In Deutschland erreicht die Lebenszeitprävalenz des Typ-2-Diabetes mellitus (T2D)
stetig ansteigend in der 8. bzw. 9. bis 10. Lebensdekade Maximalwerte von 22% [1] bzw. 25% [2]. Ab der 8. Lebensdekade ist dabei auch der zwischen der 5. und 7. Lebensdekade zu
beobachtende, nahezu 2fache Prävalenzunterschied zwischen Frauen und Männern aufgehoben
[1]. Für die Häufigkeit des Diabetes mellitus Typ 1 (T1D) in Deutschland wird ab der
9. Lebensdekade die frappant hohe Zahl von 0,5% genannt [2]. All diese Informationen stammen aus Erhebungen im Zeitraum von 2008 bis 2011 und
basieren entweder auf dem sog. DEGS1-Survey des Robert Koch-Instituts [1] oder auf Auswertungen des sog. DIMDI-Datensatzes [2]. Sie gelten als die aktuellsten verfügbaren epidemiologischen Daten zu Altersdiabetes
in Deutschland.
Der Begriff „Altersdiabetologie“ im Sinne einer gesonderten Betrachtung vornehmlich
des T2D ab einem Alter von 70 Jahren leitet sich nicht aus herausragenden altersabhängigen
pathophysiologischen Eigenheiten des Glukosestoffwechsels ab; diese sind eher marginal
[3]. „Altersdiabetologie“ bedeutet vielmehr die Einbeziehung altersmedizinischen Spezialwissens
über die funktionale Gesundheit zum Zwecke einer abwägend-individuellen Diabetesbehandlung
im Kontext geriatrischer Multimorbidität und Polypharmazie.
Dieser Auffassung tragen zwischenzeitlich sowohl die American Diabetes Association
(ADA) mit ihren im Jahresrhythmus erscheinenden Standards of Medical Care in Diabetes
[4], als auch die S2k-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zur Diagnostik,
Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter Rechnung [5].
Aus Meta- und Subgruppenanalysen der großen „Megatrials“ ACCORD, ADVANCE und VADT
sowie aus altersdiabetologischen Beobachtungsstudien erwuchs die Erkenntnis, dass
die Auswirkung/Relevanz Diabetes-assoziierter kardiovaskulärer Risikofaktoren (Hyperglykämie,
Hypertonie, Dyslipidämie, Mikroalbuminurie, Rauchen) im hohen Lebensalter abnimmt
[6] Mehr noch: Eine zu straffe Blutzuckereinstellung ist gerade im Alter aufgrund der
damit einhergehenden Hypoglykämiegefahr (Blutzucker < 72 mg/dl [4 mmol/l] [7]) eher schädlich als nutzbringend, wobei insbesondere die demenzfördernde Wirkung
bereits einzelner Hypoglykämieepisoden hervorgehoben werden muss [8].
Als Richtwerte für eine adäquate Blutzuckereinstellung eines typisch geriatrischen
Patienten mit leicht bis mittelgradig eingeschränkten Funktionsressourcen können gelten:
HbA1c < 7,5% (58,5 mmol/mmol), Nüchtern-Blutzucker 90 – 130 mg/dl (5 – 7,2 mmol/l),
Blutzucker zur Nacht 90 – 180 mg/dl (5 – 8,3 mmol/l) [4].
Bei der medikamentösen Antidiabetestherapie des T2D gilt auch im fortgeschrittenen
Lebensalter Metformin als das First-Line-Medikament [9]. Allerdings darf Metformin bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von < 45 ml/min
nicht neu angesetzt bzw. muss unterhalb einer GFR < 30 ml/min abgesetzt werden. Bei
einer GFR zwischen 30 und 59 ml/min ist ferner eine Tagesdosis von ≤ 1000 mg zu beachten.
Vor dem Hintergrund bestmöglicher Hypoglykämievermeidung und der im Alter abnehmenden
Nierenfunktion kommt nach dem Metformin der Substanzklasse der DPP-IV-Inhibitoren
(Gliptine) eine differenzialtherapeutische Bedeutung in der Altersdiabetologie zu
[10]. In der aktuellen sog. FORTA-Liste aus dem Jahre 2018 werden die DPP-IV-Inhibitoren
sogar als einzige antidiabetische Substanzklasse der Kategorie A aufgeführt und damit
differenzialtherapeutisch favorisiert [11].
Der Einsatz von Insulin-Sekretagoga (Sulfonylharnstoffe, Glinide) ist in der Altersdiabetologie
wegen der besonderen Gefahr schwerwiegender und anhaltender Hypoglykämien sowie aufgrund
multipler Arzneimittelinteraktionen zu vermeiden [3], [12].
In der Altersdiabetologie bis dato (zu) wenig etabliert sind die SGLT-2-Inhibitoren
(Gliflozine) und die GLP-1-Rezeptor-Analoga, obwohl gerade diese beiden Substanzklassen
im Rahmen aktueller Studien mit dem daraus resultierenden differenzialtherapeutischen
Paradigmenwechsel des sog. EASD/ADA-Konsensus aus dem Jahre 2018 [13] generell als (nach Metformin) zu bevorzugende Therapeutika in der Diabetologie gelten.
Die bisherigen geriatrischen Vorbehalte aufgrund urogenitaler Infektionen (Gliflozine)
oder der anorexogenen Wirkung (GLP-1-Rezeptor-Analoga) sind vor diesem Hintergrund
neu abzuwägen.
Was den Stellenwert der Insulintherapie beim T2D im Alter anbelangt, so gilt eindeutig
die Regel: Keep it simple [4]. Folgerichtig sollte in der Geriatrie die einmal tägliche Gabe einer fixen Menge
an Insulin, wie z. B. im Rahmen der sog. BOT (basal unterstützte orale Antidiabetestherapie),
das Ziel sein. Komplexe, am präprandialen Blutzucker ausgerichtete und mahlzeitenbezogene
Insulingaben unter Berücksichtigung von Insulin : Kohlenhydrat-Quotienten und Korrekturregeln
gehen an der Praxis vorbei und bergen die Gefahr der Übertherapie im Sinne einer „Pseudo-ICT“
ohne Zusatznutzen, aber mit hoher Komplikationsgefahr.