Arthritis und Rheuma 2019; 39(05): 337-340
DOI: 10.1055/a-1010-3504
Kinderrheumatologie | Übersichtsartikel
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Infektionen unter der Behandlung mit Biologika: Erfahrung der Juvenile Inflammatory Rheumatism cohort (JIR-Kohorte)

Drug-induced infections with biological agents: experience of the Juvenile Inflammatory Rheumatisms cohort (JIR cohorte)
Michaël Hofer
1   Unité Romande d‘Immuno-rhumatologie Pédiatrique, CHUV, Universität Lausanne, Lausanne, und HUG, Genf, Schweiz
,
Alexandre Belot
2   Service de Néphrologie, Rhumatologie, Dermatologie pédiatriques, HFME, Hospices Civils de Lyon, Centre de référence des Rhumatismes inflammatoires et maladies autoimmunes systémiques RAISE, Frankreich
,
François Hofer
3   Fondation Rhumatismes Enfants Suisse, Etoy, Schweiz
,
Véronique Hentgen
4   Centre de référence des maladies autoinflammatoires et de l’amylose, service de pédiatrie CEREMAIA, Centre Hospitalier de Versailles, Le Chesnay, Frankreich
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Michaël Hofer
Unité d‘immuno-allergologie et rhumatologie
Unité Romande d‘Immuno- Rhumatologie Pédiatrique, DFME
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV)
1011 Lausanne, Schweiz

Publication History

Publication Date:
09 October 2019 (online)

 

ZUSAMMENFASSUNG

Die Juvenile Inflammatory Rheumatism (JIR) Kohorte ist eine internationale, multizentrische Beobachtungsstudie, deren Daten webbasiert erfasst werden. Sie ist modular aufgebaut und kann als elektronische Patientenakte sowie für wissenschaftliche Untersuchungen genutzt werden. Primär wurde die JIR-Kohorte auf den Weg gebracht, um mehr Informationen zur Sicherheit und Wirksamkeit von krankheitsmodifizierenden antirheumatischen Medikamenten (DMARDs) bei Kindern und Jugendlichen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen zu gewinnen. Die erste Analyse zur Sicherheit von biologischen DMARDs bei 813 Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen wies keine neuen Sicherheitssignale nach. Die weitere Überwachung von Patienten mit langfristiger Arzneimittelexposition bereits ab dem Kindes- und Jugendalter ist notwendig, um zuverlässige Daten über die Langzeitsicherheit und -wirksamkeit von DMARDs bei juvenilen rheumatischen Erkrankungen zu erhalten. Darüber hinaus wird die JIR-Kohorte für weitere Forschungsfragen eingesetzt, z. B. zur Untersuchung der Verträglichkeit von Impfungen bei immunsupprimierten Kindern oder zur Charakterisierung spezieller Krankheitsmanifestationen, wie einer Uveitis.


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ABSTRACT

The Juvenile Inflammatory Rheumatism (JIR) Cohort is an international, multicenter observational study conducted via a web-based platform. It has a modular structure and can be used as an electronic health record as well as for scientific investigations. Primarily, the JIR cohort was launched to gain more information on the safety and effectiveness of disease modifying antirheumatic drugs (DMARDs) in children and adolescents with inflammatory rheumatic diseases. The first analysis of the safety of biological DMARDs in 813 patients with inflammatory rheumatic diseases showed no new safety signals. Further monitoring of patients with long-term drug exposure from childhood and adolescence is necessary to obtain reliable data on the long-term safety and effectiveness of DMARDs in juvenile rheumatic diseases. In addition, the JIR cohort is being used for further research, e. g. to investigate the tolerability of vaccinations in immunocompromised children or to characterize specific disease manifestations such as uveitis.


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Die Betreuung von Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen hat sich in den letzten 2 Jahrzehnten sowohl hinsichtlich der Diagnostik als auch in Bezug auf die Behandlung gewandelt. Viele neue Krankheiten wurden mithilfe der Genetik beschrieben sowie neue diagnostische Hilfsmittel und Standards zur Bewertung der Krankheitsaktivität entwickelt; parallel dazu wurden Fortschritte in der medikamentösen Therapie erzielt, insbesondere mit der Entwicklung von Biologika, die sich gezielt gegen Immunmoleküle oder Zelloberflächenmarker richten.

Diese neuen Behandlungen haben die Kontrolle der Entzündung und die Behandlung der Kinder und Jugendlichen mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen deutlich verbessert. Seit der Einführung von Etanercept zur Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) im Jahr 2000 wurden mehrere neue Biologika für die Behandlung vieler unterschiedlicher entzündlicher Erkrankungen zugelassen. Die kurzfristige Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Substanzen wurden untersucht und Register haben Daten zur Langzeitverträglichkeit geliefert, wie die britischen Biologika-Register, die deutschen Register (Biker, JuMBO) oder Pharmachild.

Es müssen jedoch noch viele offene Fragen beantwortet werden, um Rheumatologen dabei zu unterstützen, die Behandlung ihrer Patienten zu optimieren. Wie ist die Langzeitverträglichkeit von Substanzen, wie lange werden Patienten mit demselben Biologikum behandelt, wie viele verschiedene Biologika sind erforderlich, um eine inaktive Erkrankung zu erzielen, welches Biologikum ist für meinen Patienten die Therapie der ersten Wahl, …? Kohortenstudien können dazu beitrage, einige dieser Fragen zu beantworten sowie vergleichende Wirksamkeitsanalysen verschiedener Treat-to-Target-Behandlungsstrategien durchzuführen. Ein weiteres Problem ist der Unterschied zwischen einer klinischen Studie und der realen Lebenssituation von Patienten, die von ihrem Arzt behandelt werden; auch hier können Beobachtungen aus Kohortenstudien wahrscheinlich nützliche Informationen liefern, um die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen zu verbessern.

Die größte Sorge bei der Behandlung mit Medikamenten, die die Immunreaktion blockieren, ist die Entwicklung von Infektionen. Kinder entwickeln vor allem in ihren ersten Lebensjahren rezidivierende Infektionen, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle banal sind. Lebendimpfstoffe werden zusammen mit Biologika nicht empfohlen; eine Immunisierung gegen Masern, Röteln und Mumps wird üblicherweise im Alter zwischen 9 und 16 Monaten empfohlen (2 Dosen) und stellt ein Problem dar, wenn Biologika oder Immunsuppressiva vor diesem Alter verordnet wurden, insbesondere wenn man die regelmäßigen Masernausbrüche aufgrund der niedrigen Impfungsraten in der Allgemeinbevölkerung bedenkt. Windpocken sind ein weiteres Problem, wenn das zu behandelnde Kind diese Infektion vor Einleitung der Therapie noch nicht hatte. Das Thema der Impfung mit Lebendimpfstoffen bei pädiatrischen Patienten, die durch eine medikamentöse Therapie immunsupprimiert sind, wird zurzeit anhand der Daten der JIR-Kohorte untersucht, um die Empfehlungen anzupassen und somit hoffentlich die Probleme zu vermeiden, die durch die häufige Exposition gegenüber diesen Infektionserregern bei Kindern entstehen. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen können Folge einer genetischen Krankheit sein, die die Funktion des Immunsystems beeinträchtigt, insbesondere wenn die Erkrankung im Säuglings- bzw. Kleinkindalter beginnt, wie ein early-onset Lupus erythematodes oder rezidivierende Fiebersyndrome. Darüber hinaus können einige dieser Krankheiten mit chronischen Entzündungen und defekter Reaktion auf Infektionserreger einhergehen, die die Immunsuppression und das Infektionsrisiko unter der Therapie mit Biologika erhöhen.

Um das Outcome von Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen besser zu verstehen, wurde 2013 von einer Gruppe von pädiatrischen Rheumatologen aus dem französischsprachigen Raum (Belgien, Frankreich und der Schweiz) die Juvenile Inflammatory Rheumatism cohort (JIR-Kohorte) geschaffen. Die JIR-Kohorte wird auf einer modularen Plattform entwickelt, um translationale Daten von allen Patienten (Demografie, Diagnose, Behandlung, unerwünschte Ereignisse [UE], Impfstatus) sowie spezifische klinische, biologische und histologische Daten in Abhängigkeit von der Diagnose des Patienten (autoinflammatorische Erkrankung, Dermatomyositis, JIA, Kawasaki-Syndrom, Morbus Still, systemischer Lupus erythematodes, Uveitis [[ Abb. 1 ]]) zu erfassen. Jedes Modul wird von einem engagierten Team verwaltet und entwickelt, um Projekte in verschiedenen Themenbereichen zu fördern. Die Plattform kann von den Zentren, die dazu bereit sind, als elektronische Patientenakte genutzt werden. Mit dieser Option erhalten Ärzte in einem einzigen Arbeitsgang Informationen für wissenschaftliche und klinische Zwecke. Von den 75 aktiven Zentren aus 8 Ländern haben 4 die JIRPlattform in ihre tägliche klinische Arbeit integriert. Seit 2013 wurden die Daten von mehr als 5700 Patienten mittels 23000 Aufrufen erhoben. 2019 schloss sich das erste deutsche Zentrum nach Genehmigung durch die lokale Ethikkommission dem JIR-Netzwerk an. Alle Mitglieder der JIR-Kohorte sind berechtigt, die erhobenen Daten zur Entwicklung ihrer eigenen Forschungsprojekte zu verwenden. Zurzeit werden 20 laufende Projekte von JIR-Mitgliedern durchgeführt.

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Abb. 1 Anzahl der Patienten pro Modul 2019.

Ein Hauptziel der JIR-Kohorte ist die Erfassung der unerwünschten Ereignisse (UE) von Immunsuppressiva und Biologika; sie werden gemäß der MedDRAKlassifikation beschrieben. Bislang wurden 1349 verschiedene UE mit 323 (24 %) schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen (SUE) bei 194 Patienten gemeldet. Die häufigsten UE sind Infektionen und parasitäre Erkrankungen. Wir fanden 547 entsprechende UE und 119 (22 %) entsprechende SUE; darunter befanden sich kein Todesfall und keine Krebserkrankung; 37 SUE führten zur Klinikeinweisung und 98 zu einer medizinischen oder chirurgischen Intervention; der Schweregrad wurde in den meisten Fällen als leicht oder mittelschwer und in 21 Fällen als schwer oder sehr schwer eingestuft. Die Mehrzahl der infektiösen UE wurde bei JIAPatienten (314/547) gemeldet, da diese auch die Mehrheit der Patienten in der JIR-Kohorte repräsentieren; unter ihnen waren 147 Kinder mit systemischer JIA betroffen, was mit dem höheren Schweregrad dieser Form der juvenilen Arthritis in Zusammenhang stehen könnte. 84 infektiöse Ereignisse wurden bei monogenen autoinflammatorischen Erkrankungen und 65 bei Patienten mit Uveitis angegeben. Die Mehrzahl der Infektionen war viralen Ursprungs und betraf die oberen Atemwege. Es wurden 9 Infektionen mit Herpes-simplex-Virus, 15 Patienten mit Windpocken und 13 Patienten mit Herpes zoster sowie 2 Masernfälle erfasst. 2 Patienten entwickelten eine Leishmaniose, die in einem Fall zu einem Makrophagenaktivierungssyndrom führte, aber es wurden keine Tuberkulosefälle gemeldet.

Wir führten eine erste Auswertung der Sicherheit bei einer retrospektiven Kohorte von 813 Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen (vorwiegend mit JIA: 84 %) durch, die sich insgesamt auf 3439 Patientenjahre (PJ) der Behandlung mit Biologika belief. Es wurden 419 UE bei 22,7 % der Patienten angegeben, was einer Inzidenzrate von 12,2 pro 100 PJ entspricht (95 %Konfidenzintervall [95 %KI]: 11,0; 13,4); von 134 SUE waren 74 Patienten (9,1 %) betroffen mit einer Inzidenzrate von 3,9 pro 100 PJ (95 %-KI: 3,2; 4,6). Weniger als die Hälfte der UE war infektiösen Ursprungs (147/419) und 32 davon waren bakterielle Infektionen; es wurden nur 2 Sepsisfälle und kein Tuberkulosefall beschrieben. Unter den medizinisch bedeutsamen Infektionen (die zur Klinikeinweisung führten oder eine intravenöse Antibiotikumtherapie erforderten) registrierten wir auch 14 Infektionen mit dem Varizella-Zoster-Virus. Die Inzidenzrate für alle Infektionen war unter Canakinumab und Infliximab am höchsten, wobei allerdings die niedrige Anzahl an Ereignissen nicht erlaubte, signifikante Unterschiede zu berechnen; wurden nur die medizinisch bedeutsamen Infektionen berücksichtigt, zeigten Anakinra und Tocilizumab die höchste Inzidenzrate. Mit dieser retrospektiven Studie konnten wir bei Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen ein insgesamt günstiges Ergebnis unter der Behandlung mit Biologika nachweisen. Bemerkenswerterweise stellten wir durch Impfstoffe vermeidbare Infektionen (Windpocken, Masern) fest, was die Bedeutung unterstreicht, den Impfstatus von pädiatrischen Patienten, die mit Immunsuppressiva behandelt werden, zu überprüfen und die Impfung nach Möglichkeit vor Behandlungsbeginn abzuschließen. Das Besondere an dieser Studie ist unsere Beobachtung des Sicherheitsprofils aller verfügbaren Biologika (einschließlich Off-Label-Use) in der täglichen Praxis bei Kindern mit Erkrankungen unterschiedlicher Schweregrade aus 4 Ländern. Diese retrospektive Studie hat mehrere Einschränkungen und eine prospektive Datenerhebung, wie sie von der JIR-Kohorte vorgeschlagen wird, ist unerlässlich, um die prädisponierenden Faktoren für die Entwicklung von Infektionen unter Biologika bei Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen zu identifizieren.

Die 2. veröffentlichte Studie untersuchte infektiöse unerwünschte Ereignisse bei 677 mit Biologika behandelten Kindern mit JIA (3075 PJ). Es wurden 184 infektiöse Ereignisse angegeben, was 6,0 pro 100 PJ entspricht. Wir stellten fest, dass das Risiko der Entwicklung einer Infektion unter Substanzen, die Interleukin (IL)-6 und IL1 blockieren, höher ist als unter TNF-Inhibitoren. Die meisten Infektionen befielen die Atemwege oder den Hals-Nasen-Ohren-Bereich und es wurden nur 12 schwere oder sehr schwere infektiöse unerwünschte Ereignisse dokumentiert. Daraus lässt sich schließen, dass arzneimittelinduzierte Infektionen unter der Behandlung mit Biologika bei Patienten mit JIA relativ selten und im Allgemeinen leichter Art sind.

Die JIR-Kohorte ist ein Register, das UE und SUE bei Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen erfasst sowie eine quantitative und qualitative Beurteilung der in dieser Population auftretenden infektiösen Ereignisse ermöglicht. Die Überwachung von pädiatrischen Patienten, die mit den neuen Arzneimitteln behandelt werden, zu denen wir keine Langzeitdaten haben, ist von zentraler Bedeutung, um die Sicherheit in einer Population mit einer sehr langen Lebenserwartung zu gewährleisten. Darüber hinaus sollten große Patientenkohorten die Selektion von UE von besonderem Interesse ermöglichen, um die prädisponierenden Faktoren zu evaluieren und Präventionsstrategien zu entwickeln. Zentren, die Patienten mit juvenilen entzündlich rheumatischen Erkrankungen behandeln, sind herzlich eingeladen, dem JIR-Netzwerk beizutreten und dazu beizutragen, die Kenntnisse über den Krankheitsverlauf unter Biologika und das Infektionsrisiko zu erweitern. Weitere Informationen sind unter www.jircohorte.ch zu finden.


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Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor hat Förderungen und persönliche Honorare von Novartis, Roche-Chugai und AbbVie erhalten, die nicht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Artikel stehen.

  • Literatur

  • 1 Cabrera N, Lega JC, Kassai B. et al. Joint Bone Spine. 2019; 86: 343-350.
  • 2 Dumaine C, Bekkar S, Belot A. et al. Infectious adverse events in children with Juvenile Idiopathic Arthritis: data from the JIRcohorte.. Joint Bone Spine 2019 [epub ahead of print]

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Michaël Hofer
Unité d‘immuno-allergologie et rhumatologie
Unité Romande d‘Immuno- Rhumatologie Pédiatrique, DFME
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV)
1011 Lausanne, Schweiz

  • Literatur

  • 1 Cabrera N, Lega JC, Kassai B. et al. Joint Bone Spine. 2019; 86: 343-350.
  • 2 Dumaine C, Bekkar S, Belot A. et al. Infectious adverse events in children with Juvenile Idiopathic Arthritis: data from the JIRcohorte.. Joint Bone Spine 2019 [epub ahead of print]

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Abb. 1 Anzahl der Patienten pro Modul 2019.