bei der hypoxischen Enzephalopathie,
zu dauerhaften kognitiven Einbußen kommen.
Bei rezidivierenden Hypoglykämien induziert das Gehirn als einen nur auf den ersten
Blick protektiven Anpassungsmechanismus eine erhöhte zerebrale Hypoglykämietoleranz.
Dieser „Trainingseffekt“ führt zu einer niedrigeren Kalibrierung der Wahrnehmungsschwelle
für Hypoglykämien („Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung“) mit einem verringerten Puffer
für ein Gegensteuern, was zu vermehrten schweren „neurotoxischen“ Hypoglykämien führt.
Die manchmal fokalen enzephalopathischen Symptome der Hypoglykämie können zerebrovaskuläre
oder entzündliche Erkrankungen imitieren. Obwohl eine Glukosebestimmung zur Routinediagnostik
akuter neurologischer Symptome gehört, wird sie doch immer wieder bei suggestiven
Konstellationen vermeintlich anderer Ursache vergessen.
Therapie
Leichte Hypoglykämien sollten möglichst rasch von den Patienten durch schnell resorbierbare
Kohlenhydrate, z. B. süße Limonade oder Traubenzucker, ausgeglichen werden. Bei schwerer
Hypoglykämie wird rasch intravenös 50 ml Glukose 20 % oder 50 % gegeben, anschließend
500 ml Glukose 5–10 %. Als Rescue-Therapie bei schwerer Hypoglykämie ist auch eine
i. m.-Injektion von Glukagon möglich; seit 2020 ist eine nasale Applikation von Glukagon
zugelassen.
Fall 1
Eine 78-jährige Patientin hatte bereits mehrere multiätiologische Hypoglykämien (schwere
Arteriosklerose bei u. a. insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2, Vorhofflimmern)
erlitten. Durch die ambulante Pflegekraft wird der Rettungsdienst alarmiert, weil
ihre Patientin einen erneuten Schlaganfall erlitten habe: Sie sei bewusstseinsklar
mit einer Sprechstörung und einer jetzt kompletten Lähmung der bislang nur leicht
betroffenen linken Körperseite angetroffen worden. In der Notaufnahme zeigte sich
im Routinelabor ein Glukosewert von 54 mg/dl, und nach der Infusion von ca. 80 ml
einer 100-ml-Flasche einer 50 %-igen Glukoselösung sind sämtliche Symptome verschwunden.
Im Einsatzprotokoll war kein Glukosestix dokumentiert und bei Nachfrage räumten die
Rettungskräfte ein, dass sie aufgrund der eindeutigen Schlaganfallsymptomatik die
Glukosemessung „vernachlässigt“ hätten.
Hepatische Enzephalopathie
Hepatische Enzephalopathien (HepE) können bei akuten (v. a. akutes Leberversagen)
und chronischen Lebererkrankungen (v. a. bei Zirrhose und portaler Hypertension bzw.
portosystemischem Bypass) auftreten. Es kann zwischen der häufigen und „klassischen“
hepatische Enzephalopathie (HepE) und einer selteneren hepatozerebralen Degeneration
(acquired hepatocerebral Degeneration, AHD) unterschieden werden.
Das Ausmaß der – potenziell reversiblen – HepE hängt davon ab, wie akut und wie stark
die Leber geschädigt ist und wie ausgeprägt die Leberumgehungskreisläufe sind. Zum
akuten Leberversagen – oft aufgepfropft auf eine chronische Schädigung – kommt es
z. B. bei Leberzirrhose, Virushepatitis, Reye-Syndrom, Schwangerschaft, Morbus Wilson,
Lebervenenthrombose, Intoxikation oder als Medikamentennebenwirkung. Wichtigste Auslösefaktoren
der hepatischen Dekompensation sind gastrointestinale oder andere sonstige Blutungen,
eiweißreiche Mahlzeiten, Infektionen, Obstipation, Operationen, Blutdruckabfälle,
Bluttransfusionen, Dehydratation z. B. durch Diuretikagabe und Gabe von Sedativa (z. B.
Benzodiazepine).
Neben der „klassischen“ HepE entwickeln 1–2 % der Patienten mit chronischer Leberschädigung
eine chronisch-progressive, irreversible „hepatozerebrale Degeneration“ (acquired
hepatocerebral Degeneration, AHD) aufgrund einer manganinduzierten Schädigung mit
einer Glutamat-Akkumulation in den Astrozyten. Es kommt zur Kombination zerebellärer
und extrapyramidal parkinsonoider Symptome wie Ruhetremor, Akinesie, Choreoathetose,
Myoklonien, Dysarthrie, Ataxie, Pyramidenbahnzeichen und selten auch kognitiven und
psychiatrischen Störungen. Beide Manifestationen können auch überlappend auftreten
[12].
Pathophysiologie
Insgesamt besteht eine multifaktorielle Genese der HepE als Ergebnis komplexer Wirkungen
auf den Hirnstoffwechsel vor allem auf die Gliazellfunktion, deren Einzelheiten noch
nicht abschließend geklärt sind. Pathomorphologisch kommt es zu einer sogenannten
Alzheimer-Typ-II-Degeneration der Astrozyten. Im Wesentlichen wirken drei pathophysiologische
Mechanismen zusammen:
-
Ammoniakintoxikation: Einer der noch nicht detailliert geklärten Mechanismen ist die Verbindung des Ammoniaks
mit dem in den Astrozyten gebildeten Glutamin zu Glutamat. Daraufhin schwellen die
Astrozyten an, und es entwickelt sich ein Hirnödem.
-
Bildung „falscher“ dysfunktioneller Neurotransmitter: Aromatische Aminosäuren werden vermehrt ins Gehirn aufgenommen, während verzweigtkettige
Aminosäuren abnehmen. Durch diese Aminosäure-Imbalance werden anstelle der „normalen“
exzitatorischen Neurotransmitter (Noradrenalin und Dopamin) vermehrt „falsche“ Neurotransmitter
aus aromatischen Aminosäuren gebildet (Tyramin, Octopamin und Phenylethanolamin).
-
GABA-Hypothese: Eine Überaktivität des inhibitorischen GABAergen Systems führt zur synaptischen neuronalen
Hemmung.
Klinik
Anhand der Symptome werden 5 Schweregrade der HepE unterschieden von der latenten
Form (Grad 0) bis hin zum Koma (Grad 4). Bei schweren (Grad 3) und schwersten (Grad
4) Formen der HepE kommt es zu Bewusstseinsstörungen, Desorientiertheit, Delir und
schließlich zum Koma. Begleitet werden diese Symptome meist von Koordinationsstörungen,
Myoklonien, Asterixis (auch bezeichnet als „flapping Tremor“), erhöhtem Muskeltonus
und einer Hyperreflexie. Der typische „flapping Tremor“ ist neurophysiologisch ein
„negativer“ Myoklonus mit kurzer ruckartiger Hemmung der Handstreckung bei Vorhalten
der Hände und seiner reflexartigen Kompensation. Bei der schweren Form kommt es zur
Entwicklung eines Hirnödems mit Hirndrucksteigerung und „Einklemmung“. Bei frühzeitiger
Therapie sind die Symptome potenziell reversibel.
Diagnostik
In der Regel bestätigt eine Erhöhung des Serum-Ammoniakspiegels die Verdachtsdiagnose.
In der CT und MRT kann in schweren Fällen einer akuten HepE ein Hirnödem nachgewiesen
werden. Das MRT kann bei chronischen Verläufen in den T1w-Aufnahmen symmetrische Hyperintensitäten
im Bereich der Stammganglien zeigen, die auf eine Mangan-Akkumulation zurückzuführen
sind. Bei der AHD können sich zusätzlich zu den Stammganglienveränderungen bilaterale
Degenerationen der Pyramidenbahnen in den T2-FLAIR-Wichtungen zeigen ([Abb. 5]).
Abb. 5 MRT bei hepatischer Enzephalopathie. Links: Bilaterale Degeneration der Pyramidenbahn
(AHD) (Pfeile; T2-FLAIR). Rechts: Hyperintense Veränderungen (T1) als Zeichen der
Mangan-Akkumulation.
Therapie
Bei akutem komplettem Leberversagen muss die Indikation für eine Lebertransplantation
überprüft werden. Die MRT-Auffälligkeiten der HepA inklusive der Mangan-Ablagerungen
sind nach einer Lebertransplantation potenziell reversibel. Begleitende Gerinnungsstörungen
sind durch Gabe von Gerinnungsfaktoren zu therapieren. Eine Reduktion der Ammoniakproduktion
und -absorption erreicht man durch Proteinrestriktion und Hemmung der Urease produzierenden
Bakterien im Darm:
-
Laktulose entfernt Substrate aus dem Darm, die dort zu Ammoniak metabolisiert werden,
und unterbricht über die Azidifizierung des Kolons die ureasebedingte Ammoniakbildung.
Auch die Verabreichung von oralen Antibiotika (z. B. Neomycin, Metronidazol, Rifaximin)
dient diesem Ziel.
-
Einen Abbau des Ammoniaks erreicht man durch L-Ornithin-L-Aspartat und Glycerol-Phenylbutyrat.
-
Die Bildung „falscher Neurotransmitter“ soll durch Infusionslösungen verhindert werden,
die reich an verzweigtkettigen und arm an aromatischen Aminosäuren sind. Durch Antagonisierung
der GABAergen Benzodiazepinrezeptoren mit dem Antagonisten Flumazenil kann eine kurzfristige
Symptombesserung durch Hemmung der GABAergen Benzodiazepinrezeptoren erreicht werden.
Enzephalopathien bei Schilddrüsenerkrankungen
Enzephalopathien bei Schilddrüsenerkrankungen
Hypothyreose und Myxödem
Die Symptome einer hypothyreotischen Enzephalopathie sind variabel und umfassen:
-
affektive und wahnhaft-halluzinatorische Symptome, z. B. Depression, „myxödematöse
Verrücktheit“,
-
kognitive Defizite, z. B. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Demenz,
-
Delirien und quantitative Bewusstseinsstörungen („Myxödemkoma“).
Auslöser ist oft ein Sedativum, ein Infekt oder eine Operation. Zusätzliche Allgemeinsymptome
sind Bradykardie, Hypotonie, Hypothermie und Herzinsuffizienz. Die Diagnose wird anhand
der Schilddrüsenwerte gestellt.
In schweren Fällen wird L-Thyroxin hochdosiert (500 μg) als Bolus gegeben, gefolgt
von 100 μg täglich (Cave: kardiale Nebenwirkungen). Bei leichten Fällen wird einschleichend
substituiert mit dem Ziel, den TSH-Wert innerhalb von ca. 4 Wochen zu normalisieren.
Hyperthyreose
Trotz ihrer Häufigkeit bleiben Hyperthyreosen oft länger unentdeckt. An Allgemeinsymptomen
entwickeln sich Temperaturerhöhung, Tachykardien und -arrythmien, Durchfälle, vermehrtes
Schwitzen und Exsikkose. Ein hyperthyreotes Vorhofflimmern kann zu embolischen Hirninfarkten
führen. Die enzephalopathischen Komplikationen der Thyreotoxikose reichen von Nervosität,
Reizbarkeit und Schlafstörungen bis hin zu deliranten Bewusstseinsstörungen einschließlich
der Entwicklung eines Komas („Basedow-Koma“). Die Manifestationsform der „apathischen
Hyperthyreose“ ist gekennzeichnet durch Lethargie, Depressivität und kognitiven Beeinträchtigungen.
Neben der Enzephalopathie kann auch eine Myopathie auftreten.
Auslöser sind abruptes Absetzen von Thyreostatika, Infektionen, Traumata und jodhaltige
Medikamente oder Röntgenkontrastmittel.
Therapeutisch werden Thyreostatika verabreicht; symptomatisch werden Betablocker gegeben.
Hashimoto-Enzephalopathie (SREAT)
Die treffender als „Steroid-responsive Enzephalopathie bei Autoimmunthyreoiditis“
(SREAT) bezeichnete Erkrankung bei der Hashimoto-Thyreoiditis betrifft vorwiegend
Frauen (Frauen: Männer = 7:1). Der Pathomechanismus ist nicht abschließend geklärt:
Angesichts der Seltenheit der SREAT bei der großen Zahl an Hashimoto-Erkrankten wird
kontrovers diskutiert, ob die Enzephalopathie kausal auf die Thyreoiditis per se zurückgeht,
oder ob es sich um eine Autoimmunenzephalitis handelt, die gelegentlich koinzident
mit einer Thyreoiditis auftritt. So konnte bei einer Subgruppe von SREAT-Patienten
eine limbische Enzephalitis mit Antikörpern gegen das NH2-Terminal der α-Enolase gefunden
werden [13]
[14]. Auch eine neuere Untersuchung lässt an der spezifischen Entität der SREAT zweifeln,
da sich weder eindeutige Antikörperkonstellationen charakterisieren ließen noch alle
Patienten gut auf Kortikosteroide angesprochen hatten [15].
Klinik
Die Enzephalopathie geht mit Verwirrtheit, Kopfschmerzen, ataktischen Störungen, Krampfanfällen,
kognitiven Störungen und Myoklonien einher. Schwere Verläufe können klinisch der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
ähneln. Es wird eine „diffus-progressive“ und eine „vaskulitische“ Verlaufsform postuliert.
Zu etwa 75 % besteht eine Euthyreose, zu etwa 20 % eine Hypothyreose und sehr selten
eine Hyperthyreose.
Diagnostik
Bei 70 % der Patienten ist das basale TSH erhöht, bei 90 % sind antimikrosomale Antikörper
und Anti-Thyroid-Peroxidase-Antikörper nachzuweisen. Antithyroglobin ist nur bei 60 %
nachweisbar. In der MRT finden sich evtl. in den T2-gewichteten (FLAIR) Aufnahmen
bilaterale, meist symmetrische Signalanhebungen im Bereich des Temporallappens und
Hippocampus oder fleckförmige Läsionen der weißen Substanz. Im Liquor sind Proteinerhöhungen
häufig.
Therapie
Parallel zur Substitutionstherapie sollte eine Immunsuppression durchgeführt werden
– anfangs mit Kortikosteroiden, je nach Schwere zwischen 100 und 1000 mg/d, und längerfristig
mit anderen Immunsuppressiva, wie z. B. Azathioprin. Unter der Immunsuppression ist
eine langsame Rückbildung der Symptome möglich, aber nicht zwingend.
Die Steroid-responsive Enzephalopathie bei Autoimmunthyreoiditis (SREAT) ist eine
seltene zerebrale autoimmunvermittelte Komplikation einer Hashimoto-Thyreoiditis.
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts
Enzephalopathie bei Hyponatriämie
Hyponatriämien – mit Werten < 135 mmol/l – sind die häufigste Elektrolytstörung und
finden sich bei etwa 3 % aller Krankenhauspatienten. Es können hypovolämische, isovolämische,
hypervolämische und isoosmolare Hyponatriämien unterschieden werden [2].
Pathophysiologie
Die Hyponatriämien können verschiedene Ursachen haben (s. Übersicht). Je nach Akuität
und Ausmaß der Störung kommt es zu einer Wasserverschiebung im Gehirn von extra- nach
intrazellulär mit der Gefahr eines Hirnödems.
Ursachen der Hyponatriämie
-
SIADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion), z. B. bei Malignomen, akuten ZNS-Erkrankungen,
Lungenerkrankungen, endokrinen Erkrankungen (z. B. Myxödem), Leberzirrhose, Herzinsuffizienz
-
zentrales Salzverlustsyndrom (CSWS)
-
iatrogen, z. B. Infusionsbehandlung, Medikamente (Diuretika, Zytostatika, Antidiabetika,
Antidepressiva, Barbiturate, Antikonvulsiva [v. a. Carbamazepin/Oxcabazepin])
-
Lebererkrankungen, z. B. Zirrhose, Morbus Wilson
-
Malnutrition, Kachexie
-
exzessive Zufuhr von Flüssigkeit („Wasserintoxikation“), z. B. bei psychischer Erkrankung,
oder Marathonläufern
-
adrenokortikale Insuffizienz
SIADH: Beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion („Schwartz-Bartter-Syndrom“) kommt es
zur teilweise ektopischen Hypersekretion von ADH oder ADH-ähnlichen Polypeptiden.
Meist sind dafür paraneoplastische Prozesse (v. a. kleinzelliges Bronchialkarzinom,
Pankreaskarzinom, Lymphom), ZNS-Erkrankungen (z. B. Subarachnoidalblutung, Meningoenzephalitis,
Trauma oder Hirntumor) oder ein Guillain-Barré-Syndrom verantwortlich. In der Folge
wird weniger Wasser ausgeschieden, und es entwickelt sich eine iso- oder hypervolämische
Verdünnungshyponatriämie.
CSWS: Beim zerebralen Salzverlustsyndrom („cerebral Salt Waste Syndrome“) entsteht die
Hyponatriämie durch einen erhöhten Salzverlust (Natriumausscheidung > 50 mmol/l) mit
Polyurie und Verminderung des Extrazellulärvolumens und damit einem Volumenmangel.
Ursachen sind unterschiedlichste intrakranielle Erkrankungen wie Subarachnoidalblutung,
Schädel-Hirn-Trauma, Hirntumoren und Meningeosis carcinomatosa oder auch neurochirurgische
Operationen. Sie bewirken eine Freisetzung des atrial-natriuretischen Faktors (ANF)
aus dem Bereich des 3. Ventrikels und dem Hypothalamus. Das CSWS ist insbesondere
in der neurologischen Intensivmedizin zu beobachten und zeigt manchmal Kombinationen
mit einem SIADH.
Beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) entsteht die Hyponatriämie durch
Wasserretention, beim zerebralen Salzverlustsyndrom (CSWS) durch Natriurese.
Klinik
Chronische oder sich langsam entwickelnde Hyponatriämien mäßigen Ausmaßes werden meist
problemlos toleriert. Bei raschem Abfall des Serum-Natriums unter 125 mmol/l treten
erste Symptome auf, bei < 110 mmol/l besteht Lebensgefahr. Es kommt zu Kopfschmerzen,
Übelkeit, Erbrechen, generalisierten epileptischen Anfällen und zu unterschiedlichen
Stadien und Formen quantitativer und qualitativer Bewusstseinsstörungen, die mit Muskelkrämpfen
verbunden sein können. Im Extremfall kommt es bei massivem Hirnödem zur Einklemmung.
Diagnostik
Die Hyponatriämie ist im Routinelabor einfach festzustellen. Für das SIADH ist kennzeichnend,
dass die die Serumosmolalität niedriger ist (meist < 260 mosmol/l) als die Urinosmolalität
(> 300 mosmol/kg). Das Natrium im Urin ist bei der SIADH erhöht (Na + -Ausscheidung > 25 mmol/l bei normaler Zufuhr), das Plasma-ADH dagegen meist normal
bis erhöht.
Therapie
Natrium wird substituiert, wobei je nach Ursache, Akuität und Ausprägung der Hyponatriämie
und ihrer Symptome vorgegangen wird. Dabei darf der Serum-Natriumspiegel um nicht
mehr als 0,5 mmol/l pro Stunde steigen, um eine pontine oder extrapontine Myelinolyse
(CPM/EPM) zu vermeiden. Nur wenn die Symptome bedrohlich sind, darf der Serum-Natriumspiegel
ausnahmsweise und auch nur anfangs um 1–2 mmol/l/h angehoben werden.
SIADH: Ziel ist eine Flüssigkeitsrestriktion auf ca. 800 ml/d; bei symptomatischen Patienten
kann der Serum-Natriumspiegel mit hypertonen Lösungen – langsam (!) – korrigiert werden.
Bei Therapieresistenz ist die Gabe des Vasopressin-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan
möglich.
CSWS: Die Therapie besteht aus einer Substitution von Natrium und Wasser (hypertone Kochsalzlösung)
und bei Therapieresistenz einer Gabe von Fludrocortison 0,05 – 0,2 mg/d.
Hypernatriämie
Hypernatriämien können sich entwickeln bei
-
Wasserverlust (z. B. Diabetes insipidus, extrarenale Flüssigkeitsverluste),
-
Wasserverlust kombiniert mit geringem Natriumverlust (z. B. exzessives Schwitzen,
Fieber, osmotische Diurese),
-
Natriumzufuhr (Infusionen, Cushing, Hyperaldosteronismus).
Der „zentrale“ Diabetes insipidus entsteht dabei, indem die hypothalamische Stimulation
der ADH-Ausschüttung vermindert abnimmt. Das ist z. B. bei Hirntumoren oder -metastasen,
granulomatösen Entzündungen (z. B. Tuberkulose, Sarkoidose) oder Hypophysenchirurgie,
ZNS-Infektionen, Hirnblutungen und anderweitig verursachtem Hirndruck möglich. Inwieweit
eine enzephalopathische Symptomatik auftritt, hängt generell von der Akuität und der
absoluten Höhe der Hypernatriämie (Osmolalität > 320 mosmol, Serum-Na+ > 160 mmol/l) ab. Die Enzephalopathie ist Ausdruck der osmotischen Dehydratation
mit Schrumpfung des Intrazellulärraums aufgrund der erhöhten Serumosmolarität und
mikrovaskulärer Hyperviskositätsschäden mit kapillären Blutungen oder venösen Stauungen.
Klinik
Bewusstseinsstörungen sind meist das erste Zeichen einer Hypernatriämie. Sie treten
bevorzugt in der Rehydrierungsphase auf und sind seltener als bei der Hyponatriämie
von epileptischen Anfällen begleitet. Beim Diabetes insipidus kann die Polyurie mehr
als 20 l/d betragen und mit entsprechender Polydipsie und Exsikkose – bis hin zum
Volumenmangelschock – einhergehen.
Komplikationen der Hypernatriämie sind intrazerebrale oder subarachnoidale Blutungen
und Sinus-Venenthrombosen. Steigt die Osmolarität sehr schnell, kann ein osmotisches
Demyelinisierungssyndrom entstehen (siehe Abhandlung des ODS auf Seite 374). Die Prognose
der hypernatriämischen Enzephalopathie ist abhängig von der Grunderkrankung und den
Komplikationen.
Diagnostik
Die Hypernatriämie ist im Routinelabor einfach festzustellen. Beim Diabetes insipidus
beträgt das spezifische Gewicht des Urins < 1005 und seine Osmolalität < 300 mosmol/kgKG.
Differenzialdiagnostisch ist der Durstversuch hilfreich (Prüfung der Konzentrationsfähigkeit
der Niere während einer 12-stündiger Durstphase).
Therapie
Die Therapie besteht in der Rehydratation mit isotonischen oder halbisotonischen Kochsalzlösungen,
wobei eine Korrektur um 1–2 mmol Natrium/h nicht überschritten werden sollte, da es
anderenfalls zu fatalen zerebralen Ödemen kommen kann. Auch die Zufuhr freien Wassers
sollte wegen der möglichen Ausbildung eines Hirnödems vermieden werden. Beim Diabetes
insipidus wird Desmopressin substituiert (2 × 10–20 μg/d intranasal oder Tabletten
3 × 0,2–1,2 mg/d oder 2–4 μg s. c. oder i. v.).
Kalzium, Phosphat und Magnesium
Hyperkalzämie und Hyperphosphatämie kommen meist bei Osteolysen gemeinsam vor. Symptomatisch werden Kalziumwerte ab 3 mmol/l.
Symptome sind Müdigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen,
Krampfanfälle, Durstgefühl und vermehrte Diurese. Die Therapie besteht in Flüssigkeitsersatz,
Kaliumsubstitution und Medikamenten (Schleifendiuretika, Ionenaustauscher, Natriumbicarbonat,
i. v. Bisphosphonate). In schweren Fällen ist eine Dialyse erforderlich.
Hypokalzämie und Hypomagnesiämie: Symptome sind Bewusstseinsstörungen und Krampfanfälle. Eine Hypokalzämie geht mit
Tetaniezeichen einher (Chvostek, Trousseau).
Hypermagnesiämien können ausgelöst werden durch exzessive Magnesiumzufuhr bei eingeschränkter Nierenfunktion.
Symptome sind Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma.
Hypophosphatämien treten meist im Rahmen einer kompletten parenteralen Ernährung ohne ausreichende
Phosphatsubstitution in komplexen intensivmedizinischen Behandlungssituationen auf.
Sie äußern sich in Bewusstseinsstörungen, Rhabdomyolysen und subakuten bis akuten
Tetraparesen mit Reflexverlust (Differenzialdiagnosen: Critical Illness Polyneuropathy,
Guillain-Barré-Syndrom).
Hyper- und Hypoparathyreoidismus führen durch die begleitende Hyperkalzämie resp. Hypokalzämie zu zentralnervösen
Symptomen. Beim chronischen Hypoparathyreoidismus bilden sich symmetrische Verkalkungen
im Stammganglienbereich, eventuell auch im Kleinhirn (Morbus Fahr). Seltene Symptome
sind extrapyramidale Bewegungsstörungen mit parkinsonoiden, choreatischen, dystonen
und athetotischen Symptomen. Bei 40 % der Patienten mit bilateralen Stammganglienverkalkungen
in der zerebralen Bildgebung bestehen keine Symptome und somit Zufallsbefunde.
Enzephalopathien bei Nierenerkrankungen und Dialyse
Enzephalopathien bei Nierenerkrankungen und Dialyse
Urämische Enzephalopathie
Urämische Enzephalopathien treten akut oder subakut während der Entstehung eines Nierenversagens
auf. Wenn gleichzeitig ein maligner Hypertonus vorliegt, kann es schwierig sein, zwischen
urämischer und hypertensiver Enzephalopathie zu unterscheiden [16].
Pathophysiologie
Neben Harnstoff und Kreatinin ist eine Vielzahl harnpflichtiger neurotoxischer Substanzen
im Blut erhöht, der Kalziumgehalt des Gehirns steigt durch die Parathormonerhöhung
an, wodurch unterschiedliche Ionenpumpen, Neurotransmitter und die Proteinexpression
gestört sind, was den Gehirnmetabolismus beeinträchtigt.
Klinik
Neben Übelkeit, Erbrechen und evtl. einem Harngeruch der Atemluft (Foetor uraemicus)
kommt es im Rahmen der Enzephalopathie zu Störungen der Affekte und des Verhaltens,
zu Meningismus, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma, epileptischen Anfällen, Myoklonien,
Tremor, Muskeltonuserhöhung mit Hyperreflexie und Pyramidenbahnzeichen sowie zu Hemi-,
Para- und Tetraparesen.
Diagnostik
Im Laborbefund lassen sich die Erhöhungen von Kreatinin, Harnstoff, Kalzium und Parathormon
nachweisen. Nur selten bestehen im MRT Auffälligkeiten vor allem im Bereich der Basalganglien.
Therapie
Die Therapie besteht primär in der Behandlung des Nierenversagens durch Dialyse bzw.
bei irreversibler Schädigung langfristig durch eine Transplantation. Krampfanfälle
werden symptomatisch mit Antikonvulsiva behandelt, wobei die Dosierung an die reduzierte
Clearance anzupassen ist.
Dialyseassoziierte Enzephalopathien
Im Zusammenhang mit der Dialyse kann es zu einem Dialyse-Dysäquilibrium-Syndrom (DDS)
und einer Dialyse-Enzephalopathie kommen ([Tab. 1]).
Tab. 1
Dialyse-Dysäquilibrium-Syndrom (DDS) und Dialyse-Enzephalopathie.
|
Enzephalopathie
|
Pathogenese
|
Symptome
|
Prophylaxe/Therapie
|
|
Dialyse-Dysäquilibrium-Syndrom (DDS)
|
zu rascher osmotischer Gradient zwischen Plasma und Gehirn mit intrazellulärer Azidose
und Hirnödem
|
am Ende oder nach der Dialyse: Unruhe, Übelkeit, Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe, Myoklonien,
Asterixis, Bewusstseinstrübungen bis hin zum Koma
|
Vermeidung einer zu raschen Dialyse
|
|
Dialyse-Enzephalopathie
|
Aluminiumablagerungen bei aluminiumhaltigen Dialysaten
aluminiumhaltige Medikamente
Begünstigung der Aluminiumresorption durch Hyperparathyreoidismus oder Zitrusfrüchte
verstärkter Aluminiumtransport in die Hirnzellen aufgrund eines Eisenmangels
|
subakut bis chronisch progredient: affektive und kognitive Störungen, demenzielles
Syndrom, extrapyramidale Störungen, epileptische Anfälle
|
Vermeidung der genannten Aluminiumexpositionen
|
Wernicke-Enzephalopathie (Vitamin-B1 [Thiamin]-Mangel)
Die akute Wernicke-Enzephalopathie (WE) und das eher chronische Korsakow-Syndrom (KS)
sind zwei unterschiedliche Ausprägungen der zerebralen Komplikationen eines Thiamin
(Vitamin B1)-Mangels, der zu 80–90 % als Folge eines chronischen Alkhoholmissbrauchs auftritt.
Das KS tritt meist im Anschluss an eine WE auf. Andere Ursachen des Thiamin-Mangels
sind nicht-alkoholassoziierte Formen der Malnutrition bzw. -resorption und Störungen
des Thiamin-Stoffwechsels, wie z. B. Anorexie, Diäten, Hyperemesis (gravidarum), bariatrische
Chirurgie, Tumorerkrankungen und Chemotherapien (v. a. Fluorouracil). Die WE hat eine
Sterblichkeit von ca. 20 % – abhängig vom Zeitpunkt der Thiamin-Substitution.
Pathophysiologie
Akute Thiamin-Defizite manifestieren sich nach 2–3 Wochen durch Beeinträchtigung unterschiedlicher
Mechanismen des zellulären Glukose-/Glutamatstoffwechsels. Dadurch kommt es zu symmetrischen
ödematösen Schwellungen, später auch zu punktförmigen Einblutungen und Kapillaraussprossungen
in den bevorzugten Manifestationsregionen der Corpora mamillaria, der hypothalamischen
Kerngebiete um den III. Ventrikel, des mediodorsalen Thalamus, der Lamina tecti, des
periaquäduktalen Grau im Bereich der Kerngebiete des N. oculomotorius und auch des
Kleinhirnwurms. Bei frühzeitiger Therapie ist eine Rückbildung möglich. Wenn die Läsionspathologie
in eine Atrophie übergeht, so entwickelt sich ein Korsakow-Syndrom.
Klinik
Der Thiamin-Mangel führt zu kardiovaskulären und neurologischen Symptomen. Asiaten
entwickeln eher kardiovaskuläre Symptome mit Herzinsuffizient und Ödemen („feuchte
Beriberi“), während bei Europäern eher die neurologischen Symptome der WE („trockene
Beriberi“) im Vordergrund stehen.
Nach einer Phase unspezifischer Symptome mit Müdigkeit und Kopfschmerzen mündet die
Symptomatik in die typische Symptomtrias der WE (s. Übersicht).
Typische Symptomtrias der Wernicke-Enzephalopathie
-
Verwirrtheit/Bewusstseinsstörungen (bei ca. 60 %)
-
Ataxie (bei ca. 30 %) und
-
Okulomotorikstörungen (bei ca. 30 %)
Die komplette Trias tritt nur bei einem Drittel der Patienten in voller Ausprägung
auf
Nicht selten finden sich die Symptome im Anschluss an ein Alkoholentzugsdelir oder
in Verbindung mit einer hepatischen Enzephalopathie. Die WE kann in Kombination mit
anderen (metabolischen) Enzephalopathien wie dem osmotischen Demyelinisierungssyndrom
(ODS) oder einem posterioren reversiblen Enzephalopathiesyndrom (PRES) auftreten [2].
Das Korsakow-Syndrom ist durch eine chronische und ausgeprägte, vorwiegend anterograde
Amnesie gekennzeichnet. Deren Ausdruck sind schwere Störungen des Kurzzeitgedächtnisses,
die auch mit amnestisch bedingten Orientierungsstörungen einhergehen. Die retrograde
amnestische Komponente ist geringer ausgeprägt, und die Exekutivfunktionen sind nicht
oder kaum beeinträchtigt. Häufig sind vor allem initial Konfabulationen als Überspielungen
der amnestischen Lücken zu beobachten.
Diagnostik
Die Diagnose der WE und des KS sind klinische Diagnosen unter Berücksichtigung der
Symptomatik in Verbindung mit einer der genannten Risikokonstellationen. Es existiert
keine ausreichend spezifische Nachweismethode der Erkrankung etwa als Labortest; die
Bestimmung der Vitamin-B1-Spiegel ist aufgrund deren geringen Spezifität nicht zur Diagnose geeignet. Normale
Thiamin-Spiegel im Vollblut schließen einen gravierenden zerebralen Thiamin-Mangel
nicht aus. Zwar kann ein Thiamin-Mangel durch eine erniedrigte Erythrozyten-Thiamin-Transketolase
(ETKA), die unter der Substitution ansteigt, nachgewiesen werden, jedoch sind die
Ergebnisse in Notfallsituationen nicht überall und rechtzeitig zu erhalten und daher
nicht therapierelevant.
Die MRT-Untersuchung ist die Methode der Wahl (Spezifität 90 %, Sensitivität 50 %), um die typischen dienzephalen,
thalamischem, periventrikulären und periaquäduktalen neuroanatomischen Läsionen der
WE nachzuweisen ([Abb. 6]). Atypische Lokalisationen sind das Zerebellum (s. [Abb. 6]), die Hirnnervenkernareale, der Nucleus dentatus, der Nucleus caudatus, der Nucleus
ruber, das Splenium des Corpus callosum sowie Regionen des Kortex.
Abb. 6 Wernicke-Enzephalopathie: Links: „klassisches Muster“ nach 3-wöchiger Hyperemesis
gravidarum mit typischer Läsionsverteilung um den 3. Ventrikel und im posterioren
Thalamus (T2-FLAIR). Rechts: Seltene zerebelläre Manifestation einer Wernicke-Enzephalopathie
im MRT (DWI) unter 5-Fluorouracil-Therapie.
Therapie
Bereits die Verdachtsdiagnose einer WE muss zur sofortigen Thiamin-Substitution führen.
Eine WE ist eine lebensbedrohliche medizinische Notfallsituation, die sowohl sofortige
allgemeine stabilisierende Maßnahmen als auch die sofortige hochdosierte parenterale
Thiamin-Substitution erfordert (initial 200–500 mg Thiamin i. v. 3 × täglich für 2–3
Tage innerhalb von 30 Minuten als Kurzinfusion mit 100 ml NaCl; anschließend für 3–5
Tage 250 mg Thiamin i. v. 1 × täglich). Bei rechtzeitiger Thiamin-Substitution können
bis zu 50 % Besserungen eintraten. Bei etwa 50 % der Betroffenen erholen sich die
kognitiven Funktionen nicht.
Thiamin vor Glukose geben!
Die Thiamin-Gabe muss in jedem Fall vor einer eventuellen Gabe von Glukose erfolgen,
da ansonsten das Thiamin-Defizit weiter exazerbiert; dies ist angesichts der häufigen
Hypoglykämien bei alkoholkranken Patienten praxisrelevant. Eine prophylaktische Thiamin-Gabe
(mindestens 100 mg/d) muss bei allen alkohol- und malnutritionsassoziierten spezifischen
und unklaren Erkrankungssituationen erfolgen (insbesondere z. B. Alkoholentzugsdelir).
Take Home Message
Die Thiamin-Gabe muss bereits bei klinischem Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie
und damit bei allen Präsentationen neurologischer Symptome im Kontext von Alkoholkonsum
oder Malnutrition erfolgen.
Alkoholenzephalopathie
Der Begriff der Alkoholenzephalopathie umfasst im engeren Sinn direkte langjährige
äthyltoxisch-nutritive Schädigungen des Gehirns, die im Falle der supratentoriellen
Ausprägung mit kognitiven Defiziten einhergehen. Im Vordergrund stehen atrophische
Veränderungen, wobei der Alkohol und sein Abbauprodukt Acetaldehyd zum Teil per se,
aber auch zusammen mit der malnutritiven Komorbidität des Alkoholismus für den degenerativen
Pathomechanismus verantwortlich sind. Auch moderate Trinkmengen (5–10 Glas Wein pro
Woche) über 30 Jahre können im Vergleich zu abstinenten Personen zu Atrophien vor
allem des Hippocampus mit leichten kognitiven Defiziten (z. B. Wortflüssigkeit) führen.
Es sind folgende Manifestationen der Alkoholenzephalopathie beschrieben:
-
Alkoholische kortikale Degeneration mit supratentorieller Atrophie v. a. im Hippocampus ([Abb. 7]).
-
Alkoholische Kleinhirndegeneration: Atrophie der Purkinje-Zellen mit Schwerpunkt im Vermis cerebelli, die zu einem zerebellären
Syndrom mit Stand- und Gangataxie sowie Dysarthrie führt.
-
Subakute Enzephalopathie mit Anfällen bei Alkoholismus (SESA): Selten auftretendes Syndrom mit rezidivierenden quantitativen und qualitativen Bewusstseinsstörungen
sowie fokalen Defiziten (Hemiparesen, Aphasie) mit epilepsietypischen EEG-Veränderungen.
Inwieweit das vorwiegend in der epileptologischen Literatur behandelte Syndrom eine
eigene syndromale Entität rechtfertigt, ist strittig.
-
Marchiafava-Bignami-Erkrankung: Seltene Komplikation des chronischen Alkoholismus mit akuter, subakuter oder chronischer
demyelinisierender Schädigung des Balkens, die zu Vigilanz- und Bewusstseinsstörungen,
Demenz, Dysarthrie, Spastik und Tetraparese führt.
Abb. 7 CT eines 40-jährigen Patienten nach 15-jährigem Alkoholmissbrauch: Atrophie infra-
und supratentoriell sowie der inneren Liquorräume.
Therapie
Bei allen Formen der Alkoholenzephalopathie besteht die einzige Therapie in einer
Alkoholabstinenz und Normalisierung der Ernährung, gegebenenfalls mit Substitution
von Vitaminen. Die SESA erfordert eine antiepileptische Behandlung.
Andere Enzephalopathien bei Hypovitaminosen
Neben dem Thiamin-Mangel kann es auch unter einem Mangel an Vitamin B3, B6 und Folsäure (B9, B11) zu Enzephalopathien kommen, deren Erscheinungsformen in [Tab. 2] zusammengestellt sind.
Tab. 2
Vitaminmangelerkrankungen mit Enzephalopathien.
|
Chemische Bezeichnung (Vitamin) Mangelerkrankung
|
Enzephalopathie
|
Typische allgemeine und nichtenzephalopathisch-neurologische Symptome
|
Vorkommen
|
|
Niacin, Nicotinamid, Nicotinsäure (B3), Pellagra
|
Bewusstseinsstörungen, Halluzinationen, Demenz, Apathie
|
Ekzeme in typischen Arealen, Photosensibilität, Stomatitis, Diarrhöen, Anorexie, Myoklonien,
PNP
|
isoliert selten, bei isolierter Maisernährung; bei Mangelernährung, oft kombiniert
mit B1- und B6-Mangel
|
|
Pantothensäure (B5)
|
Kopfschmerzen, Fatigue, Ataxie
|
unspezifische Dermatose, Muskelkrampfe, PNP („Burning Feet“)
|
isolierter B5-Mangel selten, z. B. schwere Mangelernährung
|
|
Pyridoxin (B6)
|
epileptische Anfälle
|
schuppende Ekzeme in Gesicht und Kopfhaut, Stomatitis, Glossitis, Konjunktivitis,
Anamie, PNP
|
v. a. bei Kindern
isolierter Mangel sehr selten, bei Alkoholismus 30 % erniedrigte Serumspiegel
|
|
Folsaure, Pteroylglutamat, (B9, B11)
|
Demenz, Leukenzephalopathie
|
Glossitis, Stomatitis, makrozytäre Anämie, Myelopathie, PNP
|
eng verknüpft mit B12-Mangel, daher isoliert schlecht charakterisiert
neurologische Manifestationen sehr selten
|
|
Cobalamin (B12), Perniziosa
|
organische Psychosyndrome, Leukenzephalopathie
|
Stomatitis angularis, Glossitis, Haarausfall, makrozytäre Anämie, Sehnervbeteiligung
funikuläre Myelose, PNP
|
haufig, z. B. Achlorhydrie bei Gastritis, Medikationen
|
Abkürzung:
PNP = Polyneuropathie
Hypertensive Enzephalopathie und posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES)
Akute exzessive Blutdruckanstiege führen dazu, dass die Autoregulation der Hirngefäße
und die Blut-Hirn-Schranke beeinträchtigt werden. Es entwickelt sich ein primär vasogenes
Hirnödem mit petechialen Blutungen vorwiegend im Parietal- und Okzipitallappen.
Klinik und Diagnostik
Möglich sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, kortikale Sehstörungen, Bewusstseinsstörungen,
generalisierte oder fokale Krampfanfälle, Hemiparesen und Aphasien. Am Augenhintergrund
können Netzhautexsudate und -blutungen und ein Papillenödem beobachtet werden. In
leichten Fällen sind CT und MRT meist unauffällig, bei ausgeprägten Formen lassen
sich ausgedehnte symmetrische Marklagerveränderungen vorwiegend im Okzipital- und
Parietallappen im Sinne eines posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndroms (PRES)
nachweisen.
Das PRES als Syndromentität wurde erstmals 1996 im Zusammenhang mit hypertensiver Enzephalopathie
bzw. Eklampsie beschrieben, da sich magnetresonanztomografisch symmetrische Marklagerveränderungen
vorwiegend im Okzipital- und Parietallappen nachweisen ließen. Mittlerweile wurde
es auch bei anderen Konstellationen wie beispielsweise der Therapie mit Immunsuppressiva,
bei metabolischen Entgleisungen oder bei Sepsis beobachtet.
Galten die Läsionen entsprechend der Namensgebung anfangs als stets reversibel sowie
und ausschließlich in der weißen Substanz („Leuk-“) und posterior lokalisiert ([Abb. 8]), zeigte sich zunehmend, dass auch irreversible maligne Verläufe und andere Lokalisationen
auftreten können. Selbst Beteiligungen des Myelons sind beschrieben. Wenn nämlich
in der Entwicklung des PRES ein bestimmter „Point of no Return“ der dominoartig voranschreitenden
Störung der Blut-Hirn-Schranke überschritten ist, kann es zu massiven Hirnödemen mit
tödlichem Verlauf kommen. Auch kann es neben dem üblichen vasogenen Ödem zu Anteilen
eines zytotoxischen Ödems kommen. Einblutungen sind ebenfalls möglich.
Abb. 8 Posteriore Leukenzephalopathie in der CT (links – posteriore bilaterale Hypodensität)
und MRT (rechts – DWI-Signalerhöhung als Ausdruck eines teilweise zytotoxischen Ödems)
bei einer Patientin mit prolongierter hypertensiver Krise bei Lupus erythematodes
unter Immunsuppression mit Ciclosporin.
Mittlerweile sind unzählige Konstellationen publiziert worden, die assoziiert mit
einem PRES aufgetreten sind, sodass dieses als die „endotheliale Endstrecke“ unterschiedlicher
schädigender Auslöser aufgefasst werden kann. Kombinationen mit einem reversiblen
zerebralen Vasokonstriktionssnydrom (RCVS) sind möglich [17].
Osmotisches Demyelinisierungssyndrom (ODS)/zentrale pontine Myelinolyse (CPM)
Die zentrale pontine Demyelinisierung ist der häufigste Lokalisationstyp einer mittlerweile
allgemeiner als „osmotisches Demyelinisierungssyndrom“ (ODS) bezeichneten Erkrankung,
die im Zusammenhang mit Alkoholkonsum und/oder abrupten primär extrazellulären osmotischen
Verschiebungen vor allem bei schnell korrigierter Hyponatriämie und bei Lebertransplantationen
auftreten kann. Es kommt zu einer akuten fokal-symmetrischen Demyelinisierung in den
zentralen Anteilen des Brückenfußes. Solche auf die Brücke begrenzte Manifestationen
finden sich bei ca. 50 % der ODS-Fälle; bei 20 % treten ausschließlich extrapontine
Manifestationen und bei 30 % Kombinationen auf. Die Diagnose wurde erst durch die
Einführung der MRT klinisch häufiger gestellt.
Die Details des Pathomechanismus wie auch die Frage der Auswirkungen der Hyponatriämie
als solcher z. B. durch Apoptosevorgänge ist noch unklar. Wahrscheinlich kommt es
über eine osmotisch-toxische Schädigung von Gefäßendothelien zur Demyelinisierung
des angrenzenden Hirngewebes [18].
Bei 50 % des osmotischen Demyelinisierungssyndroms (ODS) treten die Demyelinisierungseareale
allein oder zusätzlich außerhalb des Pons auf, sodass es gleich häufig zu pontinen
(CPM) und extrapontinen (EPM) Manifestationen kommt.
Fall 2
Eine 54-jährige alkoholabhängige Patientin wurde im Rahmen eines Entzugsdelirs mit
mehreren epileptischen Anfällen stationär internistisch behandelt und erhielt nach
neurologischer Konsiliaruntersuchung als Antiepileptikum das Medikament Oxcarbazepin
in ansteigender Dosierung.
Nach 4 Wochen wurde sie vom Ehemann wegen zunehmender Bewusstseinstrübung wieder in
eine Klinik gebracht. Die primäre Labordiagnostik zeigte eine Hyponatriämie von 112 mmol/l.
Innerhalb von 24 Stunden erhielt die Patientin 3 l 0,9 %ige NaCl-Lösung, denen mehrere
Ampullen 20 % NaCl-Lösung zugegeben wurde. Die Therapie war zunächst erfolgreich,
die Patientin klarte auf, und der Serum-Natriumwert lag 24 Stunden später bei 141 mmol/l.
Dieser Erfolg hielt jedoch nur weitere 24 Stunden an, dann wurde die Patientin soporös
und zeigte Zeichen nach Babinski beidseits (bei einem Serum-Natriumwert von 150 mmol/l).
In der CT ergab sich kein auffälliger Befund, die MRT zeigte beidseits symmetrische
hyperintense Signalauffälligkeiten (ohne Kontrastmittelanreicherung) im Pons.
Das Serum-Natrium wurde auf ca. 140 mmol/l justiert, und die Bewusstseinslage der
Patienten besserte sich im Lauf von 10 Tagen deutlich. Die Demyelinisierung zeigte
sich zu diesem Zeitpunkt in der MRT ausgeprägter. 3 Wochen nach Symptombeginn war
die Patientin noch leicht benommen, darüber hinaus jedoch unauffällig. In der MRT
fanden sich unverändert deutliche pontine Signalstörungen ([Abb. 9]).
Abb. 9 Zentrale pontine Myelinolyse bei Hyponatriämie einer alkoholkranken Patientin 3 Wochen
nach Symptombeginn in T2- (transversal und sagittal) gewichteten MRT-Aufnahmen.
Klinik
Die Symptomatik kann sehr variabel sein und von leichten Dysarthrien oder Ataxien
über Tetraparesen und Störungen der Okulomotorik und anderer Hirnstammfunktionen bis
hin zum Koma mit Strecksynergismen reichen. Beim Befall extrapontiner Regionen – meist
der Stammganglien, des Thalamus oder Zerebellums – finden sich vor allem extrapyramidale
Symptome wie Rigor, Tremor, Hypo- und Akinese und Dystonie sowie ataktische Störungen.
Diagnostik
Die MRT ist gegenüber der CT sensitiver und zeigt symmetrisch angeordnete ovale pontine
Demyelinisierungen ([Abb. 9]). Die Konfiguration dieser Läsionen kann pathognomonische Charakteristika aufweisen
in Form des Piglet-Sign (Schweinchen-Zeichen) oder Trident-Sign (Dreizack-Zeichen).
In allen Stadien der Erkrankung können deutliche Diskrepanzen zwischen dem Ausmaß
der MRT-Läsionen und der klinischen Symptomatik auftreten: Oft bestehen selbst nach
guter klinischer Besserung die MRT-Befunde über längere Zeit fort. Durch Messungen
akustisch (AEP), somatosensibel (SEP) oder motorisch (MEP) evozierter Potenziale lassen
sich passend zur Topografie der Schädigung Leitungsverzögerungen und Amplitudenminderungen
nachweisen.
Therapie, Prävention
Da eine gesicherte Therapie nicht existiert, müssen Hyponatriämien prophylaktisch
vorsichtig und kontrolliert korrigiert werden. In den ersten 24 Stunden sollte der
Natriumserumspiegel nicht mehr als 10 mmol/l angehoben werden (< 0,5 mmol/l pro h).
Allerdings kann bei einer behandlungsbedürftigen symptomatischen Hyponatriämie (z. B.
mit Hirnödem) in den ersten 3–4 Stunden eine stündliche Erhöhung um 1–2 mmol/l akzeptiert
werden, da das Risiko von Schäden durch die Hyponatriämie als gewichtiger zu veranschlagen
ist als das Risiko der zu schnellen Korrektur. Sobald leicht hyponatriämische Werte
(125–130 mmol/l) erreicht sind, sollte die Natriumkorrektur wegen der Gefahr überschießender
Werte beendet werden.
Prognose
Galt die Prognose früher als schlecht, so zeigte die zunehmende intravitale Diagnosestellung
mittels MRT bei ca. 70 % der Betroffenen einen gutartigen Verlauf.
Reversible Spleniumläsionen (RESLES = „reversible splenial Lesion Syndrome“)
Diese in der MRT-Bildgebung typisch erscheinende Läsion im Bereich des hinteren Balkens
(Bumerang-Zeichen) ist im Zusammenhang mit der Höhenkrankheit, der Einnahme oder dem
Entzug von Antiepileptika, bei bzw. nach epileptischen Anfällen, aber auch bei metabolischen
Entgleisungen wie Hypoglykämien oder Hypernatriämien beschrieben. Insofern handelt
es sich um eine Enzephalopathie, die sowohl endogen metabolische als auch exogen toxische
Ursachen haben kann.
Manchmal werden die Läsionen als Zufallsbefunde bei MRT-Untersuchungen gefunden, die
aufgrund unspezifischer Symptome durchgeführt werden (s. [Abb. 10]). Dabei können Zeichen des vasogenen als auch eines zytotoxischen Ödems auftreten.
Es treten keine Diskonnektionssymptome auf, und die Läsionen sind fast immer reversibel
[19].
Abb. 10 Reversible Spleniumläsion (reversible splenial Lesion Syndrome; RESLES) als Zufallsbefund
in einer MRT-Untersuchung (Schwindel unter neu begonnener Carbamazepindosis wegen
Trigeminusneuralgie). Links: T2-Wichtung, rechts: DWI.
Hypoxische Enzephalopathie nach kardiopulmonaler Reanimation
Im Zuge einer kardiopulmonalen Reanimation ist eine globale zerebrale Hypoxie häufig.
Aus ihr entwickelt sich eine (post-)hypoxische Enzephalopathie. Pathophysiologisch
kommt es zu unterschiedlichen Schädigungskaskaden der Hypoxie: ATP-Depletion, intrazelluläre
Kalziumüberladung, Ausschüttung exzitatorischer Neurotransmitter mit weiterer Energiedepletion,
Bildung freier Radikale, endotheliale Dysfunktion, Ausschüttung vasokonstriktorischer
Substanzen mit Ischämieausbreitung, intrazellulärer laktatinduzierter Hydrops („zytotoxisches
Ödem“) mit mikrovaskulärer Kompression, inflammatorische Vorgänge und Apoptose.
Klinik und Diagnostik
Bei schwerer Ausprägung finden sich neben einem Koma spastische Tonuserhöhungen mit
positiven Pyramidenbahnzeichen, Beuge- und Strecksynergismen, vegetative Entgleisungen
mit Tachykardie, arterieller Hypertonie und Hyperthermie sowie fokale oder generalisierte
Myoklonien und generalisierte tonisch-klonische Anfälle.
In der CT oder MRT zeigen sich in schweren Fällen die meist raumfordernde hypoxisch-ischämische
Hirnschwellung, die Auflösung der Mark-Rinden-Abgrenzung, Hypodensitäten der Stammganglien
und Ischämien der Grenzzonen ([Abb. 11]).
Abb. 11 Hypoxische Enzephalopathie nach Strangulation in suizidaler Absicht. Diffusionsgewichtetes
MRT mit bilateralen hyperintensen Signalstörungen okzipital und im Putamen.
Therapie und Prognose
Wird so schnell wie möglich eine physikalische Neuroprotektion durch gezielte leichte
Hypothermie bei 33 °C („targeted Temperature Management“) begonnen, bessert dies die
Prognose bei Reanimationen nach Kammerflimmern deutlich und bei Reanimationen nach
Asystolien in geringerem Ausmaß. Für eine möglichst treffsichere Prognose sollte eine
Zusammenschau der klinischen Befunde (v. a. Pupillenreaktion und Reagibilität) mit
dem EEG („maligne“ EEG-Muster?), der Bildgebung (Hirnödem? Läsionen?), dem Medianus-SEP
(N20-Antwort ausgefallen?) und erhöhten biochemischen Markern des Hirnzelluntergangs
(v. a. neuronenspezifische Enolase NSE > 90 µg/l) berücksichtigt werden [20]
[21].
Take Home Message
Die Prognose einer akuten hypoxischen Enzephalopathie sollte immer in Zusammenschauender
Bewertung von mindestens 3 von 5 negativen Prädiktoren erfolgen:
-
Pupillomotorik ausgefallen,
-
neuronenspezifische Enolase NSE > 90 µg/l
-
N20-SEP-Anwort bilateral fehlend
-
„malignes“ EEG-Muster
-
Schädigungsmuster in der Bildgebung.
Septische Enzephalopathie
Die septische Enzephalopathie ist eine der häufigsten Enzephalopathien auf Intensivstationen.
Je nach weiter oder enger Definition von „Sepsis“ und je nach Phase einer systemischen
Infektions- und/oder Entzündungserkrankung (SIRS, Sepsis, schwere Sepsis, Schock)
findet man eine Beteiligung des Gehirns im Sinne einer Enzephalopathie bei 25–70 %
der Erkrankten. Die differenzialdiagnostische Zuordnung ist wegen mehrerer potenziell
„enzephalopathischer“ Konstellationen der Multiorgandysfunktion schwierig. Ätiologisch
wird eine multifaktorielle „Neurotoxizität“ durch Entzündungsmediatoren und Stoffwechsel-
und Transmitterstörungen angeschuldigt [22].
Klinik
Die septische Enzephalopathie tritt oft in deliranter Form als Initialsymptom der
Sepsis auf und besteht aus Bewusstseinsstörungen, epileptischen Anfällen, Myoklonien
und evtl. Spastik und Rigor.
Diagnostik
Die Diagnose wird vor allem durch Ausschluss konkurrierender Störungen der Gehirnfunktion
bei Sepsis etwa durch eine Meningoenzephalitis, Hirnabszesse oder andere metabolische
Enzephalopathien im Rahmen des Multiorganversagens (z. B. hepatisch, hypoxisch, urämisch)
gestellt. Entsprechend kommen bildgebende Verfahren (MRT, CCT), neurophysiologische
Verfahren (EEG, SEP) und die Liquordiagnostik zum Einsatz.
Therapie und Prognose
Eine spezifische Therapie existiert nicht; im Vordergrund steht die Beherrschung der
Sepsis und der Multiorgankomplikationen. Die Enzephalopathie selbst ist in schweren
Fällen nach erfolgreicher Behandlung potenziell reversibel.
Akute intermittierende Porphyrie
Bei den Porphyrien liegt eine erbliche Stoffwechselstörung der Hämbiosynthese in der
Leber bzw. den Erythrozyten vor mit einer Anhäufung von Porphyrinen oder ihrer Vorstufen
und deren vermehrter Ausscheidung. Bei der autosomal-dominant vererbten Form der „akuten
intermittierenden Porphyrie“ kommt es oft durch exogene Auslöser (z. B. Medikamente)
zu den Attacken.
Klinik
Die Kombination aus enzephalopathischen, neuropathischen Symptomen und abdominellen
Schmerzen (auch in der Anamnese) sollte an eine Porphyrie denken lassen.
Das klinische Bild ist allerdings vielgestaltig und die Diagnose klinisch schwierig
zu stellen:
-
Enzephalopathie: Adynamie, Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Krampfanfälle;
-
abdominelle Symptome: z. B. kolikartige Schmerzen, Darmmotilitätsstörungen (Erbrechen,
Obstipation, auch Diarrhöe);
-
schwere rasch progrediente motorisch und im Unterschied zum GBS eher proximal akzentuierte
Polyneuropathie.
Die chilenische Schriftstellerin Isabell Allende hat in ihrem Roman „Paula“ den tödlichen
enzephalopathischen Verlauf mit Koma einer akuten Porphyrie bei ihrer Tochter Paula
beschrieben.
Diagnostik
Eine dunkelrote bis schwärzliche Verfärbung des Urins im Licht kann ein wichtiger
Hinweis auf eine Porphyrie sein ([Abb. 12]). Die akute Porphyrie wird anhand der exzessiv erhöhten Porphyrinvorläufer δ-Aminolävulinsäure
und Porphobilinogen im Serum, der Erhöhung von Porphyrinen im Urin und durch den Nachweis
des Gendefekts diagnostiziert.
Abb. 12 Urin eines Patienten mit akuter intermittierender Porphyrie frisch und nach 24 Stunden
Tageslicht.
Therapie
Alle porphyrinogenen Medikamente müssen abgesetzt und durch „porphyriekompatible“
Substanzen ersetzt werden. Zur Suppression der Hämsynthese werden Glukose und Hämarginat
i. v. gegeben. Seit 2020 ist in Deutschland das Präparat Givosiran zugelassen. Es
handelt sich um eine doppelsträngige, kleine interferierende Ribonukleinsäure. Sie
bewirkt über einen Abbau der mRNA von Delta-Aminolävulinatsynthase in den Leberzellen
eine Verringerung der Blutspiegel der neurotoxischen Zwischenprodukte Aminolävulinsäure
und Porphobilinogen. Symptomatisch werden Schmerzen mit Azetylsalizylsäure oder Opioiden
behandelt und eine Hypertonie bzw. Tachykardie mit Propranolol. Bei Unruhe oder Erbrechen
ist Chlorpromazin oder Chloraldehyd indiziert, Krampfanfälle werden mit Benzodiazepinen,
Magnesium, Gabapentin, Levetiracetam oder Brivaracetam therapiert, die empirisch keine
Porphyrieverstärkung auslösen.
-
Die Präsentation akuter Enzephalopathien ist meist unspezifisch und besteht meist
aus Bewusstseinsstörungen, die kombiniert mit Anfällen und motorischen Störungen auftreten
können.
-
Die Wernicke-Enzephalopathie durch Vitamin-B1-Mangel allerdings ist durch eine typische klinische Trias aus Bewusstseins- und Okulomotorikstörung
sowie Ataxie gekennzeichnet und bedarf einer unmittelbaren Therapie mit Thiamin.
-
Bei Enzephalopathien ist eine zügige Diagnose und Therapie notwendig, um den Übergang
einer neuronalen Funktionsstörung in eine strukturelle Schädigung zu vermeiden.
-
Wenn die Ätiologie der Enzephalopathie nicht sofort offensichtlich ist (wie z. B.
bei Störungen des Glukosestoffwechsels oder der Elektrolyte), muss eine umfangreiche
Ausschlussdiagnostik erfolgen, weil konkurrierende Erkrankungen wie Schlaganfälle,
Enzephalitis, Trauma, Status epilepticus, postiktale Zustände, psychogene Syndrome
ähnliche Präsentationen haben können.
-
Läsionsmuster in der zerebralen Bildgebung können pathognomonisch, typisch oder zumindest
hinweisend für bestimmte Ursachen einer Enzephalopathie sein.
-
Bei einigen metabolischen Störungen kann die Therapie kausal sein, bei anderen sind
nur supportiv-symptomatische Behandlungen möglich.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. Frank Erbguth, Nürnberg.