Schlüsselwörter
Polytrauma - early care - Sekundärversorgung - Wirbelsäulenverletzungen - “treat first,
what kills first”
Key words
polytrauma - early care - secondary care - spinal injuries - “treat first, what kills
first”
Einleitung
Ein polytraumatisierter Patient bedarf einer komplexen und gut strukturierten Behandlung.
Diese muss vom Ersthelfer über den Rettungsdienst, ggf. über das erstversorgende Krankenhaus
bis hin zur endgültigen Behandlung im Zielkrankenhaus geplant werden. In der Klinik
wird der Patient über den Schockraum aufgenommen und die Verletzungen der Schwere
nach triagiert und behandelt. Bei Häusern, die nicht alle Fachabteilungen zur endgültigen
Versorgung des Patienten besitzen, ist an eine sekundäre Verlegung zu denken.
Eine Schockraumversorgung sollte in jedem Haus nach einem standardisierten Schema
ablaufen, um vorzubeugen, Verletzungen zu übersehen. Hier bietet sich das ABCDE-Schema
nach ATLS (Advanced Trauma Life Support) an. Es bietet einen strukturierten Ablauf
für die Behandlung eines Patienten in der Notfallsituation. Dabei wird mit dem potenziell
lebensbedrohlichsten Bereich begonnen, wobei A für Airway, B für Breathing, C für
Circulation, D für Disability und E für Environement bzw. Exposure stehen.
In dieser ersten Phase der Polytraumaversorgung stellen sich vor allem die Fragen:
„Welche Verletzung bedarf als Erstes der Versorgung?“ „Benötigt der Patient eine operative
Versorgung?“ „Ist der Patient stabil genug für eine Operation?“ (Deutsche Gesellschaft
für Unfallchirurgie, S3-Leitlinie/Schwerverletztenbehandlung [1]). Die Triagierung des Patienten folgt dem Prinzip: „Treat first, what kills first“,
ggf. sogar unter sofortiger Unterbrechung der Diagnostik bei akuter vitaler Bedrohung
des Patienten.
Primärversorgung
Bei der Primärversorgung werden die potenziell vital bedrohlichen Zustände zuerst
behoben. Die Aspekte der unter den Kategorien „A“ und des „B“ im ABCDE-Schema subsumierten
Einschränkungen werden zumeist bereits im Schockraum bzw. der Notaufnahme behandelt.
Hierbei kann es notwendig sein, einen Patienten zu intubieren oder ihm eine Thoraxdrainage
zur schnellen Entlastung eines Pneumo- oder Hämatothoraxes zu legen. Chirurgischer
Interventionsbedarf im Sinne einer operativen Versorgung beginnt zumeist bei der Behandlung
der unter „C“ zusammengefassten Verletzungen, wobei es sich häufig um Blutungen mit
Einschränkung der Kreislaufsituation handelt. Hämodynamisch relevante Blutungen müssen
sofort versorgt werden, um dem Patienten ein Überleben zu sichern. In seltenen Fällen
mit schwerstem Blutungsschock oder bei einer Reanimationssituation nach Trauma kann
eine Notfallthorakotomie oder Notfalllaparotomie ggf. noch im Schockraum erforderlich
sein. Im Anschluss sollten notwendige Operationen bei schweren Kopf – und offenen
Hohlorganverletzungen sowie offene Frakturen operiert werden. Die in diesem Zusammenhang
häufig auffallenden Haut- und Weichteilverletzungen sollten ebenso nach Dringlichkeit
triagiert und versorgt werden. Bei Quetschtraumen häufig auftretende Kompartmentsyndrome
gehören ebenfalls zu den unmittelbar zu versorgenden Notfällen. Grundsätzlich unterscheidet
man zwischen der frühen primären Versorgung, dem „early-total-care“-Prinzip und dem
Konzept des „damage control“, bei dem nur unbedingt notwendige chirurgische Eingriffe
zur Stabilisierung der Vitalparameter durchgeführt werden [2].
Das „early-total-care“-Konzept wurde vermehrt in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren
angewendet. Es beinhaltet die definitive chirurgische Versorgung aller Frakturen langer
Röhrenknochen und von Beckenbrüchen innerhalb der ersten 24 – 48 h [3]. Grundgedanke dieser Idee war die Reduktion der Gefahr von Fettembolien, die von
Frakturen langer Röhrenknochen ausgehen können. Hierdurch lässt sich das Risiko respiratorischer
Komplikationen minimieren. Die Möglichkeit einer frühen Mobilisation reduziert zusätzlich
die Aufenthaltsdauer auf Intensivstation, was die Komplikationsrate und das Auftreten
von Begleiterkrankungen senkt [4]. Eingeräumt werden muss jedoch, dass das Operationsrisiko deutlich erhöht ist. Man
fügt dem Patienten in einer sehr vulnerablen Phase ein erneutes Trauma zu. Aus pathophysiologischer
Sicht entspricht das Operationstrauma qualitativ dem Unfalltrauma (Näheres zur Pathophysiologie
s. u.).
Anders ist dies beim Prinzip des „damage control“. Ursprünglich ist dies ein Begriff
aus der Abdominalchirurgie, bei dem ein schwer traumatisierter Patient abdominell
so stabilisiert wird, dass eine aktive Blutung oder eine Hohlorganperforation durch
den möglichst geringsten operativen Eingriff bestmöglich kontrolliert wird. So können
Blutungen tamponiert werden („Packing“, Einlegen von Bauchtüchern zur Tamponade aktiver
Blutungen) [5]. Damit kann die Operationszeit möglichst kurz gehalten und der Patienten so schnell
wie möglich auf die Intensivstation zur weiteren Stabilisierung verlegt werden. Das
gleiche Prinzip wurde in die Unfallchirurgie zur Versorgung langer Röhrenknochen und
Beckenfrakturen übertragen. Das Konzept des „damage control orthopedics“ beinhaltet
4 Phasen der Traumaversorgung. Nach der 1. Phase der Stabilisierung bei akut lebensbedrohlichen
Verletzungen erfolgt direkt in der 2. Phase die temporäre operative Stabilisierung
langer Röhrenknochen sowie eventueller Beckenfrakturen. Dies geschieht zumeist mit
einem Fixateur externe. Zusätzlich werden Weichteilverletzungen entsprechend gereinigt
und versorgt. Hierzu gehört ein Débridement sämtlicher offenen Wunden sowie ein entweder
temporärer Wundverschluss mit z. B. Wundauflagen oder eine Vakuumtherapie oder bereits
ein direktes Verschließen der Wunden. Den Beginn der 4. Phase zu definieren, bedarf
einer guten klinischen Beurteilung des Patienten. Diese definiert den Zeitpunkt sekundärer
Operationen und der damit einhergehenden definitiven chirurgischen Versorgung von
zuvor nur temporär versorgten Verletzungen [6].
Das zeitliche Management sekundärer Operationen ist ein komplexer Prozess, der trotz
definierter Standards einer hohen Individualisierung bedarf [7].
Dringliche Operationen
In der Regel gilt, dass Verletzungen, die sich im Verlauf hämodynamisch relevant zeigen
oder aber ein schlechtes neurologisches Outcome des Patienten bei Schädel-Hirn-Traumen
bei Nichtversorgung erwarten lassen, nicht in Abhängigkeit von o. g. Kriterien operativ
versorgt werden.
Akute intrakranielle Blutungen sind gekennzeichnet durch eine Primär- und Sekundärverletzung.
Die Primärverletzung erfolgt durch die initiale direkte Krafteinwirkung auf das Hirnparenchym
[8]. Bei Primärverletzungen erfolgt die operative Versorgung zumeist direkt nach der
Diagnostik, entweder in Form einer operativen Hämatomausräumung, einer dekompressiven
Kraniektomie oder durch Einsetzen einer intrakraniellen Sonde zur intrakraniellen
Hirndruckmessung (ICP-Messung) für den Verlauf der intensivmedizinischen Behandlung.
Die ICP-Messung dient vor allem dem Monitoring von Sekundärverletzungen, die aus einer
Kombination von Gefäß- und Nervenschädigungen, Ischämie, Inflammation und freien Radikalen
entstehen [8]. Zusätzlich zur ICP-Messung erfolgt eine engmaschige klinische Überwachung der Pupillenreaktion
und Kontrolle durch Prüfung des Glasgow-Coma-Scales (sofern der Patient nicht in Narkose
ist) und der Stammhirnreflexe. Der Zeitpunkt einer operativen Versorgung muss im Falle
des Schädel-Hirn-traumatisierten Patienten direkt bei klinischer Auffälligkeit erfolgen,
unabhängig von allgemein gültigen Kriterien der Operabilität.
Ähnlich verhält es sich mit abdominellen oder thorakalen Verletzungen. Bei größeren
abdominellen Verletzungen erfolgt eine direkte operative Versorgung. Sollte in der
initialen Sonografie oder Computertomografie kein Anhalt für eine abdominelle Verletzung
bestehen, ist eine engmaschige Kontrolle dennoch wichtig. Während der ersten Stunden
und Tage sollten regelmäßig klinische sowie laborchemische Untersuchungen erfolgen.
Beim Tertiary Survey kann neben der klinischen Untersuchung eine abdominelle und thorakale
Sonografie durchgeführt werden in Hinblick auf mögliche verzögert auftretende freie
Flüssigkeit, auch ohne Anhalt einer klinischen Verschlechterung.
Warnsignale sind abdomineller Druckschmerz, Abwehrspannung, starker Anstieg der Leukozyten,
Transaminasen oder der Pankreasenzyme, neu aufgetretene freie Flüssigkeit in der Sonografie
sowie starker gastraler Reflux. Zur weiteren Abklärung können eine erneute Computertomografie,
eine Probepunktion freier Flüssigkeit, die Laparoskopie und in Einzelfällen eine Probelaparotomie
infrage kommen. Bei Verdacht auf Pankreasverletzungen ist eine ERCP (endoskopisch
retrograde Cholangiopankreatikografie) in einigen Fällen sinnvoll. Beim Verdacht auf
oder bei Feststellen von freier Flüssigkeit ist das Kreislaufmonitoring besonders
wichtig. Tritt durch intraabdominellen Blutverlust eine Kreislaufinstabilität des
Patienten ein, ist dies eine absolute und sofortige Indikation zur Intervention, sei
es operativ oder, wenn die Möglichkeit besteht, angiografisch-interventionell.
Ebenfalls eine sofortige OP-Indikation stellt das abdominelle Kompartmentsyndrom dar.
Dies ist definiert durch einen persistierend erhöhten intraabdominellen Druck > 20 mmHg
in Kombination mit neu aufgetretenen Organfunktionsstörungen (Verschlechterung der
Lungen- und oder Nierenfunktion, Hypotension, Anstieg des Hirndrucks).
Bei thorakalen Verletzungen besteht zumeist eine direkte Operationsindikation, wenn
es sich bspw. um Abrisse oder Einrisse größerer Gefäße oder eine Herzbeuteltamponade
handelt. Ein Hämato- oder Pneumothorax kann zumeist direkt auf der Intensivstation
mit einer Thoraxdrainage versorgt werden, wenn dies nicht bereits präklinisch oder
im Schockraum erfolgt ist.
Die rechtzeitige Erkennung eines Kompartmentsydroms in Muskellogen der Extremitäten
und das richtige zeitliche Management bedürfen einer guten klinischen Einschätzung
und einer hohen Aufmerksamkeit. Prinzipiell gilt, dass ein Muskellogensyndrom entlastet
werden muss, bevor es zu irreversiblen Gewebenekrosen kommt. Das Erkennen eines Kompartmentsyndroms
ist insbesondere beim wachen und ansprechbaren Patienten vor allem eine klinische
Diagnose. Während der starke Schmerz noch als frühes Symptom gewertet werden kann,
weisen das Auftreten von Pulslosigkeit, Blässe, Parästhesien und Lähmungen auf bereits
eingetretene schwere Gewebeschädigungen oder Nekrosen hin. Im Verdachtsfall kann die
Messung der Drücke in den einzelnen Muskellogen die Diagnose sichern. Bei bewusstlosen
oder sedierten Patienten, wie häufig nach Polytrauma, ist die Druckmessung neben dem
klinischen Befund einer verhärteten Muskelloge für die Diagnosestellung oft entscheidend.
Besonders schwierig ist die Entscheidung oft, wenn die Kompartmentdrücke in einem
Graubereich zwischen normal und eindeutig zu hoch liegen und die entsprechende Klinik
nicht eindeutig oder aufgrund eines Komazustandes nicht wegweisend ist. Irreversible
Myonekrosen sind bereits 3 – 4 h nach Trauma nachweisbar, nahezu immer nach 8 h. Deswegen
erscheint eine frühzeitige Dermatofasziotomie trotz der dadurch bedingten Morbidität
und der Notwendigkeit von plastisch-rekonstruktiven Folgeeingriffen eher vorteilhaft.
Die aktuelle Literatur bestätigt, dass in der Nutzen-Schaden-Abwägung die frühzeitige
Dermatofasziotomie günstiger ist als ein übersehenes oder zu spät entlastetes Kompartmentsyndrom.
Besonderes Augenmerk benötigen auch die sekundären Kompartmentsyndrome nach operativer
Versorgung oder im Zuge einer größeren Fraktur, ebenso wie die leicht zu übersehenden
Kompartmentsyndrome am Fuß [9].
Sekundäroperationen
Aus pathophysiologischer Sicht entspricht das Operationstrauma qualitativ weitgehend
dem Unfalltrauma. Dies ist klinisch gekennzeichnet durch einen Hypermetabolismus und
eine systemische Entzündungsreaktion (Fieber, Anstieg der Herzfrequenz und des Sauerstoffverbrauches,
Leukozytose etc.). Es konnten zahlreiche Reaktionsmuster des endokrinen Systems mit
biochemischen Folgereaktionen festgestellt werden. Beispiele hierfür sind ein Anstieg
des Adrenalin- und Kortisolspiegels sowie zahlreicher anderer Hormone, eine Negativierung
der Stickstoffbilanz, eine Aktivierung der Granulozyten sowie ein Anstieg proinflammatorischer
(Interleukin 2, 6 und 8) sowie antiinflammatorischer Zytokine (Interleukin 10). All
diese Reaktionen stehen in Abhängigkeit zur Größe und Schwere des Unfalltraumas. Dies
konnte in gleicher Weise auch für das Operationstrauma nachgewiesen werden. Zudem
konnte gezeigt werden, dass postoperative Entzündungsreaktionen nach Femurnagelung,
Totalendoprothesenimplantationen an der Hüfte, Beckenosteosynthesen und vergleichbare
Eingriffe ähnlich derer sind, die nach mittelschweren Mehrfachverletzungen (Injury
Severity Score [ISS] bis 24 Punkte) ausgelöst werden.
Um den richtigen Zeitpunkt der Versorgung eines schwer traumatisierten Patienten abschätzen
zu können, ist es wichtig, die Kompromittierung der Homöstase, Organfunktionen und
Kreislaufsituation in den verschiedenen Phasen nach einem Trauma zu verstehen. Zu
allererst geht es in der Intensivmedizin um ein gutes Zusammenspiel zwischen kausaler
Therapie der Grunderkrankung und Unterstützung von gestörten Organfunktionen und der
symptomatischen Therapie der Homöstase. Behandlungsansätze für die kausale Therapie
eines polytraumatisierten Patienten beinhalten die Blutungsstillung, die Beseitigung
von Kompartmentsyndromen, die Organerhaltung, wiederherstellende und rekonstruktive
Eingriffe und die Fokussanierung. Symptomatische Therapien unterstützen diese Behandlung,
bis die kausale Therapie zusammen mit der Selbstheilung zur Wiederherstellung der
Organ- und Kreislauffunktion ohne Unterstützung greift. Während am Anfang Schock-
und Schockfolgereaktionen sowie Blutungen und Gerinnungsstörungen im Vordergrund stehen,
entwickeln sich in der Folgezeit Infekte bis hin zur Sepsis.
Die nachfolgende [Tab. 1] gibt einen Überblick über Kriterien, die Indikatoren für einen Übertritt des Patienten
aus der inflammatorisch-vulnerablen Phase in ein Stadium der Stabilisierung mit dem
Überwiegen reparativer und regenerativer Vorgänge sind. Wichtig ist zu betonen, dass
man einen Patienten mit seinen Labor- und Vitalwerten nicht absolut betrachten sollte.
Sieht man sich die Werte im Verlauf an, lässt sich häufig ein Plateau erkennen und
man kann in der Relation der Voruntersuchungen feststellen, ab wann der Zustand sich
stabilisiert oder sogar bessert.
Tab. 1
Kriterien der Operabilität beim polytraumatisierten Intensivpatienten [10], [14].
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PaO2/FiO2: Oxygenierungsindex zur Beurteilung der Oxygenierungsfunktion der Lunge, PEEP: positiver
endexspiratorischer Atemwegsdruck
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allgemein
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-
keine sekundären Operationen an Tag 2 und 3 nach Trauma
-
keine akuten Komplikationen (außer sie bedürfen einer Operation)
-
alle Organfunktionen stabil mit Tendenz zur Verbesserung
-
Reduzierung der organunterstützenden Therapiemaßnahmen
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Inflammation/Infektion
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-
C-reaktives Protein fallend
-
Thrombozytenzahl > 100/nl und steigend
-
Temperatur < 38,5 °C (Tendenz gleich oder fallend)
-
keine klinischen, laborchemischen oder radiologischen Zeichen einer floriden Sepsis
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Lungenfunktion
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PaO2/FiO2 > 280 (Tendenz gleichbleibend oder steigend), PEEP < 15 mbar
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Kreislauf- und Nierenfunktion
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Hirnfunktion (bei Schädel-Hirn-Trauma)
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Hirndruck < 20 mmHg trotz Lagerung bzw. keine klinischen Hirndruckzeichen (Stammhirnreflexe,
GCS, Pupillenreaktion)
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Gerinnung
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Im Allgemeinen zeigen die o. g. Richtwerte eine Operabilität des Patienten an. Es
wird jedoch immer mehr dazu übergegangen, eine möglichst frühe Versorgung anzustreben.
Labor- oder Vitalwerte sollten deshalb nicht als Absolutwerte gesehen werden. Wichtig
ist, den Verlauf genau zu beobachten: Nimmt die Leukozytenzahl bereits wieder ab?
Stabilisieren sich die Thrombozyten? Nimmt die Compliance der Lunge bereits wieder
zu? Beobachtet man klinisch sowie anhand von Labor- und Vitalwerten, dass ein Peak
erreicht und bereits wieder eine Regeneration zu beobachten ist, sollte frühzeitig
an eine definitive Versorgung von Frakturen gedacht werden. Besonders schwer verletzte
Patienten haben ein hohes Risiko, Komplikationen wie Pneumonie, Lungenembolie oder
eine Sepsis zu erleiden. Daher sind eine frühe Mobilisation und eine Verkürzung der
Intensivzeit anzustreben.
Idealerweise werden die Frakturen so versorgt, dass eine Mobilisierung des Patienten
frühzeitig möglich ist. Hierfür sollten die Frakturen dreh- und lagerungsstabil versorgt
werden. Von einer Ruhigstellung im Gips oder mit Orthesen ist aufgrund der schnellen
Neigung zu Ödemen und Hämatomen abzuraten.
Ebenso bei der Frakturversorgung, die zu den Sekundäroperationen gehören, gibt es
Unterschiede in der Festlegung der Prioritäten. Wirbelsäulen-, Becken- oder hüftgelenksnahe
Frakturen sollten i. d. R. dringender definitiv versorgt werden als bspw. eine Radius-
oder Unterschenkelfraktur, die zunächst ausreichend mit einem Fixateur externe ruhiggestellt
sind. Generell tendiert man dazu, Frakturen, die eine Mobilisation oder Pflege des
Patienten erschweren, so frühzeitig wie möglich zu versorgen. Vor allem stammnahe
Frakturen, wie Wirbelsäulen- oder Beckenfrakturen, verhindern eine adäquate Pflege,
Physiotherapie und Mobilisierung. Auf die Besonderheiten bei Wirbelsäulenfrakturen
mit Neurologie wird weiter unten eingegangen. Auch nach adäquater Versorgung mit einem
Fixateur externe kann die Versorgung eines Patienten erschwert sein. Der Patient hat
Schmerzen an den Eintrittsstellen der Steinmann-Nägel, die Extremitäten lassen sich
aufgrund des schweren Metalls und der fehlenden Kraft nicht gut bewegen. Die Eintrittsstellen
der Steinmann-Nägel bieten Eintrittspforten für Infektionen. Die Beübung durch die
Physiotherapie kann häufig erst verspätet in dem erforderlichen Maß erfolgen. Es wird
immer mehr dazu übergegangen, eine frühzeitige endgültige Versorgung der Frakturen
anzustreben. Dies erleichtert die adäquate Mobilisation, dadurch wiederum das Weaning
von der Beatmung und minimiert das Risiko von Begleiterkrankungen [11], [12], [13].
Osteosynthese von Rippenfrakturen
Osteosynthese von Rippenfrakturen
Vor diesem Hintergrund muss auch diskutiert werden, ob Rippenfrakturen bei Thoraxwandinstabilität
(flail chest) osteosynthetisch versorgt werden sollten. Die Thoraxwandinstabilität
erzeugt Schmerzen, erschwert die Sekretmobilisation und das Abhusten, die Mobilisation
des Patienten und die Entwöhnung von der Beatmung und verlängert den Intensivaufenthalt.
Man erhofft sich von einer frühzeitigen operativen Stabilisierung dementsprechend
eine Verkürzung der Zeit am Ventilator und auf der Intensivstation, ggf. sogar Reduktion
der Pneumonierate und der Sterblichkeit. In einer Metaanalyse von 2015 [15] wurden 3 prospektiv randomisierte Studien mit insgesamt 123 Patienten zusammengefasst.
Es konnte eine Reduktion der Beatmungszeit und des Intensivaufenthaltes nachgewiesen
werden, jedoch nicht bei der Sterblichkeit.
Um die möglichen Vorteile einer Rippenosteosynthese zu erreichen, sollte die Stabilisierung
möglichst frühzeitig erfolgen. Wenn eine Thorakotomie primär erfolgt, kann im Rahmen
des Eingriffs die eigentlich nicht in die Primärphase gehörende Rippenstabilisierung
direkt mit umgesetzt werden. Wenn der Patient vital in den ersten Tagen nach Trauma
für eine Sekundär-OP nicht operabel ist, erscheint der Sinn der Rippenstabilisierung
als zusätzliche operative Maßnahme sehr fraglich [16], [17].
Wirbelsäulenfrakturen
Einen weiteren Sonderfall stellen Wirbelsäulenverletzungen mit fraglicher oder bewiesener
Rückenmarkläsion dar. Es besteht zunächst keine direkte vitale Bedrohung, jedoch sind
die neurologischen Einschränkungen für den Patienten und seine zukünftige Lebensqualität
von größter Bedeutung. Aktuelle Studien zeigen ein deutlich gebessertes neurologisches
Outcome von Patienten, wenn die operative Versorgung (Reposition einer Dislokation,
Dekompression des Rückenmarks, konsekutive Spondylodese) der Wirbelsäulenverletzungen
mit Rückenmarkläsionen frühzeitig erfolgt. Besonders bei zervikalen Verletzungen zeigt
sich ein deutlich besseres neurologisches Outcome bei Patienten, die innerhalb von
24 h versorgt wurden, gegenüber jenen, die erst nach 24 h versorgt worden waren. Bei
sowohl kompletten als auch inkompletten Rückenmarkverletzung scheint die frühe Operation
ein deutlich besseres neurologisches Outcome zu zeigen als bei einer Versorgung nach
24 h. Dies gilt sowohl für motorische als auch für sensible Funktionen, wobei sich
Letztere deutlich besser erholen [18]. In einigen Studien wurden Vergleiche durchgeführt, die eine frühe (innerhalb von
24 h) vs. eine sehr frühe Versorgung (innerhalb von 5 – 8 h) gegenüberstellen. In
den ersten Arbeiten zeigen Ergebnisse jedoch ein verbessertes neurologisches Outcome
für Patienten, die innerhalb von 8 h versorgt wurden [19], [20]. An dieser Stelle herrscht noch keine Einigkeit darüber, ob hier eine relevante
Besserung erzielt werden kann.
Auch bei thorakalen und lumbosakralen Frakturen wird in der Klinik eine frühe Versorgung
angestrebt. Wenige Studien konnten zeigen, dass Patienten, die innerhalb von 24 h
versorgt werden, ein deutlich gebessertes neurologisches Outcome haben. Diese positiven
Effekte der frühen Versorgung gelten insbesondere für inkomplette Querschnittlähmungen
[21], [22], [23], [24].
Einschränkend muss an dieser Stelle gesagt werden, dass Patienten, die in den Studien
sehr früh versorgt worden waren, ansonsten als hämodynamisch stabil angesehen wurden.
In den durchgeführten Studien handelte es sich zumeist um Monoverletzungen der Wirbelsäule.
Die Patienten waren wenig bis gar nicht vorerkrankt. Es lässt sich jedoch festhalten,
dass sich die meisten Studien darüber einig sind, dass eine frühe operative Versorgung
der Wirbelsäule anzustreben ist, wenn eine Operabilität im Sinne einer stabilen Gesamtsituation
des polytraumatisierten Patienten besteht [20]. Bei schwerstverletzten, kreislaufinstabilen Patienten im Schock oder mit persistierender
Gerinnungsstörung oder Patienten mit einer schon initial geschädigten Lunge bzw. einschränkten
Lungenfunktion muss der (neurologische) Nutzen einer dekomprimierenden und stabilisierenden
Operation an der Wirbelsäule gegenüber dem Risiko des Operationstraumas und dessen
Folgen individuell abgewogen werden.
Wichtig festzuhalten ist auch, dass alle Studien von der Kenntnis über den neurologischen
Status des Patienten ausgehen. Es stellt sich an dieser Stelle noch die Frage, wie
man vorgeht, wenn ein intubierter und sedierter Patient in den Schockraum bzw. auf
Intensivstation gebracht wird. Auch hier gilt eine differenzierte Betrachtung: Ist
der Patient hämodynamisch stabil? Hat er ein schweres Schädel-Hirn-Trauma? Sind eine
Reduktion der Sedierung und ein Aufwachversuch tolerabel? Auf welcher Höhe ist die
mögliche Rückenmarkläsion und ist eine normale Atmung mit dieser zu vereinbaren? Ist
anhand der vorhandenen Diagnostik von einer motorischen und/oder sensiblen Beeinträchtigung
des Patienten auszugehen? Nach Möglichkeit sollte ein frühzeitiger, ggf. nur kurzer
Aufwachversuch innerhalb der ersten Stunden angestrebt werden, um den neurologischen
Status adäquat beurteilen zu können.
Zusammenfassung
Die adäquate Versorgung eines polytraumatisierten Patienten ist nach wie vor eine
individualisierte und anspruchsvolle Aufgabe. Die ersten Entscheidungen sollten nach
dem Leitsatz: „Treat first, what kills first“ getroffen worden. An dieser Stelle gibt
es wenig Raum für freie Entscheidungen. Schwierig wird es dann, im Nachgang zu beurteilen,
ab wann ein Patient für die definitive Versorgung von Frakturen operationsfähig ist.
Hier wird immer mehr eine möglichst frühzeitige endgültige Versorgung angestrebt,
um den Patienten schnellstmöglich mobilisieren zu können, das Risiko für Folgekomplikationen
zu minimieren und generell die Intensivzeit zu verkürzen. Grundsätzlich gilt, stammnahe
Frakturen werden zuerst versorgt (Wirbelsäule und Beckenring), danach die großen Röhrenknochen
der Extremitäten (Oberarm/Oberschenkel) und anschließend dann die weiteren Frakturen.
Die Behandlung der gleichzeitig bestehenden Weichteilverletzungen (offen > Kompartment
> geschlossen) nehmen hier einen besonderen Stellenwert ein.
Eine Sonderstellung nehmen Wirbelsäulenverletzungen mit und ohne Rückmarkläsionen
ein. Neuere Studien belegen, dass das neurologische Outcome eines Patienten bei frühzeitiger
(unter 24 h, nach Möglichkeit sogar unter 8 h) Versorgung signifikant besser ist,
sofern eine Operabilität besteht