Pneumologie 2020; 74(04): 242
DOI: 10.1055/a-1114-4878
Leserbrief

Leitlinien, Betablocker und off-label-use

N. K. Mülleneisen
 

    Sehr geehrte Kollegen,

    auf der WdGP-Tagung in Düsseldorf am 25. 01. 2020 haben wir uns mit der Frage der Betablocker bei Asthma bronchiale beschäftigt. In der S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma steht unter 6.9. Nachsorge, dass Betablocker bei Asthma kontraindiziert sind. Übereinstimmend waren aber die Teilnehmer der Auffassung, dass dies nicht für alle Asthmatiker so uneingeschränkt gelten kann. Denn, wenn eine klare Indikation für einen Betablocker gegeben ist, wird in der Regel ein Therapieversuch unternommen, in dem man den Patienten bei der ersten Gabe überwacht. Dies kann im Wartezimmer einer Praxis erfolgen. Wenn es zu einem Asthma-Anfall kommt, dann kann der Betablocker nicht weiter eingesetzt werden. I. d. R. aber wird der Betablocker vertragen. Man macht dann nach einigen Wochen eine erneute Kontrolle und schaut, ob sich das Asthma im Verlauf verschlechtert. Wenn auch dies nicht der Fall ist, dann kann der Betablocker weiter gegeben werden, und dies ist durchaus häufig der Fall. Insbesondere gilt dies für kardioselektive Betablocker. Bei nicht kardio-selektiven Betablockern und bei Augentropfen kommt es allerdings häufiger zu einer Verschlechterung des Asthmas und dann müssen diese Medikamente ausgetauscht werden. Es macht Sinn, in einer Leitlinie diese praktischen Erfahrungen mit aufzunehmen und nicht kategorisch auszuschließen.

    Leitlinien haben den Nachteil, dass sie i. d. R. aufgrund der veröffentlichten Studien evidenzbasiert sind. Dies ist schön und in weiten Teilen auch richtig, führt aber zu einer Überbetonung der veröffentlichten Studien. Studien werden in der Regel von Firmen durchgeführt, die ein wirtschaftliches Interesse haben, weshalb Studien bestimmten Ein- und Ausschlusskriterien unterliegen, die im Alltag von uns Ärzten nicht alle beachtet werden können. Auch sichern sich Pharmafirmen im „label claim“ juristisch ab. Wir Praktiker müssen alle Patienten behandeln, die zu uns kommen, auch wenn wir wissen, dass nur 6 % unserer Asthmatiker jemals Aufnahme in eine Asthma-Studie finden würden. Deshalb sind Leitlinien gut und schön. Wenn aber in Leitlinien ein kategorischer Ausschluss wie bei Betablockern formuliert wird, ist dies für den Alltag schädlich, da wir damit ggfs. juristische Schwierigkeiten bekommen.

    Es fällt überhaupt auf, dass an der Erstellung von Leitlinien insbesondere aber bei der nationalen Versorgungsleitlinie Asthma kaum Versorger teilnehmen. Das sind alles von mir sehr geschätzte Wissenschaftler, die an der Universität tätig sind, aber eben nicht Kassenärzte. Kassenärzte, die im Alltagsgeschäft tagtäglich Asthmatiker behandeln, und zwar im Rahmen des SGB V unter den Bedingungen des ambulanten Gesundheitssystems in Deutschland. Kassenärzte behandeln nach den Kriterien des: „wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig“.

    Ich bitte daher mit allem Respekt darum, bei der nächsten Erstellung von Leitlinien, insbesondere von nationalen „Versorgungsleitlinien“, diese in erster Linie von Versorgern, also Kassenärzten erstellen zu lassen und nicht von Universitätsprofessoren.

    Mit freundlichen Grüßen

    Norbert K. Mülleneisen


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    Interessenkonflikt

    Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


    Korrespondenzadresse

    Norbert K. Mülleneisen
    Asthma und Allergiezentrum
    Königsberger Platz 5
    51371 Leverkusen

    Publikationsverlauf

    Artikel online veröffentlicht:
    09. April 2020

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