Epidemiologie
Alkoholbezogene Störungen (Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit) zeigen von allen
substanzbezogenen Störungen nach den tabakbezogenen Störungen die zweithöchste Prävalenz.
In Deutschland liegt bei 2,8 % aller 19- bis 64-Jährigen ein schädlicher Alkoholgebrauch
vor; 3,1 % sind alkoholabhängig [1]. Von den Betroffenen befinden sich trotz des gut ausgebauten Suchthilfesystems in
Deutschland nur 10–16 % in einer spezifischen suchtmedizinischen Behandlung [2]. Damit zählen die alkoholbezogenen Störungen zu den psychischen Erkrankungen mit
der größten Behandlungslücke, das heißt dem größten Anteil an Patienten, die keine
diagnosespezifische Therapie erhalten.
Betrachtet man Katamnesedaten nach einer körperlichen Entgiftung im Vergleich zu denen
nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung, wie in der S3-Leitlinie alkoholbezogener
Störungen empfohlen [3], zeigen Patienten nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung zwar deutlich höhere
Abstinenzraten als nach einer reinen körperlichen Entgiftung, die Rückfallrate ist
aber auch nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung noch hoch [4]
[5]
[6]. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, in die Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit
alle vorhandenen evidenzbasierten Therapieoptionen einschließlich einer psycho-, sozio-
und pharmakotherapeutischen Rückfallprophylaxe einzubeziehen. Diese sollen im Folgenden
detailliert dargestellt werden.
Allgemeine Zielsetzungen der medizinischen Rehabilitation
Allgemeine Zielsetzungen der medizinischen Rehabilitation
Die medizinische Rehabilitation hat das Ziel des Erhalts, der Verbesserung oder der
Wiederherstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des alkoholabhängigen Patienten
und dient der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben und in der Gesellschaft [7]. Finanziert wird die medizinische Rehabilitation in der Regel von den Rentenversicherungsträgern
und nur in Ausnahmefällen von der Krankenversicherung, nämlich immer dann, wenn der
Betroffene entweder bereits berentet ist oder aufgrund einer zu kurzen Versicherungszeit
noch keine Ansprüche auf Leistungen der Rentenversicherung hat.
Die medizinische Rehabilitation bezeichnet man im Suchtbereich allgemein als Entwöhnungsbehandlung
oder Langzeittherapie.
Langzeittherapien können als voll- oder teilstationäre Behandlungen in spezifischen
Fachkliniken oder als ambulante Entwöhnungsbehandlungen in psychosozialen Beratungsstellen
durchgeführt werden.
Vor Antritt einer Entwöhnungsbehandlung ist die Beantragung der Behandlungsmaßnahme
bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger bzw. der zuständigen Krankenkasse notwendig.
Ein solcher Genehmigungsprozess dauert in der Regel mehrere Wochen, was in der Praxis
häufig damit verbunden ist, dass Patienten nach Abschluss einer Akutbehandlung vor
Beginn der Rehabilitationsbehandlung ins häusliche Umfeld entlassen werden müssen,
ohne eine begleitende suchtspezifische Behandlung zur Aufrechterhaltung der Abstinenz
zu erhalten. Um dies zu vermeiden, wurde in den vergangenen Jahren die Möglichkeit
geschaffen, die Entwöhnungsbehandlung im Rahmen eines Nahtlosverfahrens zu beantragen
(Details siehe unter vollstationäre Entwöhnungsbehandlung).
Vollstationäre Entwöhnungsbehandlung
Vollstationäre Entwöhnungsbehandlung
Die stationäre Entwöhnungsbehandlung richtet sich vor allem an Patienten mit schwerwiegenden
körperlichen, psychischen oder sozialen Problemen; an Patienten, deren soziales Umfeld
keine ausreichende Unterstützung bietet, die beruflich nicht integriert sind, bei
denen keine stabile Wohnsituation gegeben ist oder wiederholte Rückfälle während ambulanten
oder teilstationären Entwöhnungsbehandlungen aufgetreten sind [8].
Stationäre Langzeittherapien dauern in der Regel 12 Wochen.
Wie oben erwähnt, gibt es die Möglichkeit, den Beantragungsprozess für eine vollstationäre
Entwöhnungsbehandlung im Rahmen eines Nahtlosverfahrens zu beschleunigen. Wird bei
einem Patienten eine Entwöhnungsbehandlung per Nahtlosverfahren beantragt, so muss
dieser Patient direkt aus einer Akutbehandlung (körperlichen Entgiftung oder qualifizierten
Entzugsbehandlung) in die Entwöhnungsbehandlung überführt werden. Um dies ohne Verzögerungen
möglich zu machen, werden die per Nahtlosverfahren gestellten Anträge bei den Rentenversicherungsträgern
bevorzugt bearbeitet. Ist der Kostenträger einer Entwöhnungsbehandlung die Krankenkasse,
so kann keine Beantragung per Nahtlosverfahren erfolgen.
Das Nahtlosverfahren sollte vor allem bei Patienten mit einer sehr hohen Rückfallgefahr
genutzt werden, also bei Patienten, die unter sehr schwierigen sozialen Verhältnissen
leben, z. B. wohnsitzlos sind, oder bei Patienten mit einer sehr hohen täglichen Trinkmenge
und schweren somatischen Konsumschäden wie z. B. einer Leberzirrhose.
Therapiebausteine
Wichtige Therapiebausteine der stationären Entwöhnungsbehandlung stellen Gruppentherapien
und wöchentliche Einzelgespräche mit einem Bezugstherapeuten dar. Hier kommen meist
Techniken wie Rückfallanalysen, Rollenspiele zur Rückfallprophylaxe, soziales Kompetenztraining
sowie achtsamkeitsbasierte und stressreduzierende Therapien zum Einsatz. Darüber hinaus
spielen im Umgang mit Rückfällen bzw. anderem therapieschädigenden Verhaltensweisen
während der Behandlung Maßnahmen des Kontingenzmanagements eine wichtige Rolle.
Neben der Arbeit mit dem Betroffenen selbst, ist auch die Arbeit mit den Angehörigen
bzw. Bezugspersonen des Patienten im Rahmen der stationären Entwöhnungsbehandlung
z. B. in Angehörigenworkshops von zentraler Bedeutung, da das Umfeld der Patienten
von schweren psychischen und sozialen Folgen betroffen sein kann. Außerdem treten
häufig durch Alkohol verursachte interaktionelle Probleme auf, die im Rahmen von therapeutischen
Einzelgesprächen und therapeutisch moderierten Angehörigengesprächen zu bearbeiten
sind. Mit Unterstützung des Sozialdienstes werden sozialtherapeutische Aspekte der
Erkrankung, wie eine Stabilisierung der Wohnsituation sowie eine Rückkehr in die Erwerbstätigkeit
Bestandteil der Behandlung.
Zentrale Ziele einer stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung sind die Aktivierung
der persönlichen Ressourcen und Bewältigungsfähigkeiten der Patienten. Darüber hinaus
erfolgt die Analyse von Verhaltensmustern und Gewohnheiten, die zur Aufrechterhaltung
des Alkoholkonsums beigetragen haben hinsichtlich der Bedingungsfaktoren.
Die wichtigsten zur Anwendung kommenden Techniken
Strategien zum Aufbau von Selbstkontrolle
Mithilfe von Strategien zur Selbstkontrolle und zum Selbstmanagement soll Patienten
ein höheres Maß an Reflexionsfähigkeit über ihren Konsum von Alkohol vermittelt werden.
Wichtige Maßnahmen sind zum Beispiel:
-
die Selbstdokumentation des Alkoholkonsums in Form eines Tagebuchs
-
der Abschluss von Verhaltensverträgen
-
die Einübung von Verhaltensweisen, die unvereinbar mit dem Alkoholkonsum sind
-
die Selbstbelohnung beim Erreichen von Zielen
Rückfallprophylaxe und -management
Basierend auf dem sozial-kognitiven Rückfallmodell von Marlatt und Gordon [9] kommen in Rückfallpräventionsprogrammen verschiedene bewährte Strategien kombiniert
miteinander zur Anwendung. Dies zielt darauf ab, den Betroffenen für rückfallkritische
Situationen zu sensibilisieren und ihm Bewältigungsstrategien zum Umgang mit diesen
Situationen zu vermitteln. Dabei wird auch der Umgang mit Rückfällen thematisiert;
zudem werden Strategien zur Beendigung des Rückfalls erarbeitet.
Soziales Kompetenztraining
Das vorrangige Ziel des sozialen Kompetenztrainings ist das erfolgreiche Einüben von
funktionalem Verhalten in der zwischenmenschlichen Interaktion. Hierdurch soll zum
einen eine Reduktion oder Vermeidung unangenehmer Gefühle, die durch zwischenmenschliche
Kontakte ausgelöst und die durch den Konsum von Alkohol erträglich werden, erreicht
werden. Zum anderen sollen so weitere Verstärkungsmöglichkeiten geschaffen werden,
beispielsweise durch den Aufbau oder die Erweiterung positiver abstinenzorientierter
sozialer Kontakte. Darüber hinaus sollen Kompetenzen zur Ablehnung einer Einladung
zu einem alkoholischen Getränk aufgebaut werden.
Das soziale Kompetenztraining wird in der Regel als Gruppentherapie durchgeführt,
es besteht aber die Möglichkeit, Elemente hiervon auch in der Einzeltherapie zu nutzen
Neben der Vermittlung von theoretischen Grundlagen zu Fähigkeiten in der sozialen
Interaktion liegt das Hauptaugenmerk des sozialen Kompetenztrainings auf übenden Verfahren
wie Rollenspielen. Diese können die Patienten in der Gruppe unter einander anwenden
oder zunächst mit einem Therapeuten als „Spielpartner“ üben.
Stressbewältigungstraining
Das Stressbewältigungstraining beinhaltet neben kognitiven Therapieelementen zur Veränderung
eigener Erwartungen und Attributionen vor allem konkret übende Verfahren, wie
Diese Verfahren dienen also primär der „Reaktionskontrolle“. Interventionen der „Situationskontrolle“
zielen darauf ab, eine Veränderung stressauslösender Bedingungen zu erarbeiten, sowie
auf das Erlernen von Zeitmanagement- und/oder von Problemlösungsstrategien.
Paar- und familientherapeutische Interventionen
Bei vielen alkoholabhängigen Patienten kann es als Folge des erhöhten Alkoholkonsums
zu Spannungen und Konflikten in Beziehungen und/oder im Familiensystem kommen. Diese
können aber Ursache und aufrechterhaltende Bedingung eines erhöhten Alkoholkonsums
sein.
Verhaltenstherapeutische Paar- und Familieninterventionen dienen dazu, dysfunktionale
Interaktionsmuster aufzudecken und Möglichkeiten einer alternativen Beziehungsgestaltung
zu erarbeiten. Sinnvoll erscheint hierbei eine Kombination der verhaltenstherapeutischen
Techniken mit weiteren Techniken aus anderen Therapiesystemen, insbesondere der systemischen
Therapie. Ein solcher Behandlungsansatz setzt jedoch voraus, dass die Angehörigen
bzw. wichtigen Bezugspersonen des Patienten bereit sind, aktiv im Therapieprozess
mitzuwirken.
Alkoholexpositionstraining
Das Ziel des Alkoholexpositionstrainings besteht darin, die bei alkoholabhängigen
Patienten in entsprechenden individuellen Auslösesituationen bestehenden Konditionierungs-
bzw. Sensitivierungsprozesse zu modulieren, damit sie zukünftig keinen Rückfall verursachen.
So sollen Patienten lernen, kritische Situationen für einen Rückfall zu identifizieren,
die zu erhöhtem Verlangen nach Alkohol führen, und Bewältigungsstrategien zum Umgang
mit Alkoholverlangen in diesen individuellen rückfallkritischen Situationen einzuüben.
Hierbei müssen die individuellen Situationen meist mehrfach wiederholt geübt werden.
Teilstationäre Entwöhnungsbehandlung
Teilstationäre Entwöhnungsbehandlung
Die teilstationäre (tagesklinische) Entwöhnungsbehandlung richtet sich vor allem an
Patienten, die zwar auch körperliche, psychische oder soziale Probleme haben, deren
soziales Umfeld allerdings ausreichend intakt ist, sodass eine komplette Distanzierung
vom sozialen Umfeld, wie sie im Rahmen einer vollstationären Entwöhnungsbehandlung
gegeben ist, nicht notwendig ist. Wichtig hier ist vor allem eine stabile Wohnsituation,
da die Therapie nur an 5–6 Tagen (abhängig von der durchführenden Einrichtung) von
morgens bis in den späten Nachmittag dauert und die Patienten die restlichen Zeiten
in ihrem privaten Umfeld verbringen.
Teilstationäre Entwöhnungsbehandlungen sind wegen der fehlenden stabilen Wohnsituation
nicht geeignet für wohnsitzlose Patienten.
Sie richten sich im Gegensatz zu ambulanten Entwöhnungsbehandlungen (siehe unten)
gerade auch gezielt an arbeitslose Patienten, die durch die wohnortnahe Therapie die
Therapiezeit gezielt nutzen können, um eine berufliche Perspektiven zu entwerfen [8].
Wie die stationären Langzeittherapien dauern die teilstationären Therapien in der
Regel 12 Wochen.
Der Beantragungsprozess verläuft nach den gleichen Regeln wie bei der vollstationären
Entwöhnungsbehandlung; auch hier ist eine Beantragung in Form eines Nahtlosverfahrens
möglich. Auch die therapeutischen Inhalte und Schwerpunkte einer teilstationären Entwöhnungsbehandlung
gleichen denen einer vollstationären Therapie, weshalb an dieser Stelle auf eine erneute
detaillierte Beschreibung der therapeutischen Inhalte und Schwerpunkte verzichtet
wird.
Für geeignete Patienten hat die teilstationäre Langzeitentwöhnungsbehandlung den Vorteil,
dass sie die erlernten therapeutischen Strategien bereits während der Behandlung in
ihrem eigenen Alltag anwenden können bzw. müssen. Dies führt dazu, dass diese Strategien
zeitnah auf Praktikabilität im Alltag des Patienten geprüft werden können und im Erarbeitungsprozess
ggf. direkt modifiziert werden können in Zusammenarbeit mit dem therapeutischen Team
der behandelnden Klinik.
Aufgrund der größeren Alltagsnähe im Vergleich zur vollstationären Entwöhnungsbehandlung
besteht bei teilstationären Maßnahmen eine größere Gefahr für Rückfälle.
Sollten Rückfälle so schwerwiegend sein, dass eine medizinisch gestützte Entgiftung
notwendig werden sollte, muss eine teilstationäre Langzeitentwöhnungsbehandlung ggf.
kurzfristig für eine Akutbehandlung unterbrochen werden. Sollte sich keine Stabilität
zur Fortsetzung der teilstationären Rehabilitationsbehandlung herstellen lassen, kann
die teilstationäre in Abstimmung mit dem zuständigen Kostenträger (Rentenversicherungsträger
bzw. Krankenkasse) in eine stationäre Langzeitentwöhnungsbehandlung umgewandelt werden.
Gerade auch bei Komplikationen im Behandlungsverlauf ist es wichtig, gemeinsam mit
dem Patienten die zentralen Ziele der teilstationären Langzeitentwöhnungsbehandlung,
die Aktivierung der persönlichen Ressourcen und Bewältigungsfähigkeiten der Patienten
sowie die Analyse von Verhaltensmustern und Gewohnheiten, die zur Aufrechterhaltung
des Alkoholkonsums beigetragen haben, zu berücksichtigen.
Ambulante Entwöhnungsbehandlung
Ambulante Entwöhnungsbehandlung
Die ambulante Entwöhnungsbehandlung richtet sich vor allem an Patienten, die sozial
gut integriert sind und keine bis geringe körperliche Erkrankungen bzw. Funktionseinschränkungen
haben. Sie beinhaltet in der Regel 1–2 einzel- bzw. gruppentherapeutische Sitzungen
pro Woche. Darüber hinaus bewegen sich die Patienten in ihrem normalen Alltag im persönlichen
Umfeld. Die primäre Zielgruppe für diese Art der Therapie sind daher Patienten, die
eine feste Tagesstruktur haben, also in der Regel berufstätige Patienten.
Patienten mit einer fehlenden Tagesstruktur sollte keine ambulante Entwöhnungsbehandlung
angeboten werden.
Die ambulanten Entwöhnungsbehandlungen werden von den ortsansässigen Suchtberatungsstellen
am Wohnort des Patienten durch suchttherapeutisch geschulte Sozialpädagogen und Psychologen
durchgeführt.
Die Dauer einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung beträgt zumeist 6–12 Monate.
Der Beantragungsprozess und die Kostenträger entsprechen denen der stationären bzw.
teilstationären Entwöhnungsbehandlung mit der Ausnahme, dass hier keine Beantragung
im Nahtlosverfahren möglich ist.
Die angewandten therapeutischen Techniken entsprechen den oben bei der stationären
Entwöhnungsbehandlung dargestellten Techniken. Neben der therapeutischen Arbeit mit
dem Betroffenen selbst in Einzel- und Gruppentherapien kommt auch in diesem therapeutischen
Setting aus den oben geschilderten Gründen der Angehörigenarbeit eine wichtige Rolle
zu.
Von allen 3 möglichen Settings, die für die Entwöhnungsbehandlung gewählt werden können,
bietet die ambulante Entwöhnungsbehandlung die größte Alltagsnähe und ermöglicht damit
natürlich sehr stark die Strategie der Problemaktualisierung im therapeutischen Prozess
zu nutzen. So können Patienten anhand von realen Situationen in ihrem privaten oder
beruflichen Umfeld die erarbeiteten Strategien hinsichtlich ihrer Funktionalität und
Praktikabilität testen. Wie schon bei der teilstationären Entwöhnungsbehandlung, führt
die größere Alltagsnähe auch bei der ambulanten Entwöhnungsbehandlung zu einer größeren
Rückfallgefahr. Der Umgang mit Rückfällen erfolgt hierbei, wie im Abschnitt der teilstationären
Entwöhnungsbehandlung beschrieben. Sollte sich durch die Akutbehandlung keine ausreichende
Stabilisierung des Patienten erreichen lassen, kann diese mit Zustimmung des zuständigen
Kostenträgers (Rentenversicherungsträger oder Krankenkasse) in eine teil- oder vollstationäre
Entwöhnungsbehandlung überführt werden.
Hinsichtlich der Zielsetzung unterscheidet sich die ambulante Entwöhnungsbehandlung
nicht von der stationären bzw. teilstationären Behandlung.
Über die Kriterien zur Wahl des Therapiesettings informiert [Tab. 1].
Tab. 1
Entscheidungshilfen für die Auswahl des Therapiesettings für die Entwöhnungsbehandlung.
|
Stationäre Entwöhnungsbehandlung
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Teilstationäre Entwöhnungsbehandlung
|
Ambulante Entwöhnungsbehandlung
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Schwere der Alkoholabhängigkeit
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Langjährige Alkoholabhängigkeit
hohe Tagestrinkmengen
kurze Abstinenzzeiten nach Therapien
wiederholte Rückfälle
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Langjährige Alkoholabhängigkeit
mittlere Tagestrinkmengen
längere Abstinenzphasen nach einer Therapie
|
Frühere Stadien der Alkoholabhängigkeit
relativ geringe Trinkmengen
längere Abstinenzzeit nach vorangegangenen Therapien
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Somatische Folgeerkrankungen
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schwere somatische Folgeerkrankungen
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leichte/keine somatische Folgeerkrankungen
|
leichte/keine somatische Folgeerkrankungen
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Psychische Begleiterkrankungen
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schwere psychische Begleiterkrankungen
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leichte/keine psychische Begleiterkrankungen
|
leichte/keine psychische Begleiterkrankungen
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Wohnsituation
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auch bei Wohnsitzlosigkeit möglich
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fester Wohnsitz Voraussetzung
|
fester Wohnsitz Voraussetzung
|
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Soziales Umfeld
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instabiles soziales Umfeld, Distanzierung notwendig
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stabiles soziales Umfeld, keine Distanzierung notwendig
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stabiles soziales Umfeld, keine Distanzierung notwendig
|
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Tagestruktur/berufliche Situation
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keine Tagesstruktur vorhanden/Arbeitslosigkeit
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keine Tagesstruktur vorhanden/Arbeitslosigkeit
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geregelte Tagesstruktur vorhanden/regelmäßige Arbeitstätigkeit vorhanden
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Die ambulante, teil- oder vollstationäre Entwöhnungsbehandlung bildet ein zentrales
Therapieelement der Postakutbehandlung der Alkoholabhängigkeit. Kostenträger hierfür
ist in der Regel der Rentenversicherungsträger und nur in Ausnahmefällen die Krankenversicherung
des Patienten.
Alexander M. ist ein 56 Jahre alter Patient mit einer seit 30 Jahren bestehenden Alkoholabhängigkeit,
der bereits wiederholt stationäre Entgiftungen und qualifizierte Entzugsbehandlungen
absolviert hat. Im Anschluss an die Therapien konnte der Patient bisher nur kurze
Abstinenzzeiten erreichen.
Aufgrund des Alkoholkonsums kam es vor 15 Jahren zu der Trennung von seiner Ehefrau.
Vor 10 Jahren hat Herr M. seine Arbeitsstelle als Lagerist verloren aufgrund vieler
alkoholbedingter unentschuldigter Fehlzeiten. Seither ist der Patient arbeitslos.
Durch den übermäßigen Alkoholkonsum kümmerte sich der Patient nicht mehr um seine
Termine beim Jobcenter und zahlte auch nicht mehr regelmäßig seine Miete, daher verlor
er vor 5 Jahren seine Wohnung. Seither ist Herr M. wohnsitzlos und lebt mit anderen
Wohnsitzlosen gemeinsam in einer Grünanlage einer deutschen Großstadt.
Seit Beginn der Wohnsitzlosigkeit hat sich seine tägliche Trinkmenge auf 2 l Wodka
gesteigert, Trinkbeginn ist bereits morgens direkt nach dem Aufstehen. In den ersten
Jahren der Wohnsitzlosigkeit lehnte der Patient eine psychosoziale Betreuung durch
die Streetworkerin der zuständigen Suchtberatungsstelle kategorisch ab. Seit einigen
Monaten, seitdem eine neue Mitarbeiterin zuständig ist, hat er regelmäßig Kontakt
zu der Streetworkerin und diese konnte ihn durch eine intensive Motivationsarbeit
zu einer erneuten qualifizierten Entzugsbehandlung motivieren. Während dieser Behandlung
kann der Patient zu der Durchführung einer erneuten stationären Langzeitentwöhnungsbehandlung
motiviert werden. Diese wird in Kooperation zwischen dem Sozialdienst der zuständigen
psychiatrischen Klinik, der Streetworkerin und der Suchtberatungsstelle im Nahtlosverfahren
beantragt, wodurch Herr M. direkt aus der qualifizierten Entzugsbehandlung in die
Weiterbehandlung in eine suchtmedizinische Fachklinik zur medizinischen Rehabilitation
verlegt werden kann.
Adaption
Die Adaption („Anpassung“) ist eine Phase, die sich nach einer stationären (oder selten
auch ambulanten) Entwöhnungsbehandlung anschließen kann. Diese Behandlungsphase dient,
wenn notwendig, der Unterstützung der Wiedereingliederung des Patienten in die Gesellschaft
und in den Arbeitsmarkt. Der Patient lebt während dieser Behandlungsphase in einer
sogenannten Adaptionseinrichtung. Der Kostenträger der Adaption ist, wie bei der vorangehenden
Entwöhnungsbehandlung, entweder der Rentenversicherungsträger oder die Krankenkasse.
Postakutbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
Postakutbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
Neben der medizinischen Rehabilitation, die zumeist über die Rentenversicherungsträger
finanziert wird, kommt der ambulanten Behandlung im Rahmen des vertragsärztlichen
Versorgungssystems eine wichtige Rolle in der Postakutbehandlung bei Alkoholabhängigkeit
zu. Hieran sind neben niedergelassenen Hausärzten und Fachärzten verschiedener Fachrichtungen
auch die psychiatrischen Institutsambulanzen (PIAs) an Kliniken beteiligt.
Postakutbehandlung in der hausärztlichen Praxis
Die Hausärzte sind im Normalfall die Behandler, welche den individuellen Erkrankungs-
und Behandlungsverlauf eines Patienten im Längsschnitt sowie die psychosoziale Situation
des Betroffenen am besten kennen. Deshalb kommt ihnen gerade in der Postakutbehandlung
eine sehr wichtige Rolle zukommt. Nach der Entlassung aus der klinischen Akutbehandlung
werden die Patienten beim Hausarzt sowohl zur Behandlung von somatischen und psychischen
Folgeerkrankungen der Alkoholabhängigkeit als auch zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit
selbst vorstellig. Durch das oft über viele Jahre gewachsene Vertrauensverhältnis
des Patienten zu seinem Hausarzt werden belastende psychosoziale Faktoren sowie körperliche
und psychische Folgen des Alkoholkonsums oft zunächst dem Hausarzt offenbart.
So stellt er die Indikation für eine fachärztliche Abklärung und Weiterbehandlung
spezifischer Folgeerkrankungen der Alkoholabhängigkeit und unterstützt den Patienten
bei der Organisation der Behandlung. Gleichzeitig erhält er von allen mitbehandelnden
Fachärzten die Behandlungsempfehlungen, wodurch ihm die Aufgabe der Koordination und
Abstimmung der einzelnen Behandlungsschritte zukommt. Darüber hinaus ist es die Aufgabe
des Hausarztes während des Behandlungsprozesses darauf zu achten, die Grunderkrankung
Alkoholabhängigkeit und das damit verbundene Rückfallrisiko nicht aus den Augen zu
verlieren.
Dem Hausarzt kommt eine Art „Gate-keeper“- bzw. „Casemanager“-Funktion in der postakuten
Behandlung des Patienten im vertragsärztlichen Versorgungssystem zu.
Fachärztliche Postakutbehandlung
In der Regel führen akute oder chronische somatische oder psychische Folgeerkrankungen
der Alkoholabhängigkeit zu einer Vorstellung des Patienten bei einem niedergelassenen
Facharzt. Hierbei können Fachärzte unterschiedlicher Fachrichtungen gleichzeitig bzw.
nacheinander in die Postakutbehandlung eines individuellen Patienten involviert sein,
die Schwerpunkte liegen allerdings im internistischen sowie psychiatrisch-neurologischen
Fachgebiet. Neben der spezifischen leitliniengerechten Behandlung der Folgeerkrankung
sollte auch während der fachärztlichen Konsultation immer wieder der Verlauf der Grunderkrankung
Alkoholabhängigkeit vor allem in Hinblick auf (drohende) Rückfälle thematisiert werden
und bei Problemen spezifische Hilfestellungen angeboten werden oder eine Vermittlung
an die zuständigen Stellen im Suchthilfesystem erfolgen.
Postakutbehandlung in psychiatrischen Institutsambulanzen (PIAs)
Neben einer Postakutbehandlung bei niedergelassenen Fachärzten für Psychiatrie und
Psychotherapie kann die psychiatrisch-suchtmedizinische Behandlung von Patienten mit
einer Alkoholabhängigkeit auch in psychiatrischen Institutsambulanzen, sogenannten
PIAs erfolgen. Das besondere Augenmerk bei dieser Behandlung liegt neben den unmittelbaren
Symptomen der Alkoholabhängigkeit auf der medikamentösen und psychotherapeutischen
Behandlung von psychischen Folgeerkrankungen wie depressiven Syndromen, Angsterkrankungen
oder Persönlichkeitsstörungen. Die Behandlungsangebote von PIAs richten sich dabei
primär an schwer betroffene Patienten oft mit einer oder mehreren psychiatrischen
Folgeerkrankungen, da sie aufgrund der relativ kurzen Wartezeiten auf einen Behandlungstermin
von den Patienten als niederschwelliger empfunden werden als die Behandlung bei niedergelassenen
Fachärzten. Ein weiterer Vorteil der PIA in der Behandlung von schwerstabhängigen
Patienten ist deren sehr gute Vernetzung mit den anderen Einrichtungen des Suchthilfenetzwerks,
was die Weitervermittlung in andere Behandlungs- und Betreuungsangebote erleichtert.
Das zweite wichtige Therapieelement der Postakutbehandlung der Alkoholabhängigkeit
bildet die Behandlung bei niedergelassenen Haus- und Fachärzten unterschiedlicher
Fachrichtungen sowie in psychiatrischen Institutsambulanzen.
Antragspsychotherapie bei niedergelassenen Psychotherapeuten
Antragspsychotherapie bei niedergelassenen Psychotherapeuten
Eine psychotherapeutische Behandlung von alkoholabhängigen Patienten kann in der Postakutphase
sowohl zur Therapie der Alkoholabhängigkeit als auch hinsichtlich psychiatrischer
Begleit- und Folgeerkrankungen wie Angststörungen und depressiven Syndromen indiziert
sein. Die Eingangsvoraussetzung für die Beantragung und Genehmigung einer solchen
Therapie ist allerdings die Abstinenz des Patienten zu Therapiebeginn. Diese muss
anhand eines dem Antrag beigefügten ärztlichen Befundberichts belegt werden. Kann
die Abstinenz vor Beginn der Therapie nicht erreicht werden, so kann in Ausnahmefällen
auch bei noch konsumierenden Patienten eine Psychotherapie beantragt werden, es muss
dann allerdings sichergestellt und nachgewiesen werden, dass der Patient spätestens
nach Ablauf der 10. Therapiestunde gegebenenfalls mit ärztlich/medizinischer Unterstützung
eine Abstinenz erreicht hat. Sollte dies nicht der Fall sein, so darf die Behandlung
nicht fortgesetzt werden.
Eingangsvoraussetzung für die Beantragung ist die Abstinenz oder bald zu erwartende
Abstinenz der Patienten.
Sollte es während einer laufenden ambulanten Antragspsychotherapie bei einem Patienten
zu einem Rückfall mit Alkohol kommen, so muss die Behandlung nicht zwingend abgebrochen
werden, vielmehr sollte der Rückfall psychotherapeutisch mit dem Patienten aufgearbeitet
werden auch hinsichtlich Auslösefaktoren und Konsequenzen des Rückfalls. Außerdem
muss der Patient unterstützt werden, mit ärztlich/medizinischer Hilfe den Rückfall
zu beenden.
Psychosoziale Beratungsstellen (Suchtberatungsstellen)
Psychosoziale Beratungsstellen (Suchtberatungsstellen)
Das Aufgabenportfolio von Suchtberatungsstellen ist sehr vielfältig. So beinhaltet
es die niedrigschwellige Beratung, die Diagnostik sowie die Motivation zu weiterführenden
Behandlungen (Vermittlung in Entzugsbehandlungen; Beantragung von Entwöhnungsbehandlungen).
Darüber hinaus führen die Suchtberatungsstellen selbst ambulante Langzeitentwöhnungsbehandlungen
durch und halten Angebote zur Tagesstrukturierung wie Tagesstätten für Abhängigkeitserkrankte
vor. Außerdem betreuen sie oft Nachsorgewohngemeinschaften, in die Patienten im Anschluss
an eine stationäre Langzeitentwöhnungsbehandlung in ihrem Heimatort ziehen können.
Sie kümmern sich im Rahmen von „zugehender Sozialarbeit“ auch um wohnsitzlose Abhängigkeitserkrankte
und helfen diesen, in Therapie zu gelangen und wieder im Sozialsystem Fuß zu fassen.
Ein weiterer Schwerpunkt von Suchtberatungsstellen liegt in der Betreuung von suchtkranken
Eltern (und deren Kindern) sowie Schwangeren. Außerdem beteiligen sich Suchtberatungsstellen
an Suchtpräventionsangeboten oft mit regionalem Bezug.
Einige Beratungsstellen bieten darüber hinaus spezielle Therapieangebote an, wie z. B.
Gruppenangebote zum reduzierten Trinken (Details siehe unten).
Suchtberatungsstellen stellen somit oft das Bindeglied zwischen den Behandlungsphasen
dar und sind sowohl mit Einrichtungen der Akutversorgung, der Suchtrehabilitation
und der Selbsthilfe eng vernetzt.
Selbsthilfe
Wie bei anderen psychischen und somatischen Erkrankungen dienen Selbsthilfegruppen
für alkoholabhängige Patienten vor allem dem Austausch mit anderen Betroffenen, dem
Aufbau von (suchtmittelabstinenten) Sozialkontakten und der Hilfe bei Alltagsproblemen.
Außerdem können sie eine Abstinenzmotivation schaffen und aufrechterhalten.
Selbsthilfegruppen sind von allen Angeboten in der Alkoholbehandlung, vom Erstkontakt
bis zur Rückfallprophylaxe, die niederschwelligsten Angebote.
Neben Selbsthilfegruppen für die Betroffenen selbst gibt es mittlerweile auch eine
Vielzahl von Angebote für Angehörige von alkoholabhängigen Patienten. Auch hier liegt
der Schwerpunkt auf dem Austausch über Probleme, die sich im Alltag aus der Erkrankung
des Patienten (für sein Umfeld) ergeben und der Erarbeitung von Strategien im Umgang
damit.
Rückfallprophylaktische Pharmakotherapie
Rückfallprophylaktische Pharmakotherapie
Präklinische und klinische Daten zeigen, dass Veränderungen im mesolimbisch-mesokortikalen
Belohnungssystem, stressassoziierten Mechanismen sowie Dysfunktionen der exekutiven
Kontrolle bei der Aufrechterhaltung des Alkoholkonsums im Rahmen einer Alkoholabhängigkeit
eine wichtige Rolle zukommt. Diese Systeme stellen somit relevante Angriffspunkte
für rückfallprophylaktisch wirksame Medikamente dar. Heute kommen in der pharmakologischen
Rückfallprophylaxe Medikamente aus verschiedenen Substanzklassen zum Einsatz (s. [Tab. 2]):
-
der Glutamatmodulator Acamprosat,
-
die Opioidantagonisten Naltrexon und Nalmefen, die beide (auch) trinkmengenreduzierende
Wirkungen haben
-
das alkoholaversiv wirksame Disulfiram [10]
Tab. 2
Übersicht über rückfallprophylaktische Medikamente.
|
Acamprosat
|
Disulfiram
|
Naltrexon
|
Nalmefen
|
|
Wirkmechanismus
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NMDA-Rezeptormodulator
|
Selektive und irreversible Hemmung der Alkoholdehydrogenase
|
μ- und δ-Opioidrezeptorantagonist
|
Selektiver μ- und δ-Opioidrezeptorantagonist mit partieller agonistischer Aktivität
am κ-Rezeptor
|
|
Indikation
|
Abstinenzaufrechterhaltung
|
Abstinenzaufrechterhaltung
|
→ Abstinenzaufrechterhaltung
→ Trinkmengenreduktion
|
Trinkmengenreduktion; „as-needed“
|
|
Kontraindikatonen
|
→ Nierensuffizienz
→ Überempfindlichkeit gegenüber Acamprosat
|
→ schwere Leberfunktionsstörungen, Leberzirrhose
→ schwere psychiatrische Komorbiditäten
→ Suizidalität
→ schwere Impulskontrollstörungen
→ Überempfindlichkeit gegen Disulfiram
→ schwere kardiovaskuläre Erkrankungen
|
→ Medikation mit opioidhaltigen Medikamenten
→ bestehende Opiatsubstitution
→ Überempfindlichkeit gegenüber Naltrexon
→ Leberzirrhose
|
→ Medikation mit opioidhaltigen Medikamenten
→ bestehende Opiatsubstitution
→ Überempfindlichkeit gegenüber Nalmefen
|
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Dosierung
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→ Gewicht > 60 kg 3 × 666 mg/Tag;
→ Gewicht < 60 kg 2 × 333 mg + 1 × 666 mg/Tag
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500 mg 3 ×/Woche
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50–100 mg/Tag
|
bei Bedarf: 18 mg max 1 ×/Tag
|
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Dosierungsschema
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3 × tägliche Gabe
|
3 ×/Woche
(Mo, Mi; Fr; supervidierte Vergabe)
|
1 × tägliche Gabe
|
bei Bedarf in Risikosituationen
|
|
Therapiekosten (ca.)
|
3,10 Euro Tagestherapiekosten
|
0,30–0,50 Euro Tagestherapiekosten
|
4,60 Euro Tagestherapiekosten
|
5, 80 Euro täglich oder ca. 2,90 Euro bei einer Einnahme alle 2 Tage
|
Für Substanzen mit Wirkung auf das cholinerge, dopaminerge und serotonerge System
konnten bisher keine replizierbaren abstinenzerhaltenden Effekte gezeigt werden [11]
[12]. Daher spricht die aktuell geltende S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung
alkoholbezogener Störungen“ explizit eine Nichtempfehlung zum Einsatz von selektiven
Serotonin Re-Uptake-Inhibitoren (SSRI) in der medikamentösen Rückfallprophylaxe bei
Alkoholabhängigkeit aus [3]. Darüber hinaus konnte eine Metaanalyse von 13 randomisiert kontrollierten Studien
(RCT) von Kishi et al. [13] eine grundsätzlich fehlende Wirksamkeit von Antipsychotika in der Rückfallprophylaxe
der Alkoholabhängigkeit zeigen.
Acamprosat
Acamprosat wirkt vermutlich als NMDA-Rezeptormodulator und ist für die Rückfallprophylaxe
der Alkoholabhängigkeit zugelassen. Metaanalytische Daten belegen die Wirksamkeit
in der Aufrechterhaltung der Abstinenz; nicht jedoch nach einem Trinkrückfall die
Rückkehr in die Abstinenz [10]. In der Dauertherapie sollte Acamprosat bei Patienten 2- bis 3-mal täglich verabreicht
werden (bei Patienten mit einem Gewicht > 60 kg 3 × 666 mg; bei Patienten mit einem
Gewicht < 60 kg 2 × 333 mg + 1 × 666 mg) [10].
Die Notwendigkeit der 2- bis 3-mal täglichen Acamprosat-Gabe erfordert eine hohe Einnahmecompliance
des Patienten.
Eine medikamentöse rückfallprophylaktische Therapie mit Acamprosat sollte für mindestens
3–6 Monate nach Beginn der Abstinenz erfolgen, in Einzelfällen kann auch eine längere
Einnahme für bis zu 12 Monaten sinnvoll sein.
Kontraindiziert ist eine Therapie mit Acamprosat bei Nierensuffizienz (Serumkreatinin
> 120 µmol/l). Außerdem darf eine Behandlung mit Acamprosat bei bekannten Überempfindlichkeitsreaktionen
gegen den Wirkstoff nicht erfolgen [10].
Die Therapiekosten betragen bei Einnahme von 3 × 666 mg (2 Tabletten a 333 mg) pro
Tag ca. 3,10 Euro. Die Kosten werden von der Krankenkasse nach ärztlicher Verordnung
übernommen.
Die Therapie mit Acamprosat ist kontraindiziert bei Niereninsuffizienz.
Naltrexon
Naltrexon wirkt als μ- und δ-Opioidrezeptorantagonist und ist in der Behandlung der
Alkoholabhängigkeit zur Reduktion des Rückfallrisikos, als unterstützende Behandlung
in der Abstinenz und zur Minderung des Verlangens nach Alkohol zugelassen. Seine Wirksamkeit
wird in Metaanalysen positiv bewertet. Da Naltrexon außer rückfallprophylaktischen
auch trinkmengenreduzierende Eigenschaften hat, kann es im Gegensatz zu Acamprosat
auch im Rahmen von nicht primär abstinenzorientierten Therapieansätzen zur Unterstützung
einer Trinkmengenreduktion eingesetzt werden [10]
[16]. In der Dauertherapie beträgt die tägliche Standarddosis 50 mg einmal täglich [10]. Eine medikamentöse rückfallprophylaktische Therapie mit Naltrexon sollte für mindestens
3–6 Monate nach Beginn der Abstinenz erfolgen, in Einzelfällen kann auch eine längere
Einnahme für bis zu 12 Monaten sinnvoll sein.
Kontraindiziert ist eine Therapie mit Naltrexon bei einer zusätzlich bestehenden Medikation
mit opioidhaltigen Medikamenten (z. B. mit opioidhaltigen Schmerzmitteln oder bei
einer bestehenden Opioidsubstitution), da sonst durch die Gabe von Naltrexon aufgrund
dessen antagonistischer Wirkung an den zentralen Opioidrezeptoren ein Entzugssyndrom
ausgelöst werden kann. Außerdem darf eine Behandlung mit Naltrexon bei einer Leberzirrhose
sowie bei bekannten Überempfindlichkeitsreaktionen gegen Naltrexon nicht erfolgen
[10].
Die Therapiekosten betragen bei Einnahme von 50 mg pro Tag ca. 4,60 Euro. Die Kosten
werden von der Krankenkasse nach ärztlicher Verordnung übernommen. Die Wirksamkeit
von Naltrexon konnte auch für Patienten mit einer psychiatrischen Komorbidität wie
einer Depression oder einer posttraumatischen Belastungsstörung nachgewiesen werden
[17].
Nalmefen
Nalmefen wirkt als selektiver Opioidrezeptorligand mit antagonistischer Aktivität
am μ- und δ-Rezeptor und mit partieller agonistischer Aktivität am κ-Rezeptor trinkmengenreduzierend
bei Alkoholabhängigkeit [18]
[19]. Ob die Wirkung am κ-Rezeptor (und die mögliche Reduktion anxiogener, anhedoner
Symptome) darüber hinaus einen klinisch relevanten Zusatznutzen vermittelt, ist offen.
Zugelassen ist Nalmefen zur Reduktion des Alkoholkonsums bei erwachsenen Patienten
mit Alkoholabhängigkeit, deren Alkoholkonsum „sich auf einem hohen Risikoniveau befindet“
(> 60 g/d für Männer; > 40 g/d für Frauen), bei denen aber keine körperlichen Entzugserscheinungen
vorliegen und die keiner sofortigen Entgiftung bedürfen. Es besteht keine Zulassung
als Medikation zur Aufrechterhaltung der Abstinenz. Die Hepatotoxizität von Nalmefen
ist im Vergleich zu Naltrexon geringer.
Entsprechend der Indikation eignet sich Nalmefen für eine „As-needed“-Behandlung;
d. h. für eine bedarfsmäßige Einnahme an Tagen, an denen ein (hoher) Alkoholkonsum
erwartet wird [10].
Die Therapiekosten betragen bei Einnahme von einer Tablette (18 mg) pro Tag ca. 5,80
Euro; bei einer Einnahme an jedem 2. Tag, wie dies in den Zulassungsstudien durchschnittlich
erfolgte, ca. 2,90 Euro. Laut Stellungnahme des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA)
kann die Kostenübernahme für eine Behandlung mit Nalmefen durch die gesetzliche Krankenversicherung
zur Unterstützung der Reduktion des Alkoholkonsums bei alkoholkranken Patienten, die
auf eine Abstinenztherapie hingeführt werden, bis zu 3, in Ausnahmefällen bis zu 6
Monaten erfolgen.
Naltrexon oder Nalmefen dürfen keinesfalls in Kombination mit opioidhaltigen Medikamenten
oder bei einer bestehenden Opioidsubstitution in der Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit
angewandt werden, da hierdurch ein schweres Opiatentzugssyndrom ausgelöst werden kann.
Disulfiram
Das alkoholaversiv wirksame Disulfiram wird nach spezieller Indikationsstellung vor
allem in der medikamentösen Rückfallprophylaxe bei schwerstabhängigen Patienten angewandt
[14]
[15]. Die alkoholaversive Wirkung entsteht durch eine selektive und irreversible Hemmung
des hepatischen Alkoholabbaus auf der Stufe des Acetaldehyds. Konsumieren die Patienten
während einer Therapie mit Disufiram Alkohol, so kommt es zu einer Anreicherung des
toxischen Acetaldehyds, was die typischen Symptome der Aversivreaktion auslöst [10].
Bei einer leichten bis mittelschweren Aversivreaktion kommt es bereits bei einem Konsum
von 3 g reinem Alkohol (75 ml Bier) innerhalb weniger Minuten zu folgenden Symptomen:
Bei einer schweren Aversivreaktion können folgende Symptome auftreten:
Die Therapie mit Disulfiram sollte als supervidierte Vergabe erfolgen d. h. die Verabreichung
sollte im Rahmen einer Spezialsprechstunde unter ärztlicher Aufsicht nach vorheriger
Atemalkoholkontrolle durchgeführt werden (z. B. 3 ×/Woche 500 mg).
Aufgrund der potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen bei Trinkzwischenfällen
und dem organisatorischen und personellen Aufwand bei der Vergabe stellt Disulfiram
keine Standardtherapie dar, sondern richtet sich an schwerstabhängige Patienten, bei
denen andere rückfallprophylaktische Therapiemaßnahmen wie Entwöhnungsbehandlungen
und Therapieversuche mit anderen zugelassenen rückfallprophylaktischen Medikamenten
keinen (längerfristigen) Erfolg erbracht haben.
Kontraindiziert ist eine Therapie mit Disulfiram bei:
-
Patienten mit schweren Leberfunktionsstörungen (GGT > 3-facher Normwert, Leberzirrhose),
-
Patienten mit schweren psychiatrischen Komorbiditäten wie schweren affektiven oder
psychotischen Störungen,
-
suizidalen Patienten oder
-
Patienten mit einer schweren Impulskontrollstörung
Außerdem darf eine Behandlung mit Disulfiram bei bekannten Überempfindlichkeitsreaktionen
gegen Disulfiram sowie bei vorbekannten schweren kardiovaskulären Erkrankungen wie
Myokardinfarkt und Apoplex nicht erfolgen [10].
Die Verschreibung von Disulfiram stellt aktuell in Deutschland einen Off-Label-Use
dar, da die Herstellerfirma die Zulassung 2013 zurückgegeben hat. Die europäische
Zulassung besteht jedoch weiterhin, sodass Disulfiram aus dem europäischen Ausland
importiert werden kann. Die Kosten für das Medikament muss der Patient in der Regel
selbst tragen (Tagestherapiekosten zwischen 0,30 und 0,50 Euro). Einige Krankenkassen
übernehmen nach individueller Beantragung im Einzelfall aber auch die Therapiekosten.
Disulfiram darf bei schweren kardiovaskulären Erkrankungen sowie bei Leberzirrhose
nicht verordnet werden.
Neue pharmakologische Ansätze in der Rückfallprohylaxe
Topiramat konnte in mehreren RCT an Alkoholabhängigen eine gegenüber Placebo überlegene Wirkung
im Hinblick auf eine Trinkmengenreduktion zeigen, die Gabe kann jedoch mit kognitiven
Beeinträchtigungen einhergehen [10].
Als GABAB-Rezeptoragonist könnte außerdem Baclofen (Lioresal) rückfallprophylaktische Eigenschaften besitzen. Die Datenlage der RCT hierzu ist
uneinheitlich. Zusammenfassend weist sie eher auf trinkmengenreduzierende Effekte
als auf abstinenzerhaltende Effekte hin [10]. Als Zusatztherapie bei kognitiver Verhaltenstherapie war der 5-HT3-Rezeptorantagonist Ondansetron (z. B. Zofran; 2 × 4 mg/d) in einer großen RCT bei Alkoholabhängigen mit frühem Beginn
einer Placebobehandlung überlegen [10].
Trotz der teilweise positiven Studienergebnisse für Topiramat, Baclofen und Ondasetron
in der medikamentösen Rückfallprophylaxe bei alkoholabhängigen Patienten spricht die
aktuell geltende S3-Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener
Störungen“ wie für die SSRI (siehe oben) auch für diese Substanzen eine Nichtempfehlung
zum Einsatz in der medikamentösen Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit aus [3].
Neben dem Einsatz neuer pharmakologischer Strategien können, um den klinischen Effekt
einer rückfallprophylaktischen Medikation zu verbessern, Kombinationsbehandlungen
mit Substanzen mit einem unterschiedlichen pharmakologischen Profil erfolgen. Die
Studienlage zur Effektivität einer solchen Kombinationsbehandlung ist jedoch noch
begrenzt. Für die Kombination von Acamprosat plus Naltrexon sowie für Acamprosat plus
Disulfiram, Naltrexon plus Topiramat und Naltrexon plus Ondansetron liegen positive
Daten vor [10].
Johannes T. ist 47 Jahre alt und leidet seit dem 22. Lebensjahr an einer Alkoholabhängigkeit.
In den letzten 15 Jahren konnte der Patient trotz der Durchführung von wiederholten
qualifizierten Entzugstherapien, 3 stationären Entwöhnungsbehandlungen sowie mehrfachen
medikamentösen rückfallprophylaktischen Therapieversuchen mit Naltrexon und Acamprosat
und der regelmäßigen Teilnahme an Selbsthilfegruppen im häuslichen Rahmen keine längeren
Abstinenzzeiten erreichen. Nun stellte sich der Patient in einer suchtmedizinischen
Spezialambulanz vor zu einer Beratung hinsichtlich weiterer Therapiemöglichkeiten.
Nach Erhebung der Anamnese und der bisher durchgeführten Therapien sowie einer somatischen
Diagnostik mittels Laboruntersuchung (v. a. Leberretentionsparameter) und Abdomensonografie
klärte der behandelnde Psychiater den Patienten nach Ausschluss von Kontraindikationen
über den Wirkmechanismus der Aversivprophylaxe mit Disulfiram sowie die Rahmenbedingungen
der supervidierten Disulfiramvergabe auf. Außerdem wurde Herr T. sowohl mündlich als
auch schriftlich über den Off-Label-Use des Medikaments aufgeklärt. Er begann bereits
am Folgetage mit der ambulanten Einstellung auf Disulfiram und konnte durch die regelmäßige
Teilnahme an der supervidierten Vergabe in der Folgezeit eine zusammenhängende Abstinenzzeit
von 18 Monaten erreichen. In dieser Zeit nahm der Patient erstmals wieder seit mehr
als 10 Jahren eine Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt an.
Reduzierter Konsum
Für viele alkoholabhängige Patienten ist nicht die Abstinenz, sondern ein reduzierter
Konsum das primäre Therapieziel bei Antritt einer suchtmedizinischen Behandlung [20]. Das Vorhalten von Therapieangeboten, die auf eine Konsumreduktion abzielen, kann
dazu beitragen, mehr Betroffene in eine suchtspezifische Behandlung zu bringen. Daten
einer niederländischen Studie zeigen, dass von den in die Untersuchung eingeschlossenen
alkoholabhängigen Patienten über einen Zeitraum von 36 Monaten 51,3 % einen risikoarmen
und 22,1 % der Patienten einen moderaten Alkoholkonsum aufrechterhalten konnten, ohne
in frühere Trinkmuster zurückzufallen [21].
Der reduzierte Konsum kann unterteilt werden in
-
den selbstkontrollierten reduzierten Konsum, bei dem der Patient selbst lernt, seinen
Konsum zu kontrollieren und
-
den fremdkontrollierten, reduzierten Konsum, bei dem Dritte für den Patienten den
Konsum kontrollieren, wie z. B. Mitarbeiter einer therapeutischen Wohneinrichtung
oder eines Pflegeheims.
Die primären Ziele des selbstkontrollierten und des fremdkontrollierten reduzierten
Konsums sind die Reduktion akuter und chronischer somatischer und psychischer Schädigungen
durch eine Alkoholintoxikation. Darüber hinaus zielt eine Trinkmengenreduktion auch
darauf ab, soziale und juristische Folgen der akuten und chronischen Alkoholintoxikation
zu minimieren. Ebenso kann basierend auf metaanalytischen Auswertungen mehrerer großer
Studien klar eine Senkung des Mortalitätsrisikos durch eine Trinkmengenreduktion im
Vergleich zu einem unkontrollierten Konsum belegt werden [22].
Die Auswahl der geeigneten Patienten beeinflusst zu einem hohen Maße die Erfolgsaussichten
des reduzierten kontrollierten Konsums.
Wichtige Indikatoren, welche die Erfolgsaussichten des kontrollierten, reduzierten
Konsums beeinflussen, sind die folgenden Faktoren [23]:
-
Schwere der alkoholbezogenen Störung: Verhaltenstherapeutische Programme zur Trinkmengenreduktion scheinen bei Patienten
mit einer leichter ausgeprägten Alkoholabhängigkeit besser wirksam zu sein als bei
schwer abhängigen Patienten.
-
Motivationslage der betroffenen Patienten: Der bestmöglichste Therapieerfolg ist dann zu erwarten, wenn der gewählte Therapieweg
mit dem Patientenwunsch übereinstimmt.
-
Beachtung von medizinischen und sozialen Kontraindiktionen für einen kontrollierten Konsum, wie z. B. eine bestehende Schwangerschaft, die Einnahme
von Medikamenten, die nicht mit Alkohol kombiniert werden dürfen, eine schwere Leberschädigung
oder eine schwere Delinquenz.
-
Therapeutische Vorerfahrung des Patienten: Patienten, die bereits mehrfach gescheiterte Trinkmengenreduktionsversuche hinter
sich haben, sollte man nicht nochmals ein therapeutisches Angebot zur Trinkmengenreduktion
machen. Hier sollte eher ein abstinenzorientiertes Angebot gemacht werden.
-
Berücksichtigung der örtlichen Verfügbarkeit des gewählten Therapieangebots: Es ist nicht sinnvoll, den Patienten in ein Trinkmengenreduktionsprogramm zu vermitteln,
im Rahmen dessen er eine sehr lange Anfahrt zu den Therapiesitzungen in Kauf nehmen
muss. Dies wird im Alltag zu einer schlechten Compliance des Patienten während der
Therapie führen.
Inhaltlich fokussieren die gruppen- und einzeltherapeutischen Programme zur Trinkmengenreduktion
im Rahmen des selbstkontrollierten Konsums auf folgende Themen:
-
therapeutische Auseinandersetzung mit dem Kontrollverlust einem Kernsymptom der Alkoholabhängigkeit
-
Führen eines Trinktagebuchs
-
regelmäßiges Setzen von Wochenzielen bezüglich des Ausmaßes der Konsumreduktion
-
Erlernen von Alternativstrategien im Umgang mit Stress und zur Belohnung bei Erfolgen
Anna D., 47 Jahre stellt sich erstmals in der Suchtambulanz einer Universitätsklinik
vor, weil sie sich Sorgen um das Ausmaß ihres Alkoholkonsums macht. Seit ca. 2 Jahren
trinkt die Patientin täglich nach Feierabend ca. 1 l Wein. Begonnen hatte sie den
täglichen Konsum während einer sehr anstrengenden beruflichen Phase. Damals hatte
der Konsum der Patientin geholfen, abzuschalten und die beruflichen Probleme nach
Feierabend zu vergessen. Zunächst hatte der Konsum hierbei ca. 0,25–0,5 l Wein/Tag
betragen, sich dann aber schnell auf 1 l/Tag gesteigert. Negative Konsequenzen durch
den Konsum oder körperliche Folgen sind bisher noch nicht aufgetreten. Die Patientin
hat allerdings sehr große Angst, dass dies in Zukunft passieren könnte. Daher wünscht
sie sich nun therapeutische Unterstützung bei einer Verringerung der täglichen Trinkmenge
und beim Etablieren von 1–2 konsumfreien Tagen pro Woche. Im Rahmen des Diagnostikprozesses
zeigt sich, dass die Patientin 3 der 6 ICD-10 Kriterien einer Alkoholabhängigkeit
erfüllt, formal also die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit gestellt werden muss.
Im Gespräch wird deutlich, dass sich Frau D. aktuell kein komplett abstinentes Leben
vorstellen kann, aber eine deutliche Reduktion der täglichen Konsummenge und mehrere
konsumfreie Tage pro Woche erreichen möchte. Mit ihrem Therapeuten vereinbart sie
daher, dass sie beginnt, ihren Konsum in einem Trinktagebuch festzuhalten und gleichzeitig
Auslöser für den Konsum zu analysieren.
Als ersten Schritt zur Reduktion des Konsums vereinbart Frau D. daher mit ihrem Therapeuten,
dass sie sich zukünftig wöchentlich in der Suchtambulanz vorstellt und in diesen Terminen
individuelle Wochenziele zur Konsumreduktion vereinbart werden. Diese soll die Patientin
mithilfe eines Trinktagebuchs selbstständig überwachen. Zusätzlich wird ein Therapieversuch
mit Nalmefen als „As-needed“-Medikation für Risikosituationen mit einer hohen Gefahr
für einen übermäßigen Alkoholkonsum vereinbart. Außerdem erarbeitet sie gemeinsam
mit ihrem Therapeuten als alternative Strategie zum Stressabbau den Beginn von autogenem
Training. Durch diese Maßnahmen kann Frau D. ihren täglichen Konsum auf 0,25–0,5 l
Wein reduzieren und schafft es, am Wochenende ganz auf Alkohol zu verzichten.
Fazit
Ambulante, teilstationäre bzw. stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahmen („Langzeittherapie“)
sowie der Besuch von komplementären Angeboten wie psychosozialen Beratungsstellen,
Selbsthilfegruppen und Tagesstätten für Abhängigkeitserkrankte bilden den Schwerpunkt
der Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit. Ein weiteres wichtiges Standbein zur
Aufrechterhaltung einer dauerhaften Abstinenz besteht in der Anwendung von Maßnahmen
der psycho-, sozio- und pharmakotherapeutischen Rückfallprophylaxe.
Für Betroffene, bei denen ein Abstinenzziel kurzfristig nicht erreicht werden kann,
sind in den letzten Jahren Angebote zur Trinkmengenreduktion etabliert worden.
Gemeinsam ist allen Angeboten der Rückfallprophylaxe, dass sie das Ziel verfolgen,
die Entstehung von somatischen und psychischen Folgeerkrankungen zu minimieren, Morbidität
und Mortalität zu reduzieren sowie die Lebensqualität und Teilhabe der betroffenen
Patienten am gesellschaftlichen Leben zu verbessern.
-
Die medizinische Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung) kann ambulant, teil- und vollstationär
durchgeführt werden.
-
Kostenträger der medizinischen Rehabilitation sind normalerweise die Rentenversicherungsträger,
nur in Ausnahmefällen die Krankenkassen.
-
An der vertragsärztlichen Postakutbehandlung sind sowohl Hausärzte als auch Fachärzte
verschiedener Fachrichtungen und psychiatrische Institutsambulanzen beteiligt.
-
Neben medizinischen Facheinrichtungen sind in die Postakutbehandlung auch komplementäre
Einrichtungen wie Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen eingebunden.
-
In der medikamentösen Rückfallprophylaxe kommen der Glutamatmodulator Acamprosat,
die Opioidantagonisten Naltrexon und Nalmefen, die beide (auch) trinkmengenreduzierende
Wirkungen haben, sowie das alkoholaversiv wirksame Disulfiram zum Einsatz.
-
Die Trinkmengenreduktion kann im Sinne eines „Harm-Reduction“-Einsatzes ein sinnvolles
alternatives Therapieziel in der Rückfallprophylaxe sein, wenn Patienten keine vollständige
Abstinenz erreichen können oder wollen.