Virtuelle Realität und robotergestützte Therapie – in der Neuroreha steigt die Zahl
technologischer Innovationen. Und das ist gut so, rechnet man doch in den nächsten
Jahren mit einem erhöhten Patientenaufkommen und steigendem Rehabedarf. Doch auch
ohne Hightech können Menschen nach Schlaganfall effektiv trainieren – handelsübliche
Wasserflaschen reichen dafür als Trainingsgerät oft aus.
Das Flaschentraining orientiert sich in seinen zentralen Inhalten an den Prinzipien,
die die Physiotherapeutinnen und Wissenschaftlerinnen Janet H. Carr und Roberta B.
Shepherd [1], [2] gemeinsam mit Ergotherapeutin Annie McCluskey [3] für die Analyse und Therapie der oberen Extremtität nach Schlaganfall entwickelt
haben. Die Therapeutinnen sprechen von einem sogenannten Bezugsrahmen, der als Hauptaktivitäten
der oberen Extremität das Reichen, Greifen und Manipulieren definiert. Um diese Bewegungen
erfolgreich durchzuführen, legten sie für jede der Bewegungen Schlüsselkomponenten
fest (HINTERGRUNDWISSEN). Diese festzulegen, kann der Therapeutin helfen, schnell
und gezielt Arm- und Handbewegungen des Patienten zu analysieren und anschließend
spezifische Interventionen zu entwickeln. Damit die Person ihre Fähigkeit im Reichen
verbessert, soll sie beispielsweise die aktive und passive Außenrotation und die Flexion
im Schultergelenk trainieren. Carr, Shepherd und McCluskey heben hervor, dass man
die Therapie auf die Muskelschwäche und die Koordination fokussieren sollte und weniger
auf die Spastik.
Bei allem sollte man die verschiedenen Facetten des motorischen Lernens berücksichtigen.
Zum Beispiel die Verwendung realer Alltagsgegenstände (Bezug zur Transfertheorie),
die Intensität (Repetitionen und Anstrengungsgrad), die kontinuierliche Anpassung
des Trainings an das Leistungsniveau des Übenden (Shaping), seine Autonomie und die
Verwendung eines externen Aufmerksamkeitsfokus (markierte Zielpunkte, klare Bewegungseffekte).
Repetitiv und intensiv üben
Repetitiv und intensiv üben
Damit das Flaschentraining gelingt, ist es ratsam, die Übungen zunächst unter Supervision
zu lernen. Lernt der Patient die Übungen allein, so besteht die Gefahr, dass er einzelne
Bewegungen kompensiert [4]. Anschließend führt er sie selbstständig als Eigenprogramm mehrmals wöchentlich
durch, am besten täglich. Die Therapeutin gestaltet die Übungen individuell für den
Patienten, passt sie von Zeit zu Zeit an seinen aktuellen Leistungsstand an und kontrolliert
sie in regelmäßigen Abständen. Der Patient sollte jede Übung mindestens 20 Mal wiederholen.
Zur Motivation kann die Therapeutin eine Tabelle mit Fotos, Zielsetzung und Wiederholungszahlen
der Übungen sowie den Wochentagen erstellen, in die der Patient nach jeder Trainingseinheit
einträgt. Um seine Autonomie zu unterstützen, kann er die Reihenfolge der Übungen
in jedem Training selbst bestimmen.
Die abgebildeten Übungen stellen nur eine Auswahl dessen dar, was Patienten alles
mit einer Flasche trainieren können. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Es werden Übungen für proximale und distale Schlüsselkomponenten und für unterschiedliche
Leistungsniveaus gezeigt (schwere und moderate Armparese).
Hintergrundwissen – Schlüsselkomponenten
Hintergrundwissen – Schlüsselkomponenten
Für das Training der oberen Extremität ist vor allem die Aktivierung folgender Bewegungskomponenten
relevant [3]:
Reichen: (Transport der Hand zum Objekt)
-
Schultergelenk: Flexion, Außenrotation
-
Ellenbogen: Extension
-
Handgelenk und Finger: Extension
-
Daumen: Extension, Opposition
Greifen und Manipulieren: (Kontakt mit dem Objekt)
-
Pronation und Supination
-
Radialduktion und Ulnarabduktion
-
Handgelenk: aktive (und passive) Extension
-
lumbrikaler Griff (Flexion Grundgelenke)
-
Finger: selektive Flexion und Extension
-
Daumen: selektive Flexion und Adduktion sowie Extension und Abduktion
Dorsalextension
ASTE: Der Patient legt die Finger der linken Hand geöffnet auf den Flaschenbauch, der Daumen
ist leicht abduziert. Das Handgelenk ist in Palmarflexion, das Ellenbogengelenk in
Pronationsstellung. Die rechte Hand unterstützt die linke (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient rollt die Flasche zum Oberkörper hin, sodass im linken Handgelenk eine
Dorsalextension entsteht (ABB. B). Anschließend rollt der Patient die Flasche wieder
zurück.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Dorsalextension des linken Handgelenks
Daumenabduktion
ASTE: Der Patient hält die liegende Flasche mit der linken Hand fest. Mit der rechten Hand
stabilisiert er die Flasche. Zwei rote Punkte an der Flasche dienen als Zielpunkte
für den Daumen. Diesen platziert er in relativer Adduktion auf dem oberen Punkt (ABB.
A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient bewegt den linken Daumen vom oberen Punkt auf den unteren roten Punkt,
indem er ihn abduziert (ABB. B). Anschließend bewegt er seinen Daumen wieder in die
Ausgangsstellung zurück.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Daumenabduktion links
Pronation/Supination
ASTE: Der Patient hält die stehende Flasche mit der linken Hand fest und kippt sie auf
das rechte Kissen. Das Ellenbogengelenk ist in Pronation. Die rechte Hand liegt auf
dem rechten Kissen. Die Kissen limitieren die Bewegung. Auf ihnen und an der Flasche
ist je ein Zielpunkt angebracht (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient bewegt die Flasche zum Zielpunkt auf das linke Kissen und legt sie ab.
Das Ellenbogengelenk ist in Supination (ABB. B). Anschließend bewegt der Patient die
Flasche wieder zurück auf das linke Kissen.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Pronation/Supination der linken Hand
Radial-, Ulnardeviation
ASTE: Der Patient hält mit der linken Hand die stehende Flasche (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Er kippt die Flasche zum Zielpunkt auf das Kissen (ABB. B). Die Zielpunkte sind einander
angenähert. Das Handgelenk gelangt so in Dorsalextension und Ulnardeviation und das
Ellenbogengelenk in relative Extension. Anschließend bewegt der Patient die Flasche
zurück in die ASTE.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Radialduktion der linken Hand und Greifbewegung
Flasche halten
ASTE: Der Patient hält die aufgestellte Flasche mit der linken Hand, das Handgelenk ist
in leichter Dorsalextension. Der Blick ist auf die Flasche gerichtet, die visuelle
Kontrolle unterstützt das Halten der Flasche (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient bewegt seinen rechten Arm nach rechts außen, die Augen sollen dieser
Bewegung folgen und zum Zielpunkt an der Wand gucken. Die Flasche hält er dabei möglichst
stabil (ABB. B). Anschließend geht sein Blick zurück zur Mitte, sein Arm bleibt auf
der Seite. Nun bewegt er seinen Kopf erneut auf die Seite.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Dorsalextension im linken Handgelenk und Außenrotation
im linken Schultergelenk unter Ausschluss der visuellen Kontrolle
Außenrotation im SG
ASTE: Der Patient hält die aufgestellte Flasche mit der linken Hand am Flaschenbauch. Ein
roter Punkt rechts auf der Tischplatte markiert, wo die Flasche zu Beginn stehen soll.
Das Schultergelenk (SG) ist innenrotiert und adduziert. Das Ellenbogengelenk ist in
Flexion und wenn möglich in einer Neutralstellung zwischen Pro- und Supination. Das
Handgelenk ist in Dorsalextension. Der Patient umschließt die Flasche mit den Fingern
(ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient transportiert die Flasche vom rechten Startpunkt zum Zielpunkt auf der
linken Seite (ABB. B). Das linke SG ist in 0-Stellung, das Ellenbogengelenk in Flexion
und das Handgelenk in Dorsalextension. Anschließend bewegt der Patient seinen Arm
wieder in die ASTE und wiederholt die Übung.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Außenrotation im linken Schultergelenk
Flaschendrehen
ASTE: Der Patient hält die aufgestellte Flasche mit der linken Hand, die rechte Hand unterstützt
sie. Das linke Handgelenk ist in Palmarflexion. Der rote Punkt an der Flasche zeigt
in Richtung des rechten Punkts auf dem Tisch (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient rotiert die Flasche, sodass der Punkt auf der Flasche in Richtung des
linken Punkts am Tisch gedreht wird (ABB. B). Das linke Handgelenk ist in Dorsalextension.
Anschließend bewegt der Patient die Flasche in die ASTE und wiederholt die Übung.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Dorsalextension im linken Handgelenk
Flasche festhalten
ASTE: Der Patient hält die aufgestellte Flasche mit der linken Hand am Flaschenhals oder
Flaschenbauch (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Mit der rechten Hand öffnet er den anfangs nur leicht anschraubten Flaschenverschluss
und legt ihn auf den Tisch (ABB. B). Ein feuchtes Tuch verhindert das Wegrutschen
der Flasche. Anschließend schraubt der Patient den Verschluss wieder auf die Flasche
und wiederholt die Übung.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente lumbrikaler Griff der linken Hand und der Grobmotorik
über die Haltefunktion
Wasser in ein Glas füllen
Wasser in ein Glas füllen
ASTE: Der Patient hält mit der linken Hand ein Glas und mit der rechten Hand die Flasche
(ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Langsam füllt er Wasser in das Glas (ABB. B).
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente Dorsalextension im linken Handgelenk, selektive
Fingerflexion und der Greifbewegung der linken Hand
Greifen – Loslassen
ASTE: Der Patient legt die rechte Hand auf den Tisch. Mit der linken Hand greift er nacheinander
die Flaschendeckel, die auf dem Tisch liegen (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Mit der lumbrikalen Griffformung für selektive Fingerbewegungen greift der Patient
den Deckel, hebt den Unterarm an und bewegt die Hand über die Schale. Anschließend
lässt er den Deckel los (ABB. B).
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente lumbrikaler Griff und selektive Fingerbewegungen
der linken Hand; SG-Flexion, Feinmotorik und Armtransport
Flasche transportieren
ASTE: Der Patient hält mit der linken Hand die Flasche, die vertikal auf dem linken Oberschenkel
steht, die Finger sind in Flexion und das Handgelenk in Dorsalextension (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Er hebt die Flasche an, transportiert sie zum Zielpunkt auf die Kiste und stellt
sie dort ab (ABB. B). Der Oberkörper hat eine leichte Vorlage, sein SG ist links flektiert,
sein Ellenbogengelenk und die Finger sind in Extension.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponente lumbrikaler Griff der linken Hand, SG-Flexion
und Ellenbogenflexion; Feinmotorik und Armtransport
Flasche aufstellen
ASTE: Die Flasche liegt quer vor dem Patienten, die er mit der linken Hand hält. Das Ellenbogengelenk
ist in Pronation. Das Handgelenk ist möglichst in Dorsalextension. Die rechte Hand
liegt auf dem Tisch (ABB. A).
Abb.: N. Hofmann
Aktion: Der Patient stellt die Flasche auf (ABB. B). Der linke Ellenbogen ist in 0-Stellung.
Abb.: N. Hofmann
Ziel: Aktivierung der Schlüsselkomponenten Pronation/Supination der linken Hand