Schlüsselwörter
Lipödem - Lymphödem - Östrogen-Rezeptor - Liposuktion - komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE)
Key words
lipedema - lymphedema - estrogen-receptor - liposuction - complex physical therapy
Einleitung
Das Lipödem wurde erstmals von Allen und Hines im Jahre 1940 beschrieben [1]. Es ist eine schmerzhafte, chronisch-progredient verlaufende Erkrankung, die durch eine symmetrische Schwellung der unteren und/oder oberen Extremitäten gekennzeichnet ist. Diese entsteht aufgrund einer krankhaften, umschriebenen Unterhautfettgewebsvermehrung mit Flüssigkeitseinlagerung bisher noch nicht geklärter Ursache. Im weiteren Verlauf kann sich zusätzlich ein Lymphödem entwickeln.
Die Erkrankung tritt fast ausschließlich bei Frauen auf und manifestiert sich häufig während Phasen hormoneller Umstellungen [2]. Eine familiäre Häufung wird in zumindest 16 % der Fälle beschrieben [3].
Typische Symptome sind erhöhte Schmerz- und Berührungsempfindlichkeit, Spannungs- und Druckschmerzen sowie verstärkte Neigung zu Hämatomen und ggf. Ödemen. Verschiedene synonyme Bezeichnungen berücksichtigen das wesentliche Charakteristikum dieser Erkrankung – die Schmerzhaftigkeit –, darunter: Adipositas dolorosa, schmerzhafte Lipohypertrophie, Lipomatosis dolorosa, Adiposalgie, Lipalgie und schmerzhaftes Säulenbein.
Die Prävalenz der Erkrankung wurde auf bis zu 11 % in der weiblichen Bevölkerung beziffert [4]. Laut Studien leiden 8 bis 18 % der stationären Patientinnen in lymphologischen Fachkliniken unter einem Lipödem [5]
[6]
[7].
Wegen Unkenntnis des lange Zeit wenig erforschten Krankheitsbildes wird die Erkrankung häufig fehlgedeutet oder nicht erkannt. Wichtig ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung des Lipödems gegenüber anderen Fettverteilungsstörungen, Adipositasmischformen und dem Lymphödem. Zu den fortschreitenden körperlichen Symptomen und Folgeerscheinungen (lymphatische, dermatologische und orthopädische Probleme) treten beim Lipödem häufig psychische Belastungen mit kompensatorischem „Frustfressen“ bis hin zu Depressionen hinzu.
Die vorliegende Arbeit gewährt einen Überblick über die Grundlagen, insbesondere die Symptome und klinischen Merkmale des Lipödems, seinen Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten und zuletzt die aktuellen Hypothesen zur Pathogenese des Lipödems.
Grundsätzliches
Symptome und klinische Befunde
Die Diagnose Lipödem beruht im Wesentlichen auf anamnestischen und klinischen Kriterien [3]. Ein wichtiges anamnestisches Kriterium ist ein Erkrankungsbeginn in der Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause [1]
[8]. Bei Männern tritt das Lipödem extrem selten auf und wurde nur bei ausgeprägten Hormonstörungen wie Hypogonadismus, bei begleitenden Leberschädigungen oder nach Hormontherapien im Rahmen von Tumorerkrankungen beschrieben [9]
[10]
[11].
Charakteristischerweise klagen die Patientinnen über Schmerzen, eine ausgeprägte Neigung zu Hämatomen, Berührungs- und Druckempfindlichkeit sowie Verschlimmerung der Beschwerden mit zunehmender Flüssigkeitseinlagerung im Verlauf des Tages [2]
[9]. Ein wichtiges Diagnosemerkmal ist das klassische Erscheinungsbild mit einer Disproportion zwischen Unter- und Oberkörper mit deutlich schlankerem Oberkörper und voluminöserer unterer Körperhälfte [3]
[12] ([Abb. 1]). Der isolierte Befall des Oberkörpers ist jedoch auch möglich. Die Veränderungen treten immer symmetrisch auf, wobei Hände und Füße nicht betroffen sind [2]. Die Fettdepots beginnen oft abrupt oberhalb der Knöchel, wodurch das sogenannte „Cuff-Zeichen“ entsteht [3] ([Abb. 2]). Der typische Kalibersprung zur angrenzenden gesunden Region wird auch als „Muff“, „Türkenhosenphänomen“ oder „Kragenbildung“ bezeichnet [13].
Abb. 1 Klassisches Erscheinungsbild beim Lipödem mit Disproportion zwischen Unter- und Oberkörper.
Abb. 2 Lipödem-Stadien 1 bis 3 (von links nach rechts). Auf dem rechten Bild (Stadium 3) erkennt man das „Cuff-Zeichen“.
Klinisch kann das Lipödem je nach Schweregrad in Abhängigkeit von Hautveränderungen und Größe der Fettknoten in drei Stadien eingeteilt werden: Im Stadium I findet sich eine glatte Haut mit verdickter, weicher Subkutis und kleineren Knötchen („Styropor-Kügelchen“), im Stadium II findet sich eine unebene Haut mit verdickter, weicher Subkutis und walnussgroßen Knoten („Matratzenhaut“) und im Stadium III zeigen sich deformierende Haut-/Fettdepots an Oberschenkeln und Knieinnenseiten sowie eine verdickte und indurierte Subkutis mit größeren Knoten (Wammenbildung) [11]
[14] ([Abb. 2]). Aufgrund der Weichteilmassen kommt es im fortgeschrittenen Stadien häufig zu Gelenkfehlstellungen und weiteren orthopädischen Problemen.
Entsprechend der Lokalisation werden sieben verschiedene Typen des Lipödems unterschieden: Oberschenkel-Typ, Unterschenkel-Typ, Waden-Typ, Ganzbein-Typ, Oberarm-Typ, Unterarm-Typ, Ganzarm-Typ [3]
[15] ([Abb. 3]).
Abb. 3 Lipödem-Typen.
Differenzialdiagnosen
Die Differenzialdiagnose kann sehr schwierig sein. Wichtig ist eine Abgrenzung des Lipödems gegenüber dem Lymphödem, der reinen Adipositas sowie der Lipohypertrophie.
Während das Lipödem immer symmetrisch ist, zeigt sich das Lymphödem meist asymmetrisch. Ein klinisches Unterscheidungsmerkmal ist das Stemmer-Zeichen [16]. Beim Lymphödem ist das Stemmer-Zeichen positiv (die Haut über der zweiten Zehe kann nicht angehoben werden), wohingegen das Stemmer-Zeichen beim reinen Lipödem negativ ist. Jedoch kann sich beim Lipödem im fortgeschrittenen Stadium zusätzlich ein sichtbares Lymphödem entwickeln („Lipo-Lymphödem)“. Ein weiterer signifikanter Unterschied zwischen Lip- und Lymphödem ist das Vorliegen von Schmerzen und Hämatomneigung beim Lipödem. Während Übergewicht den gesamten Körper betrifft, manifestiert sich das Lipödem an den unteren und/oder oberen Extremitäten unter Aussparung der Hände und Füße. Das Lipödem spricht nicht auf Diätmaßnahmen an (Diätresistenz) [17]. Selbst bei extremer Abmagerung (z. B. bei Tumorkachexie oder nach erfolgreicher bariatrischer Chirurgie) an anderen Körperstellen nehmen die Patientinnen im Bereich des Lipödems nicht ab ([Abb. 4]). Beide Krankheitsbilder zeigen eine symmetrische Fettvermehrung, bei der reinen Adipositas fehlen jedoch Schmerzen und Ödeme. Aufgrund der Frustration bei Lipödem-Patientinnen kommt es aber häufig zu einer begleitenden Adipositas. Morphologisch ähneln sich die Lipohypertrophie und das Lipödem. Im Gegensatz zum Lipödem präsentiert sich die Lipohypertrophie ohne Schmerzen, Ödemneigung oder Hämatome [18].
Abb. 4 Lipödem vom Unterschenkel-Typ (Typ 2). Befund nach massiver Gewichtsabnahme.
Therapie
Man unterscheidet die konservative Therapie zur Entstauung einerseits und die operative Therapie mittels Liposuktion zur Fettgewebsreduktion andererseits.
Die konservative Therapie umfasst physikalische Maßnahmen in Form der komplexen bzw. kombinierten physikalischen Entstauungstherapie (KPE) [19]. Bestandteile der KPE sind die manuelle Lymphdrainage, Kompression in Form von Verbänden oder medizinischen Strümpfen, Bewegungstherapie sowie Hautpflege. Häufig ist auch eine Kombination mit der intermittierenden, pneumatischen Kompression (IPC) möglich. Laut Studien führen die physikalischen Maßnahmen zu einer signifikanten Reduzierung der Kapillarfragilität und der Hämatomneigung [20] sowie zu einer signifikanten Minderung der Beinvolumina [20]
[21]. Oft zeigen sich unter der konservativen Therapie jedoch nur kurzfristige Erfolge.
Die Liposuktion stellt das Standardverfahren für die chirurgische Behandlung des Lipödems dar [22]. Aufgrund der heutzutage verwendeten „Wet“-, „Super-wet“- und „Tumescent“-Technik und des Einsatzes von stumpfen Kanülen sowie Liposuktions-Techniken wie der „power-assisted liposuction“ (PAL) mit vibrierenden Mikro-Kanülen und der wasserstrahlassoziierten Liposuktion (water-assisted liposuction, WAL) sind die Gewebetraumatisierung und die Komplikationsrate im Vergleich zur anfänglichen „Dry“-Technik weitaus geringer und die Ergebnisse besser. Durch die Liposuktion wird das Fettgewebe reduziert, sodass das Ausmaß von Ödemen sekundär geringer ist. Untersuchungen haben gezeigt, dass durch die Liposuktion Ödeme und Schmerzen deutlich reduziert werden können [23]. Zusätzlich kann die Progression der Erkrankung gestoppt [3], [24] und unter weitgehender Beibehaltung von konservativen Therapiemaßnahmen die Lebensqualität nachhaltig verbessert werden [25]
[26]
[27]. Meist kann das Ausmaß der konservativen Therapie nach der Liposuktion deutlich eingeschränkt oder sie kann sogar eingestellt werden [25]
[27]. Häufig sind mehrere Operationen im Abstand von zumindest drei Monaten notwendig.
Aktuelle Hypothesen zur Pathogenese
Aktuelle Hypothesen zur Pathogenese
Die Pathogenese des Lipödems ist noch nicht vollständig geklärt. Aufgrund der familiären Häufung kann eine genetische Disposition einen Einfluss haben. Da der Erkrankungsbeginn mit Einsetzen von hormonellen Veränderungen bei Frauen auftritt, wird eine östrogenregulierte polygenetische Störung angenommen [28].
Zahlreiche Hypothesen zur Pathogenese existieren. Zum einen werden zentrale Effekte durch veränderte Östrogen-Rezeptormuster im Hypothalamus für eine Störung des Appetitgefühls und der Gewichtskontrolle beim Lipödem (anders als bei Adipositas) angenommen. Zum anderen führen pathologische Östrogen-Rezeptor-alpha/beta-Verteilungsmuster im weißen Fettgewebe zu gesteigerter Lipogenese und verminderter Lipolyse in den betroffenen Bereichen ([Abb. 5]). Ebenfalls fehlt der übliche Switch in der Menopause vom gynoiden zum androiden Fettverteilungsmuster bei Patientinnen mit Lipödem ([Abb. 6]). In Studien wurden eine vermehrte Expression des Östrogen-Rezeptors α und eine verminderte Expression des Östrogen-Rezeptors β im Bereich des Abdomens gefunden, was die vermehrte Lipolyse erklären kann [28]. Die überproportionale Fettzunahme an Gesäß, Hüften und Beinen wird durch die verminderte Expression des Östrogen-Rezeptors α und die vermehrte Expression des Östrogen-Rezeptors β erklärt. Bislang sind keine histologischen Analysen bezogen auf Lebensphasen hormoneller Umstellung erfolgt.
Abb. 5 Östrogen-Rezeptortheorie zur Entstehung des Lipödems.
Abb. 6 Typischer gynoider Fettverteilungstyp bei einer Patientin mit Lipödem.
Die Vermehrung des subkutanen Fettgewebes wurde histologisch als Folge sowohl einer Hypertrophie als auch einer Hyperplasie der Fettzellen beschrieben. Durch die Fettgewebsvermehrung kommt es zu einer mechanischen Komprimierung des venösen und lymphatischen Abflusses aus den kleinen Venen und Lymphgefäßen. Dies trägt zu einer Ödembildung im subkutanen Gewebe bei. Die großen Lymphgefäße sind zunächst nicht betroffen ([Abb. 7]).
Abb. 7 Entstehungskreislauf des Ödems.
Weiters ist histologisch und pathophysiologisch das Vorliegen einer Mikroangiopathie als zentraler Faktor für die Entwicklung des Lipödems nachgewiesen worden. Die Mikroangiopathie im betroffenen Gebiet zeigt sich für die erhöhte Kapillarpermeabilität mit vermehrter Durchlässigkeit für Proteine verantwortlich [29]. Infolgedessen kommt es zu einem zunehmenden Flüssigkeitsaustritt in das Interstitium („capillary leak“). Die Lymphgefäße transportieren die interstitielle Flüssigkeit zunächst vermehrt ab. Wenn dies jedoch nicht mehr gelingt, kommt es zu den klinisch sichtbaren Ödemen. Diese Überlastung des Lymphgefäßsystems wird als „Hochvolumen-Insuffizienz“ beschrieben. Die erhöhte Kapillarfragilität bewirkt außerdem die verstärkte Hämatom-Neigung ([Abb. 8]).
Abb. 8 Mikroangiopathie beim Lipödem.
Des Weiteren liegt beim Lipödem auch ein gestörter veno-arterieller Reflex vor. Dieser Mechanismus schützt normalerweise durch eine Vasokonstriktion der Arteriolen das nachfolgende Kapillarbett der unteren Extremitäten vor einem hydrostatischen Druckanstieg, wodurch das capillary leak abnimmt. Beim Lipödem trägt der verminderte veno-arterielle Reflex zur Ödemzunahme und Hämatomneigung bei [30].
Die Lymphgefäße sind im frühen Stadium der Erkrankung noch intakt. Die anfallende lymphatische Last wird im weiteren Verlauf jedoch nicht mehr adäquat abtransportiert. Durch die eiweißreichen Ödeme kommt es konsekutiv zu einer Fibrosierung des Gewebes mit Sekundärveränderungen am Lymphgefäßsystem (Lymphangiopathie). Aufgrund einer Erschöpfung der lymphatischen Transportkapazität kann das Lipödem außerdem in ein Lipo-Lymphödem übergehen mit Entwicklung eines sekundären Lymphödems.
Darüber hinaus werden eine neurogene Inflammation im Schmerzgebiet sowie eine abnorme sympathische Innervation des subkutanen Fettgewebes beim Lipödem diskutiert, die für eine Neuropathie und Schmerzen verantwortlich sein könnten [28] ([Abb. 9]).
Abb. 9 Zusammenhänge zur Entstehung der Schmerzen beim Lipödem.
Schlussfolgerung
Das Lipödem ist eine häufig unerkannte und fehldiagnostizierte Erkrankung. Typische Symptome und die klinischen Diagnosemerkmale sollten bekannt sein, um die Erkrankung klar von anderen Entitäten abzugrenzen. Eine korrekte und frühzeitige Diagnose und Behandlung sind wichtig, da die Prognose der Erkrankung beeinflusst werden kann. Eine kausale Therapie für das Lipödem ist nicht bekannt, da die genaue Ätiologie der Erkrankung ungeklärt ist. Die komplexe physikalische Entstauungstherapie stellt die Basis der konservativen Behandlung dar. Die Liposuktion hat jedoch zu einem Paradigmenwechsel bei der Behandlung des Lipödems geführt. Während die konservative Therapie Symptome temporär lindern kann, wird bei der Liposuktion das erkrankte Gewebe entfernt, was zu einer nachhaltigen Symptomlinderung führen kann.
Zitierweise für diesen Artikel
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Handchir Mikrochir Plast Chir 2018; 50(06): 380-385