Einleitung
Eine Alkaptonurie ist eine seltene genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung
(Prävalenz 1: 200 000). Durch die Dysfunktion des Enzyms
Homogentinsäure-1,2-Dioxygenase (HGD) fallen größere Mengen
Homogentinsäure (HGA) an. Das Enzym HGD ist in Leber und Niere lokalisiert.
Die nicht ausreichend abgebaute Homogentinsäure (HGA) wird über den
Urin ausgeschieden, was zu einer Dunkelfärbung des Urins führen
kann. Da dieser Kompensationsmechanismus nicht ausreicht, um die anfallende HGA
vollständig zu entfernen, kommt es zu Ablagerungen im Gewebe [1.]
Die Alkaptonurie kann sich durch 3 klinische Stadien manifestieren, die
abhängig von der Krankheitsdauer und somit auch vom Lebensalter auftreten:
die Homogentin-Azidurie (nach der Geburt), die Ochronose (meist zwischen 30 und 50
Jahren) und die Ochronose-Arthropathie.
Im Stadium der Homogentin-Azidurie besteht klinische Beschwerdefreiheit. Die einzige
klinische Manifestation kann dunkler Urin sein. Die HGA oxidiert zu
Benzochinonessigsäure (BQA), das durch Polymerbildung den dunklen Aspekt
bedingt. Eine Ochronose entwickelt sich durch die Ablagerungen von
Homogentinsäure im Gewebe und in Körperflüssigkeiten. Bei
der Ochronose-Arthropathie kommt es durch die HGA Ablagerungen im Gewebe zu
irreversiblen Gelenk- und Wirbelsäulenschäden.
Kausale Therapien existieren nicht. Für den Erhalt der Gelenkfunktion und
Lebensqualität erscheinen multimodale Therapiestrategien von entscheidender
Bedeutung: Bewegungstherapie, Ernährung, psychologische Interventionen,
Maßnahmen zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit, osteologische Therapie
und langfristige Nachsorgeangebote zum Erhalt der körperlichen
Funktionsfähigkeit [1]
[2] Solche multimodalen Therapiestrategien
sind ein zentrales Aufgabenfeld von spezialisierten rheumatologisch- osteologischen
Rehabilitationskliniken.
Ziel dieses Artikels ist es, die klinischen Manifestationen und die Diagnostik
darzustellen. Insbesondere sollen aber auch multimodale
Therapiemöglichkeiten dargestellt werden, wie sie in modernen
Rehabilitationszentren praktiziert werden.
Genetik der Stoffwechselstörung
Bei der Alkaptonurie handelt es sich um eine genetisch bedingte
Stoffwechselstörung des Enzyms Homogentinsäure- 1,2-Dioxygenase
(HGD). Bei mehr als 90% der betroffenen Patienten finden sich
krankheitsursächliche Mutationen in beiden Kopien des HGD-Gens, das auf
dem langen Arm von Chromosom 3 (3q13.33) lokalisiert ist. Es gibt in
Abhängigkeit von der ethnischen Herkunft bestimmte Mutationen, die sehr
häufig vorkommen (sog. founder-Mutationen). Dementsprechend sollte bei
der Erhebung der Familienanamnese auch die Herkunft erfragt werden.
Beispielsweise ist die Alkaptonurie in der Slowakei 10 mal so
häufig wie in Westeuropa [3].
Unter genetischen Aspekten folgt die Alkaptonurie einem autosomal-rezessiven
Erbgang. Bei einer autosomal-rezessiv erblichen Erkrankung muss in beiden
Genkopien (Allelen) eine Mutation vorhanden sein, damit es zur
Ausprägung der Erkrankung kommt. Die Eltern eines betroffenen Kindes
sind in der Regel beide klinisch gesunde Anlageträger (heterozygote
Mutationsträger). Die Wiederholungswahrscheinlichkeit der Krankheit bei
Geschwistern von Betroffenen beträgt 25%. Dementsprechend ist
die Familienanamnese häufig leer, oder die Krankheit ist bei
Geschwistern des Patienten aufgetreten.
Gesunde Geschwister eines Betroffenen sind mit einer Wahrscheinlichkeit von
2/3 wiederum Anlageträger für die Krankheit. Kinder
eines Erkrankten sind obligate Anlageträger, würden jedoch nur
dann klinisch erkranken, wenn der zweite Elternteil ebenfalls
Anlageträger für die Alkaptonurie wäre. Da es sich um
eine seltene Erkrankung handelt, ist die
Anlageträgerschafts-Wahrscheinlichkeit in der Bevölkerung
gering, sodass Kinder eines Betroffenen in der Regel nicht erkranken. Bei
Blutsverwandtschaft zwischen den Partnern oder in Gegenden mit höherer
Prävalenz (s. o.) ist jedoch von einem deutlich höheren
Risiko auszugehen. Neumutationen sind selten.
Biochemische Auffälligkeiten finden sich bei praktisch allen Menschen mit
biallelischen Mutationen im HGD-Gen. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig
mit einer klinischen Symptomatik verbunden. Die klinische Symptomatik korreliert
u. a. mit der Restaktivität des Enzyms, die bei
unterschiedlichen Mutationen sehr unterschiedlich sein kann [2]
[4.]
In [Abb. 1] sind die Abbauprodukte des
Phenylalanin- und des Tyrosinstoffwechsels dargestellt.
Abb. 1 Graphik der Stoffwechselprodukte des Abbaus von
Phenylalanin- und des Tyrosin und Darstellung des betroffenen
Enzyms.
Klinische Manifestationen
Das zentrale Problem der Alkaptonurie ist der massive Anfall von
Homogentinsäure (HGA). Das Stadium der Homogentin-Azidurie kann
asymptomatisch sein oder klinisch durch einen sehr dunklen Urin auffallen. Durch
das nicht ausreichende Kompensationsvermögen der Nieren kommt es zu
Ablagerungen im Gewebe mit konsekutiver Gewebsschädigung. Die meisten
Patienten werden zwischen dem dreißigsten und fünfzigsten
Lebensjahr symptomatisch.
Die HGA-Ablagerungen können die folgenden Gewebe betreffen:
-
Äußerlich sichtbare bradytrophe Gewebe: Augen (Sklera),
Fingernägel, Ohrenknorpel, Haut
-
Skelettsystem: degenerative Gelenk- und
Wirbelsäulenveränderungen, Kalkablagerungen in Sehnen,
Osteoporose
-
Herz: Klappenbefall mit Stenosen und/oder Insuffizienzen
-
Andere Organe: Speicheldrüsen, Schweißdrüsen,
Niere, Prostata, Gallenblase, Larynx, Trommelfell
Äußerlich sichtbare bradytrophe Gewebe
Die Pigmentablagerungen an äußerlich sichtbaren bradytrophen
Geweben können das erste klinische Symptom einer Ochronose sein. [Abb. 2] zeigt typische Ablagerungen an der
Sklera, in [Abb. 3] sind typische
Pigmentablagerungen am Ohr dargestellt und in [Abb. 4] typische Ablagerungen an den Fingernägeln.
Abb. 2 HGA-Ablagerungen an der Sklera
Abb. 3 HGA-Ablagerungen am Ohrknorpel
Abb. 4 HGA-Ablagerungen an den Fingernägeln.
Skelettsystem
Bei der Ochronose kommt es zu HGA-Ablagerungen am Skelettsystem mit der Folge der
Destruktion von Gelenkknorpel und Wirbelsäulenknorpel.
Gelenkschädigungen mit Sekundärarthrosen können die
Folge sein. Betroffen sind meist die großen Gelenke (Hüfte,
Schulter, Knie). An der Wirbelsäule finden sich ausgeprägte
Verkalkungen der Bandscheiben, deren Aspekt typisch für die Ochronose
ist ([Abb. 5]). Enthesopathien
können bei HGA-Ablagerung im Bereich des Sehnen-Knochenübergangs
auftreten [5]
[6]
[7].
Abb. 5 Röntgen der Brustwirbelsäule seitlich.
Typisches Bild einer Ochronose mit ausgeprägten Verkalkungen der
Bandscheiben und ausgeprägten multisegmentalen degenerativen
Wirbelsäulenveränderungen.
Osteoporose
Das Risiko einer Osteoporose scheint bei Patienten mit Ochronose erhöht
zu sein. In einer kleinen Fallserie wurden bei 6 von 7 Patienten eine
erniedrigte Knochendichte und erhöhte Knochenabbauparameter beschrieben
[8]
[9.] In weiteren Studien und Kasuistiken
wird eine Osteoporose beschrieben [7]
[10].
Herz
Homogentinsäure-Ablagerungen an den Herzklappen können zu einer
Sklerosierung mit konsekutiver Stenose oder Insuffizienz führen. Am
häufigsten ist die Aortenklappe, seltener die Mitralklappe betroffen
[10].
Andere Organe
Steinbildungen in Niere, Prostata, Gallenblase und Speicheldrüsen
können auftreten.
Diagnostik
Die erste klinische Manifestation einer Alkaptonurie im Kindesalter kann dunkler
Urin sein. Dieses Symptom wird aber nur in etwa der Hälfte der
Fälle beschrieben [1.]
Der Kliniker sollte bei inadäquaten, degenerativen Wirbelsäulen-
und Gelenkveränderungen im Alter von 30 und 50 Jahren auch an eine
sekundäre metabolische Ursache denken [11.] In Betracht sollten in diesen Fällen unter anderem eine
Ochronose, eine Hämochromatose und eine Chondrocalcinose gezogen werden
[12.]
Die Diagnose Ochronose wird bei typischen klinischen Manifestationen gestellt.
Belegt wird die Diagnose durch den Nachweis exzessiv erhöhter
Homogentinsäurespiegel im Urin.
Eine Humangentische Abklärung ist bei eindeutiger klinischer
Manifestation weniger für die Diagnosestellung beim betroffenen
Individuum als vielmehr für die Abklärung asymptomatischer
Familienmitglieder von Bedeutung.
Medikamentöse Therapie
Eine wirksame kausale medikamentöse Therapie, wie z. B. eine
Enzymersatztherapie, existiert nicht.
Nitisinon (Orfadin®) hemmt das zweite Enzym im Abbau von
Tyrosin, die 4-Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase. Durch die Enzymhemmung kommt es
zu einer erheblichen Erhöhung der Tyrosinkonzentration im Blut. Nitison
ist aktuell nicht für die Behandlung der Alkaptonurie zugelassen.
Tierversuche zeigen bei frühzeitigem Einsatz erniedrigte
HGA-Serumspiegel und deutlich weniger Pigmentablagerungen im Gewebe [13.]
Eine prospektive Studie mit 40 Patienten aus dem Jahr 2011 hatte zwar eine starke
Reduktion der HGA im Urin und Serum gezeigt, eindeutige klinische Effekte
konnten aber nicht nachgewiesen werden. Von den Autoren wurde auf die
Schwierigkeit, klinische Veränderungen in dem relativ kurzen Zeitraum
von 3 Jahren zu erfassen, hingewiesen [10.]
In einer kürzlich publizierten Studie des „United Kingdom
National Alkaptonuria Centre“ (Liverpool) wurde erstmalig eine positive
klinische Wirkung des Nitisinons bei Menschen beschrieben. 39 Patienten mit
Alkaptonurie wurden mit 2 mg Nitisinon pro Tag behandelt und
über einen Zeitraum von 3 Jahren beobachtet. Der klinische Schweregrad
wurde durch einen Score erfasst (Alkaptunuria Severity Score Index), und die
verschiedenen Zeitpunkte wurden miteinander verglichen. Die Autoren folgerten,
dass durch das Medikament der klinische Progress aufgehalten werden kann [14.] Eine weitere Arbeit untersuchte
tierexperimentell und in einer Fallserie von 10 Patienten die Kombination aus
der Therapie mit Nitisinon mit einer phenylalanin- und tyrosinfreien
Diät. Die vorher exzessiv erhöhten Tyrosinspiegel konnten
dadurch gesenkt werden. Die Autoren folgerten, dass eine medikamentöse
Therapie mit Nitisinon mit einer derartigen Diät kombiniert werden
solle. Eine der Hauptgefahren der medikamentös induzieren
Hypertyrosinämie sind Nebenwirkungen am Auge (Keratopathie) [15].
Eine Reihe von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) des Nitisinon
sind bekannt: Zytopenien (Leukozyten, Thrombozyten, Granulozyten), UAW an den
Augen (Konjunktivitis, Keratitis, Hornhauttrübung, Photophobie),
Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Erbrechen etc. Eine zusätzliche
phenylalanin- und tyrosinfreie Diät ist als sehr belastend
einzuschätzen. Im Moment ist noch nicht klar, wie der Stellenwert und
die Risiko-Nutzen-Abwägung der medikamentösen Langzeittherapie
zu sehen sind. Daher sollte eine Therapie nur in Spezialambulanzen und im Rahmen
von Studien durchgeführt werden.
Multimodale Therapie der Ochronose im Rahmen einer stationären
Rehabilitation
Von vielen Autoren werden Physiotherapie, Sporttherapie und Physikalische Medizin
als die entscheidenden Maßnahmen zur Beeinflussung der
Skelettmanifestationen der Ochronose eingeschätzt [1]
[2]
[16]
Im Rahmen einer Rehabilitation werden multimodale Anwendungen
durchgeführt, die aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig in
ihrer Wirkung positiv beeinflussen. Die Maßnahmen einer
3-wöchigen Rehabilitation dürfen dabei nicht isoliert gesehen
werden. Eine sinnvolle Rehabilitation ist ein mehrjähriger Prozess, in
dem die 3-wöchige stationäre Rehabilitation nur der Anfang ist,
der dann im Sinne einer „Reha-Nachsorge“ über die
nächsten Monate ambulant weitergeführt wird. Die
stationäre Rehabilitation ist als ein intensives
„stationäres Trainingszentrum“ zu verstehen, das am
Anfang des Rehabilitations-Prozesses steht. Da im Rahmen der Ochronose ein
Herzklappenbefall auftreten kann, sollte vor einer Rehabilitation eine
Echokardiografie erfolgen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass keine
kardialen Komplikationen durch ein unentdecktes Vitium auftreten.
Im Folgenden werden die einzelnen Maßnahmen im Rahmen eines
übergeordneten Therapiekonzeptes dargestellt und bewertet. Aufgrund der
Seltenheit des Krankheitsbildes gibt es keine spezifischen
Leitlinienempfehlungen für die Ochronose. Für die Folgen des
Krankheitsbildes am Skelettsystem (Arthrose, degenerative
Wirbelsäulenveränderungen) können viele der
Therapieprinzipien aus den S2k-Leitlinien „Gonarthrose“ und
„Coxarthrose“ und aus der Nationalen-Versorgungs-Leitlinie
„Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ für eine
evidenzbasierte Therapieplanung genutzt werden. Dieses ist auch in Bezug auf die
„Reha-Therapiestandards“ „Chronischer
Rückenschmerz“ der Deutschen Rentenversicherung möglich
[17]
[18]
[19]
[20.]
Bewegungstherapie/Sporttherapie
Nordic Walking, Walking, Ergometer-Training und Wassergymnastik werden
eingesetzt. Die Wirkung dieser Anwendungen zur Beeinflussung von chronischen
Wirbelsäulensyndromen ist gut belegt.
Durch die Anwendungen wird die Koordination verschiedener Muskelgruppen
trainiert. Auf die Muskelkraft haben diese Anwendungen meist nur wenig Wirkung.
Beim Nordic Walking werden gegenläufige Bewegungen von Armen und Beinen
durchgeführt. Auf die einzelnen Wirbelsäulensegmente wirken so
repetitiv kleine Rotationsbewegungen, was zum Anspannen und Entspannen der
tiefen monosegmentalen Muskeln im Bereich der gesamten Wirbelsäule
führt. Dadurch sollen sowohl Faszien als auch oberflächliche
multisegmental verlaufende Muskelgruppen der Wirbelsäule positiv
beeinflusst werden. Bewegungstherapie ist zentrales Element aller
Therapiekonzepte bei chronischen Wirbelsäulenschmerzen [20]
Krafttraining
Um einen Kraftzuwachs zu erreichen, müssen Muskelkontraktionen im
Belastungsbereich der „Maximalkraft“,
„Submaximalkraft“ oder mindestens im Bereich von
„Kraftausdauer“ erfolgen. Das bedeutet, dass Muskelkontraktionen
von mindestens 60–70% der Maximalkraft erfolgen müssen.
Bei der Planung der Therapien muss berücksichtigt werden, dass viele
ältere Patienten nicht in der Lage sind, Muskelkontraktionen dieser
Stärke durchzuführen.
Krafttraining erfolgt im Rahmen eines Gerätetrainings (Medizinische
Trainingstherapie). Die meisten Wirbelsäulengymnastik-Programme
beinhalten sowohl Elemente des Krafttrainings als auch der Koordination [17]
[18]
[19]
[20.]
Physiotherapie
Schwere degenerative Veränderungen peripherer Gelenke sind eine der
typischen Manifestationen der Ochronose. Die gelenkführende Muskulatur
reagiert relativ einförmig auf degenerative und entzündliche
Gelenkveränderungen. Eine Gonarthrose bei Ochronose führt
über eine Abschwächung des Musculus Quadriceps und eine
Verkürzung der ischiokruralen Muskulatur zu einer Beugekontraktur.
Dieses hat sowohl für das Gelenk selber als auch für die weiter
kranial liegenden Skelettanteile negative Auswirkungen in Bezug auf die Statik.
Solche Fehlhaltungen sind von besonderer Bedeutung, da die Wirbelsäule
bei der Ochronose auch häufig selber zu deutlichen degenerativen
Veränderungen neigt und somit nicht in der Lage ist, solche
Fehlhaltungen auszugleichen.
Aufgabe der Physiotherapie ist es, muskuläre Dysbalancen und
Störungen der Statik zu identifizieren und individuelle Lösungen
zu erarbeiten. Die Physiotherapeuten vermitteln dem Patienten Übungen,
die er selbstständig täglich weiter durchführt. Bei
schwer destruierten Gelenken reicht eine alleinige Physiotherapie häufig
nicht aus, um die Störung der Statik zu beheben. In diesen
Fällen ist eine endoprothetische Versorgung indiziert. Für die
Physiotherapie im Rahmen der Anschlussrehabilitation (AHB) gelten die genannten
Grundsätze ebenfalls [17]
[18]
[19]
[20]
Information über die Erkrankung
In den letzten Jahren wurden für viele rheumatologische Krankheitsbilder
Schulungen etabliert. Selbst wenn es gelingt, Patienten mit Ochronose gezielt
bundesweit einzelnen spezialisierten Rehabilitationszentren zuzuweisen, so ist
das Krankheitsbild insgesamt so selten, dass regelmäßige
Schulungen in Gruppen kaum denkbar sind. Die Autoren dieses Artikels nutzen
einen Übersichtsartikel [1] als
Informationsschreiben für Patienten und führen individuelle
Einzelschulungen durch.
Psychologische Interventionen
Die stark fortschreitenden degenerativen Veränderungen des Skelettsystems
bei geringem Alter können bei Patienten zu Zukunftsängsten,
einer eingeschränkten Lebensqualität oder zu reaktiven
Depressionen führen. Es ist wichtig, die psychischen Probleme in die
Planung mit einzubeziehen. Um diese nicht zu übersehen, empfiehlt es
sich, ein wissenschaftlich validiertes 2-stufiges Verfahren anzuwenden:
Screening-Test und nachgeschaltete Exploration. Ein häufig eingesetzter
Screening-Test für Angst und Depression ist der PHQ-4. Vier Fragen
werden auf einer vierstufigen Skala bewertet. Der Test ist sehr
zeit-ökonomisch einzusetzen [21].
Psychologische Interventionen können im Rahmen von Gruppenanwendungen
oder Einzelgesprächen erfolgen. Grundsätzlich führen
viele rheumatologische Rehabilitationskliniken psychologische Gruppenanwendungen
zur Krankheitsverarbeitung und zu krankheitsbedingten beruflichen Problemen
durch. Gruppeneffekte werden dabei therapeutisch genutzt, der Kontakt von
Patienten untereinander hergestellt. Aufgrund der Seltenheit des
Krankheitsbildes sind krankheitsspezifische Gruppenanwendungen nicht denkbar.
Psychische Probleme, die aus Einschränkungen in Beruf und Alltag
resultieren, können aber durchaus in Gruppen bearbeitet werden, da dabei
nicht das spezifische Krankheitsbild, sondern die sozialen Folgen im Vordergrund
stehen. Es geht darum, Ziele zur beruflichen Reintegration zu erarbeiten und
Strategien zu entwickeln, mit Stress umzugehen. Psychologische
Einzelgespräche sollten idealerweise durch einen Therapeuten
geführt werden, der spezifische Kenntnisse über das vorliegende
Krankheitsbild hat. Hierfür ist es wichtig, dass das gesamte
Rehabilitationsteam regelmäßig auch in Bezug auf seltene
Krankheitsbilder geschult wird.
Ernährungstherapie
Bei der Alkaptonurie kumuliert HGA im Körper. Die HGA ist ein
Stoffwechselprodukt der Aminosäure Tyrosin (TYR), welche wiederum aus
Phenylalanin (PHE) entsteht ([Abb. 1]).
Daher kann die Hypothese aufgestellt werden, dass eine verringerte Aufnahme von
Tyrosin und Phenylalanin über die Ernährung zu einer
verminderten Produktion von HGA führt und somit auch die Symptome der
Erkrankung lindern könnte.
Von vielen Autoren wird eine phenylalanin- und tyrosinarme Diät zwar als
plausibler Ansatz zur Therapie der Alkaptonurie/Ochronose beschrieben,
allerdings nicht empfohlen, da ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg
für diesen Ansatz bislang fehlt. Es konnte bisher nicht nachgewiesen
werden, dass eine konsequente Diät den Progress der degenerativen
Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen im Rahmen der Ochronose
aufhalten kann [3]
[10] Vor dem Hintergrund geringer
Fallzahlen von Patienten mit Ochronose, Effekten, die nur im Langzeitverlauf
über viele Jahre zu beobachten sind, und möglichen
Compliance-Problemen einer solchen Diät erscheint der fehlende
wissenschaftliche Beweis nicht verwunderlich.
Da die Aminosäuren PHE und TYR Bestandteil aller pflanzlichen und
tierischen Proteine sind, führt eine proteinarme Ernährung auch
zu einer PHE- und TYR-armen Ernährung. Allerdings sollte kein kompletter
Verzicht der beiden Aminosäuren erfolgen, da diese essentiell sind. Eine
Reduktion der Aminosäuren kann erfolgen, indem die Zufuhr gering
gehalten wird. Dazu lassen sich die Lebensmittel in 3 Gruppen einteilen.
Öle, Butter, Margarine, Zucker (wie Haushaltszucker, Marmelade,
Süßigkeiten, Honig), Kaffee, Tee, Trinkwasser
Obst, Obstsäfte, Gemüse, Kartoffeln, Reis, Sahne, Creme fraiche,
eiweißarme Brot- und Gebäckwaren, spezielle eiweißarme
Milch
Fleisch- und Wurstwaren, Fisch, Milch- und Milchprodukte, Eier,
Hülsenfrüchte, Schalenfrüchte, Getreide- und
Getreideerzeugnisse, Schokolade, Süßstoff Aspartam [22]
Die Autoren dieses Artikels sind der Meinung, dass den Patienten mit Ochronose
eine moderate Protein-reduzierte Diät empfohlen werden sollte
(z. B. vegetarische Ernährung). Eine für die Patienten
sehr belastende phenylalanin- und tyrosinfreie Diät ist aus Sicht der
Autoren beim aktuellen wissenschaftlichen Stand nicht zu rechtfertigen.
Medizinisch-Berufliche-Orientierung der Rehabilitation (MBOR)
Die meisten Patienten mit Ochronose werden zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr
symptomatisch. Sie befinden sich somit in einem Lebensalter, in dem die
Erwerbstätigkeit ein zentraler Lebensinhalt und für die
Lebensqualität und materielle Sicherheit von entscheidender Bedeutung
ist. Der Fokus des ärztlichen Handelns darf sich nicht nur auf die
physischen und psychischen Folgen der Ochronose richten, sondern muss auch die
daraus resultierenden beruflichen Probleme erfassen und in die Therapieplanung
mit einbeziehen. Im Rahmen jeder Rehabilitation über die Deutsche
Rentenversicherung erfolgt eine Sozialmedizinische Leitungsbeurteilung im
Rentenrecht (Sozialgesetzbuch/SGB VI).
Das qualitative (Arbeitsschwere) und quantitative Leistungsvermögen
(Arbeitszeit) wird eingeschätzt und die Deutsche Rentenversicherung so
in die Lage versetzt, über Rechtsfolgen aus dieser Einschätzung
(teilweise oder vollständige Erwerbsminderungsrente) zu entscheiden.
Wenn die letzte Tätigkeit aufgrund der Ochronose nicht mehr
möglich ist, eine andere Tätigkeit auf dem „allgemeinen
Arbeitsmarkt“ noch durchgeführt werden kann, so können
Maßnahmen von der Rehaklinik empfohlen werden, die den Patienten im
Erwerbsleben halten. Dieses können Qualifizierungsmaßnahmen oder
Umgestaltungen des Arbeitsplatzes sein, die über die Rentenversicherung
finanziert werden (LTA/ Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben). Eine
innerbetriebliche Umsetzung, Einschränkungen von Hebebelastungen und
Überwachung der Maßnahmen durch einen Betriebsarzt
können angeregt werden. Durch solche Maßnahmen gelingt es in
vielen Fällen, Patienten mit rheumatologischen und osteologischen
Erkrankungen im Erwerbsleben zu halten [23]
[24]
Für die sozialmedizinische Beurteilung von Patienten mit Ochronose sind
in der Regel die degenerativen Wirbelsäulen- und
Gelenkveränderungen und eine Ochronose-assoziierte Osteoporose von
Bedeutung. Selbst bei schweren degenerativen Wirbelsäulen- und
Gelenkveränderungen kann in der Regel zwar die Arbeitsschwere
eingeschränkt werden, nicht jedoch die Arbeitszeit. Somit ist durch
diese Manifestationen der Ochronose eine Erwerbsminderungsrente in der Regel
nicht begründbar. Die Voraussetzung für eine
Erwerbsminderungsrente ist ein aufgehobenes quantitatives
Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
(Leistungsfähigkeit < 3 Stunden leichte Arbeit pro Tag).
Eine häufige sozialmedizinische Konstellation bei Patienten mit Ochronose
ist ein aufgehobenes Leistungsvermögen für die letzte
Tätigkeit bei erhaltenem vollschichtigem Leistungsvermögen
für leichte Arbeit auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“.
Diese Konstellation trifft z. B. zu, wenn die letzte Arbeit in der
Krankenpflege (= mittelschwere Arbeit) oder als Maurer (=schwere
Arbeit) durchgeführt wurde und jetzt durch Schmerzen und
Bewegungseinschränkungen an der Wirbelsäule, den Knien und der
Hüfte nicht mehr möglich ist. In solchen Fällen werden
die o.g. LTA’s von der Rehabilitationsklinik befürwortet, damit
der Patient für eine leidensgerechte Arbeit qualifiziert werden
kann.
Bei einer manifesten Osteoporose im Rahmen der Ochronose mit
Wirbelkörperfrakturen oder einer Femurfraktur ist die Hebebelastung in
der Regel auf 5 kg zu limitieren, eine behandlungs-bedürftige
Osteoporose ohne Frakturen meist auf 10 kg [23]
[24.]
Patienten werden im Rahmen der „Medizinisch-Beruflich-Orientierten
Rehabilitation/ MBOR“ in 3 Risikogruppen eingeteilt, um auf
diese Weise die krankheitsbedingten beruflichen Probleme gezielt bearbeiten zu
können:
-
Risikogruppe 1: keine berufliche Problematik
-
Risikogruppe 2: berufliche Belastungssituation bei noch erhaltener Arbeit
(MBOR-BB). Es besteht bei diesen Patienten häufig eine starke
Stressbelastung beim Ausüben des Berufes, durch die die
Erwerbsfähigkeit mittelfristig gefährdet ist. Die
berufliche Problematik soll identifiziert werden und gezielt bearbeitet
werden, um auf diese Weise die Patienten im Erwerbsleben zu halten.
-
Risikogruppe 3: schwere berufliche Problemlage (MBOR-BBPL). Bei diesen
Patienten besteht meist schon mehr als 6 Monate
Arbeitsunfähigkeit. Die Erwerbsfähigkeit ist stark
bedroht. Bei vielen Patienten fehlen Perspektiven aufgrund der
krankheitsbedingten Einschränkungen, wieder eine Arbeit
aufnehmen zu können. In der Rehabilitation werden diese
Perspektiven wieder erarbeitet.
Entspannungsverfahren
Entspannungsverfahren wie Autogenes Training und Progressive Muskelentspannung
werden regelhaft in der Rehabilitation bei allen rheumatischen und
orthopädischen Erkrankungen eingesetzt. Äußere Faktoren
wie beruflicher und privater Stress können zu muskulärem
Hartspann der Muskulatur des Schulter-Nackenbereiches, der Kaumuskulatur und des
Zwerchfells führen. Bei degenerativen
Wirbelsäulen-Veränderungen im Rahmen einer Ochronose
können diese äußeren Einflüsse
zusätzlich die Schmerzsymptomatik verstärken. Die Patienten
sollen möglichst ein Entspannungsverfahren während der
Rehabilitation erlernen, um dieses selbstständig fortsetzen zu
können [19]
[20.]
Balneologie und physikalische Therapie
Alle Formen aktiver sportlicher Anwendungen stellen Reize dar, die eine Reaktion
im Körper hervorrufen sollen. Die Reaktion des Körpers
(z. B. Synthese von Myofibrillen) ist das eigentliche Ziel des
Trainings. Sie findet in den Ruhephasen statt. Die strukturierte Planung von
Ruhephasen ist daher ein entscheidendes Therapieelement in der rheumatologischen
Rehabilitation.
Ortsgebundene natürliche Heilmittel wie Moor, Sole, Schwefel und
Kohlendioxid verbessern die Durchblutung im Gewebe und somit den lokalen
Stoffwechsel in den Ruhepausen zwischen den Trainingseinheiten [25.]
Osteoporose
Das Risiko für eine Osteoporose ist bei bekannter Ochronose
erhöht. Alle Patienten mit Ochronose sollten ein strukturiertes
osteologisches Assessment durchlaufen. Die Patienten mit einem Frakturrisiko von
mehr als 30% in den nächsten 10 Jahren sollten eine spezifische
Medikation erhalten. Im Rahmen der Rehabilitation geht es darum, die proximale
Rumpfmuskulatur zu kräftigen und die Koordination der tiefen Muskulatur
zu verbessern. Hierdurch können Stürze verhindert werden [26].
Nachsorge
Bereits während der Rehabilitation werden Nachsorgemaßnahmen
geplant, die den Erfolg der Rehabilitation verstetigen sollen. Das
IRENA-Programm (Intensivierte Reha-Nachsorge) für Patienten der
Deutschen Rentenversicherung ist multimodal aufgebaut und läuft
über 6 Monate nach der Rehabilitation. Es beinhaltet in der Regel
Bewegungstherapie (z. B. Funktionsgymnastik und Wassergymnastik),
Muskelaufbau (z. B. Medizinische Trainingstherapie) und
Entspannungstherapie. Auch wenn das Programm nicht indikationsspezifisch ist,
gelingt es so häufig, die Funktionseinschränkungen langfristig
positiv zu beeinflussen. Alternativ können Funktionstraining oder
Rehabilitationssport empfohlen werden.
Selbsthilfegruppen
Es hat sich bewährt, den Kontakt zu anderen betroffenen Patienten
herzustellen. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung, gibt es nur wenige
Selbsthilfegruppen. Patienten, die sich als Ansprechpartner für einen
ersten telefonischen Kontakt zur Verfügung stellen, können
für die Krankheitsbewältigung eine Lösung sein. Vor
einigen Jahren wurde die DSAKU (Deutschsprachige Selbsthilfegruppe für
Alkaptonurie e.V.) in Schweinfurt gegründet
(http://www.dsaku.de).
Kontraindikationen
Für die dargestellten Rehabilitationsmaßnahmen gibt es relativ
wenige Kontraindikationen. Im Falle einer hochgradigen Aortenklappen- oder
Mitralklappenstenose ist die körperliche Belastung dem Vitium
anzupassen. Bei klinisch manifester Osteoporose mit
Wirbelkörperfrakturen sind Anwendungen kontraindiziert, bei denen mehr
als 5 kg Hebebelastung stattfindet [24.]
Evidenzlage, Zentrumsbildung
Zu den hier dargestellten Rehabilitationsmaßnahmen gibt es bislang keine
systematischen Auswertungen. Die Autoren dieses Artikels sind der Meinung, dass
die Rehabilitation von Patienten mit Ochronose/Alkaptonurie in wenigen
ausgewählten rheumatologisch/ osteologischen Zentren erfolgen
sollte. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle Berufsgruppen des
Rehabilitationsteams (Ärzte, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten,
Psychologen, Ökotrophologen und Sozialarbeiter) fundierte Kenntnisse
über das Krankheitsbild haben. Die Zentrumsbildung ist
Grundvoraussetzung für eine systematische Evaluation von
Rehabilitationskonzepten seltener Erkrankungen. Für andere,
ähnlich seltene Erkrankungen wurde eine Zentrumsbildung mit
systematischer Evaluation im Rehabilitationsbereich bereits erfolgreich
umgesetzt [27.]
Eine Ochronose ist ein sehr seltenes Krankheitsbild, das mit schweren
degenerativen Veränderungen in peripheren Gelenken und an der
Wirbelsäule einhergeht. In den letzten Jahren kristallisieren sich
neue medikamentöse Optionen heraus, klare Empfehlungen
können aber noch nicht ausgesprochen werden. Die multimodal
aufgebaute stationäre Rehabilitation mit konsequenterer
Rehabilitationsnachsorge ist die entscheidende Therapiemaßnahme.
Solche Rehabilitationen sollten in spezialisierten
rheumatologisch-osteologischen Zentren erfolgen, in denen die Patienten nach
spezifischen Therapiekonzepten behandelt werden.