Zeitschrift für Orthomolekulare Medizin 2019; 17(04): 4-5
DOI: 10.1055/a-1059-4599
Akutell

Metabolisches Syndrom – Homocystein als vaskulärer Risikofaktor

Nach Schätzungen der WHO weisen 25 % der Weltbevölkerung ein metabolisches Syndrom auf. Treibende Faktoren sind bekanntlich eine hyperkalorische Ernährung gepaart mit mangelhafter körperlicher Aktivität und sich daraus entwickelnder Bauchfettsucht mit komplexen metabolischen Störungen als Folge einer niederschwelligen Entzündung. In der medizinischen und pharmazeutischen Betreuung von Diabetikern oder Patienten mit metabolischem Syndrom wird nach wie vor dem Risikofaktor Homocystein zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl in den vergangenen 25 Jahren die Ergebnisse einer Vielzahl an epidemiologischen Studien, Interventionsstudien und Metaanalysen die zentrale Rolle des Homocysteins als ernstzunehmender Risikofaktor für neuronale, kognitive, atherothrombotische und vaskuläre Komplikationen zeigen.

Im Intermediärstoffwechsel spielen Vitamin-B12- abhängige Methylierungsreaktionen eine zentrale Rolle. Vitamin B12 reguliert zusammen mit 5-Methyl-Tetrahydrofolsäure die Remethylierung von Homocystein zu L-Methionin und die darauf folgende ATP-abhängige Bildung von S-Adenosylmethionin (SAM). SAM ist für die meisten biologischen Methylierungsreaktionen essenziell, u. a. die Methylierung von Myelin, Neurotransmittern und Phospholipiden (z. B. Phosphatidylcholin). Ein diätetischer Mangel an Folsäure und/oder Vitamin B12 ist eine der häufigsten Ursachen für eine Hyperhomocysteinämie (Hcy ≥ 10 µmol / l).

Ein Anstieg des Homocystein-Plasmaspiegels ist ein Hinweis für eine Störung des Methylgruppen-Stoffwechsels, der mit einem erhöhten Risiko für neuronale und vaskuläre Läsionen, Störungen der Blutrheologie, oxidativen Homöostase, endothelialen Dysfunktion, vaskulären Inflammation, Beeinträchtigung der Zellproliferation sowie erhöhten Neigung zu Chromosomenstrangbrüchen assoziiert ist [Abb. 1]. Im fortgeschrittenen Lebensalter sind eine latente Unterversorgung mit Folsäure und/oder Vitamin B12 sowie ein erhöhter Homocystein-Plasmaspiegel mit einer Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit verbunden. Die Varianz in kognitiven Leistungstests wird bei älteren Personen, unabhängig vom Intelligenzquotienten, zu etwa 11 % auf die Homocysteinwerte zurückgeführt. Bei älteren Personen gehen erhöhte Homocysteinspiegel mit einem kleineren Hippokampus und einer erhöhten Atrophierate des medialen Temporallappens und der weißen Substanz einher. Auch das Auftreten von Depressionen ist im Alter häufig mit einem niedrigen Vitamin-B12-Status und erhöhten Homocysteinwerten assoziiert. Die Ergebnisse aktueller Metaanalysen belegen, dass erhöhte Homocysteinwerte ein unabhängiger Risikofaktor für die kardiovaskuläre und allgemeine Mortalität sind, wobei das Risiko mit zunehmendem Lebensalter ansteigt.

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Abb. 1 Atherogene Wirkungen des Homocysteins (Auswahl).

Eine Arbeitsgruppe um Giuseppina Piazzolla von der Universität Bari (Italien) hat aktuell den Einfluss erhöhter Homocysteinwerte (Hcy ≥ 10,7 µmol/l) auf die Pathogenese atherosklerotischer Gefäßkomplikationen bei Patienten mit metabolischem Syndrom untersucht. Dabei konnten die Forscher zeigen, dass ein erhöhter Homocysteinspiegel im Blut signifikant die atherogenen Prozesse beim metabolischen Syndrom steigert und zwar unabhängig von anderen gut bekannten Risikofaktoren (z. B. Rauchen).



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Article published online:
20 January 2020

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