Juvenile Inflammatory Rheumatism Kohorte - JIR - DMARDs - juvenile rheumatische Erkrankungen
Die Betreuung von Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen hat
sich in den letzten 2 Jahrzehnten sowohl hinsichtlich der Diagnostik als auch in Bezug
auf die Behandlung gewandelt. Viele neue Krankheiten wurden mithilfe der Genetik beschrieben
sowie neue diagnostische Hilfsmittel und Standards zur Bewertung der Krankheitsaktivität
entwickelt; parallel dazu wurden Fortschritte in der medikamentösen Therapie erzielt,
insbesondere mit der Entwicklung von Biologika, die sich gezielt gegen Immunmoleküle
oder Zelloberflächenmarker richten.
Diese neuen Behandlungen haben die Kontrolle der Entzündung und die Behandlung der
Kinder und Jugendlichen mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen deutlich
verbessert. Seit der Einführung von Etanercept zur Behandlung der juvenilen idiopathischen
Arthritis (JIA) im Jahr 2000 wurden mehrere neue Biologika für die Behandlung vieler
unterschiedlicher entzündlicher Erkrankungen zugelassen. Die kurzfristige Wirksamkeit
und Sicherheit der neuen Substanzen wurden untersucht und Register haben Daten zur
Langzeitverträglichkeit geliefert, wie die britischen Biologika-Register, die deutschen
Register (Biker, JuMBO) oder Pharmachild.
Es müssen jedoch noch viele offene Fragen beantwortet werden, um Rheumatologen dabei
zu unterstützen, die Behandlung ihrer Patienten zu optimieren. Wie ist die Langzeitverträglichkeit
von Substanzen, wie lange werden Patienten mit demselben Biologikum behandelt, wie
viele verschiedene Biologika sind erforderlich, um eine inaktive Erkrankung zu erzielen,
welches Biologikum ist für meinen Patienten die Therapie der ersten Wahl, …? Kohortenstudien
können dazu beitrage, einige dieser Fragen zu beantworten sowie vergleichende Wirksamkeitsanalysen
verschiedener Treat-to-Target-Behandlungsstrategien durchzuführen. Ein weiteres Problem
ist der Unterschied zwischen einer klinischen Studie und der realen Lebenssituation
von Patienten, die von ihrem Arzt behandelt werden; auch hier können Beobachtungen
aus Kohortenstudien wahrscheinlich nützliche Informationen liefern, um die Behandlung
von Kindern und Jugendlichen mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen zu verbessern.
Die größte Sorge bei der Behandlung mit Medikamenten, die die Immunreaktion blockieren,
ist die Entwicklung von Infektionen. Kinder entwickeln vor allem in ihren ersten Lebensjahren
rezidivierende Infektionen, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle banal sind.
Lebendimpfstoffe werden zusammen mit Biologika nicht empfohlen; eine Immunisierung
gegen Masern, Röteln und Mumps wird üblicherweise im Alter zwischen 9 und 16 Monaten
empfohlen (2 Dosen) und stellt ein Problem dar, wenn Biologika oder Immunsuppressiva
vor diesem Alter verordnet wurden, insbesondere wenn man die regelmäßigen Masernausbrüche
aufgrund der niedrigen Impfungsraten in der Allgemeinbevölkerung bedenkt. Windpocken
sind ein weiteres Problem, wenn das zu behandelnde Kind diese Infektion vor Einleitung
der Therapie noch nicht hatte. Das Thema der Impfung mit Lebendimpfstoffen bei pädiatrischen
Patienten, die durch eine medikamentöse Therapie immunsupprimiert sind, wird zurzeit
anhand der Daten der JIR-Kohorte untersucht, um die Empfehlungen anzupassen und somit
hoffentlich die Probleme zu vermeiden, die durch die häufige Exposition gegenüber
diesen Infektionserregern bei Kindern entstehen. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen
können Folge einer genetischen Krankheit sein, die die Funktion des Immunsystems beeinträchtigt,
insbesondere wenn die Erkrankung im Säuglings- bzw. Kleinkindalter beginnt, wie ein
early-onset Lupus erythematodes oder rezidivierende Fiebersyndrome. Darüber hinaus
können einige dieser Krankheiten mit chronischen Entzündungen und defekter Reaktion
auf Infektionserreger einhergehen, die die Immunsuppression und das Infektionsrisiko
unter der Therapie mit Biologika erhöhen.
Um das Outcome von Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen besser zu
verstehen, wurde 2013 von einer Gruppe von pädiatrischen Rheumatologen aus dem französischsprachigen
Raum (Belgien, Frankreich und der Schweiz) die Juvenile Inflammatory Rheumatism cohort
(JIR-Kohorte) geschaffen. Die JIR-Kohorte wird auf einer modularen Plattform entwickelt,
um translationale Daten von allen Patienten (Demografie, Diagnose, Behandlung, unerwünschte
Ereignisse [UE], Impfstatus) sowie spezifische klinische, biologische und histologische
Daten in Abhängigkeit von der Diagnose des Patienten (autoinflammatorische Erkrankung,
Dermatomyositis, JIA, Kawasaki-Syndrom, Morbus Still, systemischer Lupus erythematodes,
Uveitis [[
Abb. 1
]]) zu erfassen. Jedes Modul wird von einem engagierten Team verwaltet und entwickelt,
um Projekte in verschiedenen Themenbereichen zu fördern. Die Plattform kann von den
Zentren, die dazu bereit sind, als elektronische Patientenakte genutzt werden. Mit
dieser Option erhalten Ärzte in einem einzigen Arbeitsgang Informationen für wissenschaftliche
und klinische Zwecke. Von den 75 aktiven Zentren aus 8 Ländern haben 4 die JIRPlattform
in ihre tägliche klinische Arbeit integriert. Seit 2013 wurden die Daten von mehr
als 5700 Patienten mittels 23000 Aufrufen erhoben. 2019 schloss sich das erste deutsche
Zentrum nach Genehmigung durch die lokale Ethikkommission dem JIR-Netzwerk an. Alle
Mitglieder der JIR-Kohorte sind berechtigt, die erhobenen Daten zur Entwicklung ihrer
eigenen Forschungsprojekte zu verwenden. Zurzeit werden 20 laufende Projekte von JIR-Mitgliedern
durchgeführt.
Abb. 1 Anzahl der Patienten pro Modul 2019.
Ein Hauptziel der JIR-Kohorte ist die Erfassung der unerwünschten Ereignisse (UE)
von Immunsuppressiva und Biologika; sie werden gemäß der MedDRAKlassifikation beschrieben.
Bislang wurden 1349 verschiedene UE mit 323 (24 %) schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen
(SUE) bei 194 Patienten gemeldet. Die häufigsten UE sind Infektionen und parasitäre
Erkrankungen. Wir fanden 547 entsprechende UE und 119 (22 %) entsprechende SUE; darunter
befanden sich kein Todesfall und keine Krebserkrankung; 37 SUE führten zur Klinikeinweisung
und 98 zu einer medizinischen oder chirurgischen Intervention; der Schweregrad wurde
in den meisten Fällen als leicht oder mittelschwer und in 21 Fällen als schwer oder
sehr schwer eingestuft. Die Mehrzahl der infektiösen UE wurde bei JIAPatienten (314/547)
gemeldet, da diese auch die Mehrheit der Patienten in der JIR-Kohorte repräsentieren;
unter ihnen waren 147 Kinder mit systemischer JIA betroffen, was mit dem höheren Schweregrad
dieser Form der juvenilen Arthritis in Zusammenhang stehen könnte. 84 infektiöse Ereignisse
wurden bei monogenen autoinflammatorischen Erkrankungen und 65 bei Patienten mit Uveitis
angegeben. Die Mehrzahl der Infektionen war viralen Ursprungs und betraf die oberen
Atemwege. Es wurden 9 Infektionen mit Herpes-simplex-Virus, 15 Patienten mit Windpocken
und 13 Patienten mit Herpes zoster sowie 2 Masernfälle erfasst. 2 Patienten entwickelten
eine Leishmaniose, die in einem Fall zu einem Makrophagenaktivierungssyndrom führte,
aber es wurden keine Tuberkulosefälle gemeldet.
Wir führten eine erste Auswertung der Sicherheit bei einer retrospektiven Kohorte
von 813 Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen (vorwiegend
mit JIA: 84 %) durch, die sich insgesamt auf 3439 Patientenjahre (PJ) der Behandlung
mit Biologika belief. Es wurden 419 UE bei 22,7 % der Patienten angegeben, was einer
Inzidenzrate von 12,2 pro 100 PJ entspricht (95 %Konfidenzintervall [95 %KI]: 11,0;
13,4); von 134 SUE waren 74 Patienten (9,1 %) betroffen mit einer Inzidenzrate von
3,9 pro 100 PJ (95 %-KI: 3,2; 4,6). Weniger als die Hälfte der UE war infektiösen
Ursprungs (147/419) und 32 davon waren bakterielle Infektionen; es wurden nur 2 Sepsisfälle
und kein Tuberkulosefall beschrieben. Unter den medizinisch bedeutsamen Infektionen
(die zur Klinikeinweisung führten oder eine intravenöse Antibiotikumtherapie erforderten)
registrierten wir auch 14 Infektionen mit dem Varizella-Zoster-Virus. Die Inzidenzrate
für alle Infektionen war unter Canakinumab und Infliximab am höchsten, wobei allerdings
die niedrige Anzahl an Ereignissen nicht erlaubte, signifikante Unterschiede zu berechnen;
wurden nur die medizinisch bedeutsamen Infektionen berücksichtigt, zeigten Anakinra
und Tocilizumab die höchste Inzidenzrate. Mit dieser retrospektiven Studie konnten
wir bei Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen ein insgesamt
günstiges Ergebnis unter der Behandlung mit Biologika nachweisen. Bemerkenswerterweise
stellten wir durch Impfstoffe vermeidbare Infektionen (Windpocken, Masern) fest, was
die Bedeutung unterstreicht, den Impfstatus von pädiatrischen Patienten, die mit Immunsuppressiva
behandelt werden, zu überprüfen und die Impfung nach Möglichkeit vor Behandlungsbeginn
abzuschließen. Das Besondere an dieser Studie ist unsere Beobachtung des Sicherheitsprofils
aller verfügbaren Biologika (einschließlich Off-Label-Use) in der täglichen Praxis
bei Kindern mit Erkrankungen unterschiedlicher Schweregrade aus 4 Ländern. Diese retrospektive
Studie hat mehrere Einschränkungen und eine prospektive Datenerhebung, wie sie von
der JIR-Kohorte vorgeschlagen wird, ist unerlässlich, um die prädisponierenden Faktoren
für die Entwicklung von Infektionen unter Biologika bei Patienten mit juvenilen entzündlich
rheumatischen Erkrankungen zu identifizieren.
Die 2. veröffentlichte Studie untersuchte infektiöse unerwünschte Ereignisse bei 677
mit Biologika behandelten Kindern mit JIA (3075 PJ). Es wurden 184 infektiöse Ereignisse
angegeben, was 6,0 pro 100 PJ entspricht. Wir stellten fest, dass das Risiko der Entwicklung
einer Infektion unter Substanzen, die Interleukin (IL)-6 und IL1 blockieren, höher
ist als unter TNF-Inhibitoren. Die meisten Infektionen befielen die Atemwege oder
den Hals-Nasen-Ohren-Bereich und es wurden nur 12 schwere oder sehr schwere infektiöse
unerwünschte Ereignisse dokumentiert. Daraus lässt sich schließen, dass arzneimittelinduzierte
Infektionen unter der Behandlung mit Biologika bei Patienten mit JIA relativ selten
und im Allgemeinen leichter Art sind.
Die JIR-Kohorte ist ein Register, das UE und SUE bei Patienten mit juvenilen entzündlich
rheumatischen Erkrankungen erfasst sowie eine quantitative und qualitative Beurteilung
der in dieser Population auftretenden infektiösen Ereignisse ermöglicht. Die Überwachung
von pädiatrischen Patienten, die mit den neuen Arzneimitteln behandelt werden, zu
denen wir keine Langzeitdaten haben, ist von zentraler Bedeutung, um die Sicherheit
in einer Population mit einer sehr langen Lebenserwartung zu gewährleisten. Darüber
hinaus sollten große Patientenkohorten die Selektion von UE von besonderem Interesse
ermöglichen, um die prädisponierenden Faktoren zu evaluieren und Präventionsstrategien
zu entwickeln. Zentren, die Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen
behandeln, sind herzlich eingeladen, dem JIR-Netzwerk beizutreten und dazu beizutragen,
die Kenntnisse über den Krankheitsverlauf unter Biologika und das Infektionsrisiko
zu erweitern. Weitere Informationen sind unter www.jircohorte.ch zu finden.