(Quelle: © 2019 Carlos Miguel Forero)
Bei einer Anästhesie kommt es bewusst zu einer gezielten, medikamenteninduzierten
„Vergiftung“ des zentralen Nervensystems. Diese hat nicht nur Auswirkungen auf das
Bewusstsein, sondern vermindert auch die Funktionen und Reservekapazitäten des Herz-Kreislauf-
und Atem-Systems und birgt deshalb gewisse Gefahren, z. B. die einer Atemdepression.
Ursachen
Durch eine Atemdepression wird weniger Sauerstoff aufgenommen und CO2 abgeatmet, und führt bei Tieren, die keinen zusätzlichen Sauerstoff erhalten, innerhalb
von 1 – 3 Minuten zur Hypoxie. Zudem bewirkt die Anreicherung von CO2 im Blut eine Ansäuerung des Körpers. Beide Faktoren können innerhalb weniger Minuten
zum Herzstillstand und somit zum Tod des Tieres führen. Auf der anderen Seite führt
ein Herzstillstand auch sehr schnell zum Aussetzen der Atmung, sodass ein Atemstillstand
auch ein Zeichen eines Herzstillstandes sein kann.
Als Gründe für Atemdepression und Atemstillstand kommen z. B. folgende Auslöser in
Betracht:
-
Medikamente zur Sedation und deren schnelle Verabreichung,
-
sedative, analgetische und anästhetische Medikamente wie zum Beispiel Alfaxalon, Fentanyl,
Ketamin, Methadon oder Propofol,
-
Verlegungen der Atemwege oder Kompression der Lunge, z. B. durch eine Bohrmaschine,
die auf dem Brustkorb einer kleinen Katze liegt,
-
Operation an der Halswirbelsäule mit Kompression des Rückenmarks,
-
mangelnde Überwachung in der Aufwachphase. Besonders bei kurznasigen (brachyzephalen)
Hunden kommt es oft nach Extubation zur Verlegung der oberen Atemwege. Hier sollte
nicht nur die Atembewegung, sondern auch der Luftfluss an Nase oder Maul kontrolliert
werden.
Merke
Zuwenig O2 und zu viel CO2 führen in 1 – 3 Minuten zu Hypoxie, Azidose und evtl. zum Tod.
Erkennen
Da Anzeichen oft schon wenige Minuten vor dem eigentlichen Atemstillstand zu erkennen
sind, ist bei jeder Anästhesie eine regelmäßige und engmaschige Überwachung des Patienten
essenziell. Wenn der Patient nicht mehr atmet, und wir bekommen dies erst mehrere
Minuten nach dem Atemstillstand mit, ist es für den Patienten oft zu spät.
Atembewegung und Atemfrequenz
Die klinische Überwachung der Atembewegungen ist die einfachste Option zur Atemkontrolle,
doch leider kann dadurch nicht sicher beurteilt werden, ob genügend Sauerstoff eingeatmet
und genügend CO2 abgeatmet wird. Eine hohe Atemfrequenz kann bei sehr flacher Atmung genauso eine
Hypoventilation hervorrufen wie eine sehr langsame Atmung. Daher sollte nicht nur
auf die Frequenz, sondern auch auf die Atemtiefe geachtet werden! Bei intubierten
und am Anästhesiegerät angeschlossenen Patienten kann man Atemfrequenz und Atemtiefe
durch die Bewegung des Reservoirbeutels (Atembeutels) beobachten, denn er bewegt sich
synchron zur Atmung des Patienten.
Kapnografie und Pulsoximetrie
Die zuverlässigste Methode, eine Atemdepression zu erkennen, ist die Kapnografie (Messung
des CO2-Gehalts der Ausatemluft). Im Falle einer Verminderung des Atemminutenvolumens steigt
das CO2 an, und Werte über 55 – 60 mmHg sollten auch bei gesunden Tieren nicht toleriert
werden. Wenn keine Atmung vorhanden ist, wird kein CO2 abgeatmet, die Werte sinken auf 0, und es ist keine Kapnografiekurve zu erkennen.
Das Pulsoximeter zeigt eine Hypoventilation oder einen Atemstillstand leider erst
verspätet an, denn es benötigt 1 – 3 Minuten, bis die Sauerstoffsättigung nach Atemstillstand
absinkt. Und auch bei ausreichender Atmung kann bei Tieren, denen in der Anästhesie
kein Sauerstoff zugeführt wird, eine Hypoxie, also eine Sauerstoffsättigung unter
90% vorliegen.
Puls palpieren und Herz abhören
Wichtig ist es zudem, bei Atemstillstand festzustellen, ob es zugleich auch zum Herz-Kreislauf-Stillstand
gekommen ist. Hierzu sollte man sich nicht nur auf die Apparate wie EKG und Pulsoximeter
verlassen, sondern den Puls manuell palpieren und das Herz auskultieren. Wenn trotz
korrekter Kontakte der Elektroden und Sensoren kein EKG oder Pulsoximeter-Signal vorhanden
ist und die Atmung aussetzt, kann es sich auch um einen Herz-/Atemstillstand handeln
und die Wiederbelebung sollte begonnen werden.
Merke
Bei der Kreislauf-Überwachung nicht nur auf Geräte setzen: Auch Puls palpieren und
Herz abhören!
Behandeln
Die einzige effektive Möglichkeit, eine Hypoventilation zu therapieren, ist die Beatmung,
wobei parallel die Ursache der Atemdepression behandelt werden muss. Eine Beatmung
ist nötig, wenn dem Patient mehr als 20 Sekunden lang nicht ausreichend Sauerstoff
zugeführt wird.
Mit entsprechender Überwachung kann der Beatmungszeitpunkt noch effektiver eingeschätzt
werden: Spätestens, wenn das endexspiratorische CO2 (etCO2) über 45 mmHg (6%) liegt, ist eine Beatmung nötig. Genauso stellt eine Sauerstoffsättigung
von unter 90% eine Beatmungsindikation dar. Sind Sauerstoffsättigung und etCO2 im Normalbereich, kann eine verminderte Atmung auch über 30 – 60 Sekunden toleriert
werden. Alle 20 – 60 Sekunden sollte dennoch ein Atemzug gegeben werden, damit der
Kapnograph das etCO2 bestimmen kann.
Intubation
Spätestens bei Atemproblemen und Atemstillstand sollte der Patient intubiert werden,
das bedeutet, dass ein funktionstüchtiges Laryngoskop, Tuben in verschiedenen Größen
bereitgelegt, und Hilfs- bzw. Haltepersonal vorhanden sein müssen. Bei Katzen oder
Hunden mit schwer zugänglichen Atemwegen, hat sich die Verwendung von Stiletts oder
Harnkathetern für Rüden als Führungsdraht zur Intubation bewährt. Der Tubus sollte
nach Intubation mit einem Band oder einer Infusionsleitung gut an Oberkiefer, Unterkiefer
oder hinter den Ohren fixiert werden. Die Fixation mit Klebeband ist weniger geeignet,
da sich diese im Notfall nur schlecht lösen lässt.
Um auch in Extremsituationen, wie intraoperativem Atemstillstand, zuverlässig intubieren
zu können, empfiehlt es sich, die Intubation bei „normalen“ Patienten regelmäßig zu
üben. Die Anästhesieleitlinien empfehlen zudem die Intubation dringend bei Eingriffen
über 5 – 10 min und bei Tieren mit Atemwegsproblemen.
Cave
Nach den DVG-VAINS Leitlinien zur Anästhesie beim Kleintier sollte in jeder Praxis,
die Anästhesien durchführt, die Möglichkeit zur Intubation und zur Beatmung mit Sauerstoff
gegeben sein.
Larynxmaske
Eine Alternative zur Intubation stellt die Larynxmaske dar, die ohne Laryngoskop,
d. h. blind eingeführt wird, auf dem Larynx liegt und mit der auch mit geringem Druck
beatmet werden kann ([Abb. 1]). Die Larynxmaske sichert die Atemwege nicht gegen Aspiration ab. Damit ist sie
nicht zur Reanimation und bei Tieren mit Erbrechen, Megaösophagus, bei Zahnsanierungen
oder Rhinoskopien geeignet. Zudem besteht beim Einsatz der Larynxmasken ein hohes
Risiko des Verrutschens, sodass der Sitz permanent anhand des Luftflusses bzw. der
Kapnografie kontrolliert werden sollte.
Abb. 1 Larynxmaske zur Beatmung nicht-intubierter Patienten. Achtung: Eine Aspiration kann
nicht verhindert werden und der Sitz muss laufend geprüft werden!(© R. Dörfelt)
Beatmung mit AMBU-Bag
Mit der Intubation ist einen effektive Beatmung möglich, wobei die sauersoffarme Mund-zu-Tubus
Beatmung weniger geeignet ist – besser ist die Gabe von Luftsauerstoff unter Verwendung
eines AMBU-Bags. Zudem haben die meisten AMBU-Bags einen Anschluss für Sauerstoff
(aus der Flasche) an der Rückseite ([Abb. 2] und [Abb. 3]). Ist der AMBU-Bag mit einem Reservoir-Beutel versehen, kann der inspiratorische
Sauerstoffgehalt noch weiter gesteigert werden. Zur Beatmung sollte der AMBU-Bag nicht
voll durchgedrückt werden – die meisten AMBU-Bags haben zwar ein Sicherheitsventil,
doch dieses ist oft auf 40 bzw. 60 cm H2O eingestellt. Diese hohen Beatmungsdrücke können zu deutlichen Lungenschäden führen.
Einige AMBU-Bags ermöglichen eine Einstellung auf einen Maximaldruck von 20 cm H2O, und mit diesem Druck ist eine Beatmung ohne größere Probleme möglich. Bei der Beatmung
sollte auf den Thorax geachtet werden, d. h. wenn dieser gut gefüllt erscheint, sollte
die Inspiration gestoppt werden. Die Beatmungsfrequenz sollte bei 10 – 12 Atemzügen
pro Minute liegen. Falls ein Kapnograph vorhanden ist, kann die Atemfrequenz an die
Höhe des endexspiratorischen CO2 angepasst werden.
Abb. 2 AMBU-Bag mit Anschluss für Sauerstoff und Druckventil.(© R. Dörfelt)
Abb. 3 AMBU-Bag mit Anschluss für Sauerstoff, Druckventil und Reservoir-Beutel.(© R. Dörfelt)
Beatmung am Anästhesiegerät
Bei der Beatmung mit dem Anästhesiegerät wird zuerst der Sauerstofffluss erhöht, damit
der Reservoirbeutel (Atembeutel) gut gefüllt ist. Nun wird das Überdruckventil, auch
als „POP-Off“ oder „APL-Ventil“ bezeichnet, teilweise verschlossen ([Abb. 4] und [Abb. 5]). Hierbei ist wichtig, dass der Öffnungsdruck nicht über 20 cm H2O liegt, optimal sind 10 – 12 cm H2O. Bei Ventilen ohne Skala muss mit jedem Atemzug der aufgebaute Druck am Manometer
abgelesen und die Ventileinstellung adaptiert werden. Der Druck auf den Atembeutel
sollte so gewählt werden, dass sich der Thorax hebt. Jedoch sollte eine komplette
Entleerung des Atembeutels vermieden werden, da sonst oft nicht genug Luft für den
nächsten Atemzug zur Verfügung steht. Am besten eignet sich ein Atemzyklus von 2 Sekunden
Einatmung und 4 Sekunden Ausatmung (Loslassen des Atembeutels). Dieser Zyklus wird
wiederholt, bis alle Werte im Normalbereich sind und im besten Fall der Patient wieder
selbst atmet. Je nach Situation kann dies mehrere Minuten in Anspruch nehmen.
Abb. 4 Das „POPP-Off“ oder APL-Ventil am Narkosegerät. Für die Beatmung mittels Atembeutel
sollte das Ventil auf 10 – 12 cm H2O (max. 20 cm H2O) geöffnet werden.(© R. Dörfelt)
Abb. 5 Atembeutel für kleine Tiere mit geringem Volumen und einstellbarem Druckventil.(©
R. Dörfelt)
Manche Anästhesiegeräte bieten die Möglichkeit zur apparativen Beatmung. Hier stehen
je nach Gerät verschiedene kontrollierte, assistierte und unterstützende Beatmungsmodi
zur Verfügung. Zudem können bei der apparativen Beatmung am Gerät die zu Patient und
Eingriff passenden Parameter eingestellt werden. Anbei werden Standardeinstellungen
für die apparative Beatmung aufgeführt, mit denen die meisten Patienten effektiv zu
beatmen sind (nicht alle Einstellungen sind an jedem Ventilator vorhanden; Tidalvolumen,
Druck und Frequenz müssen individuell an das etCO2 angepasst werden):
-
Tidalvolumen: 10 – 15 ml/kg/Atemzug
-
Atemfrequenz: 10 – 12/min
-
Minutenvolumen: 100 – 150 ml/kg/min
-
Inspirations-Exspirations-Verhältnis (I-E-Ratio): 1 : 2 bis 1 : 3
-
inspiratorischer Sauerstoffgehalt (FiO2): 30 – 50%
-
Inspirationsdruck (PIP): 10 – 12 cm H2O, max. 20 cm H2O
-
positiv endexspiratorischer Druck (PEEP): 3 – 5 cm H2O
Ursachen beheben
Falls ein Medikamentenbolus der Grund der Atemdepression war, gilt es, einige Minuten
beatmen, bis die Wirkungsspitze des Medikamentes abgeflacht ist. Bei zu tiefer Anästhesie
sollte versucht werden, die Anästhesietiefe möglichst zu senken. Natürlich müssen
auch alle anderen erkennbaren Ursachen der Atemdepression gezielt behandelt werden.
Der Einsatz von Doxapram zur Atemstimulation wird als nicht sinnvoll angesehen: Zum
einen hält der Effekt nur wenige Minuten an, zum anderen wird der Sauerstoffverbrauch
an Herzmuskel und im Gehirn durch Doxapram deutlich erhöht. Dies kann bei vermindertem
Sauerstofftransport verheerende Wirkung für Gehirn und Herzmuskelzellen haben.
Entwöhnung von der Beatmung
Entwöhnung von der Beatmung
Um den Patienten von der Beatmung wieder in Spontanatmung zu bekommen, ist es nötig,
die körpereigene Atemstimulation wiederherzustellen. Das stärkste Atemstimulanz im
Körper ist das CO2. Durch die Beatmung wird CO2 abgeatmet und somit gesenkt. Die Sauerstoffsättigung trägt erst ab einem Bereich
um 60 – 70% zur Atemstimulation bei.
Daher ist es das Ziel, bei der Entwöhnung von der Beatmung neben der Reduktion der
Anästhesietiefe, auch das CO2 in kontrollierten Bereichen (bei gesunden Tieren bis max. 60 mmHG) ansteigen zu lassen.
Dazu werden die Atemfrequenz und die Atemtiefe vermindert, wobei Atemfrequenzen von
2 – 4/min meist ausreichen, um die Sauerstoffversorgung zu gewährleisten. Im Optimalfall
wird der Prozess der Entwöhnung von der Beatmung mit einem Pulsoximeter und einem
Kapnograph überwacht. Die Sauerstoffsättigung sollte dabei nicht unter 90% fallen.
Wenn die Tiere Sauerstoff bekommen haben, ist es ist auch möglich, sie für 30 – 60 Sekunden
nicht atmen zu lassen, um das CO2 zu steigern. Danach wird gelegentlich ein Atemzug gegeben, um zu sehen, wo das CO2 gerade ist. Atemfrequenz und Tiefe werden so regelmäßig dem CO2 angepasst. Die gelegentlich eingebrachten Atemzüge bewirken auch eine Auslösung des
Hering-Breuer-Reflexes, der dafür sorgt, dass nach einem Atemzug und Beatmung ein
zweiter reflektorischer Atemzug erfolgt. Auch eine Kompression des Thorax erzeugt
eine Reizung der Dehnungsrezeptoren in der Lunge und damit eine kurzfristige Stimulation
der Atmung.
Sobald der Patient zuverlässig spontan atmet, sollte kontrolliert werden, ob er auch
sein CO2 gut abatmen und die Sauerstoffsättigung unter Luftsauerstoff oder zumindest geringer
Sauerstoffkonzentration halten kann. Funktioniert dies alles, kann das Tier in die
Aufwachphase verbracht, oder auch die Anästhesie weiter durchgeführt werden.
Fazit
Eine Anästhesie birgt immer die Gefahr einer Atemdepression bis hin zum Atemstillstand
mit Herz-Kreislauf-Versagen. Doch mit Know-how, passenden Geräten und optimaler Überwachung
gelingt es, eine sich anbahnende Komplikation früh zu erkennen und passend entgegenzusteuern.
Optimal ist es, wenn Patienten in der Anästhesie intubiert sind – das macht lebensrettende
Maßnahmen schnell und effektiv möglich.