Aktuelle Rheumatologie 2020; 45(03): 218
DOI: 10.1055/a-1123-0454
Für Sie notiert

Fibromyalgie: Beeinflussen Hautzellen die Nozizeption?

Rezensent(en):
Judith Lorenz
Evdokimov D. et al.
Pain-associated Mediators and Axon Pathfinders in Fibromyalgia Skin Cells.

J Rheumatol 2020;
47: 140-148
 

Bei einem Teil der Patienten mit einem Fibromyalgiesyndrom lässt sich eine Degeneration der kleinen Nervenfasern nachweisen. In diesen Fällen spielen die Hautzellen möglicherweise eine wesentliche Rolle bei nozizeptiven Prozessen. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler von der Universität Würzburg nach umfangreichen zellbiologischen Analysen an Fibroblasten- und Keratinozytenkulturen.


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Die Forschergruppe ging der Frage nach, inwiefern sich Patienten mit einem Fibromyalgiesyndrom und Gesunde hinsichtlich der Expression von Zytokinen, Nozizeptor-assoziierten Ionenkanälen sowie von an der Axon-Führung beteiligten Genen unterscheiden. An der Studie nahmen 128 Fibromyalgiepatienten (118 Frauen, 10 Männer) im Alter zwischen 22 und 75 Jahren (median: 51 Jahre) sowie 26 gesunde Kontrollen (22 Frauen, 4 Männer) im Alter zwischen 23 und 66 Jahren (median: 50 Jahre) teil. Nach einer umfassenden neurologischen Untersuchung entnahmen die Wissenschaftler den Probanden Punch-Biopsien aus der lateralen Wade und dem Oberschenkel. An diesen Präparaten bestimmten sie einerseits histologisch die intraepidermale Nervenfaserdichte und isolierten andererseits die Fibroblasten und Keratinozyten. Anhand der Zellkulturen führten sie anschließend verschiedene Genexpressionsanalysen durch: Mittels quantitativer Real-Time-PCR prüften sie dabei die Expression einer Vielzahl pro- und antiinflammatorischer Zytokine, an der Nozizeption beteiligter Ionenkanäle sowie mit der Axon-Führung assoziierter Moleküle.

Ergebnisse

Alle Studienteilnehmer hatten eine unauffällige neurologische Untersuchung und wiesen eine normale Nervenleitgeschwindigkeit auf. Die Fibromyalgiepatienten litten im Median seit 11 Jahren an der Erkrankung und 80% nahmen Analgetika ein. Bezüglich der Expression proinflammatorischer Zytokine unterschieden sich die Fibroblasten-Kulturen der Patienten und der Kontrollen nicht. Im Hinblick auf die antiinflammatorischen Mediatoren zeigte sich: Die Fibroblasten der Fibromyalgiepatienten wiesen sowohl in den aus der Wade als auch in den aus dem Oberschenkel entnommenen Biopsaten im Vergleich zu den Gesunden eine signifikant höhere Expression von TGF-ß1 (transforming growth factor-ß1) auf. Gleiches galt für den Ionenkanal HCN2 (hyperpolarization-activated cyclic nucleotide-gated ion channel 2) in Proben aus der Wade sowie die mit der Axon-Führung assoziierten Moleküle EFNA4 (ephrin-A4) und EPHA4 (ephrin receptor-A4) in Proben aus in Proben aus beiden Lokalisationen bzw. dem Oberschenkel. Bezüglich der Expression proinflammatorischer Zytokine sowie der Expression der an der Nozizeption beteiligten Ionenkanäle unterschieden sich die Keratinozyten-Kulturen der Patienten und der Kontrollen ebenfalls nicht. Die aus dem Oberschenkel der Erkrankten isolierten Keratinozyten exprimierten allerdings verstärkt den antiinflammatorischen Mediator Interleukin-10 und die aus der Wade isolierten Keratinozyten die Moleküle EFNA4 und EPHA4. Bei 44% der Fibromyalgiepatienten stellten die Forscher histologisch eine pathologisch verringerte intraepidermale Nervenfaserdichte fest. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Expression von an der Axon-Führung beteiligten Genen und der intraepidermalen Nervenfaserdichte bestand dabei nicht.

Fazit

Beim Fibromyalgiesyndrom können die Hautzellen, Fibroblasten und Keratinozyten, zur kutanen Nozizeption beitragen, indem sie membrangebundene und lösliche Schmerzmediatoren sowie die Axon-Führung beeinflussende Gene verändert exprimieren, schlussfolgern die Autoren. Unklar sei jedoch, inwiefern weitere Zelltypen, bspw. Mastzellen, sowie Komorbiditäten und Begleitmedikationen der Patienten die nozizeptiven Prozesse beeinflussen.

Dr. med. Judith Lorenz, Künzell


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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
18. Juni 2020

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