Hintergrund
Das Rauchen konventioneller Zigaretten geht mit erheblichen Gesundheitsgefahren einher
und gilt als einer der größten Risikofaktoren für die Entstehung von Herz- und Kreislaufkrankheiten,
chronischen Atemwegserkrankungen, Krebs, Typ 2-Diabetes und weiteren Erkrankungen
[1 ]. Elektrische Zigaretten (E-Zigaretten) werden von ihren Herstellern als weniger
schädliche Alternative zu konventionellen Zigaretten vermarktet. Die langfristigen
gesundheitlichen Folgen des E-Zigarettenkonsums sind bisher nicht ausreichend erforscht,
doch industrieunabhängige Studien deuten schon heute darauf hin, dass E-Zigaretten
unter anderem mit Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert sein können [2 ]
[3 ].
Eric und Denise Kandel formulierten im New England Journal of Medicine als Erste die
Hypothese, E-Zigaretten könnten aufgrund der schnellen Entwicklung einer Nikotinabhängigkeit
den Einstieg in den Konsum konventioneller Zigaretten fördern (Gateway-Theorie) [4 ]. Diese Hypothese wurde inzwischen theoretisch weiterentwickelt [5 ] und mit Kohortenstudien aus den USA und Kanada [6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]
[10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ], Großbritannien [20 ]
[21 ]
[22 ], Finnland [23 ], Mexiko [24 ], den Niederlanden [25 ], Rumänien [26 ], Taiwan [27 ] sowie Deutschland [28 ] empirisch geprüft. Die Ergebnisse dieser Studien weisen übereinstimmend darauf hin,
dass das Probieren von E-Zigaretten im Jugendalter ein bedeutsamer Risikofaktor für
das spätere Experimentieren mit klassischen Zigaretten ist. Die neueste Metaanalyse
[29 ] quantifizierte den Zusammenhang der Initiierung des Rauchens klassischer Zigaretten
bei vorherigem E-Zigarettenkonsum mit einem Odds Ratio von 3,62 (95 %-Konfidenzintervall:
2,42 – 5,41).
Die bisher publizierten Kohortenstudien realisierten mit Ausnahme einer finnischen
Studie [23 ] allesamt Beobachtungszeiträume zwischen 6 und 12 Monaten. In der vorliegenden Studie
wurde eine vom Alter her gesehen sehr junge Kohorte rekrutiert, die dann über den
Zeitraum von 24 Monaten beobachtet werden konnte. Unserer Kenntnis nach handelt es
sich um die erst zweite Studie mit einer Stichprobe aus Deutschland, die die Frage
prüft, ob der vorherige Konsum von E-Zigaretten bei Kindern und Jugendlichen als Risikofaktor
für die spätere Initiierung des Rauchens herkömmlicher Zigaretten angesehen werden
kann.
Methode
Die Daten stammen aus dem „DAK-Präventionsradar“, einer kombinierten Quer- und Längsschnittstudie,
die das gesundheitsrelevante Verhalten von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
untersucht [30 ].
Zur Teilnahme an der Studie wurden im Schuljahr 2016/2017 insgesamt 627 allgemeinbildende
Schulen aus zufällig ausgewählten Regionen in 6 Bundesländern eingeladen (Baden-Württemberg,
Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein).
44 Schulen (7,0 %) erklärten sich zur Teilnahme an der Studie bereit, 77 Schulen (12,3 %)
sagten ihre Teilnahme ab, und weitere 506 Schulen (80,7 %) ließen die Einladung zur
Studienbeteiligung unbeantwortet. An der schriftlichen Befragung nahmen ausschließlich
Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I teil, deren Eltern zuvor der Datenerhebung
zugestimmt hatten. Um die Angaben der Befragten aus den beiden Erhebungswellen einander
zuordnen zu können, generierten die Befragten vor Beginn des Ausfüllens einen individuellen
siebenstelligen Code. Die Befragung erfolgte im Klassenverband entweder mit Paper-Pencil-Fragebögen
oder als Online-Befragung.
4216 Fünft- bis Achtklässler aus 44 Schulen und 283 Klassen, die noch nie konventionelle
Zigaretten geraucht haben, wurden zur Baseline im Schuljahr 2016/2017 befragt. Von
diesen konnten 2 Jahre später 2388 Schülerinnen und Schüler wieder erreicht werden
(Wiedererreichungsquote: 56,6 %).
Die Studie wurde durch die zuständigen Kultusbehörden wie folgt genehmigt: Ministerium
für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg (25. 07. 2016, AZ 31-6499.20/1026),
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern
(08. 08. 2016, AZ VII-321-14000-2013/003/-114), Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion
des Landes Rheinland-Pfalz (01. 08. 2016, AZ 51-111-32/115-16), Sächsische Bildungsagentur
(16. 08. 2016, AZ ZS 6499/3/33-2016/31858) sowie Ministerium für Schule und Berufsbildung
des Landes Schleswig-Holstein (01. 08. 2016, ohne Aktenzeichen).
Die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Psychologie hat das Forschungsvorhaben
geprüft und am 15. 06. 2016 als „ethisch unbedenklich“ eingestuft (AZ RH 042015_1).
Studienvariablen
Rauchverhalten Die Lebenszeitprävalenz des Konsums herkömmlicher Zigaretten wurde mit der Frage
erfasst „Wie häufig hast du in deinem Leben bisher (Zigaretten geraucht/E-Zigarette
gedampft)?“ Antwortmöglichkeiten waren „Noch nie/Nur ein paar Züge/1 bis 19-mal/20
bis 100-mal/Mehr als 100-mal“ [31 ]. Die Antworten wurden dichotomisiert in 0 = „Noch nie“ und 1 = alle anderen Antwortalternativen.
Soziodemografische Merkmale und weitere Kovariaten Erfasst wurden das Alter, das Geschlecht (0 = Jungen, 1 = Mädchen) und die Schulart
(0 = kein Gymnasium, 1 = Gymnasium). Der Migrationshintergrund wurde folgendermaßen
ermittelt: Personen, bei denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird oder bei denen
zu Hause eine weitere Sprache als Deutsch gesprochen wird, wurden als Personen mit
Migrationshintergrund eingeordnet (0 = Migrationshintergrund, 1 = Migrationshintergrund).
Das Persönlichkeitsmerkmal „Sensation Seeking“ ist umschrieben als individuelle Tendenz,
neue Erfahrungen zu machen und Eindrücke zu sammeln und hierfür u. U. Risiken in Kauf
zu nehmen. „Sensation Seeking“ ist assoziiert mit dem Probieren und dem Konsum verschiedener
psychotroper Substanzen [32 ]. Dieses Persönlichkeitsmerkmal wurde zur Baseline mit folgenden 2 Items erfasst:
„Wie oft machst du gefährliche Sachen, um Spaß zu haben?“ und „Wie oft machst du aufregende
Sachen, auch wenn sie gefährlich sind?“ [33 ]. Antwortalternativen waren „Überhaupt nicht/Gelegentlich/Manchmal/Oft/Sehr oft“,
geringe Ausprägungen entsprachen einer niedrigen Ausprägung (Cronbachs Alpha = 0,85).
Die subjektive Schulleistung wurde zur Baseline mit der Frage erfasst „Wie schätzt
du deine Schulleistungen im Vergleich zu den Mitschülerinnen und Mitschülern deiner
Klasse ein?“, Antwortmöglichkeiten waren „Viel besser/Etwas besser/Etwa gleich/Etwas
schlechter/Viel schlechter“.
Die Lebenszeitprävalenz des Alkoholkonsums wurde mit der Frage „Wie häufig hast du
in deinem Leben bisher Alkohol getrunken?“ erfasst. Antwortkategorien waren „Noch
nie“, „Nur ein bisschen probiert“, „1-mal“, „2 bis 5-mal“, „Mehr als 5-mal“. Die Antwortkategorien
wurden dichotomisiert: „1-mal“, „2 bis 5-mal“ sowie „Mehr als 5-mal“ wurden als vorheriger
Alkoholkonsum („1“) bewertet, die beiden anderen Kategorien als kein bisheriger Konsum
mit einer „0“ kodiert.
Statistische Analyse
Alle statistischen Datenanalysen wurden mit dem Statistikprogramm Stata durchgeführt
(Version 15.0). Um Unterschiede zwischen nach der Baseline erreichten und nicht erreichten
Jugendlichen zu überprüfen, wurden Chi-Quadrat- und t-Tests durchgeführt. Zur Prüfung
des Zusammenhangs zwischen E-Zigarettenkonsum und späterem Experimentieren mit konventionellen
Zigaretten wurde ein multiples Mehrebenenmodell (Poisson-Regression) verwendet, in
das Variablen, die mit der Initiierung des Rauchens in Zusammenhang stehen, gleichzeitig
aufgenommen wurden. Zusammenhänge zwischen den unabhängigen Modellvariablen und der
abhängigen Variable werden als Relatives Risiko (RR) dargestellt. Die hierarchische
Datenstruktur (Schülerinnen und Schüler in Klassen aus Schulen) wurde durch das Einfügen
von zufälligen Achsenabschnitten für die Klassen- und die Schulebene berücksichtigt.
Die Zufallseffekte auf Klassenebene wurden in der finalen Analyse entfernt (Likelihood-Ratio-Test
[p = 0,076]), was erwartungsgemäß keinen Einfluss auf die übrigen Modellkomponenten
nahm.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung und Attritionsanalyse
[Tab. 1 ] führt Charakteristika der Stichprobe auf, einmal für die Gesamtstichprobe zur Baseline
und einmal für die Analysestichprobe (mittleres Alter: 11,8 Jahre, 49,6 % weiblich).
Ein Vergleich zwischen nach der Baseline erreichten und nicht erreichten ehemals nie
rauchenden Schülerinnen und Schülern zeigt darüber hinaus, inwieweit es zu einem selektiven
Teilnehmerausfall kam. Häufiger erreicht wurden die Nieraucherinnen und Nieraucher,
die jünger waren, keinen Migrationshintergrund hatten, niedrigere Werte auf der Persönlichkeitsskala
„Sensation Seeking“ aufwiesen sowie seltener E-Zigaretten konsumierten.
Tab. 1
Charakteristika der Stichprobe und Attritionsanalyse.
Baseline gesamt N = 4216
Nie Zigaretten geraucht, 2 Jahre später erreicht N = 2388
Nie Zigaretten geraucht, 2 Jahre später nicht erreicht N = 1828
p-Wert Attrition
Soziodemografie
Geschlecht (% weiblich)
49,3
49,6
48,8
0,582
Alter (M, SD, R 9 – 16)
12,0 (1,26)
11,8 (1,21)
12,2 (1,31)
< 0,001
Schulart (% kein Gymnasium)
45,9
45,0
47,2
0,167
Migrationshintergrund (% nein)
81,6
85,1
76,9
< 0,001
SES (M, SD) R 1 – 10
6,7 (1,41)
6,7 (1,35)
6,8 (1,50)
0,053
Persönlichkeit und Schulleistung
Sensation Seeking[1 ]
0 (1)
– 0,04 (0,98)
0,06 (1,02)
0,001
Subjektive Schulleistung[2 ]
0 (1)
– 0,02 (0,96)
0,03 (1,05)
0,126
Substanzkonsum
Lebenszeitprävalenz E-Zigaretten (N [%])
203 (4,9)
85 (3,6)
118 (6,5)
< 0,001
Lebenszeitprävalenz Alkohol (N [%])
385 (9,2)
204 (8,6)
181 (10,0)
0,130
R, Spannweite, M, Mittelwert; SD, Standardabweichung; SES, Sozioökonomischer Status.
1 standardisierte Skala (M = 0, SD = 1): Skalenwert < 0 = geringere Risikofreude, Skalenwert
über 0 größere Risikofreude.
2 standardisierte Skala (M = 0, SD = 1): Skalenwert < 0 = subjektiv bessere Schulleistung
als die Mitschüler/innen, Skalenwert größer 0 = subjektiv schlechtere Schulleistung
als die Mitschüler/innen.
Initiierung des Rauchens konventioneller Zigaretten
Im Beobachtungszeitraum konsumierten 430 der 2388 ehemals nie rauchenden Jugendlichen
(18,0 %) erstmals in ihrem Leben konventionelle Zigaretten. Die Mehrebenenanalyse
zeigte, dass Jugendliche im Beobachtungszeitraum mit einer höheren Wahrscheinlichkeit
konventionelle Zigaretten zu rauchen begannen, wenn sie zur Baseline schon einmal
E-Zigaretten konsumiert hatten, risikofreudiger waren (höhere Werte im „Sensation
Seeking“), schlechtere Schulleistungen hatten als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler,
eine andere Schule als ein Gymnasium besuchten, schon einmal Alkohol getrunken hatten,
älter und weiblich waren ([Tab. 2 ]).
Tab. 2
Relative Risikos der Initiierung des Rauchens konventioneller Zigaretten (N = 2310)
innerhalb des 2-jährigen Beobachtungszeitraums.
Studienvariablen zur Baseline
Initiierung des Konsums konventioneller Zigaretten
ARR
95 %-KI
p-Wert
Lebenszeitprävalenz E-Zigarettenkonsum (Ref = nein)
1,85
1,34 – 2,56
< 0,001
Lebenszeitprävalenz Alkoholkonsum (Ref = nein)
1,72
1,31 – 2,23
< 0,001
Alter
1,21
1,11 – 1,32
< 0,001
Geschlecht (Ref = männlich)
1,43
1,17 – 1,75
< 0,001
Sensation Seeking[1 ]
1,35
1,23 – 1,47
< 0,001
Subjektive Schulleistung[1 ]
1,15
1,04 – 1,27
0,008
Schulart (Ref = kein Gymnasium)
0,47
0,36 – 0,62
< 0,001
Migrationshintergrund (Ref = kein Migrationshintergrund)
1,05
0,79 – 1,38
0,754
SES[1 ]
1,01
0,91 – 1,11
0,911
ARR, Adjustiertes Relatives Risiko; SES, Sozioökönomischer Status; KI, Konfidenzintervall. Ref = Referenzgruppe (niedrigster numerischer Wert).
1 standardisierte Skalen.
Das Experimentieren mit konventionellen Zigaretten lag in der Gruppe derer, die zur
Baseline E-Zigarettenkonsum angegeben hatten, unadjustiert bei 53,0 % und in der Gruppe,
die zur Baseline keinen E-Zigarettenkonsum angegeben hatten, bei 17,7 % (Relatives
Risiko = 3,0, 95 % KI [2,21 – 4,06]). Nach statistischer Kontrolle von Alter, Geschlecht,
Migrationshintergrund, „Sensation Seeking“, subjektiver Schulleistung, Alkoholkonsum,
sozioökonomischem Status und Schulart lag das Experimentieren mit konventionellen
Zigaretten in der Gruppe derer, die zur Baseline E-Zigarettenkonsum angegeben hatten,
bei 32,1 % und in der Gruppe, die zur Baseline keinen E-Zigarettenkonsum angegeben
hatten, bei 17,3 % (adjustiertes Relatives Risiko = 1,85, 95 % KI [1,34 – 2,56]).
[Abb. 1 ] veranschaulicht diese Ergebnisse grafisch.
Abb. 1 Initiierung des Rauchens konventioneller Zigaretten im 24-monatigen Beobachtungszeitraum
in Abhängigkeit vom E-Zigarettenkonsum zur Baseline. Adjustierter Zusammenhang: nach
statistischer Kontrolle von Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund, „Sensation Seeking“,
subjektiver Schulleistung, Alkoholkonsum, sozioökonomischem Status und Schulart.
Eine weiterführende Analyse auf Interaktionseffekte zeigte eine signifikante Interaktion
in Abhängigkeit von „Sensation Seeking“ (adjustiertes Relatives Risiko = 0,74, 95 %
KI [0,57 – 0,96], p = 0,021). Hatten Jugendliche mit geringer Risikobereitschaft zur
Baseline bereits mit E-Zigaretten experimentiert, war das Risiko der Initiierung des
Rauchens konventioneller Zigaretten im Vergleich zu Jugendlichen mit geringer Risikobereitschaft,
die keine E-Zigaretten-Erfahrung zur Baseline berichteten, signifikant erhöht (36 %
vs. 11 %).
Diskussion
2388 Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 5 bis 8 aus 6 Bundesländern, die in
ihrem Leben noch nie herkömmliche Zigaretten geraucht hatten, wurden über 2 Jahre
beobachtet. Es fand sich eine robuste Assoziation zwischen Erfahrungen mit dem Konsum
von E-Zigaretten zur Baseline und dem Probieren konventioneller Zigaretten im Beobachtungszeitraum,
auch wenn verschiedene Kovariaten, die Einfluss auf die Initiierung des Rauchens nehmen
können, kontrolliert wurden.
Der Unterschied in der Initiierung des Rauchens zwischen Personen, die zuvor E-Zigaretten
probiert hatten, und jenen, die zuvor keine Erfahrung mit E-Zigaretten gemacht hatten,
ist durchaus vergleichbar mit Befunden aus internationalen Studien. Eine kürzlich
durchgeführte Metaanalyse von 9 Kohortenstudien ermittelte ein adjustiertes Chancenverhältnis
von 3,62 für Jugendliche und junge Erwachsene mit Konsumerfahrungen von E-Zigaretten
zur Baseline im Vergleich zu Personen ohne Konsumerfahrungen [29 ], wobei berücksichtigt werden muss, dass in der vorliegenden Studie deutlich mehr
Störgrößen kontrolliert wurden als in den Kohortenstudien, die in die Metaanalyse
eingeflossen sind. Aus diesem Grund sollte das berechnete Chancenverhältnis der Metanalyse
am besten mit dem in dieser Studie ermittelten unadjustierten Relativen Risiko von
3,0 verglichen werden.
Vergleichbar sind die Ergebnisse auch mit der ersten deutschen Kohortenstudie, die
diese Fragestellung untersucht hatte [28 ]. In Letzterer wurden 2186 Zehntklässler ohne jegliche Raucherfahrung aus 2 Bundesländern
6 Monate lang beobachtet. Das relative Risiko der Initiierung des Rauchens lag bei
2,18, wenn zuvor E-Zigaretten probiert worden waren, im Vergleich zu Jugendlichen
ohne E-Zigarettenerfahrung zur Baseline. Die Schülerinnen und Schüler der aktuellen
Studie besuchten die Klassenstufen 5 bis 8 und waren daher deutlich jünger als die
Schülerinnen und Schüler der ersten deutschen Kohortenstudie. Auch die Beobachtungsintervalle
unterschieden sich erheblich voneinander. Insofern ergänzen sich beide Studien.
In Deutschland rauchen Gymnasiasten seltener als Schülerinnen und Schüler, die andere
Schularten des allgemeinbildenden Schulwesens besuchen [34 ]. Dieser Befund bestätigte sich auch in vorliegender Analyse: Im Beobachtungszeitraum
fingen generell weniger Gymnasiasten an, mit dem Rauchen zu experimentieren. Der Zusammenhang
zwischen E-Zigaretten-Nutzung und der Initiierung des Rauchens war jedoch für Gymnasiasten
und Nicht-Gymnasiasten in etwa gleich hoch und kann daher als unabhängig vom Schultyp
betrachtet werden. Dieser Befund ist ebenfalls vergleichbar mit der vorherigen longitudinalen
Studie mit der Kohorte 10.-Klässler.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Kohortenstudien besteht allerdings im
Verbot des Verkaufs von E-Zigaretten an Minderjährige, das am 1. April 2016 in Kraft
trat. Schülerinnen und Schüler der ersten Kohortenstudie konnten noch legal E-Zigaretten
erwerben. Dies ist für die Kohorte der vorliegenden Studie nicht mehr der Fall. Wie
man an den Prävalenzen des Tabak- und Alkoholkonsums in Deutschland allgemein und
auch an den Ergebnissen dieser Studie ablesen kann, ist das legale Bezugsalter nicht
die entscheidende Determinante des Einstiegs in den Konsum.
Vergleichbar sind die Ergebnisse beider Studien auch im Hinblick auf das Persönlichkeitsmerkmal
„Sensation Seeking“. Dieses definiert sich als Suchen nach Abwechslung und neuen Erlebnissen,
um immer wieder Spannungsreize zu erleben. Es handelt sich dabei um ein physiologisch
begründetes Konstrukt, das davon ausgeht, dass es für jeden Menschen ein optimales
Erregungsniveau gibt [35 ]. Über das Aufsuchen oder Vermeiden von stimulierenden Reizen kann die Erregung individuell
reguliert werden. Sowohl in der vorliegenden als auch in der ersten Studie zur Untersuchung
der Assoziation zwischen dem vorherigen E-Zigarettenkonsum und dem späteren Experimentieren
mit konventionellen Zigaretten zeigte sich ein besonders starker Effekt für Jugendliche
mit einem geringen Risikoprofil (niedrigen „Sensation Seeking“-Werten).
Die Interaktion zwischen dem Persönlichkeitsmerkmal „Sensation Seeking“ und dem vorherigen
Experimentieren mit E-Zigaretten ist auch von theoretischem Interesse, da sie die
Annahmen der Gateway-Hypothese stützt. Diese postuliert, dass aufgrund des hohen Suchtpotenzials
des Nikotins der Konsum von E-Zigaretten einen Katalysatoreffekt nach sich ziehen
könnte, d. h. den Umstieg auf das Rauchen herkömmlicher Zigaretten wahrscheinlicher
machen kann [5 ]. Als Alternativhypothese wurde die sog. „Common liability“-Hypothese formuliert.
Diese wiederum besagt, dass die Assoziation zwischen dem E-Zigarettenkonsum und dem
Rauchen herkömmlicher Zigaretten durch Faktoren zu erklären sei, die beiden Verhaltensweisen
gemeinsam sind wie genetische Faktoren, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder auch
ein rauchendes Umfeld [36 ]. Wenn nun aber insbesondere Jugendliche mit niedriger Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals
„Sensation Seeking“ mit dem Rauchen herkömmlicher Zigaretten beginnen, sofern sie
zuvor E-Zigaretten konsumiert haben, steht dieser Befund in Einklang mit den Annahmen
der Gateway-Hypothese und widerspricht den Annahmen der konkurrierenden „Common liability“-Hypothese
[37 ].
Die E-Zigarettenhersteller bewerben ihre Produkte mit dem Hinweis auf vermeintlich
geringere Gesundheitsgefahren, die mit dem Konsum von E-Zigaretten im Vergleich zu
herkömmlichen Zigaretten einhergehen sollen. Diese Botschaft könnte möglicherweise
insbesondere Jugendliche mit einem sonst niedrigen Risikoprofil dazu veranlassen,
mit E-Zigaretten zu experimentieren, bspw. Jugendliche mit einer geringen Ausprägung
des Persönlichkeitsmerkmals „Sensation Seeking“. Dass E-Zigarettenwerbung nicht nur
Jugendliche erreicht, sondern auch zum Probieren nikotinhaltiger Produkte anregen
kann, zeigen internationale und auch nationale Studien hinlänglich [38 ]. Ein umfassendes Werbeverbot unter Einschluss von E-Zigaretten erscheint daher auch
aus diesem Grund überfällig.
Primärer Endpunkt dieser Studie ist das erste Rauchen herkömmlicher Zigaretten, was
schon einzelne Züge oder wenige gerauchte Zigaretten umfassen konnte. Wiederholt wurde
hinterfragt, ob dieser Endpunkt eine gesundheitlich relevante Untersuchungsgröße darstellt.
Ein Team um Peter Hajek hat zu dieser Fragestellung eine Metaanalyse durchgeführt.
Die Autoren untersuchten die „Konversionsrate“ vom Rauchen einer einzigen Zigarette
im Jugend- zum täglichen Rauchen im Erwachsenenalter. Acht longitudinale Studien mit
über 200 000 Untersuchungspersonen gingen in die Analyse ein. 60 % der Stichprobe
hatten in ihrem Leben mindestens einmal geraucht. Von diesen wurden im weiteren Lebenslauf
mehr als zwei Drittel (69 %) tägliche Raucherinnen oder Raucher [39 ]. Aus diesem Grund kann der primäre Endpunkt dieser Studie durchaus als gesundheitlich
bedeutsame Variable bezeichnet werden.
Die Studie reiht sich ein in 2 Dutzend Kohortenstudien aus Nord- und Mittelamerika,
Europa und kürzlich auch Asien, die übereinstimmend fanden, dass der vorherige E-Zigarettenkonsum
ein unabhängiger Risikofaktor für die Initiierung des Rauchens herkömmlicher Zigaretten
im Jugendalter sein kann. Ob sich dieser Zusammenhang dann tatsächlich auch auf das
Verhalten Jugendlicher auf Populationsebene niederschlägt, lässt sich derzeit nicht
seriös beantworten. Einige erste Indizien deuten sich allerdings an. So stieg in Kanada
nicht nur zwischen 2017 und 2018 die Zahl der E-Zigaretten-Konsumenten im Alter von
16 – 19 Jahren deutlich an, sondern im selben Zeitraum auch die Anzahl der Personen
in diesem Alter, die in den letzten 30 Tagen herkömmliche Zigaretten geraucht hatten:
Von 10,7 % in 2017 auf 15,5 % in 2018 [40 ]. Schon aus diesem Grund ist ein engmaschiges Monitoring des jugendlichen Rauchverhaltens
wünschenswert.
Limitationen
Zur Untersuchung der Fragestellung, ob der vorherige E-Zigarettenkonsum den späteren
Konsum herkömmlicher Zigaretten vorhersagt, wurde eine Beobachtungsstudie realisiert,
die generell anfälliger für systematische Verzerrungen ist als eine randomisierte
klinische Studie, welche aber in diesem Fall schon allein aus ethischen Gründen nicht
umsetzbar ist. Kausale Schlussfolgerungen sind aus Beobachtungsstudien nur sehr eingeschränkt,
wenn überhaupt, zu ziehen. So könnte die externe Validität der Untersuchungsergebnisse
durch einen Selektionsbias, die interne Validität durch ungemessene Konfundierung
beeinträchtigt worden sein. Ein Selektionsbias ist immer dann möglich, wenn die Studienpopulation
keine Zufallsauswahl aus der Zielpopulation ist, was in vorliegender Untersuchung
der Fall ist. Trotz Erfassung verschiedener Störvariablen ist eine Konfundierung des
Zusammenhangs durch eine oder mehrere nicht erfasste Drittvariablen niemals auszuschließen.
Insbesondere der Einfluss des unmittelbaren sozialen Umfelds, wie z. B. rauchende
Freunde oder rauchende Familienmitglieder, wurde nicht mit einbezogen.
Die Schülerinnen und Schüler der rekrutierten Kohorte waren bei der Erstbefragung
im Durchschnitt unter 12 Jahre alt. Daher hatten vergleichsweise wenige Personen der
Kohorte zu Beginn des Befragungszeitraums bereits E-Zigaretten konsumiert. Der sehr
lange Beobachtungszeitraum von 2 Jahren führte des Weiteren zu einem teilweisen Verlust
von Probanden über die Zeit, wobei insbesondere Schülerinnen und Schüler mit einem
hohen Risikoprofil aus der Stichprobe herausfielen. Seltener erreicht werden konnten
Schülerinnen und Schüler, die älter waren, einen Migrationshintergrund aufwiesen,
höhere Werte auf der Persönlichkeitsskala „Sensation Seeking“ aufwiesen sowie häufiger
E-Zigaretten konsumierten.
Auch die Art der Datenerfassung stellt eine weitere Limitation der Studie dar, da
keine objektive Messung herangezogen werden konnte und die erhobenen Fragebogendaten
durch systematische Antworttendenzen verfälscht sein können. Auch wurde nicht erhoben,
welche Art von Liquids – mit oder ohne Nikotin – die Jugendlichen konsumierten. Eine
Kohortenstudie, die in Finnland durchgeführt wurde, zeigte bspw. auf, dass nur der
vorherige Konsum nikotinhaltiger E-Zigaretten, aber nicht der Konsum von E-Zigaretten
ohne Nikotin den späteren Konsum herkömmlicher Zigaretten vorhersagte [23 ] – ein Befund, der die Annahmen des Wirkmechanismus der Gateway-Hypothese stützt.
Fazit
Jugendliche experimentierten häufiger mit konventionellen Zigaretten, wenn sie zuvor
E-Zigaretten konsumiert hatten. Diese robuste Assoziation scheint stärker für Jugendliche
zu sein, die ein generell niedrigeres Risiko haben, mit dem Rauchen zu beginnen. Die
Befunde stehen in Einklang mit den Annahmen der Gateway-Hypothese.