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DOI: 10.1055/a-0979-0291
Nahrungsmittelunsicherheit
- Zusammenfassung
- Sicherheit und dennoch Verunsicherung
- Globale und lokale Verteilung der Unsicherheit
- Verschwendung und Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln
- Sicherheit durch Kontrollverfahren
- Literatur
Zusammenfassung
Unsicherheit begegnet uns in allen möglichen Bereichen und Facetten des Lebens. Dazu gehören auch die vielen Faktoren, die uns und unsere Umwelt prägen. So wie der Klimawandel, der bereits jetzt spürbare Konsequenzen für unsere Gesundheit und Gesellschaft hat. Die Sicherheit, mit der wir dem Vorhandensein und der Qualität von Nahrung begegnen, kann sich jedoch auch in Unsicherheit wandeln – etwa beim Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum.
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Sicherheit und dennoch Verunsicherung
Die globale Erwärmung verändert die regionalen Wetterbedingungen. Dabei nehmen unter anderem Überschwemmungen und Hitzeperioden zu. Und das hat wiederum Auswirkungen auf die Nahrungs- und Wassersicherheit [1]. Auch die Art, wie wir uns ernähren und mit der Nahrung umgehen, hat weitreichende ethische, gesundheitliche, ökonomische und ökologische Effekte ([ Abb. 1 ]).
Täglich vollziehen wir den Akt des Essens und Trinkens – aus Notwendigkeit, aber auch aus dem Genuss heraus. Wir leben im Wohlstand und erwarten Nahrungsmittelsicherheit. Unsere Bedürfnisse an Grundnahrungsmittel sind also physisch, sozial und finanziell zugänglich und verfügbar. Auch die Nährstoffbedürfnisse können durch einen gesunden Lebensstil abgedeckt werden. Unsere Nahrung beziehen wir entweder über die lokale Herstellung oder über regionale und internationale Märkte. Die Zubereitung der Speisen überlassen wir dabei immer mehr den Lebensmittelproduzenten.
Fertigprodukte liegen im Trend. Das ist einerseits bequem, andererseits haben wir jedoch weniger Kontrolle darüber, was wir zu uns nehmen. Diese Distanz und mögliche Informationsverluste lösen Verunsicherung seitens der Konsumenten gegenüber den angebotenen Waren aus [2]. Hinzu kommen immer neue Ernährungstrends, wie „Superfoods“, die wiederum neue Fragen aufwerfen und nach Aufklärung verlangen. Dabei scheint unser Ernährungssystem im Allgemeinen recht stabil zu sein. Die politischen, institutionellen und ökonomischen Rahmenbedingungen sowie der Einfluss verschiedener Umweltfaktoren liegen hierzulande vergleichsweise günstig. Ganz im Gegensatz zu anderen Ländern der Erde.
Durch überregionale und industrialisierte Lebensmittelproduktion geht die Beziehung zum ursprünglichen Produkt verloren.
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Globale und lokale Verteilung der Unsicherheit
Weltweit wächst die Bevölkerung schneller als die Agrarproduktion. Bereits jetzt sind über eine Milliarde Menschen von Hunger betroffen; die meisten von ihnen leben, laut dem Welthungerindex (WHI), in Afrika und Asien [3]. „Lebensmittelunsicherheit finden wir global vorwiegend in den Ländern, in denen Lebensmittelunterversorgung und schlechte Verteilung durch Krieg und lokale Missernten oder wirtschaftliche Ungerechtigkeit herrscht. In den sich entwickelnden Ländern kommt hinzu, dass in der Lebensmittelkette gerade am Anfang bei der Ernte und der ersten Lagerung durch schlechte Logistik und Hygienemöglichkeiten viele Lebensmittelverluste eintreten“, erläutert Guido Ritter, Professor am Institut für nachhaltige Ernährung an der Fachhochschule Münster. Unsicherheiten können beständig (z. B. durch Armut), vorübergehend (z. B. durch einen Brand) oder saisonal (z. B. durch jährliche Dürre) auftreten.
Das Umfeld, in dem ein Mensch lebt, prägt seine gesundheitliche Verfassung. Dazu zählen auch die sozialen und kulturellen Normen sowie die Sicherheit der Nahrungsmittel und der Ernährung. Denn neben der Deckung der Energiezufuhr trägt die tägliche Nahrung wesentlich zur Prävention von Krankheiten bei. Die ausreichende und vielfältige Zufuhr an Mikro- und Makronährstoffen hält den Körper fit und widerstandsfähig [4]. Sind beispielsweise Kinder mangelernährt, führt dies meist zu lebenslangen, gravierenden Auswirkungen auf deren Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
Der weltweite Klimawandel, die unterschiedlich auftretenden Lebensmittelunsicherheiten und der Umgang mit Lebensmitteln sind eng miteinander verwoben. Ein Landwirtschafts- und Ernährungssystem wird von mehreren Faktoren positiv oder negativ beeinflusst [5]. „Die Versorgung aller Menschen auf diesem Planeten mit Lebensmitteln ist in erster Linie eine Frage der gerechten Verteilung. Dabei kann eine Eindämmung der Lebensmittelverschwendung in den entwickelten Ländern die Preise und auch die Versorgung in ärmeren Ländern positiv beeinflussen. Der Klimawandel kommt in den letzten Jahrzehnten als konfliktverschärfender Effekt noch dazu, da im letzten Jahr zum zweiten Mal seit Jahrzehnten die Weizenernte nicht mehr den Bedarf auch rechnerisch decken konnte“, erklärt Guido Ritter.
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Verschwendung und Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln
Produziert für den Müll?
Laut FAO (Food and Agricultural Organisation) ist die weltweite Lebensmittelverschwendung für über 3,6 Gigatonnen Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. In den Industrienationen werden die meisten Lebensmittel weggeworfen, insbesondere vom Handel und Endverbraucher. Die Ursachen dafür, dass Lebensmittelabfälle entstehen, sind sehr komplex und vielfältig ([ Abb. 2 ]). Im Handel kann eine unterbrochene Kühlkette, die globale Logistik oder eine ungünstige Lagerung zu unsicheren Lebensmitteln führen. In der Gastronomie ist es zum Beispiel eine ungenaue Speiseplanung. Oder es wurde im Privathaushalt zu viel Essen eingekauft und zubereitet. Selten landet Nahrung im Abfall, weil sie nicht schmeckt. Deshalb kann jeder Einzelne zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen im privaten Haushalt einen großen Teil beitragen. Zum Beispiel durch bewusstes Einkaufen oder das Wissen über die Kennzeichnung von Lebensmitteln, insbesondere der Haltbarkeit.
In der Lebensmittelindustrie spielt auch die sicherheitsorientierte, knappe Festlegung des Mindesthaltbarkeitsdatums eine enorme Rolle. Letzteres führt oftmals seitens der Verbraucher zu Verwirrung.
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Mindesthaltbarkeit: Was bedeutet sie eigentlich?
Das MHD kommt bei verpackten Lebensmitteln zum Einsatz, die bei original verschlossener Verpackung länger haltbar sind als der Aufdruck vorgibt. Das ist etwa bei Tiefkühlprodukten, Teigwaren oder Konserven der Fall. Das Datum dient als Orientierung, als Qualitätsgarantie seitens des Herstellers. Dieser garantiert, dass die speziellen Eigenschaften seines Produktes (z. B. Aroma) bis zu diesem Zeitpunkt gesichert sind. Ist das Datum überschritten, bedeutet dies jedoch nicht, dass beim Verzehr die Gesundheit in Gefahr ist.
Produkte mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) können meist noch problemlos konsumiert werden.
Im Handel löst ein abgelaufenes MHD kein Verkaufsverbot aus, wenn das betreffende Lebensmittel in einem tadellosen Zustand ist.
Generell ist es anzuraten, Lebensmittel vor dem Genuss sensorisch zu prüfen. Sind Aussehen, Geruch, Geschmack oder Konsistenz ungewöhnlich, sollte das Produkt entsorgt werden.
Laut der Lebensmittelinformationsverordnung ist für das MHD die Formulierung „Mindestens haltbar bis…“ (Lebensmittel unter 3 Monate haltbar) vorgeschrieben, wenn der genaue Tag genannt wird. Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum ohne Tag angegeben, ist die Formulierung „Mindestens haltbar bis Ende…“ (meist von 3 bis unter 18 Monate haltbar) angebracht. Bei einer Haltbarkeit über 18 Monaten genügt es, wenn der Hersteller eine Jahresangabe macht. Insgesamt also ein guter Leitfaden beim Lebensmitteleinkauf und bei der Lagerung von verarbeiteten und verpackten Nahrungsmitteln. Das MHD wird übrigens selbst von den Herstellern nach bestem Wissen und Gewissen festgelegt.
Zu den Lebensmitteln ohne Mindesthaltbarkeitsdatum zählen unter anderem frisches und unverarbeitetes Obst sowie Gemüse oder Gebäck, das üblicherweise innerhalb eines Tages verzehrt wird ([ Abb. 3 ]). Auch Essig, Salz oder Zuckerwaren sind ausgenommen.
Im Unterschied zum MHD wird das Verbrauchsdatum auf leicht verderblichen Lebensmitteln als „zu verbrauchen bis…“ gekennzeichnet. Nach Ablauf dieses Datums, darf das Lebensmittel nicht mehr verkauft werden und es gehört tatsächlich in den Abfall.
„Direkt und akut können unsichere Lebensmittel zu Vergiftungen führen. Dabei spielen mikrobiologische Gefahren aufgrund von mangelnder Hygiene die größte Rolle. Rückstände sind bezogen auf die tatsächlich vorkommenden Krankheitsfälle deutlich geringer im Ausmaß. Längerfristig können unsichere Lebensmittel die Lebenserwartung einer ganzen Gesellschaft negativ beeinflussen“, erläutert Guido Ritter.
Unter unsichere Lebensmittel fallen krankmachende Keime auf verdorbenen Produkten oder chemische Stoffe, die bei unsachgemäßer Behandlung als Rückstände oder Kontaminanten im Lebensmittel zu finden sind [6]. Auch allergene Stoffe stellen eine gesundheitliche Gefahr dar, wenn sie nicht ausreichend gekennzeichnet sind.
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Sicherheit durch Kontrollverfahren
Regelmäßige Kontrollen der Nahrungsmittel, etwa bezüglich Schadstoffen und der Sicherstellung von sauberem Trinkwasser, sichern die Qualität unserer Speisen. Es handelt sich also um ein Zusammenspiel zwischen vorbeugenden Maßnahmen und Kontrollen.
Die Lebensmittelsicherheit wird in Deutschland durch die Lebensmittelbasisverordnung der EU geregelt. Die Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit liegt laut der Lebensmittelgesetzgebung beim Produzenten. Durch Eigenkontrollen überwachen diese die Stufen des Produktionsprozesses – angefangen bei den Rohstoffen bis hin zum Endprodukt. Dabei werden Angaben zur Kennzeichnung des Produktes gefordert, unter anderem zu dessen Herkunft, den Nährwerten, den eingesetzten Zusatzstoffen sowie Grenzwerten von Rückständen.
Lebensmittel werden meist mit erheblichem Aufwand hergestellt, verpackt, transportiert und eingelagert. Sind mehrere Unternehmen an der Herstellung beteiligt, muss deren Rückverfolgbarkeit gegeben sein. Das Einhalten der gesetzlichen Regelungen wird von den Bundesländern überwacht sowie durch europaweite Kontrollprogramme [7], [8]. Eigentlich ein gut abgesichertes System. Doch durch die Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre, das unüberschaubare Angebot und die große Anzahl der sich im Umlauf befindenden Gütesiegel suchen die Konsumenten hierzulande weiterhin nach Orientierung und Sicherheit im Lebensmittel-Dschungel.
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Interessenkonflikt
Die Autorin erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Gruber PC. Hrsg. Wie wir überleben! Ernährung in Zeiten des Klimawandels. Leverkusen: Barbara Budrich Verlag; 2010
- 2 Bundeszentrale für politische Bildung. Lebensmittelsicherheit – mehr als nur ein Zustand. Herausforderungen im 21. Jahrhundert. http://www.bpb.de/apuz/262261/lebensmittelsicherheit?p=al (Zugriff am 14.10.2019)
- 3 Deutsche Welthungerhilfe e. V.. Welthungerindex – WHI. https://www.globalhungerindex.org/de/ (Zugriff am 14.10.2019)
- 4 Biesalski HK. et al. Taschenatlas der Ernährung. 2. Aufl.. Stuttgart: Thieme Verlag; 2001
- 5 Garnett T. Where are the best opportunities for reducing greenhouse gas emissions in the food system (including the food chain)?. Food Policy 2011; 36: S23-S32
- 6 Pichhardt K. Lebensmittelmikrobiologie – Grundlagen für die Praxis. 4. Aufl.. Heidelberg, Berlin: Springer Verlag; 1998
- 7 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – Sichere Lebensmittel. https://www.bmel.de/DE/Ernaehrung/SichereLebensmittel/sichereLebensmittel_node.html (Zugriff am 14.10.2019)
- 8 European Food Safety Authority. https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/uncertainty-scientific-assessments (Zugriff am 14.10.2019)
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
04 December 2019
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
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Literatur
- 1 Gruber PC. Hrsg. Wie wir überleben! Ernährung in Zeiten des Klimawandels. Leverkusen: Barbara Budrich Verlag; 2010
- 2 Bundeszentrale für politische Bildung. Lebensmittelsicherheit – mehr als nur ein Zustand. Herausforderungen im 21. Jahrhundert. http://www.bpb.de/apuz/262261/lebensmittelsicherheit?p=al (Zugriff am 14.10.2019)
- 3 Deutsche Welthungerhilfe e. V.. Welthungerindex – WHI. https://www.globalhungerindex.org/de/ (Zugriff am 14.10.2019)
- 4 Biesalski HK. et al. Taschenatlas der Ernährung. 2. Aufl.. Stuttgart: Thieme Verlag; 2001
- 5 Garnett T. Where are the best opportunities for reducing greenhouse gas emissions in the food system (including the food chain)?. Food Policy 2011; 36: S23-S32
- 6 Pichhardt K. Lebensmittelmikrobiologie – Grundlagen für die Praxis. 4. Aufl.. Heidelberg, Berlin: Springer Verlag; 1998
- 7 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – Sichere Lebensmittel. https://www.bmel.de/DE/Ernaehrung/SichereLebensmittel/sichereLebensmittel_node.html (Zugriff am 14.10.2019)
- 8 European Food Safety Authority. https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/uncertainty-scientific-assessments (Zugriff am 14.10.2019)