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DOI: 10.1055/a-1045-8646
SOP Somatische Diagnostik bei Verdacht auf immunologische Psychosen
- Einleitung
- Internationale Konsensbemühungen bei der Operationalisierung immunologischer Psychosen
- Pragmatische Aspekte in der Diagnostik möglicher immunologischer Psychosen
- Bewertung der zur Verfügung stehenden diagnostischen Verfahren
- Therapeutische Implikationen
- Literatur
Immunologische Psychosen stellen eine Gruppe von Krankheitsbildern dar, welche zunehmend als differenzialdiagnostische Erwägung insbesondere bei psychotischen Störungsbildern diskutiert werden. Die Prognose dieser Unterform psychiatrischer Störungsbilder hängt von einer frühzeitigen Diagnose ab. Für eine umfassende Beurteilung sind der klinische Phänotyp und eine Reihe von Zusatzuntersuchungen erforderlich.
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Einleitung
Die Annahme, dass psychotische Störungsbilder durch entzündliche Prozesse des Gehirns verursacht sein könnten wurde bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts formuliert [1]. Angestoßen durch neue Erkenntnisse der letzten Dekaden aus dem Themenbereich der limbischen Encephalitiden in der Neurologie [2] [3] wird eine mögliche Rolle autoimmunologischer Prozesse auch in der Genese psychiatrischer Störungen – insbesondere von Psychosen – zunehmend diskutiert [4] [5]. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, bei der ätiopathogenetischen Einordnung der wesentlich syndromal konzeptualisierten, psychiatrischen Störungsbilder zunehmend nach kausalen Kriterien zwischen primär-idiopathischen Varianten (z. B. im Sinne einer genuinen Schizophrenie) und sekundär-symptomatischen Varianten (z. B. im Sinne einer immunologischen schizophreniformen Psychose) zu unterscheiden [6]. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen dabei bislang überwiegend Autoantikörper-vermittelte autoimmunologische Prozesse. Die wichtigsten der aktuell bekannten gegen Hirngewebe gerichteten Autoantikörper im Kontext der immunologischen Psychosen sind in [Tab. 1] zusammengefasst.
Klassifikation |
Antigen |
Neuropsychiatrisches Syndrom |
Symptomatik |
Tumorassoziation |
Typischer Patient |
Antikörper gegen neuronale Oberflächenantigene |
NMDA-R (GluN1) |
Anti-NMDA-R-Enzephalitis |
Psychose, epileptische Anfälle, Bewegungsstörungen, Katatonie, autonome Instabilität, Bewusstseinsstörungen |
Abhängig von Alter und Geschlecht, Tumorassoziation bei ca. 40 %, meist ovarielle Teratome |
Junge Frau mit ovariellem Teratom und initial Psychose |
CASPR2 |
Morvan-Syndrom; Limbische Enzephalitis |
Gedächtnisstörung, Schlafstörung, Neuromyotonie, psychotische und depressive Symptome |
bei ca. 20 % Thymome |
Mittelalte oder ältere Patienten |
|
LGI1 |
Limbische Enzephalitis |
Gedächtnisdefizite bis zur Demenz, Verwirrtheit, Depression, akut-polymorph psychotische Symptomatik, faziobrachiale Anfälle, Hyponatriämie, REM-Schlafstörungen |
bei 5–10 % Thymome |
Mittelalte oder ältere Patienten (M > F) |
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AMPA-R |
Limbische Enzephalitis |
Gedächtnisdefizite, Verwirrtheit, atypische Psychose |
In ca. 65 %, meist Thymome oder kleinzellige Bronchialkarzinome |
Mittelalte oder ältere Patienten mit Bronchial-Ca oder Thymom |
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GABAB-R |
Limbische Enzephalitis mit frühen und ausgeprägten Anfällen |
Gedächtnisdefizite, Anfälle, orolinguale Dyskinesien |
In ca. 50 %, meist kleinzelliges Bronchialkarzinom |
Mittelalte oder ältere Patienten mit Bronchial-Ca und epileptischen Anfällen |
|
GABAA-R |
Enzephalitis mit therapierefraktären Anfällen, Status epilepticus |
Therapierefraktäre Anfälle, Status epilepticus |
In ca. 25 % bei Thymomen und anderen |
Junge Patienten mit therapierefraktären Anfällen |
|
DPPX |
Enzephalitis, Hyperekplexie |
Verwirrtheit, kognitive Defizite, Diarrhoe und andere gastrointestinale Symptome, Gewichtsverlust, Hyperekplexie, Wahnerleben, Halluzinationen |
Lymphome in < 10 % |
Mittelalte bis ältere Patienten mit kognitiven Defiziten, Hyperekplexie, Diarrhö |
|
mGluR5 |
Enzephalitis |
Gedächtnisdefizite, Verwirrtheit, Verhaltens-änderungen, emotionale Instabilität |
In ca. 70 % mit Hodgkin-Lymphom assoziiert |
Junge Erwachsene oft mit Hodgkin-Lymphom |
|
Neurexin-3-alpha |
Enzephalitis |
Prodromalsymptome (Fieber, Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden), Anfälle, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörung, Verhaltensänderung, Agitation |
keine |
Mittelalte Patienten mit Prodromalsymptomen und dann Trias aus Anfällen, Verwirrtheit und Bewusstseinsstörung (ähnelt der anti-NMDA-R Enzephalitis) |
|
IgLON5 |
Schlafstörung |
Schlafapnoe, Schlafverhaltensstörung und Hirnstammdysfunktion (Dysphagie, Ataxie), Depression, Halluzinationen |
keine |
Mittelalte bis alte Patienten mit Schlafverhaltensstörungen und Hirnstammsymptomen |
|
Glycin-R |
PERM, Stiff-Person-Syndrom |
Verhaltensänderungen, psychotische Symptome |
In < 5 %, dann Assoziation mit Thymom, Bronchial-Ca und Morbus Hodgkin |
Mittelalte oder ältere Patienten mit Muskelsteifigkeit |
|
Antikörper gegen synaptische intrazelluläre Antigene |
GAD65 |
Limbische Enzephalitis, Stiff-Person-Syndrom, Anfälle |
Muskelrigidität, Spasmen, Anfälle, Hirnstammdysfunktion, Ataxie, bizarr anmutende Bewegungs-störungen, psychotische Syndrome, Autismus und ADHS Symptome |
Isoliert selten paraneoplastisch, ansonsten bei max. 25 % Assoziation mit Thymom oder kleinzelligem Bronchial-Ca |
Junge Frauen mit Anfällen (bei der nicht paraneoplastischen Form) |
Amphiphysin |
Stiff-Person-Syndrom, Enzephalomyelitis |
Rigidität, Spasmen, Verwirrtheit, Gedächtnisdefizite |
> 90 % Mamma-Ca, kleinzelliges Bronchial-Ca |
Mittelalte bis ältere Patienten (F > M) mit Mamma- oder Bronchial-Ca und Stiff-Person-Syndrom |
|
Antikörper gegen onkoneurale nichtsynaptische intrazelluläre Antigene |
Hu, Ri, Yo, CV2 (CRMP5), Ma1, Ma2 (Ta), SOX1, PCA-2, ANNA-3, Zic4, Ca/ARHGAP26 |
U.a. limbische Enzephalitis, zerebelläre Degeneration |
Bunte neuropsychiatrische Symptomatik, Verhaltensänderungen, Neuropathien, Gangstörungen, Anfälle |
In den meisten Fällen tumorassoziiert |
Ältere Patienten meist mit Malignomen (Hu: Kleinzelliges Bronchial-Ca, Ma2: testikuläres Seminom etc.) |
Antikörper gegen Schilddrüsengewebe |
TG/TPO, TRAK |
Hashimoto Enzephalopathie (SREAT) |
Epileptische Anfälle, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen, Verfolgungswahn, Myoklonien, schizophreniforme Störung, affektive Syndrome |
keine |
Mittelalte Frauen mit u. a. akut einsetzenden kognitiven Defiziten, Verfolgungswahn und ggf. Ansprechen auf Steroide |
„Rheumatologische Antikörper“ |
ANAs (bei Positivität: anti-dsDNA/ENA-Differenzierung), Antiphospholipid AK (anti-β2-Glykoprotein-I-/Anticardiolipin AK, Lupus-Antikoagulans), ANCAs (bei Positivität Spezifizierung für MPO, PR3) |
Neurolupus, Antiphospholipid-Syndrom, Sjögren Syndrom, Sklerodermie, ANCA assoziierte Vaskulitis |
Psychose, kognitive Defizite, affektive Störungen, Kopfschmerzen, Anfälle, Stroke-like-Episoden, Optikusneuropathie, Polyneuropathie, Schmetterlingserythem, diskoider Lupus, Photosensibilität, Calcinosis cutis, Raynaud-Phänomen, Teleangiektasien, Sicca-Symptomatik, Ulzera, Arthritis, Serositis, Nieren-/hämatologische Beteiligung, ösophageale Dysmotilität, Sklerodaktylie, Thrombose/Embolie, Rhinitis, Granulome, Hämoptysen, Lungeninfiltrate |
keine |
Abhängig von Erkrankung, beim Neurolupus z. B. junge Frauen mit verschiedenen Organbeteiligungen |
Wesentlicher klinischer Anknüpfungspunkt für den Verdacht einer sekundären, immunologischen Genese einer Psychose ist dabei der akute bis subakute Beginn einer oft im Detail atypisch anmutenden, polymorphen, psychotischen Symptomatik, die häufig begleitet wird von unverhältnismäßigen neurokognitiven Symptomen, Bewegungsstörungen (katatone Symptome, Dyskinesien) oder gar klaren neurologischen Symptomen, etwa im Sinne von Bewusstseinsstörungen, epileptischen Anfällen, Aphasien, Dysarthrien, autonomen Funktionsstörungen etc. Ist die Symptomatik zudem im Kontext einer fieberhaften Erkrankung aufgetreten, sollte die Differenzialdiagnose unbedingt erwogen werden. Insgesamt können aus klinischer Perspektive härtere Warnzeichen von weicheren („red flags“) unterschieden werden wie in [Tab. 2] zusammengefasst.
„Harte“ Warnzeichen |
„Weiche“ Warnzeichen |
Lymphozytäre Liquor-Pleozytose ohne Hinweise auf eine infektiöse Ursache |
Quantitative Bewusstseinsstörungen |
Epileptische Anfälle |
Bewegungsstörung oder Stand- und Gangunsicherheit |
Faziobrachiale dystone Anfälle |
Autonome Instabilität |
MRT-Auffälligkeiten (z. B. mesiotemporale Hyperintensitäten) |
Fokalneurologische Defizite, inkl. Aphasie oder Dysarthrie |
EEG-Auffälligkeiten (Grundrhythmus-Verlangsamung, epilepsietypische Muster, holozephaler extremer Delta-Brush (Beta-Delta-Komplexe, welche aus bilateraler Delta-Aktivität mit 1–3 Hz und aufgelagerter Beta-Aktivität mit 20–30 Hz bestehen), die nicht anderweitig erklärt werden können. Der extreme Delta-Brush bei nicht-neugeborenen Personen scheint häufig bei NMDAR-Autoimmunenzephalitis aufzutreten, wobei die Spezifität nicht klar ist |
Schnelles Fortschreiten der psychotischen Symptome trotz psychopharmakologischer Therapie |
Hyponatriämie |
|
Ätiologisch ungeklärte Kopfschmerzen |
|
Katatonie |
|
Andere komorbide Autoimmunerkrankungen |
Bei einer akut-subakuten, polymorphen, psychotischen Symptomatik sollte differenzialdiagnostisch an eine immunologische Psychose gedacht werden – vor allem dann, wenn folgende Warnzeichen gegeben sind:
-
katatone Symptome
-
Dyskinesien (orofazial, an den Extremitäten)
-
epileptische Anfälle, faziobrachiale dystone Anfälle
-
Vigilanzstörungen
-
autonome Instabilität
-
Sprachstörungen: Aphasie und Dysarthrie
-
fokale neurologische Defizite
-
Kopfschmerzen/Fieber (insbesondere prodromales Auftreten)
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Internationale Konsensbemühungen bei der Operationalisierung immunologischer Psychosen
Das oben beschriebene klinische Bild repräsentiert einen klassischen „neuropsychiatrischen Phänotyp“, der unmittelbar den Verdacht einer organischen Genese der Symptomatik begründen wird, wenn er in seiner ganzen Fülle auftritt, etwa in Kombination mit epileptischen Anfällen. Die klinische Erfahrung zeigt aber, dass in vielen Fällen auch nur wenige oder einzelne der Warnzeichen auftreten. Auch wenn epileptische Anfälle oder Dyskinesien als Nebenwirkungen einer zuvor initiierten psychotropen Medikation fehlgedeutet werden, kann auch eine klar neuropsychiatrische Präsentation im Sinne einer primär-idiopathischen Verursachung fehlgedeutet werden [6].
Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeit bei der klinischen Identifizierung entsprechender Fälle wurde im Rahmen internationaler Konsensbemühungen das klinische Bild einer möglichen, wahrscheinlichen und sicheren immunologischen bzw. autoimmunen Psychose operationalisiert (vgl. die folgenden Infokästen; modifiziert und übersetzt von den Autoren nach [7]).
Operationalisierung einer möglichen immunologischen Psychose nach [7]
Der Patient muss gegenwärtig an psychotischen Symptomen mit abruptem Beginn (schnelle Progression < 3 Monate) leiden und wenigstens einen der folgenden Punkte aufweisen:
-
gegenwärtig oder kürzlich diagnostizierte Tumorerkrankung
-
Bewegungsstörung (Katatonie oder Dyskinesie)
-
unerwünschte Reaktion auf Antipsychotika, die den Verdacht auf ein malignes neuroleptisches Syndrom (Rigidität, Hyperthermie oder erhöhte Kreatinkinase) aufkommen lassen
-
schwere oder unverhältnismäßige kognitive Dysfunktion
-
ein vermindertes Bewusstseinsniveau
-
das Auftreten von Krampfanfällen, die nicht durch eine zuvor bekannte Krampfanfallerkrankung erklärt werden können
-
eine klinisch bedeutsame autonome Funktionsstörung (abnormaler oder unerwartet schwankender Blutdruck, Temperatur oder Herzfrequenz)
Kann nach dieser Operationalisierung die Diagnose einer möglichen immunologischen Psychose gestellt werden, so werden gemäß Konsensempfehlungen folgende diagnostische Untersuchungen im Sinne eines Standardprozederes empfohlen: EEG, MRT, Liquoranalyse (inklusive Testung auf antineuronale Antikörper) und verschiedene Laboruntersuchungen (vgl. [Tab. 3]).
Modalität |
Konsens-Empfehlung (nach [7]) |
S3-Leitlinien [8] |
Freiburger Protokoll (partiell beschrieben in [9]) |
Anmerkungen |
EEG |
Keine Spezifikation |
Keine Spezifikation |
32-Kanal klinisches Routine EEG |
|
MRT |
FLAIR-Sequenzen |
T1-, T2-, FLAIR-Sequenzen, bei Auffälligkeiten weiterführende Diagnostik mit Kontrastmittel-MRT (bei nicht Verfügbarkeit oder Kontraindikationen für eine MRT Untersuchung: CCT) |
FLAIR axial + FLAIR coronar “hippocampal view”, T2 coronar, DWI axial und coronar, T2* axial oder SWI, T1-MPRAGE (1x1x1 mm); bei spezifischen Verdacht mit Kontrastmittel |
Eine CT Untersuchung erscheint nicht geeignet, um immunologische Prozesse mit hinreichender Sicherheit zu beurteilen |
Liquor (CSF) |
Routine und antineuronale Antikörper |
Keine Spezifikation |
Routine und antineuronale Antikörper (bei spezifischem Verdacht kann eine Bestimmung der Antikörperbindung auf nativen murinen zerebralen Gewebsschnitten hilfreich sein) |
|
Labor |
Anti-neuronale Antikörper |
Obligat: Differenzialblutbild Nüchternblutzucker und ggf. HbA1c GPT, Gamma-GT Kreatinin/eGFR Natrium, Kalium, Calcium BSG/CRP Schilddrüsenparameter (initial TSH) Fakultativ: Creatininkinase (CK), Rheumatologisches Labor, Eisen- und Kupferstoffwechsel, Vitamin B1, B6, B12, Serologie für wichtige Infektionserkrankungen (HIV, Hepatitis, Lues, etc.)… |
Routine: Blutbild, Elektrolyte, Nieren/Leberwerte, Schilddrüsenhormone, CRP, HBA1c, Lipide, U-Status, Vitamin B12, Folsäure, Vitamin D, Selen; Lues-, Borrellienserologie, anti-TPO, TG and TRAK, Rheuma-Screening: IgA, IgG, IgM, Immunfixation; CH 50, C3, C4, C3 D, Antiphospholipid AK, ANA-IF-Screening (falls ANA Screening positiv: ENA Spezifikation: anti-dsDNA, Histone, rib. P-Proteine, snRNP, Sm, SS-A/Ro, Ro-52, SS-B/La, Scl-70, PM-SCL, Jo-1, Zentromere, PCNA; Nukleosomen, DFS-70), ANCA-IF-Screening (falls positiv Testung auf MPO, PR3), Alpha-Galaktosidase, Antineuronale Antikörper gegen: Hu, Yo, Ri, CV2 /CRMP5, Amphiphysin, Ma1, Ma2, SOX1, GAD65, Tr(DNER), Zic4; VGKC (LGI1, CASPR2), GABA B, NMDA-R, AMPA 1 und AMPA 2; Aquaporin4, MOG |
Hyponatriämie kann auf LGI1 Enzephalitis hinweisen |
FDG-PET |
Keine Spezifikation |
Keine Spezifikation? |
Bei spezifischem Verdacht |
Bei der Betrachtung der verschiedenen Empfehlungen muss berücksichtigt werden, dass die Trennung der psychiatrischen Disziplinen von der somatischen Medizin in den verschiedenen Ländern der Welt unterschiedlich weit fortgeschritten ist. So kann es in vielen Ländern durchaus schwierig sein, im psychiatrischen Versorgungssetting überhaupt eine EEG- oder Liquoruntersuchung zu organisieren, während dies in den meisten deutschen psychiatrischen Versorgungskrankenhäusern möglich ist. Diese internationale Perspektive erklärt die gestufte Vorgehensweise der internationalen Konsensgruppe.
Bei einer möglichen immunologischen Psychose sollten nach internationalem Konsens MRT-, EEG- und Liquoruntersuchungen durchgeführt werden.
Auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse sollte dann die Diagnose einer wahrscheinlichen oder definitiven Psychose gestellt oder zurückgewiesen werden.
Operationalisierung einer wahrscheinlichen immunologischen Psychose (nach [7])
Der Patient muss eine mögliche Autoimmunpsychose (s. o.) haben und
-
mindestens einen der folgenden Punkte:
-
Liquor-Pleozytose von > 5 weißen Blutkörperchen per μl
-
fokale bilaterale Hirnanomalien (in den T2-gewichteten FLAIR MRT-Sequenzen) im Bereich der medialen Temporallappen
-
-
oder 2 der folgenden Punkte:
-
EEG: Enzephalopathische Veränderungen (d. h. Spitzen, Spike-Wave-Aktivität oder rhythmische Verlangsamung [intermittierende rhythmische Delta- oder Theta-Aktivität]), fokale Veränderungen oder „Extreme Delta-Brush“
-
oligoklonale Banden im Liquor oder erhöhter IgG-Index
-
Vorhandensein eines anti-neuronalen Antikörpers im Serum (der mit einem zellbasierten Assay nachgewiesen wurde)
-
Nach Ausschluss von Alternativdiagnosen.
Operationalisierung einer sicheren immunologischen Psychose (nach [7])
Der Patient erfüllt die Kriterien einer wahrscheinlichen immunologischen Psychose und es wurden antineuronale IgG-Antikörper im CSF nachgewiesen.
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Pragmatische Aspekte in der Diagnostik möglicher immunologischer Psychosen
In der klinischen Praxis müssen die diagnostischen Maßnahmen meist in Kooperation mit der Neurologie durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch sinnvoll, mit der Operationalisierung einer möglichen Autoimmunenzephalitis nach aktuellem internationalem neurologischen Konsens vertraut zu sein (s. Kasten). Aus der Darstellung wird ersichtlich, dass aus neurologischer Perspektive das Verlaufskriterium einer akuten/subakuten Dynamik entscheidend ist, um bei letztlich jedweder relevanten neurokognitiven, psychischen oder persönlichkeitsalterierenden Symptomatik eine umfassende Diagnostik inklusive MRT und Liquoruntersuchung zu indizieren. Lediglich auf die EEG-Untersuchung wird nicht explizit, sondern nur implizit im Kontext der Erwähnung der Epilepsiediagnostik abgehoben. Insbesondere im Hinblick auf die kritische Durchführung einer Untersuchung des zerebralen Liquors besteht jedoch Einvernehmen.
Definition einer möglichen Autoimmunenzephalitis nach aktuellen neurologischen Konsenskriterien [8] [10]
Die Diagnose erscheint möglich, wenn alle 3 der folgenden Kriterien zutreffend sind:
-
Subakuter Beginn (schnelle Progression innerhalb < 3 Monaten) von:
-
Merkfähigkeitsstörung
-
qualitativer oder quantitativer Bewusstseinsstörungen
-
Lethargie
-
Wesensänderung/Persönlichkeitsveränderungen oder
-
anderer psychischer Symptome
-
-
Mindestens einer der folgenden Punkte:
-
neu aufgetretene fokale neurologische Defizite
-
neu aufgetretene epileptische Anfälle
-
lymphozytäre Pleozytose im Liquor (> 5 Zellen/μl)
-
MRT-Merkmale, die auf eine Enzephalitis hindeuten: hyperintenses MRT-Signal in T2- oder FLAIR-Sequenzen, mesiotemporal betont (limbische Enzephalitis) oder in multifokalen Bereichen, welche die graue Substanz, die weiße Substanz oder beides umfassen.
-
-
Ausschluss anderer Krankheitsursachen wie infektiöse Enzephalitis (neurotrope Viren: z. B. CMV, EBV, HSV, Influenza, Masern, Mumps, Röteln, VZV; andere Krankheitserreger: z. B. Borrelien, Chlamydien, Mykoplasmen, Candida albicans und Toxoplasma gondii) oder Sepsis, rheumatische Erkrankungen (z. B. Lupus erythematodes, Sarkoidose), metabolische und toxische Enzephalopathien (z. B. hepatisch, renal), mitochondriale Erkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Tumoren, Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung.
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Bewertung der zur Verfügung stehenden diagnostischen Verfahren
Aus klinischer Sicht sind insbesondere die EEG- und Liquoruntersuchungen von hoher Bedeutung für die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass im konkreten Fall aus ursächlicher Sicht eine immunologische Psychose vorliegen könnte. Zwar können in Einzelfällen sowohl MRT als auch EEG und Liquoruntersuchungen bei Patienten mit immunologischen Psychosen unauffällig sein, nach den aktuell vorliegenden Daten aus Fallsammlungen ist dies aber beim MRT deutlich häufiger der Fall als beim Liquor und EEG-Befund.
Finden sich in der derart gestalteten Diagnostik keine eindeutigen Befunde, die die Diagnose einer klinisch sicheren immunologischen Psychose begründen, so kann eine FDG-PET-Untersuchung ein weiteres hilfreiches Instrument zur Objektivierung eines Befundes im Sinne einer immunologischen Enzephalitis sein [11] [16]. Auch können bei negativem Befund bei der Antikörpersuche im Serum und Liquor Spezialuntersuchungen auf fixierten/unfixierten Mäusehirnschnitten helfen, bislang noch unbekannte Antikörper zu detektieren, die sich dann meist gegen neuronale oder auch vaskuläre zerebrale Strukturen richten [12]. Auch kann insbesondere dann, wenn Antikörper mit spezifischer Assoziation zu Tumorleiden gefunden werden, eine Tumorsuche indiziert sein. [Abb. 1] illustriert das pragmatische Vorgehen bei der Diagnostik im klinischen Alltag.


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Therapeutische Implikationen
Bei Diagnose einer immunologischen Psychose sollte nach allgemeinem klinischem Konsens eine Immuntherapie erwogen werden.
Die Behandlungsversuche der Immuntherapie bei immunologischen Psychosen sind off-label und benötigen entsprechend eine sorgfältige Aufklärung.
Initial wird oft eine Steroidpulsbehandlung eingesetzt (mit z. B. 500–1000 mg Methylprednisolon über 3–5 Tage). Zu den Erstlinientherapien zählen auch die Plasmapherese und intravenöse Immunglobuline.
Zu den Zweitlinienverfahren gehören Rituximab und Cyclophosphamid, wobei Rituximab zunehmend wichtiger wird [9] [11] [12] [13] [14] [15]. Während ein Therapieversuch mit Kortison dabei auch im klassischen Setting der Psychiatrie meist gut umgesetzt werden kann, muss bei weiterer Therapieeskalation die Zusammenarbeit mit der Neurologie, Immunologie und Nephrologie gesucht werden. Ohnehin empfiehlt es sich, interdisziplinäre Strukturen zur umfassenden gemeinsamen diagnostischen und therapeutischen Behandlungsplanung zu etablieren, da es sich bei vielen der betroffenen Fälle um oft recht komplexe und schwer zu behandelnde Patienten handelt.
Ein fehlendes Ansprechen auf einen Behandlungsversuch mit Kortison schließt die Diagnose einer immunologischen Psychose nicht sicher aus.
Gleichzeitig muss ebenfalls betont werden, dass die Diagnose einer immunologischen Psychose nicht bedeutet, dass eine klassische symptomatische medikamentöse Therapie mit den verschiedenen psychotropen Medikamenten (Neuroleptika, Antikonvulsiva, Benzodiazepine, Antidepressiva etc.) nicht erfolgreich sein kann. Auch wenn extrapyramidal-motorische Symptome als Nebenwirkung einer Therapie mit Neuroleptika als Warnsignal für das Vorliegen einer immunologischen Psychose gelten, so kann daraus sicher nicht geschlossen werden, dass Neuroleptika bei anderen Patienten mit entsprechenden sekundären Psychosen nicht sehr gut wirken können und auch gut vertragen werden. Hier wird die klinische Forschung der kommenden Dekaden sicher noch viele interessante Ergebnisse hervorbringen.
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Autorinnen/Autoren
Ludger Tebartz van Elst


Prof. Dr. Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leitender Oberarzt, Leiter der Sektion experimentelle Neuropsychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Freiburg. Forschungsschwerpunkte: Neurobiologie und Psychotherapie autistischer und schizophreniformer Syndrome, Affektive Neurowissenschaft, Visuelle Neurowissenschaft, Brain Imaging, MRI Morphometrie, EEG/fMRI, MR-Spektroskopie, Neurophilosophie: Neurobiologie der Freiheit.
Dominique Endres


PD. Dr. Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Freiburg. Klinisch-wissenschaftlicher Schwerpunkt: Immunologische Enzephalopathien in der Psychiatrie, Zwangsstörungen, Entwicklungsstörungen, Bildgebung, Liquormarker.
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Acknowledgement
D. Endres wird unterstützt durch das Berta-Ottenstein-Programm für Advanced Clinician Scientists der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg.
-
Literatur
- 1 Roeder F. Über die serologische Diagnostik der Schizophrenie aus dem Liquor nach der Methode von Lehmann-Facius. Z Gesamte Neurol Psychiatr 1939; 165: 462-467
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Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
02 November 2020
© 2020. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
-
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