Schlüsselwörter
Sonografie - traumatisch - periphere Nerven
Key words
Sonography - traumatic - nerve lesion
Einleitung
Läsionen peripherer Nerven treten bei Traumata relativ selten in etwa
2–3% der Fälle auf [1].
Betroffen sind besonders jüngere Menschen mit einem Altersgipfel Mitte des
4. Lebensjahrzehnts [2]. Der Ausfall der Funktion
eines peripheren Nervs stellt eine erhebliche Beeinträchtigung für
die Patienten mit langfristigen persönlichen, aber auch
sozioökonomischen Konsequenzen dar [3].
Eine möglichst frühzeitige Klassifikation des Läsionsgrades
und damit die Einschätzung der Prognose sind von hoher Bedeutung, da das
Zeitfenster, in dem eine Reinnervation überhaupt möglich ist,
limitiert ist. Gründe hierfür sind irreversible Umbau-Prozesse
sowohl am Nerv als auch am Muskel [4]. Dieses
Zeitfenster liegt beim Menschen erfahrungsgemäß bei etwa 18 Monaten,
prospektive Daten zu diesem Thema liegen bisher nicht vor. Die Diagnostik
traumatischer Nervenläsionen muss also zum Ziel haben, die Patienten mit
einer ungünstigen Prognose zu identifizieren, um sie möglichst
früh einer ggf. erforderlichen rekonstruktiven chirurgischen Therapie
zuführen zu können. Die Neurophysiologie mit Elektroneurografie
(ENG) und Elektromyografie (EMG) ist eine bewährte Methode, um die Funktion
des verletzten Nervs zu beurteilen. Für eine übersichtliche
Darstellung der neurophysiologischen Diagnostik bei traumatischen
Nervenläsionen sei auf eine 2012 in dieser Zeitschrift
veröffentlichte Übersicht verwiesen [5]. Einige wichtige Aspekte traumatischer Nervenläsionen entgehen
einer rein funktionellen Betrachtung jedoch und können nur durch
zusätzliche Untersuchungen der Morphologie des Nervs erfasst werden. Fragen
wie der Kontinuitätserhalt, die Entwicklung einer intraneuralen Fibrose, der
Bezug zu Knochenfragmenten oder zu Osteosynthesematerial, das Vorliegen von
Mehretagenverletzungen oder die Verlaufsbeurteilung nach einer operativen Therapie
können nur mithilfe der Bildgebung beantwortet werden. Aufgrund der leichten
Verfügbarkeit und der durch den technologischen Fortschritt mittlerweile
sehr hohen Auflösung ist die Sonografie hier die führende Methode.
Bevor all die o.g. Fragen im Einzelnen betrachtet werden, soll ein kurzer
Überblick über die Klassifikation von traumatischen
Nervenläsionen das Verständnis der einzelnen Befundkonstellationen
erleichtern.
Klassifikation von traumatischen Nervenläsionen
Die in der Neurologie am weitesten verbreitete Einteilung traumatischer
peripherer Nervenläsionen ist die nach Seddon [6]. Dies liegt daran, dass diese Einteilung gut
neurophysiologisch erfasst werden kann. Es werden Neurapraxie, Axonotmesis und
Neurotmesis unterschieden. Die Neurapraxie ist die leichteste Form der
Verletzung. Sie entsteht üblicherweise durch Kompression und stellt eine
fokale Myelinstörung mit Leitungsblock dar. In solchen Fällen
ist die Prognose günstig und es tritt durch Remyelinisierung in der
Regel eine Vollremission innerhalb weniger Wochen ein. Kommt es zu einer
Schädigung von Axonen, so wird von einer Axonotmesis gesprochen, die je
nach Ausmaß von partiell bis total reichen kann. Die Kontinuität
des Nervs ist hierbei allerdings erhalten, Reinnervationsprozesse können
durch kollaterales Aussprossen oder durch Axonwachstum je nach Ausmaß
der Läsion im weiteren Verlauf zu einer Besserung bis Remission
führen. Bei der Neurotmesis hingegen liegt eine
Kontinuitätsunterbrechung vor. Derartige Läsionen zeigen
keinerlei Verbesserung im Verlauf. Vollständige Axonotmesis und
Neurotmesis können allerdings neurophysiologisch nicht unterschieden
werden. Diese diagnostische Lücke kann mithilfe der Sonografie
geschlossen werden. Eine deutlich genauere und prognostisch relevantere
Klassifikation wurde von Sunderland vorgelegt [7]. Da die Unterscheidung der verschiedenen Läsionsgrade
dieser Klassifikation neurophysiologisch nicht möglich ist, ist sie
unter Neurologen nicht so verbreitet wie die Einteilung nach Seddon. Bei
Sunderland werden 5 verschiedene Grade von Läsionen unterschieden, wobei
Grad 1 der Neurapraxie und Grad 5 der Neurotmesis entsprechen. Die Grade
2–4 klassifizieren den qualitativen Schaden der intraneuralen
Binnenarchitektur, unabhängig von der Anzahl der betroffenen Axone. Grad
2 entspricht einer Läsion mit axonalem Schaden bei erhaltenem
Endoneurium, Grad 3 einer Läsion mit zerstörtem Endoneurium bei
erhaltenem Perineurium und Grad 4 einer Läsion mit zusätzlich
destruiertem Perineurium. Eine Grad 2-Läsion weist aufgrund der
erhaltenen Leitstrukturen und der geringen Fibrose im Nerv eine sehr
günstige Prognose auf, wohingegen Grad 3-Läsionen durch
Fibroseentwicklung und eingeschränkter Penetration aussprossender Axone
durch die Läsion bereits eine intermediäre Prognose zeigen. Grad
4-Läsionen haben aufgrund der weitreichenden Zerstörung der
intraneuralen Binnenarchitektur trotz erhaltener Kontinuität eine sehr
ungünstige Prognose. Diese unterschiedlichen Situationen können
bedingt sonografisch unterschieden werden.
Läsionsklassifikation durch Sonografie im frühen Verlauf nach
Trauma
In einer kürzlich publizierten Studie wurden Patienten mit
Humerus-Schaft-Fraktur und Radialisläsion 2–11 Tage nach dem
Trauma untersucht, wobei in 87% der Fälle eine gute
Untersuchungsqualität beschrieben wurde [8]. Prinzipiell ist die Sonografie in den ersten Tagen nach einem
Trauma oft schwierig, da eine Schwellung durch Hämatome und
Gewebsödem die Eindringtiefe erheblich erhöhen kann und
Fixateure, Verbände, OP-Wunden sowie schmerzbedingte Bewegungs-und
Lagerungseinschränkungen die Untersuchung erschweren. Dies ist jedoch
unproblematisch, da bei stumpfen Nervenläsionen ohnehin keine Indikation
für eine operative Maßnahme vor Ablauf von mindestens 3 Wochen
besteht. Die Untersuchung zu diesem etwas späteren Zeitpunkt ist daher
häufig sinnvoller. Die verschiedenen o.g. Läsionsgrade zeigen
bereits unmittelbar nach dem Trauma eine typische sonomorphologische Signatur.
Bei einer reinen Myelinstörung im Sinne einer Grad 1-Läsion
finden sich sonografisch keinerlei Auffälligkeiten ([Abb. 1a]). Demgegenüber weisen axonale
Schädigungen eine Verplumpung der einzelnen Faszikel mit einer Zunahme
der Gesamtquerschnittsfläche (CSA) am Läsionsort auf ([Abb. 1b]). Kommt es zu einer schwereren
Gewalteinwirkung mit Läsionsgrad 3 oder 4, so erlischt die gesamte
faszikuläre Textur des peripheren Nerv und es kommt zu einer echoarmen
Auftreibung ([Abb. 1c]).
Selbstverständlich kommen auch heterogene Läsionen vor, bei
denen unterschiedliche Faszikel eines Nervs verschiedene Läsionsgrade
aufweisen können ([Abb. 1d]).
Gelegentlich können über die morphologische Konstellation auch
Rückschlüsse auf den Läsionsmechanismus gezogen werden.
Traktionsverletzungen können bspw. zu Elongationen mit Schlaufenbildung
führen ([Abb. 1e]). Mit Ausnahme der
Inching-Methode gibt es kein neuropyhsiologisches Verfahren, das in der Lage
ist, den exakten Läsionsort zu definieren. Sonografisch gelingt dies in
der Regel durch Nachweis der genannten Veränderungen problemlos. Die
genaue Kenntnis des Läsionsorts ist für die Prognose bzgl. der
Dauer einer Reinnervation durch Axonwachstum und damit das Timing weiterer
Kontrolltermine von Relevanz. Einen wesentlichen Zugewinn zur reinen
neuropyhsiologischen Evaluation bringt jedoch die Klärung der Frage, ob
eine Kontinuitätsunterbrechung vorliegt. Dies soll am Beispiel von 2
recht ähnlichen Fällen mit iatrogener Läsion des Ramus
profundus N.radialis erläutert werden.
Abb. 1
a Neurapraxie. N.radialis bei Läsion am Humerus nach
Motorradunfall 14d nach Läsionszeitpunkt, neurophysiologisch
vollständiger Leitungsblock. Faszikuläre Textur gut
abgrenzbar CSA nicht vergrößert. b Axonotmesis
Grad 2 Sunderland. N.radialis am distalen Oberarm 8d nach
supracondylärer Humerusfraktur, neurophysiologisch Totalausfall,
im Verlauf spontane Vollremission. Verquollene einzelne Faszikel bei
leichter Zunahme der CSA. c Axonotmesis Grad 4 Sunderland.
N.peronäus popliteal 17d nach Traktionsverletzung.
Vollständiger Verlust der neuralen Binnentextur bei
ödematöser Zunahme der CSA, im weiteren Verlauf massive
Kontinuitätsneuromentwicklung. d Heterogene
Läsion des N.medianus mit Neurapraxie und Axonotmesis. 12d nach
Luxation der Ulna klinisch vollständiger Ausfall,
neurophysiologisch partieller Leitungsblock und axonaler Schaden. Die
ulnaren Faszikel sind unauffällig während die radialen
Faszikel verquollen sind. e Elongierter N.peronäus mit
Schlaufenbildung bei Kontinuitätserhaltung (tritt am
oberflächlichen Ende aus der Schallebene) bei Traktionsschaden
nach Kniegelenksluxation mit komplexer Bandverletzung.
Eine 64-jährige Frau unterzieht sich einer kubitalen Lipomentfernung
(Fall 1), ein 50-jähriger Mann einer Refixation der Bizepssehne nach
Sehnenruptur (Fall 2). Postoperativ besteht in beiden Fällen ein
vollständiger Ausfall des Ramus profundus N.radialis distal des
M.extensor carpi radialis longus. In beiden Fällen zeigt die motorische
ENG nach 3 Wochen keine Reizantwort und im EMG findet sich massenhaft
Spontanaktivität ohne jegliche Willküraktivität.
Während im Fall 1 eine Kontinuitätsunterbrechung zur Darstellung
kam ([Abb. 2a] und b) zeigte der Ramus
profundus bei Fall 2 ([Abb. 2c]) einen
Kontinuitätserhalt ohne größere Kaliberschwankung. Fall
1 wurde mit Suralisinterponaten versorgt, während Fall 2 einer
konservativen Therapie zugeführt wurde. Hier kam spontan innerhalb von 3
Monaten eine zunehmend Reinnervation in Gang. Ohne Bildgebung hätten
diese therapeutisch wichtigen Entscheidungen erst im späteren Verlauf
bei Ausbleiben der Reinnervation getroffen werden können.
Abb. 2 Vollständiger Ausfall des N.interosseus posterior
postoperativ A und B Patientin 1, C Patient 2. a
Kontinuitätsunterbrechung Ramus profundus N.radialis. Operativer
Zugangsweg (Dreiecke), der proximale Stumpf (gestrichelter Pfeil) liegt
distal des distalen Stumpfs (solider Pfeil). b Korrespondierendes
intraoperatives Bild im Rahmen der Rekonstruktion (proximaler Stumpf
gestrichelter Pfeil, distaler stumpf solider Pfeil; PD Dr. Spies, PCH
Barmherzige Brüder Regensburg). c Etwas aufgetriebener
und kaliberschwankender kontinuitätserhaltener Ramus profundus
N. radialis.
Die exakte Definition des Läsionsorts und die Unterscheidung zwischen
kompletter Axonotmesis und Neurotmesis sind die wichtigsten Befunde der
frühen Sonografie traumatischer Nervenläsionen.
Sonografie im weiteren Verlauf
Wie oben beschrieben weisen Grad-3 und besonders Grad 4-Läsionen eine
zunehmende intraneurale Fibrose auf, was zur Entwicklung von
Kontinuitätsneuromen führt. Dieser Prozess beginnt nach
histologischen Daten bereits nach 4 Wochen und ist der Grund, warum eine
frühere Rekonstruktion auch bei Läsionen mit
Kontinuitätsunterbrechung nach stumpfem Trauma nicht sinnvoll ist [9]. In diesem Fall werden Stumpfneurome
entstehen, sodass bei einer frühen Naht der beiden stumpf durchtrennten
Enden künftige Neurome zusammen genäht würden. Ein
derartiges Vorgehen geht in der Regel mit einer sehr schlechten Prognose einher,
weshalb stumpfe Läsionen erst nach Ausprägung der Stumpfneurome
mittels Resektion der Neurome und anschließender
Defektüberbrückung durch Interponate behandelt werden sollten.
Auch sonografisch kann bei höhergradigen Läsionen mit
Kontinuitätsneuromentwicklung bereits nach 3 Wochen eine Auftreibung an
der Läsionsstelle beobachtet werden. Diese meist spindelförmige
Auftreibung zeigt im weiteren Verlauf eine zunehmende Ausdehnung, die nach etwa
3 Monaten stagniert (eigene Beobachtungen). Prospektive Daten zum Wachstum von
Kontinuitätsneuromen liegen bisher nicht vor. In einer retrospektiven
Studie an 18 Patienten konnte gezeigt werden, dass das Outcome allerdings nicht
mit dem Ausmaß des Kontinuitätsneuroms korreliert [10]
[Abb. 3] zeigt ein Neurom mit schlechtem
Outcome und ein Neurom mit Kraftgrad 5- Outcome. Der Nachweis eines Neuroms ist
aus diesen Gründen nicht als prognostischer Faktor geeignet. Findet sich
jedoch kein Neurom, so hat dieser Befund einen hohen positiv prädiktiven
Wert für ein gutes spontanes Ergebnis. Wie im vorangegangenen Abschnitt
bereits dargestellt, liegen oft heterogene Verletzungsmuster innerhalb eines
Nervs mit verschiedenen Läsionsgraden unterschiedlicher Faszikel vor.
Isolierte Kontinuitätsneurome einzelner Faszikel können
ebenfalls sonografisch erfasst werden. Dies ist von Relevanz, da in solchen
Fällen aus der erfolgreichen Regeneration einer Muskelgruppe nicht
automatisch auf eine günstige Prognose in Bezug auf den gesamten Nerv
rückgeschlossen werden kann ([Abb.
3c]) und ggf. eine selektive chirurgische Rekonstruktion einzelner
Faszikel (sogenannter Split-Repair) erforderlich werden kann. In der Praxis kann
bei Nachweis eines Neuroms mit kurzer Reinnervationsstrecke der Verlauf
abgewartet werden und die zeitgerechte Reinnervation klinisch und
elektrophysiologisch überwacht werden. Bei fehlender Reinnervation
bleibt dann noch ausreichend Zeit, sekundär eine rekonstruktive
Operation einzuleiten. Liegt die Läsion allerdings sehr weit proximal,
käme im Falle einer ausbleibenden Reinnervation ein sekundärer
operativer Eingriff aufgrund der langen Dauer bis zur potenziellen Reinnervation
zu spät. Eine Läsion des N.medianus bei subkapitaler
Humerusfraktur wäre ein solches Beispiel, da die Strecke bis zum
proximalsten Muskel, dem M.pronator teres, meist über 20 cm
beträgt und daher die Reinnervation durch Axonwachstum hier erst nach
etwa 7 Monaten eintreffen kann. Findet sich in einer derartigen Konstellation
ein Kontinuitätsneurom, so wäre aufgrund der unklaren Prognose
eine operative Inspektion mit idealerweise intraoperativer Sonografie und
selektiver faszikulärer Neurografie anzuraten, um auf diese Weise eine
optimale Entscheidung bezüglich Rekonstruktion oder reiner Neurolyse
treffen zu können.
Abb. 3
a Kontiunitätsneurom des N.medianus handgelenksnah mit
völlig ausgebliebender Reinnervation. b
Kontinuitätsneurom des N.ulnaris im mittleren Unterarm-Drittel
nach Luxationsfraktur. Kraftgrad 5- spontan nach 10 Monaten. c
Monofaszikuläres Kontinuitätsneurom eines
oberflächlichen Faszikel bei kontusioneller Läsion des
N.ulnaris am Ellenbogen.
Findet sich sonografisch im zeitlichen Verlauf kein
Kontinuitätsneurom, so kann von einer günstigen Prognose
ausgegangen werden. Im Falle einer Kontinuitätsneuromentwicklung ist
die Prognose unklar und es sollte eine chirurgische Exploration in
Erwägung gezogen werden.
Kontakt zu Knochenfragmenten oder zu Osteosynthesematerial
Prinzipiell ist es für die Prognoseabschätzung einer
Nervenläsion von Relevanz, ob der Nerv persistierend komprimiert wird.
Dies kann durch Knochenfragmente bei einer Fraktur der Fall sein. Tritt eine
Nervenläsion erst nach einem operativen Eingriff auf, stellt sich stets
die Frage, ob der Nerv durch Osteosynthesematerial komprimiert wird.
Kompressionen durch Platten, lazerierende Schäden durch Schrauben oder
Kirschner-Drähte und sogar strangulierende Läsionen durch
Draht-Cerclagen kommen vor. Der bloße Kontakt mit Fremdmaterial oder
Knochenfragmenten ist allerdings in Bezug auf die Prognose nicht in jedem Fall
relevant. Kommt es zu signifikanten Kaliberschwankungen an der Lokalisation des
Kontakts, ist von einer höhergradigen Läsion mit
ungünstiger Prognose auszugehen. Hingegen könne Nerven trotz
Kontakt zu Osteosyntheseplatten ein gutes Outcome aufweisen, wenn sie kein
relevantes Kontinuitätsneurom zeigen, wie im Folgenden anhand zweier
Beispiele illustriert wird.
Zwei Patientinnen werden mit einem nach operativer Versorgung aufgetretenen
klinisch und neurophysiologisch vollständigen Ausfall des N.radialis
vorgestellt. Eine 64-jährige kommt 5 Monate nach einer
Marknagelversorgung, eine 63-jährige einen Monat nach Versorgung mit
einer Platte. Im ersten Fall zeigte sich ein Bezug des N.radialis zu distalen
Verriegelungsschrauben des Marknagels, indem die proximalere Schraube den Nerv
tangiert und distalere Schraube den Nerv lazerierte ([Abb. 4]). Diese Patientin wurde einer
Versorgung mittels Rekonstruktion durch Suralisinterponate zugeführt.
Bei der zweiten Patientin zeigte sich eine Verlagerung des N.radialis am Humerus
durch die Osteosyntheseplatte mit teilweiser Eindellung des Nervs. Hier zeigte
sich allerdings kein nennenswertes Kontinuitätsneurom bei nur
über einen kurzen Abschnitt erloschener neuraler Binnentextur ([Abb. 5]). In diesem Fall wurde ein konservativ
beobachtendes Vorgehen gewählt, woraufhin die Patientin im Verlauf
Kraftgrad 5 ohne operative Maßnahme erreichte.
Abb. 4
a Marknagel bei Humerusfraktur, im Kreis die beiden distalen
Verriegelungsschrauben. b Querschnitt auf Höhe der
proximaleren Schraube. Echoreich der Reflex der Schraube (Pfeil)
unmittelbar neben dem echoarmen N.radialis (offene Pfeilspitze).
c Querschnitt auf Höhe der distaleren Schraube.
Echoreich der Reflex der Schraube (Pfeil) innerhalb des echoarmen
N.radialis (Pfeilspitze). d Längsschnitt des echoarm
aufgetriebenen N.radialis mit den Reflexen der Schraubenköpfe
(Pfeile) nach distal in einen regelrechten faszikulären
N.radialis übergehend. e Introperativer Befund des
N.radialis (angeschlungen) und der beiden Verriegelungsschrauben
proximal offene, distal gefüllte Pfeilspitze (Foto PD Dr. Spies,
PCH Barmherzige Brüder Regensburg).
Abb. 5
a N.radialis im Längsschnitt, der Nerv wird ohne
größere Kaliberänderung von der echoreichen
Osteosynthese-Platte z. T. aus der Schall-Ebene verdrängt.
b N.radialis im Querschnitt ohne neurale Binnentextur, CSA
mit 0.19 cm2 nur mäßig pathologisch
aufgetrieben. Kein Kontinuitätsneurom.
Mehretagenverletzungen
Gelegentlich, v. a. bei komplexen Verletzungen wie Polytraumata, kommt es zu
Läsionen eines Nervs auf verschiedenen Höhen. Dies ist vor allem
für die weitere Versorgung sehr bedeutsam, da aufwendige operative
Maßnahmen zum Scheitern verurteilt sind, wenn eine zusätzliche
Läsion an anderer Stelle am selben Nerv vorliegt. Neurophysiologisch
kann dies meist nicht erfasst werden. Eine sonografische Untersuchung des
gesamten Verlaufs eines verletzten Nervs ist daher sinnvoll, um
Mehretagenverletzungen zu entdecken. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen,
dass bei Läsionen des N.radialis am Hauptstamm
regelmäßig eine zusätzliche Auftreibung des Ramus
profundus in der Supinatorloge zu beobachten ist ([Abb. 6]) [11]. Diese
Veränderung bildet sich im Verlauf der Reinnervation wieder
zurück und stellt eher ein pathophysiologisch nicht erklärbares
Epiphänomen als eine sekundäre 2-Etagen-Verletzung dar.
Abb. 6 Scheinbare 2-Etagen-Läsion. a
N.radialis-Hauptstamm am supracondylär mit Verlust der neuralen
Binnentextur und Schwellung auf CSA 0.16 cm2.
b Fernab der Läsion typische sekundäre
Auftreibung des Ramus profundus in der Supinatorloge auf CSA
0.10 cm2
(nl<0.03 cm2).
Beurteilung des postoperativen Verlaufs
Eine neurophysiologische Verlaufskontrolle ist nach einer rekontruktiven
Maßnahme erst nach Ablauf des erforderlichen Intervalls bis zur
Reinnervation sinnvoll. Erst dann kann funktionell über das EMG die
Reinnervation erfasst werden. Ist die faszikuläre Koaptation schlecht
gelungen, indem bspw. die beiden Stümpfe sich ohne gemeinsame
Kontaktfläche der Faszikel überlagern, so ist die Prognose
dieser Rekonstruktion ungünstig ([Abb.
7]). Im Fall von seltenen insuffizienten Nervennähten kann die
fehlende postoperative Kontinuitätserhaltung nachgewiesen werden ([Abb. 7]). Jede Interponat-Versorgung
führt allerdings im Verlauf an beiden Koaptionsstellen zu
Kontinuitätsneuromen gewissen Ausmaßes. Die
Prognoseabschätzung bei Auftreten solcher Interponat-Adaptations-Neurome
ist, ähnlich wie bei Kontinuitätsneuromen, schwierig.
Abb. 7 Beispiele insuffizienter chirurgischer Rekonstruktionen.
a Nahtdehiszenz mit stumpfem proximalem Ende (Pfeil) eines
mit primärer Nervennaht versorgten N.ulnaris am distalen
Unterarm. b Primäre Nervennaht bei glatter Durchtrennung
des N.ulnaris am Übergang mittleres / distale Unterarmdrittel.
Die Kontinuität ist wiederhergestellt, die Faszikel der beiden
Stümpfe sind jedoch schlecht zugeordnet und haben keine
gemeinsame Kontaktfläche. Der distale Stumpf reitet auf dem
proximalen Stumpf.
Die Sonografie peripherer Nerven liefert besonders bei traumatischen
Läsionen umfangreiche, für die Behandlung der betroffenen
Patienten hoch relevante Zusatzinformationen. Sie ist, wie in den Beispielen
ausgeführt wurde, in der Lage, zahlreiche diagnostische
Lücken zu schließen, die bei einer rein neurophysiologischen
Untersuchung entstehen. Die Sonografie stellt daher ein Werkzeug dar, das
bei der Beurteilung traumatischer peripherer Nervenläsionen heute
nicht fehlen sollte. Wird die Nervensonografie von einem
neuromuskulär und neurophysiologisch Erfahrenen eingesetzt
führt sie über die Synthese klinischer, funktioneller und
morphologischer Aspekte einer Nervenläsion zu optimalen
prognostischen Beurteilungen.