Anamnese
Am Tag nach Auslaufen und gleichzeitig dem ersten Seetag einer 10-tägigen Kreuzfahrt
stellte sich morgens ein 82-jähriger Patient im Hospital vor. Er klagte über massive
Luftnot und Unwohlsein, die Ehefrau beunruhigte am meisten, dass er keinen zusammenhängenden
Satz mehr sprechen konnte. Der Patient nahm gegen Hypertonus dauerhaft Bisoprolol
2,5 mg und Enalapril 5 mg und aufgrund der Prostatahypertrophie Tamsulosin. Wegen
der akuten Problematik hatte er die Tabletten an jenem Tag jedoch noch nicht eingenommen.
Im Vorjahr war ein malignes Melanom am Kopf (ca. 5 × 6 cm reizlose, hypopigmentierte
Narbe) und vor 2 Monaten eines auf dem Rücken entfernt worden (unauffällige, ca. 10 cm
lange, reizlose, quer verlaufende Narbe in Höhe BWK 8 rechts). Etwa 3 Wochen zuvor
war ihm mitgeteilt worden, dass alle Untersuchungen auf Metastasen negativ ausgefallen
waren. Weitere Vorerkrankungen gab er nicht an. Der Hausarzt hatte dem Patienten 4
Tage vor der Reise, wegen eines seit 10 Tagen bestehendem unproduktiven Hustens, noch
zusätzlich NAC-Brausetabletten gegeben. Die Therapie mit Azithromycin wurde am Vortag
abgeschlossen. Auf Nachfrage hatte der Hausarzt dem Patienten mehrfach zugeraten,
die Seereise wie geplant anzutreten, zumal es ja an Bord ein Hospital gebe.
Diagnose
Klinischer Befund
Der bei Vorstellung im Hospital kurzatmige und schweißige Patient wurde umgehend auf
der Intensiveinheit monitorisiert. Es zeigte sich ein initialer Blutdruck von 170/90 mmHg,
ein arrhythmischer Puls, die Temperatur lag aurikulär gemessen bei 36,2° C. Bei der
Auskultation der Lunge imponierte ein fehlendes Atemgeräusch rechts über allen Lungenfeldern.
Monitoring
Das EKG zeigte eine absolute Arrhythmie mit wechselnden Herzfrequenzen (HF) von 150 – 180
Schlägen/min. Die SpO2 lag initial bei 89 – 92 % ([Abb. 1]), unter 2 l Sauerstoff über Nasensonde stieg sie auf 94 %. Der mittels Pulsoxymetrie
und auch palpatorisch gemessene Puls wechselte zwischen 95 und 115 Schlägen/min. Nach
Gabe von 2,5 mg Metoprolol i. v. reduzierte sich die HF am Monitor auf Werte um 130
Schläge/min, pulsoxymetrisch und palpatorisch auf Werte um 80 Schläge/min, der Blutdruck
auf 114/79 – 128/85 mmHg.
Abb. 1 EKG und Pulsoxymetrie an Tag 1.
Quelle: TUI Cruises GmbH
Labor
Blutbild:
-
Erythrozyten 5,22 × 106/µl,
-
Hämoglobin 15,3 g/dl,
-
Hämatokrit 45 %,
-
MCV 86,2 fl,
-
MCH 29,3 pg,
-
MCHC 34 g/dl,
-
Thrombozyten 210 × 103/µl,
-
CRP 26,2 µg/ml,
-
Leukozyten konnten gerätebedingt nicht bestimmt werden.
Eine Blutgasanalyse war an Bord nicht möglich.
Röntgenthorax
Röntgenthorax in 2 Ebenen im Stehen zeigte p. a. eine nahezu vollständige Verschattung
der rechten Lunge ([Abb. 2]), seitlich eine Verschattung ventral ([Abb. 3]). Die vermutete Flüssigkeitsansammlung wurde mittels intercostaler Ultraschalluntersuchung
bestätigt.
Abb. 2 Thorax p. a. an Tag 1.
Quelle: TUI Cruises GmbH
Abb. 3 Thorax seitlich an Tag 1.
Quelle: TUI Cruises GmbH
Es erfolgte die Diagnose V. a. Pleuritis carcinomatosa nach malignem Melanom, paroxysmale
Tachyarrhythmie.
Therapie und Verlauf
Nach Desinfektion und Lokalanästhesie erfolgte eine Pleurapunktion am Oberrand der
siebten Rippe in hinterer Axillarlinie mit Ableitung von 2,2 l blutig tingierten Ergusses.
Die SpO2 erholte sich umgehend auf 94 % ohne Sauerstoffgabe. Das Röntgenbild ([Abb. 4]) zeigt eine deutliche Reduktion der Verschattung mit verbliebenem Resterguss. Der
Weg vom Röntgen zum Bett wurde vom Patienten als noch anstrengend beschrieben, das
Atmen im Liegen fiel ihm deutlich leichter. Nach anschließender Beobachtung unter
Monitorkontrolle und Diskussion einer Antikoagulation aufgrund des – bisher nicht
bekannten – Vorhofflimmerns wurde der Patient ohne Antikoagulanzien mit Hinweisen
zur Vorgehensweise bei klinischer Verschlechterung und einem Wiedervorstellungstermin
am gleichen Abend auf seine Kabine entlassen.
Abb. 4 Thorax p. a. an Tag 1 nach Entlastung.
Quelle: TUI Cruises GmbH
Abends stellte er sich bei weiter gutem Allgemeinzustand vor. Bei der Auskultation
zeigten sich die linke Lunge und die Oberfelder der rechten Lunge gut belüftet, rechts
basal fehlte das Atemgeräusch. Der Patient wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass
es sich trotz der vor wenigen Wochen negativen Befunde um den Ausdruck einer malignen
Erkrankung handeln könnte und daher im Sinne einer frühzeitigen kausalen Therapie
die Ausschiffung empfohlen wird. Sowohl der Patient als auch seine Ehefrau wollten
bis zur geplanten Wiedervorstellung am Folgetag darüber nachdenken. Es erfolgte zusätzlich
eine diuretische Therapie mit Furosemid und Spironolacton.
Am Morgen des zweiten Tages stellte der Patient sich beschwerdefrei vor, das Kontrollröntgen
zeigte keine wesentliche Zunahme des Ergusses, im EKG fand sich ein normofrequenter
Sinusrhythmus ([Abb. 5]). Das Ehepaar wollte die Reise gerne fortsetzen. Vereinbart wurde daher, dass der
Patient sich bei Verschlechterung sofort, aber auch am letzten Hafentag vor einem
Seetag vorstellen sollte, um zu evaluieren, ob eine sichere Reise auch ohne Anbindung
an landseitige Kliniken klinisch vertretbar erscheint.
Abb. 5 EKG und Pulsoxymetrie an Tag 2.
Quelle: TUI Cruises GmbH
Aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustands mit erneuter Dyspnoe, SpO2 um 90 % und aufgehobenem Atemgeräusch rechts unterhalb der Mammillarlinie musste
der Patient am sechsten Tag der Reise das Schiff in einem französischen Hafen verlassen.
Dort sollte durch Einweisung über die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses die
erneute Akutbehandlung erfolgen und der Patient für die Rückführung nach Hause zur
definitiven Therapie stabilisiert werden.
Diskussion
Hausärzte und bei bestehenden Vorerkrankungen Fachärzte sind häufig die ersten Ansprechpartner,
wenn Patienten sich Gedanken über gesundheitliche Gefährdungen infolge einer Urlaubsreise
fernab der heimatlichen gesundheitlichen Versorgung machen [1]. Allerdings werden bei reisemedizinischen Überlegungen oft die Möglichkeiten der
Kreuzfahrtmedizin ausgelassen [2], denn – so zitieren Patienten die beratenden Kollegen – „auf einem Kreuzfahrtschiff
haben Sie ein gut ausgestattetes Hospital“. Auch in diesem Fall sei dem Patienten
und seiner Gattin auf wiederholte Nachfrage von ihrem Hausarzt versichert worden,
sie könnten die Reise bedenkenlos antreten.
Ausstattung Bordhospital
Tatsächlich wird auf jedem Handelsschiff, das unter die Maritime Labour Convention
2006 fällt, ein „on-board hospital“ vorgehalten [3]. Das gilt vom Containerfrachter oder Tanker mit wenigen Crewmitgliedern bis hin
zu Kreuzfahrtschiffen mit mehreren Tausend Menschen an Bord. Entsprechend zeigen sich
auch Unterschiede in materieller und personeller Ausstattung. Das Hospital kann auf
Kauffahrteischiffen aus nur einem Raum mit standardisiertem Apothekenschrank und einer
Liege bestehen [4], in dem die medizinische Betreuung durch einen Nautischen Offizier erfolgt. Im Idealfall
kann ein Bordhospital auf großen Kreuzfahrtschiffen mit 2 Ärzten unterschiedlicher
Fachrichtung und 3 Pflegekräften besetzt sein, denen in mehreren Räumen neben dem
Untersuchungszimmer ein Eingriffsraum, eine Überwachungseinheit und ein Infektionszimmer
sowie an diagnostischen Möglichkeiten neben kleinem Labor auch Ultraschall und digitales
Röntgen zur Verfügung stehen.
Aber auch ein gut ausgestattetes Bordhospital, ein breit ausgebildetes Team an Ärzten
und Pflegepersonal darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich eben nicht um ein
„kleines Krankenhaus“ handelt und insbesondere keine Diagnostik und Therapie wie in
einem „Krankenhaus der Maximalversorgung“ möglich ist. Eine erste Notfallversorgung
– wie hier die Entlastungspunktion – ist an Bord in der Regel möglich. Eventuell auftretende
Komplikationen können aber nicht immer sicher beherrscht werden, und eine definitive
Therapie ist – wie in dem hier beschriebenen Fall – oftmals nicht durchführbar, sodass
der Patient zu seiner eigenen Sicherheit ausgeschifft werden musste.
Schwierige Ausschiffung
Eine Ausschiffung ist jedoch nicht jederzeit und nicht überall möglich. In einigen
Zielgebieten von Kreuzfahrtreisen sind medizinische Einrichtungen, die sich „hospital“
nennen, schlechter ausgestattet als das Bordhospital. In Mittelamerika konnte zum
Beispiel ein wegen dekompensierter Herzinsuffizienz intubierter Patient weder in Honduras
noch in Nicaragua ausgeschifft und auch in Costa Rica nur von einem Krankenhaus in
der Hauptstadt San José übernommen werden. Aber auch in Europa gibt es nicht überall
uneingeschränkten Zugang zum landgebundenen Gesundheitssystem. In England muss auch
der vom Schiffsarzt zum Facharzt überwiesene Patient erst vom örtlichen Allgemeinarzt
gesehen werden, der dann über eine Klinikeinweisung entscheidet. Das gestaltet sich
vor allem am Wochenende schwierig. In Frankreich können teilweise Diskussionen erforderlich
werden, ob ein Patient mit dem Rettungswagen statt mit dem bereitgestellten Taxi in
die Notaufnahme gefahren wird.
Besondere Schwierigkeiten bereitet die Helikopterausschiffung von Notfallpatienten
[5]. Auf den wenigsten Kreuzfahrtschiffen können Hubschrauber landen. Wenn im jeweiligen
Seegebiet Helikopter zur Verfügung stehen und sie das Schiff je nach Entfernung und
Wetter erreichen können, führt das dann erforderliche Windenmanöver zu einer Gefährdung
aller Beteiligten auf dem Schiff sowie im Helikopter und zu maximalem Stress des an
der Winde des Helikopters hängenden Patienten.
Neben den genannten Einschränkungen an Bord sollten Hausärzte oder beratende Fachärzte
aber auch die oftmals lange, möglicherweise beschwerliche Anreise bedenken. Die trockene
Luft im Flugzeug aber auch die Klimatisierung auf dem Schiff begünstigen insbesondere
bei älteren Menschen schnell eine Dehydratation. Wenn Ärzte mit ihren Patienten über
medizinische Aspekte einer Reise sprechen, so sind weitere potenzielle Probleme zu
bedenken durch zum Beispiel veränderte Medikamentenwirkung bei Wechsel der Zeitzonen
oder der klimatischen Umgebungsbedingungen.
Die reisemedizinische Beratung sollte sich auch auf Reisen mit Kreuzfahrtschiffen
unter Beachtung der konkreten Reiseroute erstrecken. Eine Liste der wesentlichen Diagnosen,
insbesondere aber eine Aufstellung einzunehmender Medikamente einschließlich Dosierung
sollte jedem Patienten mitgegeben werden. Der in der Seefahrt allgemein gebräuchliche
Begriff „Bordhospital“ erweckt zum Teil falsche Vorstellungen bei Ärzten und Patienten:
Es handelt sich nicht um ein Krankenhaus, sondern um eine primäre Notfallambulanz
mit Krankenstation. Ein geeignetes Krankenhaus kann unter Umständen erst in Stunden
oder Tagen erreichbar sein. Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten an
Bord auch großer Kreuzfahrtschiffe sind gegenüber Kliniken an Land eingeschränkt.
Bei geplanten Kreuzfahrten sollte bei Patienten mit schwerwiegenden Grunderkrankungen
die Reise im Hinblick auf Anreiseweg, Reiseroute und Reiseziel kritisch hinterfragt
werden.