Phlebologie 2019; 48(06): 363-365
DOI: 10.1055/a-1013-6335
Originalarbeit
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Schmerztherapie bei schmerzenden Beinen

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Martin Lindig
Schmerzambulanz, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universität zu Lübeck, Germany
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Korrespondenzadresse / Correspondence

Dr. Martin Lindig

Publication History

29 July 2019

31 July 2019

Publication Date:
11 October 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund Beinschmerzen sind ein häufiges Symptom in der phlebologischen Praxis.

Methode in der vorliegenden Arbeit wird ein strategisch sinnvolles Management von Schmerzen/Beinschmerzen dargestellt.


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Einleitung

Bei Patienten mit schmerzenden Beinen eröffnet sich zum einen ein weites differentialdiagnostisches Feld hinsichtlich der Ursachenklärung und der konsekutiven Therapie. Zum anderen stellt sich aber auch die Frage, wie dem Symptom Schmerz am besten zu begegnen sei.

Beispiele für Differentialdiagnosen schmerzender Beine, modif. nach [1], [2]
  • vaskuläre Ursachen:

    • venös: akuter Venenverschluss, tiefe und oberflächliche Beinvenenthrombose, chronisch venöse Insuffizienz, Varikose

    • arteriell: Arterienverschluss, Arteriosklerose

  • lymphatische Ursachen: Lymphbahnentzündung, Lymphstau, Lymphödem

  • Hauterkrankungen

  • orthopädische Ursachen: Arthrosen, Beckenschiefstand, aseptische Knochennekrosen, Osteoporose, Wirbelsäulenerkrankungen, Bandscheibenvorfall, Ischias-Syndrom, Beindeformitäten

  • rheumatische Ursachen: chronische Polyarthritis, Kollagenosen

  • Entzündungen: Knochen, Sehnen, Gelenke

  • muskuläre Ursachen: Myogelosen, Myositis, Muskelerkrankungen, Muskelkater, Wadenkrämpfe

  • traumatische Ursachen: Muskelfaserriss, Knorpelverletzung, Fraktur, Distorsionen, Luxationen, Bänder-/Sehnenverletzungen, CRPS, Kompartmentsyndrom

  • neurologische Ursachen: Multiple Sklerose, Polyneuropathie, Nervenkompressions-Syndrom

  • Restless-Legs-Syndrom: unruhige Beine, nächtliche Sensibilitätsstörungen der Beine

  • psychogene Ursachen: Depression

  • metabolische Ursachen: Gicht

  • Tumoren: Sarkome

Auch die algesiologische Pathophysiologie von Beinschmerzen ist vielfältig, ebenso die hieraus abzuleitende medikamentöse und nicht-medikamentöse Schmerzbehandlung.

„Schmerz ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.“ lautet die seit 1994 gültige Definition der International Association for the Study of Pain IASP [3].

Diese Beschreibung verweist auf den stets subjektiven und emotionsgefärbten Charakter des Schmerzes als unangenehmes Erleben. Zwar besteht ein Zusammenhang mit tatsächlichen oder beschriebenen Gewebeläsionen, von der impulsauslösenden Quelle bis zur Bewusstwerdung durchlaufen die Aktionspotentiale entlang des nozizeptiven Systems jedoch eine Vielzahl individuell geprägter Modulationen. Mit dem noch immer weit verbreiteten mechanistischen Modell einer Glockenschnur zwischen Schmerzauslösung und Schmerzwahrnehmung, erstmals 1632 von Descartes formuliert [4], lässt sich dies jedoch nicht erklären. Erst dreihundert Jahre später entwarfen Melzack und Wall 1965 das Bild eines modulierenden „Torwächters“ im Hinterhorn des Rückenmarks: Inhibitorische Mechanismen hemmen hier die Signalübertragung aufsteigender Impulse im nozizeptiven System des ZNS (Gate Control Theorie) [5].

Seither konnten Forschungsergebnisse zum weiteren Verständnis der komplexen Prozesse von Erkennen schädlicher Ereignisse, Verarbeitung und Integration der ausgelösten Signale und Bewusstwerdung dieser Informationen beitragen, wir sind jedoch noch weit entfernt von einer umfassenden Modellvorstellung [6].


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Einteilung des Beinschmerzes

Die Symptomatik sollte zunächst kategorisiert werden nach der zeitlichen Dimension:

  • Akutschmerz (Bestehen bis zu sechs Monaten)

  • chronischer Schmerz (darüber hinaus)

Ferner ist eine pathophysiologische Einordnung hinsichtlich des Entstehungsmodus zielführend:

  • nozizeptiver Schmerz

  • neuropathischer Schmerz

  • Kombination hiervon („Mixed Pain“)


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Methodisches Vorgehen bei Schmerzdiagnostik und -therapie

Rahmenbedingungen: Die therapeutische Haltung – Schmerzpatienten ernst nehmen.

Schmerzerleben geht zwar zumeist von einer funktionellen oder strukturellen Gewebeläsion, maßgeblich geprägt wird es aber durch subjektive Determinanten des Patienten, und zwar desto mehr, je länger der Schmerz besteht. Zum besseren Verständnis führen den Therapeuten Fragestellungen wie: Hat der Patient ein vergleichbares Ereignis bereits erlebt, wie ist er damit umgegangen und mit welchem Ergebnis? In welcher Situation trifft ihn der Schmerz? Kann er auf hilfreiche Ressourcen zurückgreifen, besteht ein tragendes soziales Netz? Was verbindet er mit dem Schmerz, ist er informiert? Vertraut er dem Therapeuten, und auch den eigenen Schmerzbewältigungs-strategien?

Je ähnlicher der Patient im Umgang mit seinem Schmerz dem Therapeuten selbst ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer gelingenden Schmerztherapie. Der Ausgangspunkt, nämlich inwieweit der Therapeut das präsentierte Schmerzverhalten des Patienten nachvollziehen und als plausibel einordnen kann, entscheidet darüber, wie ernst der Betroffene in seinem Leid vom Gegenüber genommen wird.

Technisch-apparative Untersuchungsergebnisse spielen hierbei eine untergeordnete Rolle. Die Schmerzdiagnostik bezieht sich vorwiegend auf die Erfassung verbaler und non-verbaler Informationen sowie die klinische Untersuchung des Patienten, unterstützt durch Auswertungen von Fragebögen.


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Akutschmerz oder chronischer Schmerz?

Zur Erfassung der Multidimensionalität des Schmerzes ist zunächst zu differenzieren, ob es sich um einen Akutschmerz oder bereits eine Schmerzchronifizierung handelt. Während akut auftretende Schmerzen im Wesentlichen gut beeinflussbar sind durch pharmakologische Maßnahmen, muss bei bereits drei bis sechs Monaten bestehenden Schmerzen mit dann deutlich modulierenden individuell geprägten Veränderungen des Organismus auf biologischer, psychologischer und sozialer Ebene gerechnet und darauf entsprechend eingegangen werden. Eine Monotherapie mit Analgetika hat mit steigendem Chronifizierungsgrad schwindende Erfolgschancen. Stattdessen benötigt der Patient eine aufeinander abgestimmte Kombination von beratenden, korrigierenden und motivierenden Behandlungen durch Ärzte, psychologische Psychotherapeuten, Physiotherapeuten und andere Berufsgruppen.

Das Ziel ist oftmals, den Patienten wieder in die Selbstgestaltung seines Lebens zu führen, also heraus aus der passiv abwartenden Haltung, ein Experte werde ihm den Schmerz schon noch nehmen, hin zur eigenverantwortlichen Aktivierung. Medikamente können helfen, die Hemmschwelle dabei zu senken, der Physiotherapeut kann dabei assistieren, aus der Bewegungsangst in die angemessene körperliche Betätigung zu finden.

Die Therapie chronischer Schmerzen ist somit aufwendig und teuer. Umso mehr Bedeutung kommt der effizienten frühzeitigen Therapie im Akutstadium auch als Prophylaxe der Chronifizierung zu.


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Nozizeptiver und/oder Neuropathischer Schmerz?

Für die Auswahl von Medikamenten sollte erkundet werden, ob der Schmerz durch ein intaktes Nervensystem generiert und fortgeleitet wird, inwieweit also regelrecht entstandene Aktionspotentiale aus ungeschädigten Nozizeptoren heraus über intakte periphere und zentrale Bahnen transportiert und moduliert werden, was einem nozizeptiven Schmerztyp entspricht. Dieser ist am weitesten verbreitet, und steht oft in Zusammenhang mit Wunden oder Operationen. Es besteht ein Gewebeschaden mit entzündlichen Vorgängen. Prostaglandine spielen hierbei eine wichtige Rolle.

Ist das Nervensystem selbst jedoch pathologisch verändert, etwa durch mechanische oder metabolische Schädigungen (beispielsweise bei Polyneuropathien oder Amputationen), entsprechen die Symptome einem neuropathischen Schmerztyp. Wegweisend können die Patientenbeschreibungen eines brennend-einschießenden Schmerzcharakters sein.

Kombinationen aus beiden Typen sind häufig (z. B. bei ischämischen Zuständen).

Während nozizeptive Schmerzen gut auf Nicht-Opioide (die fast ausschließlich Prostaglandinsynthesehemmer sind) und Opioide reagieren, gestaltet sich die Behandlung neuropathischer Schmerzen oft unbefriedigend. Zum Einsatz kommen Antidepressiva, die über die induzierte Erhöhung von Serumspiegeln der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin die Effizienz der deszendierenden Inhibition verbessern, sowie Antikonvulsiva, die als Natrium- und Kalziumkanalblocker die Beständigkeit des Ruhepotentials der fortleitenden Nervenstrukturen erhöhen. Beide Substanzgruppen müssen einschleichend eindosiert werden und entfalten ihre Wirksamkeit erst nach einigen Wochen täglicher Einnahme. Eine schnelle und effektive Bekämpfung gerade von neuropathischen Schmerzspitzen ist damit nicht gut möglich. Den Patienten verlangt das Einiges an Compliance ab, da sich die möglichen Nebenwirkungen bereits nach den ersten Einnahmen des Präparats zeigen, der erwünschte schmerzlindernde Effekt jedoch erst nach ein bis zwei Wochen eintritt.

Antidepressiva und Antikonvulsiva bei neuropathischen Schmerzen

Beide Gruppen müssen langsam eingeschlichen werden. Nebenwirkungen sind bereits nach den ersten Einnahmen spürbar, analgetischer Effekt erst nach 1–2 Wochen. Mannigfache Wechselwirkungen und Kontraindikationen berücksichtigen. Gute Edukation der Patienten (z. B. Verwendung von Antidepressiva als Schmerzmittel).

Antidepressiva

Die meisten Substanzen wirken sedierend, daher abendliche Gabe, z. B. Amitriptylin beginnen mit 10–25 mg abends, alle 3–4 Tage bis 75–100 mg steigern. Cave bei älteren Menschen: Anticholinerge Nebenwirkungen. Alternative: Mirtazapin oder Duloxetin. Beide Medikamente wirken zusätzlich anxiolytisch und stimmungsaufhellend, was die Schmerzverarbeitung positiv beeinflusst. Dabei wird Duloxetin (Anfangsdosis z. B. 30 mg) aufgrund der antriebssteigernden Effekte morgens und Mirtazapin meist abends (z. B. 15 mg) verordnet. Reine SSRI (z. B. Citalopram) wirken nicht auf neuropathische Schmerzen.

Antikonvulsiva

Beispielsubstanzen: Carbamazepin (Problem: Enzyminduktion in der Leber) von 300 mg/Tag bis max. 1200 mg/Tag und Gabapentin von 1 × 100 mg/Tag bis max. 3 × 1200 mg/Tag dreimal tgl. alle 2–3 Tage hochdosieren. Nur zweimal täglich: Pregabalin von 2 × 75 mg bis max. 2 × 300 mg aufdosieren. Pregabalin ist auch für Angststörungen zugelassen. Alle genannten Präparate machen müde.

Nicht-Opioide und Opioide sind bei neuropathischen Schmerzen meist nicht oder nur wenig wirksam.

Entsprechend der Pathophysiologie des Schmerzes ergibt sich somit häufig eine Kombination von pharmakologischen Wirkprinzipien: Während die Nicht-Opioide wie Ibuprofen, Diclofenac, Metamizol, Paracetamol die Zyklooxygenase und dadurch die Prostaglandinsynthese verringern, hemmen Opioide prä- und postsynaptisch die Weiterleitung von Aktionspotentialen. Antidepressiva und Antikonvulsiva greifen in weitere bereits dargestellte Prinzipien ein.

Alle Wirkmechanismen lassen sich kombinieren, die jeweiligen Nebenwirkungsprofile und Risiken müssen mit den Nebenerkrankungen der Patienten abgeglichen und auf Vereinbarkeit hin geprüft werden.


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Interessenkonflikt / Conflict of interest

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

The author declare that they have no conflict of interest.


Korrespondenzadresse / Correspondence

Dr. Martin Lindig